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Beiträge zur Geschichte
der
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Reformation in Osterreich.
Hauptsächlich nach bisher unbenutzten Aktenstücken
des Regensl)urger Stadtarchivs.
Von
D. Eduard Bohl.
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JENA,
Verlag von Gustav Fiscln'r,
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Uebersetzimgsrecht vorbehalten.
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961879,
Vorwort.
Nicht immer ist man in der glücklichen Lage, mit
dem Bewußtsein vor die Öifentlichkeit zu treten, daß man
etwas wirklich neues bringen darf. Wer aber nur Avenige
Seiten des nachfolgenden Werkes überblickt, wird sich des
Eindruckes nicht erwehren können, daß wir mit den vor-
liegenden Erörterungen ein für Österreich und auch für
andere Länder noch nicht benutztes Quellengebiet betreten.
Es ist das ßegensburger Stadtarchiv , welches , soweit es
Österreich betrifft, erschlossen zu haben das Verdienst des
Senior Friedrich Koch in Gmunden ist. Seine Abschriften,
welche ihm in den achtziger Jahren des vorigen Jahr-
hunderts zu machen verstattet war, hat er mir wiederholt
in liberalster Weise (seit 1888) zur Verfügung gestellt,
wofür ich ihm an dieser Stelle öffentlich den innigsten Dank
ausspreche. Zwar haben mich zunächst die theologischen
Stücke, welche auf den flacianischen Erbsündestreit Bezug
hatten, interessiert; aber je mehr ich in die Akten eindrang,
fesselte mich auch das Geschichtliche. Dei- 38-jährige
Aufenthalt in Österreich, während dessen ich an ver-
schiedenen mit der Reformationsbewegung eng verknüpften
Orten — außer dem Salzkammergut auch Hohenberg in
Niederösterreich (1886) i) — weilte, erweiterte meinen Ge-
1) Vgl. meinen Artikel über Hohenberg (das einst im Besitz
der Jörger gewesen, von denen zwei in Wittenberg waren und einer
mit Luther korrespondierte, vgl. Enders, Briefwechsel Luthers, VII),
in den Jahrb. d. Gesellsch. f. d. Gesch. d. Prot, in Österreich, 1887.
IV
sichtskreis. Und so beschloß ich, obwohl Theolog, den Ver-
such auch einer historischen Darstellung der Entwickelung
des Evangeliums in Österreich zu machen ; denn das Wesen
derselben kann nur von einem solchen gründlich erfaßt
werden, weil es eine von Theologen bestimmte Kampfes-
periode betrifft. Was immer draußen im Reiche die Ge-
müter bewegte, fand in Österreich kräftigen Widerhall.
Der Umstand aber, daß auch die Beziehungen Thü-
ringens zu dem evangelischen Österreich augenfällig waren,
veranlaßte den Herausgeber der Zeitschrift für Thüringische
Geschichte und Altertumskunde, Herrn Professor Dr. Doben-
ecker in Jena, dem darauf Bezug habenden Teil meiner
Darstellung einen Platz in seiner Zeitschrift zu gewähren.
Nachdem der erste Teil dergestalt Aufnahme gefunden,
hat Herr Dr. G. Fischer in Jena den Verlag auch der
übrigen Abschnitte gütigst auf sich genommen. Beiden
Herren sage ich für ihr Entgegenkommen meinen ver-
bindlichsten Dank.
Zum Schluß spreche ich die Hoffnung aus, daß auch
in Oesterreich der Versuch einer neu orientierten Dar-
stellung der evangelischen Bewegung im XVI. Jahi-hundert
geneigte Aufnahme finden möge. Ich habe niemand zu
Lieb, niemand zu Leide schreiben wollen, sondern nur die
Quellen und auch zuweilen mein Herz reden lassen.
Wien, Mitte Januar 1902.
D. B. Bohl.
Inhalt.
Seite
Eingang 1
Unsere Quellen 4
Theologischer Überblick . 13
Historischer Überblick ^) 40
Besondere Persönlichkeiten zur Zeit der Reformation
in Nieder- und Oberösterreich 109
A. Die Fürsten 109
Ferdinand 1 109
Maximilian II 136
Eudolf II. und Matthias 158
B. Der Adel 166
C. Die Prädikanten 173
I. Nicolaus Gallus 179
II. Wolfgang Waldner 205
III. Christoph Reuter 221
IV. Joachim Magdeburgius 248
Die niederösterreichische Agende 260
A. Die Vorbereitungen . . 260
B. Die Agende 277
Die Kirchenordnung in Innerösterreich 330
Der Erbsündestreit in den siebziger Jahren 372
Die Kirchenvisitation des Jahres 1580 396
Spaltung der „beständigen" Lutheraner und ihr Ver-
schwinden in den 80er Jahren 425
1) Bis dahin bereits abgedruckt in der Zeitschrift für Thüringische
Geschichte und Altertumskunde, Bd. XX, S. 327 — 432.
VI
Seite
Anhang 447
I. Scipio von Arcos Rede 447
II. Urteil Andreas über Flacius 450
III. Brief Waldners an Gallus aus Nürnberg vom
7. Januar 1557 452
IV. M. Moseder über die Exkommunikation .... 460
V. Gallus an Eeuter über den bei den Agende- Ver-
handlungen einzunehmenden Standpunkt .... 461
VI. Korrespondenz Nicolai GaUi mit verschiedenen in-
und ausländischen Theologen und Laien aus den
Jahren 1568—70 465
VII. Weickhardt von Polhaim an das Regensburger
Konsistorium 475
VIII. Extract aus den Schriften des Grazer Exjesuiten
Johannes Combilhon 477
Berichtigungen und Zusätze 481
I. Eingang.
Es kann nicht unsere Absicht sein, ^ine vollständige
Geschichte der Reformation in Österreich in den folgenden
Blättern zu geben ; wir fassen vielmehr nur die Geschichte
des Erzherzogtums Österreich ins Auge, womit sich die
neu erschlossenen Akten aus dem Regensburger Stadtarchiv
hauptsächlich beschäftigen, und auch hier nur die Haupt-
punkte. Eine vollständige Geschichte ist überhaupt erst
die Aufgabe einer späteren, dafür besser ausgerüsteten Zeit.
Wir wollen dabei die wichtigsten Ereignisse hervor-
heben und ihre Auffassung von mannigfaltigen Irrtüaiern
reinigen.
Wir können es uns nicht gefallen lassen, daß man
Österreich als eine Ablagerungsstätte jener Evangelischen
betrachtet, die man draußen im Reich, zumal in Thüringen,
nicht brauchen konnte und als Verführer und Irrlehrer,
besonders auch unter dem Namen „Elacianer''^) ver-
jagte, worauf sie sich in unsere Länder eingeschlichen
hätten. Seitdem das evangelische Österreich die Aufmerk-
1) Schon einer der Wortführer der aus Thüringen Ao. 1562
Vertriebenen, der bekannte Joachim Magdeburgius, protestiert in seinem
„Christlichen Bekenntnis des Glaubens etlicher evangelischer Prediger
in Österreich" 1566 gegen die Beschuldigung, „als ob wir Evan-
gelische oder (wie man uns sonst nennet) Lutherische Prediger in
Österreich in der Lehre und wahrem Gottesdienst nicht eins sem
sollten". Von Flacianern ist keine Rede, und Magdeburgius war
auch keiner (bis 1580).
1
— 2 —
samkeit der Geschichtsschreiber gefesselt, ist man stets in
diesem Irrtum befangen gewesen, teils aus bösem "Willen,
teils weil die Quellen trübe flössen.
Es ist freilich richtig, daß die österreichische Kirchen-
geschichte erst anhebt, als das goldene Zeitalter der Refor-
mation, wenn man von solchem überhaupt reden
darf, bereits vorbei und ein ehernes eingetreten war, das
aber von dem eisernen des 17. Jahrhunderts wohl zu unter-
scheiden ist. In diesem Zeitalter, das wir um die Mitte des
16. Jahrhunderts füglich beginnen können, gab es noch sehr
viel Gutes, und unsere österreichische Reformation hat
daran teilgenommen. Wir sind weit entfernt von der
kühlen Betrachtungsweise jener Historiker, die, nachdem
sie im Anfang ein goldenes Zeitalter, unter besonderer
Hervorhebung der Verdienste Luthers, geschildert, in vor-
wurfsvollem Tone zur Kenntnis ihrer Leser bringen, daß
auf dieses Zeitalter die Streitigkeiten der Theologen und
die Kontrareformation gefolgt seien. Wir meinen, ein
Besseres von dem Verlauf der Reformationsgeschichte sagen
zu dürfen und wünschen die Belege im folgenden dafür
zu geben. Wir sind vor allem keine solche Gegner jener
Streitigkeiten der Theologen, wie es leider heutzutage die
meisten sind. Denn die Reformation vollzog sich in herbem
Kampfe, und alle jene, die auch später für das Beste der
Gemeinde besorgt waren, sind Leute des Kampfes gewesen.
Wenn also auch das Gute, das wir in jenem ehernen Zeit-
alter noch antreffen, nicht heranreicht an das, was zur Zeit
der Väter und Begründer der Reformation vorhanden war,
so ist dessen doch immer noch genug. Von dem Geiste der
ersten Zeugen lebte auch in diesen Nachgeborenen noch
immer etwas. Und wären Luther, Melanchthon oder Bucer
um die Zeit der Wende des Jahrhunderts wieder auf-
gestanden , um durch das Erzherzogtum Osterreich zu
wandern, sie würden dort Gemeinden gefunden haben, die
durch die Predigt des Evangeliums und die Zucht, sowie
durch das Band der brüderlichen Liebe zusammengehalten
— 3 —
waren. Daher kam es denn auch, daß, als das Wort evan-
gelischer Predigt verstummen mußte (in den 20 er Jahren
des 17. Jahrhunderts) nicht kalte Grabsteine, sondern lockeren
Erdreich jene Stätten in Österreich deckte, aus dem neues
Leben wieder sprießen konnte, wenn es Gottes Zeit war. Wir
erinnern an die Emigranten in Salzburg (1731) und die
Hallstadter Protestanten — ferner an die Toleranzzeit (1781)
und die Zeit der kirchlichen Freiheit seit 1861.
Um den vorliegenden Ausschnitt aus der großen Kirchen-
geschichte, wie er sich aus dem Regensburger Aktenmaterial
haiiptsächlich ergiebt, recht zu würdigen, nat man sich mit
Geduld zu wappnen. Unsere Aufgabe ist zunächst, uns
aller Geringschätzung zu enthalten bei der Besprechung
theologischer Streitfragen, welche augenblicklich nicht akut
zu sein scheinen. Jene Streitfragen sind derart, daß nur
Zeit und Gelegenheit nötig ist, um sie wieder zu brennenden
zu machen. Da ist vor allem die in den Schriften und
Briefen aus jener Zeit ganz geläufige adiaphoristische Streit-
frage, ferner die synergistische, majoristische und ähnliche
Fragen.
Wir können es uns nicht ersparen, an erster Stelle
auf solche Fragen einzugehen , weil davon die Gesamt-
beurteilung der Zeit und so auch das Verständnis des uns
vorliegenden Aktenmaterials abhängt. Wir müssen also in
einem einleitenden theologischen Teil die Bedeutung dieser
Fragen würdigen. Zu jenem kurz gefaßten theologischen
Überblick gehört dann ein gleich kurzer historischer, in
welchem wir die Hauptpunkte der Entwickelung und Be-
endigung der Streitigkeiten berühren müssen, und zwar vom
Jahre 1548 — 1580 — vom Interim bis zur Annahme des
Konkordienbuchs. Dann erst sind wir in der Lage, diesen
unseren special-historischen Abschnitt, den wir auf Grund
neuer Quellen in Behandlung genommen haben, gründlich zu
verstehen. Sonst befänden wir uns fortwährend in der
Lage eines Blinden, der über Farben urteilen soll.
1*
— 4 —
Unsere Quellen.
Für eine sichere Auffassung unseres Gegenstandes standen
mir außer zahlreichen Büchern und den gedruckten Quellen-
schriften, die anzugeben mir erlassen bleiben möge, umfang-
reiche und wertvolle handschriftliche Quellen zu Geböte,
welche fast noch gar nicht benutzt worden sind.
Sie sind aus dem Eegensburger Stadtarchiv und sind
lange Zeit gänzlich verschollen gewesen. Mein Gewährs-
mann, Herr Senior Friedrich Koch in Gmunden, der zu-
erst jene handschriftlichen Quellen im Original für die
österreichische Reformationsgeschichte benutzt und zum
Teil abgeschrieben hat, berichtet darüber folgendes : Nach-
dem sie lange Zeit auf dem Rathausboden oder im feuchten
Kellerraum gelegen, seien sie endlich, um die Mitte des Jahr-
hunderts, in das städtische Archiv gerettet worden. Von
diesen Akten thut zuerst Preger in seinem Werke: Matthias
Flacius Illyricus, Bd. 2. Vorrede (1861), Meldung, der die
mehrere 100 Nummern enthaltende Originalcorrespondenz
des Flacius mit Gallus hie und da benutzt hat, aber nichts,
was auf Österreich Bezug hätte, anführt. Für letzteres
Land hat er nur Raupach gebraucht, wie er brieflich dem
Senior Koch meldete. Die auf die österreichischen Länder
bezüglichen Briefe und Mitteilungen enthalten u. a. die
Korrespondenz des Nikolaus Gallus mit verschiedenen in-
und ausländischen Theologen und Laien von 1568 — 1570;
ferner eine Reihe von Berichten, Gutachten und Beschlüssen
aus den kirchlichen Streitigkeiten jener Zeit, endlich lange
Ordinations- und Vokationslisten der zu geistlichen Amtern
empfohlenen „Subjekte". Von 1570 an bis 1624 und
darüber hinaus bis 1726 erstrecken sich diese Listen und
Gutachten, mit allerlei teils wichtigen Aufschlüssen, die
zur Erkenntnis der Zeit dienlich sind. Auch sonst sind
auf Osterreich bezügliche Daten, in Chroniken eingestreut,
zu finden. Natürlich sind auch Briefe von Flacius und
Wigand an Gallus, von Chemnitz an Waldner in Regens-
o —
bürg vorhanden; ebenso von Hesshus au seineu Freund
Gallus, wie nicht minder von Cölestin, Melissander,
Magdeburgius, Kosinus, Aurifaber, einer sogar von Veit
Dietrich. Auch ein Edikt Kaiser Ferdinands, wodurch er den
Freiherrn von Jörger mit einem Benefiz für seine Verdienste
um das Salzbergwerk ausstattet, was dann Jörger in
Regensburg für fromme Zwecke anlegen läßt. Weiter sind
Notizen von den unter Friedrich III, von der Pfalz in
Amberg entsetzten Lutheranern, die in Regensburg ihre Zu-
flucht nahmen, vorhanden, sowie der Brief Maximilians an die
Amberger, der sie zum Beharren bei der A. C. auffordert.
Auch ein Brief Johann Aurifabers vom 12. Sept. 1565,
worin derselbe mitteilt, er habe dem Kaiser Maximilian
seine Tomi übersandt, d. h. seine Ausgabe der Tischreden
Luthers, und dieselben hätten Sr. Maj. gefallen. Er hoffe
auf ein Privileg für sie. Ebenso der Brief, in welchem
Flacius Mitteilung macht über die Audienz bei Kaiser
Maximilian auf dem Augsburger Reichstage 1566 (unter
dem Titel : Narratio oblationis libelli de translatione imperii).
Er hatte sich am Abend des Ostertages (14. April) bei
der öffentlichen Audienz eingefunden und wurde leutselig
empfangen und mit dem Versprechen, der Kaiser wollte
seiner eingenk sein, entlassen i). Endlich sind auch Briefe
und Aktenstücke, welche die Reformation in Ortenburg
oder die Schule zu Lauingen und die inner-österreichische
Reformationsgeschichte (Steiermark, Kärnthen, Krain) be-
treffen, zu finden. Kurz, es sind lauter Aktenstücke, Briefe
und Mitteilungen ersten Ranges, die noch fast gar nicht
1) Es handelt sich um die Überreichung der in Basel soeben
gedruckten Schrift : „De translatione Imperii Romani ad Gcrmanos".
Derartige Abschriften von wichtigen Dokumenten, kaiserliehen Replik-
schriften und Erlässen sind mehrfach vorhanden, die man dem Gallus
und seinen Nachfolgern aus erster Hand zuschickte, welche sie dann
glückUch bewahrt haben. Darunter befindet sich auch jene Rede
des Grafen Scipio von Arco, die er 1560 vor Pius IV gehalten und
welche die berüchtigte Obcdienzleistung des Kaisers enthält. Selbige
— 6 —
benutzt sind, obwohl die Sage ging, daß sie vorbanden,
z. B. daß ein ganzes Volumen von Briefen an und von
Waldner sieb in Regensburg befinden müßte i).
Nicht einmal dem guten ehrlichen ßaupach ist es ver-
gönnt gewesen, diese Akten zu Gesicht zu bekommen, was
seiner Darstellung in dem berühmten Werke „Evan-
gelisches Österreich" (6 Teile, Hamburg 1732—44)
empfindlichen Abbruch thut. Er hat leider auch durch
Parteilichkeit getrübte Quellen, wie eben solche neben
den lauteren ihm zuflössen, benutzt, aber diese Haupt-
quellen waren ihm nicht zugänglich trotz seines Verkehrs
mit Regensburg.
Was ist nun das Besondere dieser Regensburger Akten ?
Wir gewahren ein gar seltenes Schauspiel , das uns in
diesem Maße aus der Reformationszeit kaum wieder ge-
währt wird. Die Teilnehmer an den Kämpfen und großen
Aktionen der Zeit nach Luthers Tode treten uns mit
ihren Tugenden und innersten Herzensergießungen, aber
auch mit ihren Fehlern und Schwächen vor das geistige
Auge. Die Licht- und Schattenseiten der Kirche ihrer Zeit,
deren Wohl und Wehe ihnen so sehr am Herzen lag, in
deren Dienst sie sich mit Herz und Seele gestellt, ihren
Prinzipien getreu „bis zum Bettelsack", treten deutlich hervor.
Es ist alles voll Aktualität.
Erwägen wir nur die Zeit und zwar mit voller Un-
befangenheit, wie sie Pflicht des Historikers ist.
Die Reform Luthers hatte, nicht weil sie von Luther
kam, sondern vielmehr von Gott, wie im Siegeszuge die
Länder durchzogen, — bis nach Italien und Spanien hin
ist, wie Sicel (Aktenstücke zur Geschichte des tridentinischen Con-
cils, S. 38) bemerkt, bisher nie wieder aufgefunden. (Regensburger
Akten, Eccles. I Nr. XXVI. Z. I).
1) Vergl. Eaupach, Presbyterologie. S. 200. Eaupach ließ,
damals nachforschen in Eegensburg, aber es ward nichts gefunden.
— 7 —
und bis zu den Kroaten i). Es war wie jenes Mal, als
Paulus an die Kolosser schreiben durfte, daß das Wort der
Wahrheit im Evangelium zu ihnen gekommen wäre, wie
auch in alle Welt, und fruchtbar geworden (Kol. 1, 5. 6).
Das ganze Festland hatte von der Kunde vernommen, die
von Wittenberg ausgegangen in alle Lande, und es war
nahe daran, daß das gesamte heilige römische Reich noch
einmal vom Evangelium den Weg zur Seligkeit lernen
werde. Das wissen bis heute noch die Feinde, und der
bloße Gedanke daran macht sie unruhig und treibt ihnen
die Röte des Zornes ins Gesicht.
Nun aber handeln diese Regensburger Akten nicht
mehr von den ersten Zeiten, da alles wie im Früh-
ling auf eine reiche Ernte hindeutete, sondern es neigt
sich schon stark dem Winter zu. Und doch sammelt sich
nach dem Ausweis unserer Akten um den einen oder
anderen Lehrer, besonders an der Universität Jena, dann
in Regensburg um Nicolaus Gallus, eine Schar entschlossener
Schüler, die sich wieder um das alte Banner, welches
Luther vorangetragen, scharen : das Banner des göttlichen
Wortes, und zwar nach der Auslegung Luthers, „dieses
größten Theologen aller Zeiten", des „dritten Elias" -).
Diese Konzentration älterer und jüngerer Schüler
Luthers, die in Thüringen, im Vogtlande und im Mans-
feldischen, dann in Regensburg in den Jahren 1560 — 1580
1) Dort predigte Steffan Consul nach B. Pica's Außerimg in
einem Briefe an Gallus vom 16. Sept. 1568, der solcherlei Leute unter
dem Kriegsvolk in Graz fand, die jenen Prediger lobten und den
hartnäckigen Aberglauben ihres Volkes beklagten. (Regensburger
Akten, Ecclesiastica Kasten D, Fach 1, XXXVI. St. 51).
2) Vergl. Flacius' Antrittsrede, zu Jena 1557 gehalten, bei
Preger II, 108 u. 111. Das Leipziger Interim ist in dieser Rede
das zweite Tier (Offenbarung 13, 11 ff.); es redet gleichwie der
Drache, obwohl es in Lammesgestalt einhergeht. Die Gewalt über
die Menschen, welche die beiden Tiere (Interims) ausübten, dauerte
auch, wie in der Offenbarung Johaunis, 42 Monate (von der JMitte
1548 bis zum Ende des Jahres 1551).
— 8 —
beobachtet wird, macht eben die Briefsteller, welche die
Regensburger Akten uns wieder vergegenwärtigen, so über-
aus interessant. Es ist zwar nur relativ weniges von
Briefen von und an Grallus, was auf Österreich bezüglich
sich in Regensburg findet. Vielleicht daß sich bei erneuter
Nachforschung noch vieles findet, aber auch das Wenige,
das mir freundlichst zur Verfügung gestellt wurde durch
die Grüte meines Gewährmannes, der sich seit 1885 mit der
Untersuchung jener Akten und mit Extrahierung derselben,
soweit es die österreichische Reformation betrifi't, beschäftigt
hat, ist überaus wertvoll.
Wir möchten anderen den Weg zeigen und das Ver-
langen erregen, den ganzen Schatz, der hier in Regensburg
annoch verborgen liegt, zu heben. Derselbe würde vielen
Gebieten, unter anderen auch Thüringen und Jena zu gute
kommen, wie er uns dienen wird, die verdienstlichen Bearbeiter
der Reformationsgeschichte Österreichs — wir nennen nur
Raupach, meinen alten Wiener Kollegen Dr. von Otto und
Theodor Wiedemann — besonders in dem Zeitraum von
1568 — 1572 zu ergänzen. Diese meine Vorgänger leiden an
einer gewissen Einseitigkeit. Raupachs Hauptgewährsmann
ist der seiner Jugend und Parteistellung wegen grade hier
unzuverlässige Polykarp Leyser ^), der bei seiner Ankunft
in Österreich 1573 erst 21 Jahre alt war und nur 2 Jahre
daselbst verblieb. Dieser später sehr berühmte Mann und
seine Korrespondenten in Österreich (z. B. Lucius in
Göllersdorf und viele andere) sind für Raupachs Urteil
maßgebend 2). Dr, Otto in seinen beiden in Jena und Wien
1) Leyser war Stiefsohn des Württemberger Hofpredigers Dr.
Lukas Osiander, zu Tübingen von Dr. Jakob Andrea ordiniert und
stand völlig unter dem Einfluß dieser beiden. Die Württemberger
aber haßten im Grunde alles, was mit Flacius in Verbindung stand.
2) In der Hamburger Stadtbibliothek findet sich ein Band
Briefe im Manuskript von und an Leyser, welche Eaupach noch
neben der gedruckten BriefsammlungLeysers benutzt und der Bibliothek
hinterlassen hat.
- 9 —
verfaßten hieher gehörigen Schriften i) bewegt sich völlig
in den landläufigen Gegensätzen zwischen „Flacianern"
einerseits, und Melanchthonianern oder Adiaphoristen resp.
Synergisten andererseits. Das ist eben seit der Zeit des
Rationalismus, besonders seit Planck, gewöhnlich geworden,
während Siegm. Jak. Baumgarten in seinem kirchen-
geschichtlichen Werke ^) solches noch nicht kennt, sondern
vielmehr sich einer gerechteren Verteilung von Licht und
Schatten befleißigt. Wenn freilich auch Zeitgenossen des
Flacius sich des Namens „Flacianer'' bedienen, z. B. Joh.
Aurifaber in einem Schreiben aus Mansfeld an Gallus
V. J. 1565 oder Georg Autumnus (zuletzt Dekan in Mans-
feld) in einem Schreiben aus Greiz, 23. Aug. 1568, u. m. a.
so hat das einen ganz anderen Sinn ^'). Da meinen sie eben
den Flacius, welcher Melanchthon und hinterher Strigel in
so einschneidender W^eise bekämpft hat, und scharen sich,
ebenso wie später die österreichischen strengen Lutheraner,
unter seinen Namen, der einen festen Rückhalt bot gegen
die die Gegensätze ermäßigenden Widersacher. Im Munde
eines Camerarius dagegen oder Strigels, ja auch Jakob
Andreas, welch letzterem auch die Neigung zum Synergismus
nicht absolut fernlag -i), gewinnt der Ausdruck „Flacianer"'
1) De Yictorino Strigelio liberioris mentis in Ecclesia Lutheria
Vindice, lenae 1843 ; ferner Geschichte der Reformation im Erzherzog-
tum Österreich unter Kaiser Maximilian II. (1564—1576), Wien
1889. Strigel einen Vorläufer der ..freieren Richtung" zu nennen, wie
Otto thut, ist jedenfalls kühn.
2) Geschichte der ReHgionsparteien, ed. Semler.
3) Autumnus (Georg Herbst) in Greiz dankt Gallus für eine
Schrift des Flacius gegen MörHn (v. J. 1568) und erwähnt bei der
Gelegenheit jener nur aus persönlicher Eifersucht erklärbaren Absage
des Braunschweiger Superintendenten Joachim Mörlin an Flacius,
welche damals Epoche machte. Er sagt: „Dr. Mörlinus ist von den
Flacianern, als Ir fürnemestes glied eins, abgefallen", wodurch ihre
Partei sehr geschädigt worden sei.
4) Sie ist in der Konkord ienformel sogar nur mit Mühe zurück-
gedrängt (vgl. den Abschnitt im II. Teil, Solida Declaratio vom
— 10 —
einen sanz anderen Charakter. Da ist es nicht nur ein
Vorwurf, wonach Flacius immer etwas Neues und Sonder-
liches prästieren müsse, sondern eben ein Schimpfwort und
Ketzername, der, nachdem er einmal geprägt, lawinenartig an-
wächst, um zuletzt auch die besten Motive des Mannes
selber zu begraben. Seitdem erlaubt sich jeder, dem Flacius
eins anzuhängen^). Ja, Leute, die zunächst gar nicht
daran gedacht haben, Flacianer zu sein, sondern höchstens
Freunde des Flacius oder strenge Lutheraner, werden
unter Anwendung dieses Namens von vornherein abgethan
oder als ungeeignet, z. B. für die Reformationspredigt in
Österreich, gekennzeichnet ^j. Das ist falsch, denn die
meisten der „Gnesio-" oder strengen Lutheraner waren mit
Flacius einig und verließen ihn nur um einer Verschieden-
heit des theologischen Ausdruckes willen, im Grunde aber
weil sie ihn beneideten, und endlich weil er in Thüringen,
im Vogtlande, bei den Kurfürsten von Brandenburg und
Sachsen, bei Kaiser Ferdinand und zuletzt auch bei
Maximilian verfemt war.
Gleich wie Otto bedarf auch Wiedemann der Ergänzung,
da er die Flacianer haßt, obwohl sie ihm doch eigentlich
als schärfste Opponenten der Jesuiten genehm sein müß-
ten, welch letztere wegen ihrer gänzlichen Abgeschlossen-
heit auch Katholiken nicht sympathisch sein können,
sondern vielmehr ein Fremdkörper in der Kirche sind.
Wiedemann schwelgt in Ausdrücken wie: „Die Bekenntnis-
freien Willen und den menchlichen Kräften). Das verdankt man
Chemnitz weit mehr als Andrea (vgl. Chemnitz, Loci theologici,
De causa peccati S. 143 der Leyser'schen Ausgabe).
1) Z. B. Loserth, Die Reformation und Gegenreformation in
Inner-Österreich, S. 223, wo Flacius ein Ketzer genannt wird ; ferner
Wiedemann an sehr vielen Stellen etc. etc.
2) So nennt Otto mit Unrecht Magdeburgius „den hart-
näckigsten aller Flacianer", denn er wurde es erst gegen 1580.
— 11 —
Schriften" ^) und nennt ihrer drei, von Moseder, Reuter und
Magdeburgius, als in Österreich verfaßte : oder wie : „neue
Lehre" und erzählt uns B. I S. 339, daß Joach. Magdeburgius die
flacian ische Lehre nach Österreich gebracht habe, woran
dieser gar nicht dachte. Wo er etwas recht Schreckliches
von den Protestanten sagen will, müssen die Flacianer her-
halten. Er hat überhaupt ein absolut dürftiges Verständ-
nis vom Evangelium der Reformation, was er als Geistlicher
nicht haben sollte; er vergißt ganz, daß die Katholiken
eminent von der Reformation gelernt haben (vgl. Papst Hadrian
Contarini etc.) und sich lange ihr möglichst zu accommodieren
suchten. Das zeigen ganz besonders die Religionsgespräche
zu Worms 1540, zu Regensburg 1541, endlich das aller-
letzte Religionsgespräch der Protestanten mit den Katho-
liken zu Worms 1557. Deshalb hätte er der Reformation
wohl ein wenig dankbarer sein können und nicht verdienst-
liche Leute, wie öfter geschieht, so frivol beurteilen sollen^).
Jedoch lassen wir uns die Anerkennung seiner Ver-
dienste dadurch nicht schmälern. Die Beherrschung des
Aktenmaterials, die Erschließung ganz neuer Quellen (bes.
der Klosterrats- und im erzbischöflichen Besitz zu Wien
befindlichen Konsistorial- Akten) 3) ist überaus dankens-
wert, obschon grade dies ihm bei seinen Gesinnungsgenossen
am wenigstens Dank eingetragen haben wird. Man kann
wenigstens fortan keine Reformationsgeschichte Österreichs
1) Band I, S. 325, 331 ff.; S, 338 zählt er sechs Parteien auf,
in welche die neue Lehre bereits gespalten ist, und sagt Bemerkens-
wertes darüber.
2) Das Werk ist Minister Stremayr gewidmet und trägt die
Spuren emes liberalen Katholizismus an sich. Dahin gehört, daß
er Maximilian einen Deismus zuschreibt, der rein aus der Luft ge-
griffen ist.
3) Leider hat Wiedemann gänzlich die Akten des niederöster-
reichischen Landesarchivs zu konsultieren verabsäumt, was erst
neuerdings von Dr. V. Bibl in ausgezeichneter Weise nachgeholt
worden ist.
— 12 —
mehr schreiben ohne Theodor Wiedemanns „Geschichte der
Eeformation und Gegenreformation im Lande unter der
Enns" (Bd. 1—4, Prag 1879 ff.) i).
Otto Helmut Hopfen, ein jüngerer Schriftsteller, hat eine
auch für unseren Gegenstand belangreiche Schrift über
Kaiser Maximilian II. und den Kompromißkatholizismus
desselben verfaßt (München 1895), in welcher freilich die
Briefe und Akten, welche über die Hälfte des Buches ein-
nehmen, das wichtigste sind. Selbige erstrecken sich über
Teile jenes Gebietes, das auch wir zu durchmessen haben,
und ergänzen unsere Regensburger Akten an manchen
Stellen. Kehren wir nunmehr zurück zu unseren Akten
und sehen wir sie aiif ihren theologischen Gehalt au.
1) Wiedemann hat auch ein Werk über die Sekten in Ober-
österreich im vorigen Jahrhundert u. d. T. „Die rel. Bewegung in
Ob.-Öst. und Salzb. b. Beg. d. 19. Jhd., Innsbruck 1890" verfaßt.
Darin ist aber die Behauptung irrig, daß die Eeste der Pöschlianer
in die evangelische Kirche übergingen, wofür sich nach authentischen
Nachrichten kein Beispiel anführen läßt.
- 13
II. TLoolo2;iselier Uberl)lick.
Unsere hauptsächlichsten Aktenstücke, die Regens
burger, führen uns bis auf die Zeiten des Interims zurück.
Das Interim, als erster großer Markstein der anhebenden ge-
waltsamen kaiserlichen Einmischung in die religiösen An-
gelegenheiten, hat doch seine Wurzeln darin, daß bereits eine
Zeit eingetreten, in dereine „Ermäßigung" der Lehre Luthers
im Anzüge war ^). Dieselbe war auch dadurch mitverursacht,
daß Luther in seinen letzten Jahren, alt und ruhebedürftig
wie er war, eigentlich nur noch die Augen oifen hatte für
seine Abendmahlslehre. Als er wenige Monate vor seinem
Tode die bedeutendsten Lehrer der Universität bei sich
versammelt hatte, sprach er in trüber Ahnung viel von
der Spaltung, die sich nach seinem Tode unter ihnen her-
vorthun werde. Bedeutsam genug wandte Luther sich sodann
zu einem der Anhänger und Freunde Melanchthons, zu
Paul Eber, mit den Worten: „Du heißest Paulus, darum
ermahne ich dich, daß du nach Pauli Beispiel die Lehre
Pauli standhaft zu erhalten und verteidigen bemüht seist".
In ähnlicher Weise sprach er sich noch wenige Wochen
vor seinem Tode aus. Als Georg Major kurz vor seiner
Abreise zu dem erfolglosen Kolloquium nach Regensburg
im Januar 1546 von Luther ilbschied nehmen wollte, fand
er in dessen Studierstube die Worte angeschrieben: „Unsere
Professoren sollen examiniert werden vom Abendmahl des
Herrn". — Und Luther sprach: „Wenn ihr wieder heim-
kommen werdet und ich auch, so wird man müssen ein
Examen anstellen, dazu ihr ebensowohl als andere sollt
erfordert werden. — Ihr machet euch mit Stillschweigen
und Bemänteln selbst verdächtig. Ein Lehrer, der zu Irr-
1) Von dieser Zeit schreibt Chemnitz dem Flacius: „O mein
lieber Herr Magister, es wäre übrig, ül)rig genug und herzHch zu
wünschen, daß wir nur können das in der Kirche erhalten und auf
unsere Nachkommen bringen was der hebe Luthorus erstritten und
- 14 —
tümern still schweigt und will gleichwohl ein rechter
Lehrer sein, der ist ärger als ein öffentlicher Schwärmer" ^)
Und srleich wie der schweizerischen Sakramentslehre
gegenüber, war die Stellung der Wittenberger Theologen
auch der römischen Kirche gegenüber keine streng ab-
geschlossene, was unsere Regensburger Akten an den ver-
schiedensten Stellen anzeigen. Besonders war es Melanchthon,
der über wichtige Punkte nicht zu festen abschließenden
Resultaten kommen konnte. Unter anderem hatte er, nach-
dem er erst die Prädestination vorsichtig gemieden, später
sie aufgegeben, womit der protestantischen Lehrentwickelung
Eintrag geschah. Denn nun traten die Fragen nach der
Mitwirkung des Menschen bei der Bekehrung und von der
Notwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit wieder hervor.
Melanchthon und viele mit ihm empfanden überhaupt das
Übergewicht Luthers als schwere Last 2). Nunmehr wird jener
Bericht über Warnungen Luthers weit verständlicher, welcher
im Anhang seiner letzten Predigt am zweiten Sonntag
nach Epiphanias 1546 sich findet^). Die Warnung hat
der Empfänger derselben, Dr. Augustin Schürf, zur Zeit
uns gelassen. Mit dem Verbessern möchten und wollten wir gern
und wohl still schweigen. Parta tueri können wir leider nicht
aus gerechtem göttlichen Zorn, darum möchten wir das ulterius
quaerere wohl nachlassen." (Preger, Flacius Bd. II, 328.)
1) Preger, Flacius Illyricus, I, p. 33. Gemeint ist mit dem
„ihr machet euch", wie Preger richtig bemerkt, die Partei
Melanchthons, zu der Major, Eber, Cruciger, Camerarius u. a. m.
gehörten.
2) Vgl. den Ärgernis erregenden Brief Melanchthons an Carlo-
witz v. 28. April 1548 (s. Preger, a. a. O. I, 40 ff.), welcher, wie Gallus
in einem Brief an Chr. Eeuter vom 13. Oktober 1568 bemerkt.
Zur Annahme des Interims seitens der Fürsten und Städte bei-
getragen. (E. A. Eccles. Nr. XXXVI St. 14).
3) Von Stephan Tucher, 1549, zur Zeit des Interims, heraus-
gegeben und mit einer Vorrede versehen. Am Schluß dieser Predigt
finden sich von Tucher obige Worte Doktor Martin Luthers an-
geführt (s. Werke, Erlanger A., Band 16, p. 149).
— 15 —
des Interims dem Bugenhagen in Erinnerung gebracht. Die
Stelle lautet: „Doctor Martinus Luther, heiliger Gedächtnis,
hat oft vor vielen anderen Glaubwürdigen, und auch vor
D. Augustin Schürf gesagt diese Worte: Nach meinem
Tode wird keiner von diesen Theologen beständig
bleiben. Solches hat D. Augustin Schürf D. Pommern
erinnert, da er Wittenberg aufgegeben, und gesagt : Jetzt
wäre Zeit zu schreien , wie die Feinde das Evangelium
sucheten (denn zuvor predigte D. Pommer heftig wider
die Feinde, aber nun ist eine andere Zeit) unterzudrücken.
Aber D. Pommer ist zornig worden und davon gelaufen.
Solches alles habe ich von D. Augustino Schürf nicht
einmal, sondern oft gehört. Darum zeuge ich's auch vor
Christo, meinem Herrn, dem Richter, welcher dies und
anderes mehr, so er wider die Wahrheit und sein eigen
Gewissen gehandelt, wohl wird richten. Demselben sey
auch die ganze Sache befohlen, M. Stephanus Tucher."
Die Prophezeihung Luthers bewahrheitete sich alsbald
nach seinem Tode. Der durch den Krieg aufgewühlte
Boden Deutschlands war empfänglich gemacht worden zur
Aufnahme einer vom Kaiser ausgehenden selbständigen
Regelung des Religionswesens, von der wir weiter unten
reden werden. Während die katholischen Fürsten dieselbe
ablehnten, krochen die protestantischen vor dem Kaiser zu
Kreuz. Verhängnisvoll war besonders die Stellung der
Wittenberger Theologen. Melanchthon vor allen, verführt
durch seine natürliche Mutlosigkeit und ängstliche Be-
sorgtheit um den religiösen Frieden (s. den Brief an Carlo-
witz), zog Bugenhagen, Paul Eber, Georg Major, Pfeffinger
und Andere mit sich, so daß auf dem alten Reformations-
herde bald ein fremdes Feuer brannte. Man bot die Hand
zur Einführung von Neuen.ingen in Lehre und Ceremonien,
die unterdem Namen „Leipziger Interim" in unseren Akten-
stücken wie in der ganzen Welt zur Genüge bekannt sind.
Flacius, Amsdorf, Gallus traten bald an die Spitze der Be-
kämpfer des Interims, und auch nachdem dasselbe hinfällig
— 16 —
geworden, blieb die Opposition dieser echten Lutheraner
gegen die Philippisten, Melanchthons Schüler, fortbestehen
und gestaltete sich aus zu einem dauernden Kampf gegen
Adiaphorismus, Majorismus und Synergismus. Diese drei
Lehrarteu verschwanden deshalb nicht, weil sie nicht erst
durch das Interim erzeugt, sondern zum Teil schon in der
schwankenden melanchthonischen Lehrweise der früheren
Jahre dem Keime nach enthalten waren. Wir haben nun-
mehr zu erläutern, woher es kam, daß jene Fragen die Ge-
müter in so hohe Spannung versetzten.
Beginnen wir mit den in unseren Akten so streng ge-
rügten und bekämpften „Adiaphora" oder Mitteldingen, von
denen der adiaphoristische Streit (1548 — 55) seinen Namen
hat, d. h. also mit dem Streit über die Zulässigkeit
katholischer Formen in Verfassung und Kultus. Dazu ge-
hören die lateinische Messe, Bilder, horae canonicae, ab-
gethane Festtage (auch Fronleichnam), Fasten ; ferner die An-
erkennung der sieben Sakramente und der hierarchischen Ver-
fassung. Das Interim betrachtete solches alles als Adiaphora
oder Dinge, die man ohne Sünde halten, mit anderen Worten
als gleichgiltig oder minder wesentlich annehmen dürfte.
Die Adiaphora, besonders wo sie aus einem Kompromiß
mit dem katholischen Kirchenwesen oder, wie man neuer-
dings sagt, aus romanisierenden Tendenzen beibehalten
werden oder sich der Kirche aufdrängen wollen, sind
niemals unbedenklich. Geschickte Gegner der protestantischen
Lehre können nur zu leicht sich der C e r e m o n i e n be-
dienen , um durch solche Hinterthüren das Dogma der
Kirche zu paralysieren oder zu zerstören. Die hochkirchliche
Partei in England und auch neuerliche Tendenzen in gewissen
Kirchen des Festlandes stellen uns solche Gefahr vor Augen.
Weit schrecklicher aber war die Gefahr zu jener Zeit
in der doch wirklich die Lehre von der Rechtfertigung
noch nicht in die Gemüter sich eingelebt, und man es
leichter hatte, die Völker um diesen Schatz zu betrügen,
wenn man es nur verstand, das öffentliche Interesse von
— 17 -
ihr abzulenken und dasselbe auf den alten Ceremonien-
dienst, diesen nie gründlich ausgefegten Sauerteig, zu kon-
zentrieren. Wir haben um eben diese Zeit ein Beispiel an
Kurfürst Joachim von Brandenburg, der ein großer Freund
auch der schädlichen Adiaphora war, ferner an Georg von
Anhalt, Dompropst von Magdeburg, und etlichen Reichs-
städten in Süddeutschland, z. B. Dinkelspühl, Windsheim,
Gingen, Heilbronn, Ravensberg, Biberach, welche die Adia-
phora, d. h. katholische Kultusformen, noch längere Zeit
beibehielten , endlich an Schweden. In letzterem Lande
wurden unter Johann III. die meisten Grundsätze des
Interims 1575 wieder mittelst einer neuen Liturgie ein-
geführt, was großen Streit und endlich 1593 unter einem
neuen König Abschaffung derselben zur Folge hatte.
Hat nicht die lutherische Kirche selbst die Ab-
schaffung mancher um 1550 anstößiger Gebräuche später
widerrufen und es gemißbilligt, wo diese Gebräuche von
reformierten Obrigkeiten im Interesse biblischer Einfachheit
xind Wahrheit abgeschafft werden sollten und beziehungs-
weise wurden? Wir erinnern hier nur an den Exorcismus,
das Chorhemd, Gebrauch des Kreuzes (aktiv und passiv)
und Bezeichnung mit demselben bei Taufe und Segens-
erteilung, Elevation beim Abendmahl, Einsegnung der
Toten: lauter Dinge, die unglaublicherweise noch immer
eine schattenhafte Existenz führen, ja in England zur Be-
lebung des christlichen Gottesdienstes von den Hochkirch-
lichen wieder offen empfohlen werden.
So sind denn die Adiaphora ein höchst zweischneidiges
Messer; äußerst gefährlich allerwege, wo die Verteidiger,
wie zur Zeit des Interims, ein Philipp Melanchthon i) nebst
1) DölUnger, Gesch. der Keformation, I, S. 3G0, 370, 371,
3751, 388 legt Melanchthon das zweifelhafte Lob bei, als ob er mit
Bewußtsein einem altkirchlichen Standpunkt huldigte, der ihn weit
von Luther entfernt haben würde. Er mißbraucht vereinzelte
Äußerungen des großen Reformators. Dölünger ist überhaupt niu*
mit größter Vorsicht zu benutzen.
2
— 18 —
den übrigen Wittenbergern: Bugenhagen, Eber, Gr. Major
und Job. Pfefßnger waren. Diese werden gewöhnlich unter
dem allgemeinen Namen „meißnische Theologen" in unseren
Akten bezeichnet , im Gegensatz zu den „thüringischen"
oder herzoglich-sächsischen Theologen : Amsdorf, Elacius und
Wigand, letztere anfangs mit dem Hauptsitz in Magdeburg,
später in Jena. Hätten diese Letzteren jenen nicht so wacker
opponiert und alle Entschuldigungen, auch eines Melanchthon,
widerlegt, ja oft unsanft genug niedergeschrieen, woher hätte
dann die Konkordienformel den Mut genommen, im zehnten
Artikel diesen Streit zu schlichten und für die lutherische
Kirche in umsichtiger Weise abzuthun ?
Es ist am Ende zu begreifen, daß die lutherische
Kirche besonders in neuerer Zeit sich beeifert hat, solche un-
angenehme und für ihren guten Ruf bedenkliche Händel
zu vergessen. Aber Recht muß doch Recht bleiben: das
Interim bezeichnet einen verhängnisvollen Irrweg, indem es
zeigt, wozu selbst in einer Zeit, die noch an die Blüte-
zeit der Kirche grenzte, Menschen imstande waren. „Wenn
man das thut am grünen Holz, was will am dürren werden?"
Den guten Einfluß der strengen und beständigen Lutheraner
(vulgo „Flacianer") erfuhr neben der deutschen auch die
evangelische Kirche in Osterreich. An ihrem Widerstand gegen
solche Dinge, die das Interim als Adiaphora bezeichnet hatte,
scheiterte auch Maximilians Drängen auf Beibehaltung der
alten Ceremonien.
Ferner acceptierte das Interim eine Lehre vom Urständ
und von der Erbsünde ^), die in der Luft hängt, weil nicht
ersichtlich ist, welche Meinung eigentlich die wahre, ob
die der Evangelischen oder der Papisten. Es heißt einfach
in dem betreffenden Abschnitt: „Zum andern, so viel be-
1) Vgl. Bleck, „Das dreifache Interim", Leipzig 1721, S. 362.
Dazu Loofs' Leitfaden für seine Vorlesungen über Dogmengeschichte,
Kap. III, § 71; endhch Preger „Matthias Flacius Illyricus", I,
S. 186 f.
— 19 —
trifft die Lehr, Erstlich von dem Standt und wesen des
Menschen, vor und nach dem fall, ist kein Streit." (NB.)
Dazu bemerken Gallus und Flacius in der Schrift
„Der Theologen Bedenken" (1550): „Es ist wahrlich zuuor
viel streit dauon gewesen, Es were sehr gut, das die Leute
jtzt wüsten, ob ewer oder der Papisten meinung warer
gewesen sei".
Weiter näherte das Interim, unter Festhaltung der
Wahrheit, daß Sündenvergebung und ewiges Leben nur um
Christi willen geschenkt , nicht verdient würden , die
melanchthonische Rechtfertigungslehre der katholischen
1) durch die Behauptung des Synergismus (Bieck, S. 363 :
,,Gott wirket nicht also mit dem Menschen wie mit einem
Block, sondern zieht ihn also, daß sein Wille auch mit-
wirke", cf. Augsburger Interim Bieck, S. 283), 2) dadurch,
daß die neben die iustificatio (= absolutio) getretene re-
generatio i) mit katholischen Formeln beschrieben wurde
(„wird darum zugleich der heilige Geist gegeben", — und —
„der heilige Geist erwecket alle nötigen Tugenden, — zündet
an die Liebe" ; vergl. S. 369: „eingegebene Gerechtigkeit").
Endlich kommt der Satz von der Notwendigkeit
(consequentiae et debiti) der guten Werke vor (S, 372 ff.).
Die Worte lauten: „also ist gewißlich war, das diese tugen-
den glaub, liebe vnd hoffnung vnd anderen in vns sein
müssen vnd zur Seligkeit nötig sein."
Gegen dieses Leipziger Interim und Melanchthon,
seinen Mitverfasser, erhoben sich die in unseren Akten
viel genannten Matth. Flacius, Nie. Gallus, weiter aber Nie.
von Amsdorf, Joh. Wigand, Joach. Westphal, Musäus u. a. m.
und zwar, solange die interimistischen Zustände dauerten,
1) Eegeneratio oder renovatio ist das Gleiche, was man heute
eingegossene Kräfte der Heiligimg nennt (iustitia infusa). Es findet
thatsächlich eine Ähnlichkeit in dieser Lehre zwischen dem Interhn
imd Tridentinum statt. Die Grundfeste der echten Eechtfertigungs-
lehre ist aber: renascentia (regeneratio) = iustificatio.
2*
— 20 —
vornehmlich gegen die Adiaphora, dann auch gegen den
Majorismus und endlich den Synergismus.
Was den in unsern Akten oft berührten majoristischen
Streit betrifft, ist folgendes zu bemerken i).
Dieser Streit drehte sich darum, wiefern die guten
Werke notwendig seien, und hat seine Wurzel, wie bereits
bemerkt, in Sätzen Melanchthons aus der früheren Zeit,
als da sind : Grute Werke seien als causa sine qua non zu be-
trachten, bona opera necessaria, novam obedientiam neces-
sariam esse ad vitam aeternam. Aber durch eine be-
sonnene Erklärung und Retraktation war der Sturm vormals
noch beschwichtigt worden. Auch das Interim redete
irrig von diesem Gegenstand. Ganz besonderen Anstoß aber
erregte Georg Major 1552 mit der Behauptung, daß gute
Werke zur Seligkeit notwendig seien. Als dies heftig be-
stritten wurde, bestimmte er jenen Satz näher dahin, daß
zwar gute Werke nicht die Rechtfertigung verdienten,
welche allein durch den Glauben erlangt werde, wohl aber
als Früchte des Glaubens notwendig zur Seligkeit seien
[ad retinendam salntem 2)]. Auch anderer bedenklicher Aus-
drücke bediente er sich, z. B. Erneuerung, neuer Gehorsam
sei notwendig zur Seligkeit. Der gleichen Ansicht war
Justus Menius, Superintendent in Gotha; auch er will
den Satz, daß gute Werke zur Seligkeit notwendig seien,
nicht zwar auf dem Boden der Rechtfertigung, wohl
1) Die Verbreitung des majoristischen Irrtums in Österreich
läßt sich auch aus des Magdeburgius Konfession (1566) „Notdurftige
Erinnerung" Art. V, entnehmen, woselbst es heißt:
„Etliche, vnnd die wol die aller frommesten sein wollen, haben
sich darumb diser vnser Confession nicht vnterschreiben wollen,
das des Maioris Irrtumb darin verdarapt wird, vnd sie doch dargegeu
in seinen Schrifften befinden, das er sonsten ausser demselben Irtum
von der Justification des Menschen recht schreibe. Als ob eins
Menschen Irrthumb nicht ein Irrtumb were vnnd bliebe, wenn er
zu zeytten darneben recht redet vnd schriebe" etc.
2) d. h. um sich des Heiles noch weiter zu versichern.
— 21 —
aber auf dem des neuen Gehorsams (der sanctificatio)
gelten lassen. Der neue Gehorsam sei nötig, um die Seligkeit,
die wir durch die zugerechnete Gerechtigkeit Christi
empfangen haben, nicht wieder zu verlieren [ad retinendam
salutem^)]. Spätere drücken dies kühner aus, indem sie
wiederum die Notwendigkeit der guten Werke aus einer
Verpflichtung oder genauer schuldigen Dankespflicht her-
leiten 2). Beide Männer meinten jenen Satz nicht im
römisch-katholischen Sinne, sondern wollten nur den engen,
unauflöslichen Zusamnienhang zwischen Glauben und neuem
Leben zur Geltung bringen und gegenüb^^r aller Vernach-
lässigung des Lebens eine christliche Praxis befördern.
Dagegen stellten sich nun mit Recht die zwei Theologen,
die in unseren Akten als die Kor3'phäen gelten, Gallus und
Flacius, in der Schrift: Pia admonitio de cavendis crassis
et plus quam papisticis erroribus Georgii Maioris (Regens-
burg 1562)3).
Auch die Gegner im römischen Lager wußten von den
theologischen Artikeln, die unter den Protestanten, zuletzt
auch noch auf dem Pürstentage zu Naumburg (1561),
erörtert wurden, oft Genaues zu berichten. Sie sahen
gar wohl die Differenzen, die zwischen den Ständen der
Augsburgischen Konfession seit dem Interim entstanden,
und zwar klarer, als Kurfürst August und seine Theologen
1) Vgl. Preger, M. Flacius, I, S. 385 f.
2) So die Eeformierten ; vgl. Turretin, Institutio theologiae
elencticae, Tom. II, S. 768 f. Man hat auch in der reformirten
Kirche den Ernst dieser majoristischen iStreitigkeit nicht völlig ein-
gesehen. Ist es doch eine Art von feinem Synergismus, wonach der
Bekehrte mitwirkt vermittelst der neu erhaltenen Kräfte und durch
gute Werke das Urteil Gottes zu seinen Gunsten noch mehr fest-
legen wiU, als es durch Christi Gerechtigkeit bereits geschehen ist.
Dieses Selbstbetruges ist die Welt voll.
3) Wir haben in den Akten einen interessanten Brief von J. F.
Cölestin aus dieser Zeit an beide Männer, worin er um Vorsicht
gegenüber Major bittet, indem sie sehr scharf mit demselben ins Gericht
gingen und an einer Stelle ihn mißverstanden zu haben schienen.
— 22 -
sie sahen, auch klarer, als Christoph von Württemberg
und seine Theologen (besonders Andrea) sehen wollten,
endlich klarer als die Reformierten.
So haben wir einen derartigen Bericht von gegnerischer
Seite an Kaiser Ferdinand über die theologischen Artikel, die
zu Naumburg (1561) berührt wurden, der an Schärfe nichts
zu wünschen übrig läßt i) : „Man habe beschlossen zu setzen :
Man erkenne aufs neue an die Augsburgische Konfession
zugleich mit der Apologie, gemäß dem Buchstaben
und gesundem Verstände derselben. Das sei
deshalb gesetzt, weil jene Konfession an manchen Stellen
etwas dunkle und nach beiden Seiten zu biegende Worte
enthalte, und unter ihnen jetzt nicht so sehr von der
heiligen Schrift als von dem Verstände der Augsburgischen
Konfession selbst Streit sei. — Dann sollten einige be-
sondere Artikel berührt werden, als von welchen in dieser
Zeit bei Einigen Disputation entstanden sei, mit Angabe
dessen, was man davon halte. Zwar wünsche man, es
möchten diese Artikel gänzlich begraben sein, weil aber
andere heftig trieben, so sehe man sich genötigt, etwas
darüber zu sagen. Diese Artikel seien namentlich : 1) von
der Rechtfertigung, 2) von der Notwendigkeit der Werke,
3) vom Sakrament des Leibes und Blutes Christi, 4) von
den .Adiaphoris. — In Ansehung des zweiten Stückes
Insbesondere, die Werke betreffend, hätte der Wittenberger
Theologe Georg Major sich etwas der katholischen Lehre
wieder genähert und den Schluß gesetzt : gute Werke seien
notwendig zum Heil. — Als nun die Illyrikaner 2) sowohl
als auch die ganze gemeine Menge, als welche unter dem
Prätext des alleinigen Glaubens die Freiheit des Fleisches
suche, dem heftig widerstritten, sei das Deckpflaster auf-
gefunden worden, daß gesagt werde : es rechtfertige
1) Vgl. Buchholz, Geschichte der Regierung Ferdinands des
Ersten, VIII, S. 395.
2) Flacianer.
— 23 -
zwar allein der Glaube, aber nach Annahme
des Glaubens sei eine Neuheit des Lebens
oder ein neuer Gehorsam notwendig, welcher, wie
jene nicht leugnen, in guten Werken bestehe. Endlich
da jene Unterscheidung mehr in Worten als in der Sache
zu bestehen scheine, und um doch nicht des Ansehen
eines eigentlichen Widerrufes zu tragen, sagten sie zwar,
der neue Gehorsam sei notwendig, gäben aber
zu, daß er nicht notwendig zum Heile sei;
welches aber wohl die Illyrikaner nicht zulassen würden."
Auf den Wegen des Majorismus befand sich bereits
das tridentinische Konzil in seiner sechs ccn Sitzung, be-
sonders Kapitel VIII und XVII, sowie in dem XXIV. Kanon
jener Sitzung (1546). Darin war schon beschlossen worden,
daß man zwar den Anfang unserer Gerechtigkeit und
Seligkeit der Gnade Gottes und dem Glauben zumessen
solle, aber es müsse der Mensch durch seine eignen Werke
die empfangene Gerechtigkeit bewahren und vermehren,
damit er vor Gott fromm erscheine und mit Christo das
Himmelreich erben möge. Die Sache ist hier zwar weit
roher ausgedrückt, indem die Vermehrung der Gnade ver-
dient wird und die guten Werke belohnt werden, wenn
man dabei bis ans Ende beharre. Es kommt aber im
Grunde doch auf irgend ein Thun des Menschen zur Be-
währung oder Befestigung seines neuen Verhältnisses zu
Gott hinaus. Den Weg das Majorismus verfolgten später
der Pietismus, Methodismus, Bationalismus, die Vermittlungs-
theologie, Hengstenberg in seinen Artikeln über die Sünderin
und den Jacobusbrief und die neuerdings sogenannte
Heiligungsbewegung.
Das Gros i) der heutigen Theologie schwimmt ganz im
Fahrwasser des Majorismus und muß, wenn es konsequent
1) Auf der Berliner Past oral -Konferenz im Jahre 1892 gab
unter Benutzung memes Werkes: „Von der Rechtfertigung durch
den Glauben" der Pfarrer Schulze Thesen über „Rechtfertigung,
Werke und Lohn" zmn besten. Er that es im Geiste der Refor-
- 24 —
ist, zuletzt im Ocean des römischen Werkdienstes ein kläg-
liches Ende nehmen. Das Papsttum wird eben durch solche
Lehren, wie der Majorismus ist, unmerklich wiederum groß-
gezogen, und das sahen unsere streng lutherischen Wort-
führer deutlich ein und sie vertraten gegen Major die
Heilsgewißheit des Sünders, welche gar keiner Befestigung
von irgend einer hinzukommenden Heiligungslehre bedarf,
sondern mit dem sola fide genug hat. So sagt Luther in
der Auslegung des ersten Petrusbriefes vom Jahre 1523 i)
zu Kap. 1, Vers 2: „Heiligung der Geistes" ... ist „ein
geistlich Wort; daß wir von Herzen, inwendig im Geist,
vor Gott heilig sind. Und das hat er eigentlich darum
gesagt, daß er will anzeigen, das nichts heilig sei denn die
Heiligkeit, die Gott in uns wirkt." Diese klare Definition
läßt die 2. Ausgabe (1539) zwar fort; wohl aber stimmt
sie mit Luthers schmalkaldischen Artikeln (S. 336): „daß
wir durch den Glauben ein ander neu rein Herz kriegen
und Gott um Christus willen, unsers Mittlers, uns für ganz
gerecht und heilig halten will und hält" . . . „und
auf solchen Glauben, Verneuerung und Vergebung der
Sünden folgen dann gute Werk ... wo gute Werke
nicht folgen, so ist der Glaube falsch und nicht recht".
Wir werden also „durch den Glauben gerecht und heilig",
mation. Leider verbesserte ihn schließlich Dr. Stöcker in Punkt
VII und VIII, indem in Punkt VII unter Zustimmung der Ver-
sammlung die guten Werke als nötig zur Bewährung des Heiles
bezeichnet wurden. In Punkt VIII aber wurde der Vorhalt des
Lohnes der guten Werke auf die Stärkung in der Heiligung bezogen.
Beides ist in vollen Widerspruch mit den alten bewährtesten Lehrern.
Das Nähere s. Evang. Kirchenzeitung, 1892 S. 456, 815, 817.)
1) Es ist dies die erste Auslegung, Erl. Ausg. Bd. XIX S. 324 f.
Sie unterscheidet sich von der in Bd. XX gegebenen Auslegung
vom Jahre 1539, indem sie die Heiligung kürzer und klarer präci-
siert. Ähnlich thut dies eine Schrift Luthers v. J. 1524, betitelt:
„Auslegung von der Hauptsumme Gottes Gebots, dazu vom Miß-
brauch und rechten Gebrauch des Gesetzes aus der Epistel St. Pauli
I. Tim. 1, 3 ff. (Erl. Ausg. XIX, S. 265.)
- 25 —
und eine Zergliederung (Rechtfertigung und Heiligung) ist
nicht am Platze. Diese wahre Beschreibung der Natur des
Grlaubens wird sofort geändert, wenn man Werk und G-laube
auseinanderhält und, was göttliche Schöpfung (Eph. 2, 10)
ist, dennochr wieder durch menschliches Thun kreuzen und
hindern läßt. Damit wird wieder Gesetz statt Evangelium
gepredigt, und in dem Bezug ist der Satz des alten
Amsdorf, des Freundes Luthers, fast noch erträglicher als
der des Major. Wir meinen den Satz, daß gute Werke
schädlich seien zur Seligkeit. Während nun Flacius
diesen Satz des Amsdorf ablehnte i), widerlegten er und
alle treuen Schüler Luthers in den schärfsten Ausdrücken
Majors These, und die Konkordienformel Art. IV hat ihnen
darin, gerade wie im Stücke der Adiaphora, völlig beigestimmt.
Worauf in diesem Lehrpunkt alles ankommt, zeigt
schon Augustana Art. XX, 29, 35: „Der Glaube ergreift
allzeit allein Gnad und Vergebung der Sünde. Und die-
weil durch den Glauben der heilig Geist geben wird, so
wird auch das Herz geschickt (iam corda renovantur), gvite
Werk zu thun". — „Deshalb ist diese Lehre vom Glauben nicht
zu schelten, daß sie gute Werk verbiete (prohibeat), sondern
vielmehr zu rühmen, daß sie lehre gute Werk zu thun, und
Hülf anbiete, wie man zu guten Werke kommen möge.
Denn außer dem Glauben -) und außerhalb Christo ist
menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach, gute
Werk zu thun, Gott anzurufen, Geduld zu haben im Leiden,
den Nächsten zu lieben, befohlene iimter fleißig auszurichten,
gehorsam zu sein, böse Lust zu meiden u. s. w. Solche
hohe und rechte Werk mögen nicht geschehen ohne die
Hülf Christi, wie er selbst spricht Joh. 15: Ohne mich
könnt ihr nichts thun."
Nach dieser Lehre Luthers, die Melanchthon in der
Augustana nur formuliert hat, stehen Glaube, heiliger Geist,
1) Preger II, S. 251.
2) d. h. abgesehen von der Lehre vom Glauben oder ohne den
heiligen Geist (siehe oben).
- 26 -
Christus in beständiger Wechselbezieliung zu einander, und
man darf nie das eine vom andern isolieren. Der Glaube
hat keine Richtung auf die Werke; die Rechtfertigung ist
nicht darauf gerichtet, die Heiligung zu ermöglichen, sondern
eins ist mit dem anderen so gewiß gegeben, wie der Baum
und die Frucht, falls nur die Normen des Wachstums
(„Ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade", Rom.
6, 14) vom Menschen nicht eigenwillig durchkreuzt werden.
Die ganze Art der Fragestellung, ob gute Werke
nötig sind, ist also grundverkehrt, und eine rechte evan-
gelische Antwort kann nie darauf erfolgen.
Was drittens den synergistischen Streit betrifft, so
hat auch er seine Wurzeln in den Locis Melanchthons
V. J. 1535, woselbst dem Willen, damit allem Zwange vor-
gebeugt werde, eine Beteiligung bei der Bekehrung zu-
geschrieben wurde und althergebrachte Sätze, wie: „Gott
zieht den Wollenden", eingemischt wurden. Bei dem sonstigen
Ernst aber der melanchthonischen Auffassung der Erbsünde ^)
wurde niemand darauf besonders aufmerksam, nicht einmal
Luther, der merkwürdigerweise sogar die Änderungen der
Augsburger Konfession v. J. 1540 passieren ließ. Be-
handelte doch Melanchthon in der Variata von 1540 die
Augustana wie seine Privatsache. Er nahm Änderungen
vor und machte Zusätze, welche nie hätten geduldet
werden sollen, so bequem sie auch für die Reformierten
waren , denen durch jene Aenderungen der Zutritt zum
Religionsfrieden (1555) ermöglicht wurde. Also einen eigent-
lichen synergistischen Streit hat es bis auf den 1558 zwischen
Wittenberg, Leipzig und Jena entbrennenden nicht ge-
1) H. Alting (Exegesis Augustanae Confessionis , Amsterdam
1652, S. 78) weist auf ein CoUoquium Melanchthons mit Heiding
(Bischof von Merseburg und Urheber des Augsburger Interim) in
Wittenberg, wo ersterer Calvins und Flacius' Lehre mit der seinigen
vergleichend , die calvinische nicht zu mißbilligen erklärt (Alex.
Schweizer, die Centraldogmen der reformierten Kirche I, 390).
— 27 -
geben. Melanchthons synergistische Äußerungen ^j wurden
durch andere in seinen Werken wieder aufgewogen, womit
freilich der Sache nicht genug gethan war. Denn bald gab
es in der Wittenberger Schule solche, die sich Melanchthons
Schwanken zunutze machten und einen offenen Synergismus
lehrten. Pfeffinger, Professor in Leipzig, war es, der in seiner
akademischen Schrift: „De libertate voluntatis humanae",
1555 Anlaß zum Kampfe gegen diese gefährliche Neuerung
bot. Aber dieser Kampf wurde dadurch noch bedeutsamer,
daß aus der Mitte der j'enaischen Theologen Victorin Strigel,
bisher ein starrer Vorkämpfer der dortigen theologischen
Richtung, sich in ähnlichem Sinne aussprach. Als es
jedoch über diesen Lehrpunkt von der Mitthätigkeit des
freien Willens bei der Bekehrung zu einem Kolloquium der
jenaischen Theologen unter sich kam (Weimar, 1560), ge-
lang es der Hauptperson, V. Strigel, zu entkommen, ohne
daß er, wie nötig gewesen, für immer widerlegt worden
wäre, damit der Synergismus in seiner Person endgiltig ge-
richtet sei. Herzog Johann Friedrich der Mittlere
wollte durch Verbieten der Kontroverse, also mit Gewalt,
den Streit unterdrücken, der im Lager der Orthodoxer selbst
entbrannt war. Er erreichte damit das Gegenteil. Durch
seine Schonung des Victorin Strigel, den er erst wieder-
einsetzte, dann aber nach Leipzig abziehen ließ, blieb die
Furcht vor dem Synergismus bestehen, die dann von aus-
wärts durch Flacius und seine Freunde in Schrift und
Wort genährt wurde. Diese bloße Furcht hat solche Er-
schütterungen, zunächst in Thüringen, hervorgebracht, daß
der Herzog derselben durch Entsetzung von 40 Geist-
lichen Herr zu werden versuchte. Doch wurden diese
Erschütterungen damit nur in weitere Gegenden verpflanzt.
Flacius wurde dadurch ein berühmter Mann; seine Partei
im Weimarischen wurde zwar samt seiner Person beseitigt,
1) z. B. Liberum arbitrium in homine faciütatem esse applicaudi
se ad gratiam. C. R. 21, 659.
- 28 -
aber der Kampf gegen die nun erst recht von Melanchthons
Schülern geschützten Strigel'schen Behauptungen wurde
ein Erbteil aller rechtlich denkenden Lutheraner und ist
in der Konkordienformel endgiltig zum Siege gekommen.
So schwebte denn der Geist, der den verstorbenen
Luther oft zu gewaltigen Äußerungen trieb, noch um die
Epigonen; so laut zeugten seine Schriften, besonders sein
„De servo arbitrio" von der Allmacht der göttlichen Gnade,
daß alles „Synergistische" wie mit dem Fluch belegt erschien.
Als es trotzdem wieder in der Kirche sich zeigte, wurden
seine Anhänger mit bleibender Unfruchtbarkeit geschlagen
und haben das Verderben der Kirche beschleunigen helfen.
Die derzeitigen Mittler zum Frieden, als da sind der
höchst unsympathische Stößel ^) und Joach. Mörlin, wie auch die
Württemberger, die als Helfer herbeigerufen waren 2) und
Strigel zu der famosen „Deklaration" veranlaßten, zeigen
eine gewisse Mattherzigkeit und wollen offenbar den
Synergismus Strigels in seinem ganzen Abstand von der
orthodoxen Lehre, welche Flacius auf der Disputation zu
Weimar vertrat, nicht sofort und ganz eingestehen. Sie
mühen sich ab, ihn zu verbergen ^). Wir stehen vor einem
jener kritischen Augenblicke in der Kirchengeschichte, wo
schonungslose Aufrichtigkeit alles gerettet hätte , Un-
aufrichtigkeit alles verdarb. Auf der Synode von Oranges
(529) war einst vor mehr denn 1000 Jahren der ähnliche
Fall eingetreten. Aus Angst vor der absoluten Prädestinations-
theorie, die die Lehre der Väter war, konnte man sich
nicht entschließen , dieselbe ins Treffen zu führen und
1) Stößel starb als Superintendent in Kursachsen, 1576, im Ge-
fängnis, unter den Anzeichen der Verzweiflung (siehe Preger II, 384,
und Kluckhohn, Briefe Friedrichs des Frommen, II, 984).
2) Vgl. ludicium Brentii de quadam Confessione Vict. Strigelii
scriptum anno 1561 bei Salig, Vollstd. Hist. d. Augsb. Konf., S.
650; Preger, Flacius II, 243 ss.
3) Vgl. Planck, Gesch. d. prot. Theologie, Bd. L, Buch III,
S. 720: „sie wollen den Unterschied nicht sehen".
— 29 -
damit jeden SyBergismus mit der Wurzel auszurotten.
Es war die Zeit gekommen, wo man wieder, zunächst im
Herzen, allmählich öffentlich, Anstoß an der schroffen
Prädestinationslehre zu nehmen begann. Die Häupter, ein
Amsdorf, Flacius, Wigand, Brenz, waren freilich Prä-
destinatianer i), aber in der auf der Tagesordnung stehenden
Reibung mit den Calvinisten [wie im Streite zwischen
Marbach und Zanchius hervortritt, 1560 2)] ließ das Interesse
an der streng durchgeführten Prädestinationslehre nach.
Selbst Flacius hat auf der Weimarer Disputation, als Strigel
ihm herausfordernd bemerkte, seine Lehre habe die doppelte
Prädestinationslehre zur Voraussetzung, nicht voll und ganz
das Bekenntnis zu ihr erneuert, obgleich er dieselbe doch,
wie alle in den Regensburger Akten zu Worte kommenden
Lutheraner, lehrte. Erst Andrea verkehrte Luthers Lehre
recht eigentlich auf dem Grespräch zu Mömpelgard (1586),
wie die von den AVürttembergern edierten Akten aus-
weisen °). Wer aber die Prädestinationslehre nicht festhält, der
verliert die einzige Waffe, welche gänzlich den Synergismus
ausrottet. Die lutherische Kirche hat es zu ihrem
Schaden erfahren müssen, was es heiße, an den Bollwerken
der alten Lehre auch nur im geringsten rütteln zu lassen.
Im folgenden Jahrhundert hat Aegidius Hunnms, um für
die Gottlosen die Schuld ihres Widerstehens zu wahren,
die Resistibilität der Gnade auf dem Gebiet der gratia
praeveniens gelehrt "1). Die Konsequenzen liegen zu Tage. Der
1) Vgl. Fr. H. E. Frank, Geschichte der luth. Kirche bis zur
Konkordienformel, Bd. IV, S. 152 mit Anmerkung.
2) Vgl. Evang. Sonntagsbote aus Österreich 1866, S. 282, 363,
über den Streit, sowie Alex. Schweizer, Centraldogmen , Bd. I,
S. 418—470.
3) Vergl. Schweizer, Die Centraldogmen der ref. Kirche, Bd.
I, S. 503.
4) Vgl. darüber Friedrich Spanheim, Elenchus controversiarum,
p. 376. Georg Calixt, Animadversiones ad Confessionem
Thoruni ensem, p. 14; Alex. Schweizer a. a. O., Bd. L, S. 569.
Calixt bemerkt: „Nostri maiores Invariatae Augustanae confessioni
— 30 -
Gregensatz der Prädestinationslehre, der Synergismus,
kehrte in der Kirche mit erneuerter Kraft wieder i) , um
schließlich in derselben sich doch wieder einzunisten.
Vorderhand war freilich an so etwas nicht zu
denken. Die nächste Folge der geschlichteten Kontroverse
zwischen Strigel und Flacius war eine in Thüringen zu-
nächst mit Gewalt niedergeschlagene Opposition; aber der
hier verworfene Same der orthodoxen Lehre kam anderen
Gregenden Deutschlands zu gute, besonders auch Österreich
Es waren, wie sich aus zahlreichen Protesten ergiebt, Kämpfer
um die evangelische Freiheit, die hier Thüringen ver-
ließen, um anderswo Zuflucht zu suchen; und sie wurden
auch als Märtyrer an vielen Orten mit offenen Armen auf-
genommen, so im Mansfeldischen, im Reußischen, im Vogt-
lande, in Regensburg und vor allem in Ober- und Nieder-
österreich. Als sie gingen, nahmen sie auch einen Segen
mit sich fort; sie fielen (abgesehen von der Staatsallmacht
in kirchlichen Dingen) als Opfer der Unentschiedenheit ge-
wisser Häupter, die eben nicht zu der anfänglichen
lutherischen Form der Lehre voll und ganz zurückzukehren
sich getrauten. Hätte man damals auf die Prädestinations-
lehre zurückgegriffen, so wäre alles in ein besseres Geleise
geleitet worden. Man darf eben nicht sagen mit Planck
und gewissen neueren, ihm darin nur zu gern folgenden
Theologen: die Prädestinationslehre sei damals (1549) nicht
mehr Gemeingut der Lutheraner gewesen, wenn nicht schon
adhaerentes, Augustini doctrinam retinuerimt et passim docuerunt
usque ad A. 1580 (Jahr des Konkordienbuches) Aeg. Hunnius, ni fallor,
primus fuit vel certe inter primos praecipuus, qui priscam et ante
Augustinum in primitiva ecclesia receptam sententiam revocavit."
Dem Hunnius sekundierte bei der Abweisung der calvinischen
Prädestinationslehre u. a. Phil. Nicolai , 1597, und zwar auf höchst
unedle Weise.
1) Wie denn Aegidius Hunnius 1598 in „De libero arbitrio"
sagt: Die Ungleichheit zwischen Gläubigen und Verworfenen rührt
. . . von ihrem Willen her, indem die einen viel unlieber zur Treue
sich bringen lassen als andere. (Schweizer, a. a. O., Bd. I, S. 55.)
— 31 —
gar aufgegeben von Luther ^). Wohl mag sie zurück-
getreten sein, seitdem auch Luther an der einzigen Stelle,
in der er später C1542) ausführlich über die Sache spricht,
mehr auf den geoffenbarten Willen Gottes als auf den ver-
borgenen Crewicht gelegt ■'*) und seitdem Melanchthon in
der Augsburgischen Konfession (der variata) von 1540 jene
Lehre abgeschwächt. Aber sie war nicht aufgehoben im
Lehrsystem. Vgl. Conf. Aug. V : „der heil. Geist wirkt den
Glauben, wo und wann er will.'' Und das ist von Bedeutung.
Man braucht ja nicht oft "und viel von dieser Lehre zu predigen,
was ja auch bei den Reformierten nicht der Fall ist. Aber
die Lehre steht doch als treuer Wächter gegen den alten
Feind, denPelagianismus, oder dann den Synergismus, überall
im Hintergrund, und wo sie fehlt, da fehlt ein wesentliches
Stück der Heilslehre. Es beginnnt alsbald, wie bei den
Lutheranern zu sehen, eine fatale Unsicherheit. Man schwebt
zwischen Himmel und Erde ; man hat nicht Fuß ge-
faßt auf dem Boden des Synergismus und weilt nicht im
Himmel des ewigen Ratschlusses Gottes mit den Augen
des Glaubens. Und so muß man Hilfe suchen bei den
Gnadenmitteln ; wie in der lutherischen Kirche demnächst
geschah, als man den Synergismus ausgeschlossen, aber
doch auch die Lehre von der Erwählung in ihrer zwei-
seitigen Gestalt, wie sie Augustin, Luther und Calvin ver-
1) Planck Bd. III, X, S. 806, 807. Luther habe selbige Lehre
wieder aufgegeben — eine Unwahrheit des überhaupt religiös ganz
dürren imd parteiischen Planck.
2) Vgl. Loofs Leitfaden zur Dogmengeschichte. § 66, 6. Ge-
meint ist die Stelle in der Auslegung von Genesis 26, eine Stelle,
deren Bekanntschaft auch Chemnitz, der Mitverfasser der Konkordien-
formel, in seiner Auslegung der Loci Melanchthons empfiehlt (vgl.
den locus de causa peccati, ganz am Schluß). Luther sagt dort:
„Ich habe aber unter anderm geschrieben, es geschehe alles mit
absoluter Notwendigkeit. Aber ich habe zugleich hinzugefügt, daß
man den geoffenbarten Gott ansehen müsse, wie wir im Liede singen :
Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott."
- 32 —
traten, nicht zur vollen Durchwirkung gelangen ließ i). Die
eine Seite der Prädestination, nämlich die Erwählung zur
Seligkeit, blieb zwar in Kraft in der Konkordienformel ; daß
also der Mensch sich bekehrt und in der Gnade beharrt,
das thut allein Gottes Barmherzigkeit. Die Konkordien-
formel 2) lehrt noch nicht, wie später Johann Gerhard, daß
Gott die erwähle, von denen er vorausgesehen, daß sie be-
ständig glauben werden ^). Indem sie aber die allgemeine
Gnade lehrt, mithin lehrt, daß alle Getauften den heiligen
Geist bekommen und also zur Seligkeit erwählt erscheinen,
bleibt eine Kluft zwischen Gläubigen und Verdammten
unausgefüllt, indem man nicht erfährt, worin der letzte
Grund des Unterschiedes zwischen ihnen liegt, ob in der
göttlichen Wahl oder in der selbständigen Entscheidung
des Menschen. Darüber zu schweigen, ist ebenso sehr eine
Mattherzigkeit bei der Abfassung der Konkordienformel
(1577), wie einst (1560), als es galt, den Synergismus töd-
lich zu treffen.
1) Vgl. die Konkordienformel Art. XI: De aeterna praedesti-
natione et electione Dei. — Zu weitgehend ist demnach die Behauptung
Ritschis, als ob die Lutheraner lehren, daß die Wirkung der Leistungen
Christi sich auf die electi beschränke, welche im Glauben seiner
Heilsabsicht entgegenkommen und seine Leistungen (kraft selbständiger
Entschließung) sich aneignen. Das gilt schwerlich vom 17. Jahrhundert
an, geschweige denn vom Jahre 1580. Eitschl, Rechtfertigimg und
Versöhnung, I, S. 305, 306.
2) C. F. p. 619, 803.
3) Joh. Gerhard, Loci, 1610, ed. Preuß, II, 86 b; vgl. auch J.
A. Oslander, Collegiiun theol. System., Stuttgart 1686, 4., VI, 122 B.
Nach Gerhard haben auf dem Leipziger Gespräch im März 1631,
auf welchem eine Union zwischen den kursächsischen, branden-
burgischen und hessischen Theologen versucht wurde, die ersteren
(Hoe von Hohenegg und Polykarp Leyser) sich dahin über die Gnaden-
wahl erklärt : „Daß Gott zwar auß Gnaden in Christo vns erwehlet,
aber der gestalt, daß er vorher gesehen, wer beharrlich und waarhafftig
an Christum glauben würde, vnd welche Gott vorher gesehen, daß sie
also glauben würden, die habe er auch verordnet vnd erwehlet, sehg
vnd herrhch zu machen".
— 33 —
Wegen solcher Mattherzigkeit oder, sagen wir besser,
solches Ungehorsams gegen Gottes Wort hat man in der
christlichen Kirche wiederholt eine folgenschwere Ab-
weichung zu beklagen gehabt. Sie tritt zwar weder nach
der Synode von Oranges noch auch jetzt sofort zu Tage,
aber der Grund ist gelegt.
Eine Frucht also für die Weiterentwickelung der Lehre
hat der temporäre Streit über den Synergismus nicht ge-
habt. Das wäre nur der Fall gewesen, wenn man die
Prädestination mit Entschiedenheit zur Abstellung des
Synergismus herangezogen hätte. Der überaus hitzige Streit
hat aber das zur Folge gehabt, daß durch ihn oer bedeutendste
der „beständigen Lutheraner", nämlich Matthias Flacius
(in den sechziger Jahren) von der fruchtbaren, aktiven
Teilnahme an der kirchlichen Entwicklung ausgeschieden
wurde. Der Streit hat ferner die Bedeutung, zu zeigen,
wie die Lutheraner schon damals nicht imstande waren,
sich der Prädestination mutig zu bedienen. Wir nehmen
ein Zurückweichen wahr; wie um dieselbe Zeit in Straß-
burg (1560) in dem Streite zwischen Zanchius und Marbach,
so auch hier. Hätte man zugegriffen, man hätte die Re-
formierten auf seiner Seite gehabt und wäre in diesem Lehr-
punkt viribus unitis gegen Rom zu Feld gezogen. Nachdem
aber die Lutheraner den einzigen rechten Ausweg aus dem
Synergismus, welchen die Prädestination anwies, verworfen,
kamen sie allmählich dazu, die Reformierten um dieser Lehre
willen scheel anzusehen; was Beza im Streite mit Andrea
(1586) schwer genug erfahren mußte. Man darf nunmehr
sich auch nicht wundern, daß die Reformierten sich für
jene Lehrstreitigkeiten weniger interessierten, obgleich es
sehr nützlich gewesen wäre, wenn sie sich der Streitig-
keiten angenommen und ihr Gewicht mit in die Wagschale
geworfen hätten. Ja, es ist der Vorwurf ihnen nicht gänz-
lich zu ersparen, daß sie geringe Kenntnis von dem Status
controversiae zwischen Melanchthon und den Gegnern hatten
und wohl gar bei Melanchthon mehr durch die Finger sahen
3
- 34 —
als bei den letzteren. Sie hatten eben mehr von des
ersteren Freundschaft zu erwarten, als von der Feindschaft
der letzteren zu fürchten.
Ein Nachspiel des Weimarer Kolloquiums zwischen
Flacius und Strigel fand mehrere Jahre später statt und
rückte des Flacius Namen zeitweilig wieder in den Vorder-
grund. Als nämlich Flacius in seiner Clavis scripturae,
1567 P. II, p. 479—498, in seinem antisynergistischen Eifer
eine bisher minder beachtete Behauptung über den Charakter
der Erbsünde verteidigte, fielen die meisten seiner früheren
Freunde über ihn her. Es war dies der Satz: die Erb-
sünde sei nicht Accidens sondern Substanz im Menschen ;
der natürliche Mensch, ärger als ein Block, verhalte sich
nicht nur pure passive in der Bekehrung, sondern widerstrebe
Gott necessario et inevitabiliter ^j. Durch diesen Satz wollte
er dem Synergismus den Kopf eindrücken, er wollte zu
einem Abschluß kommen. Was ganz verdorben ist, das
kann nicht mehr mitwirken. Und die Schrift redet auch
ähnlich; sie spricht vom Herzen des Menschen, daß aus ihm
nur Böses hervorgehe und ihn verunreinige; und Christus
spricht vom faulen Baum, der nicht gute Früchte hervor-
bringen könne. Flacius kam damit, wie gesagt, zu einem
Abschluß in der Beurteilung des Menschen ; nun konnte
die Gnade ihr Werk beginnen, ohne daß ihr je die Mit-
wirkung des Menschen in den Weg treten würde. Den-
noch aber war es ein Zerhacken des Knotens statt einer
Lösung, wie es der Rekurs auf die Prädestinationslehre ge-
wesen wäre. Die Folge war, daß Flacius' Lösung von der
Kirche abgewiesen wurde, freilich nicht ohne daß die Be-
handlung dieser Frage und der gegenseitige Kampf viel
zur Klärung über die Natur der Sünde im Menschen bei-
getragen hätte. Leider aber kamen die nach Österreich
entwichenen „beständigen Lutheraner" in ihrem antisyner-
1) Preger, II, p. 195 ff., 202, 214, 217, 311 ff. Frank, a. a. O.
I, p. 230.
- 35 —
gistischen Eifer und aus Treue gegen ihren auch von seinen
Freunden im Reich hin und her gehetzten Gesinnungsgenossen
schließlich zu um so energischerem Festhalten an jenem
falschen Satze von der Erbsünde.
Die drei von uns erwähnten Punkte von den Adiaphora,
der Notwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit und der
Synergie (vom freien Willen) standen auf der Tagesordnung
in allen Verhandlungen der Theologen, deren unsere Akten
gedenken. Sie waren eben eine traurige Hinterlassenschaft
aus den Zeiten des Interims; und so kamen sie alsbald
wieder zum Vorschein, sowie die feindlichen Vettern von
Kursachsen und Thüringen aufs neue aufeinander stießen :
nach dem Sturze Johann Friedrichs des Mittleren April
1567. Alsbald erklärte Johann Wilhelm, der Herr
von Thüringen wurde, eine Amnestie für die 1562 des
Landes verwiesenen Kirchendiener, die ein Opfer ihrer Treue
gegen die gute alte Lehre und ihrer Ablehnung des
Adiaphorismus, Synergismus und Majorismus geworden. Und
so hören wir denn aus unsern Akten den gewaltigen Rufer im
Streit, Tilemann Heshusius, wie er an Grallus unter dem
4. März 1568 schreibt: Am 1. April werde in Zeitz ein
Kolloquium abgehalten, je drei Theologen und drei Politiker
von selten des Kurfürsten August, ebensoviele von selten des
Herzogs Johann Wilhelm. Sie würden über die Adiaphora,
Synergie, die Notwendigkeit der guten Werke etc. kon-
ferieren. August fordere, daß die Irrtümer seiner Theologen
in ihren Büchern aufgewiesen würden.
Die alte Theologenschule war also in Thüringen
wiederhergestellt (in Jena Wigand, Kirchner). Die erste
Aktion war, daß man über die Rechtfertigung, den freien
Willen und die Adiaphora in Altenburg vom 27. Okt. 1568
bis zum März 1 569 verhandelte. Für uns ist dieser Kampf
deshalb von Wichtigkeit, da er uns zeigt, welche Haupt-
artikel die Gemüter nicht zur Ruhe kommen ließen, und
daß im Mittelpunkt des Streites immerdar jene Artikel
standen. Nach Ausgang des Kolloquiums (1569) laß
3*
- 3ß —
Kurfürst August seine Theologen neuerdings ihren Stand-
punkt wahren, indem er sie abermals auf das Corpus doc-
trinae Philippicum verpflichtet und erklären läßt, daß sie
dem flacianischen illyrischen Irrtum, der die kurfürstlichen
Lande, Schulen und Kirchen mit den erdichteten Auflagen
des Adiaphorismus, Synergismus und Majorismus etc. be-
schwere, nicht anhängig seien i).
Auch andere Beweise lassen sich für die Wichtigkeit
jener Hauptpunkte und ihrer gemeinsamen Quelle, die im
Interim lag, anführen.
Wo immer Flacius Illyricus in die Lage kommt, seine
theologische Kritik zur Geltung zu bringen, z. B. den
Böhmischen Brüdern gegenüber, da prüft er seine Gegner
auf ihre Korrektheit in solchen Lehrpunkten. In den Jahren
1555 und 1556 traten die Brüder in Verbindung mit Elacius.
Er schrieb an sie im Interesse seiner Centurien, und
sie antworteten ihm mittelst eines Briefes, welchen
Blahoslav, einer der vornehmsten und gelehrtesten ihrer
Lehrer um jene Zeit, nach Magdeburg brachte. Von
dieser Reise zu Flacius Illyricus giebt er eine böhmisch
verfaßte Beschreibung, welche Gindely in seiner Biographie
des Blahoslav 1856 (aus dem Herrnhuter Archiv) veröffent-
licht hat^). Beider Zusammenkunft mit Flacius war auch
der Magdeburger Superintendent Wigand und noch ein
anderer zugegen. Da wurde denn von Flacius hervor-
gehoben, daß die Schriften der Brüder sich in einigen
1^ Vgl. den „Endlichen Bericht der Theologen beider Uni-
versitäten Leipzig und Wittenberg". Hier wird schon auf dem Titel-
blatt der gehaßte Name des Flacius als die Quelle aller wider sie
ausgehenden Feindschaft genannt. (Wittenberg Anno 1570.) Das
Nähere s. bei Preger, M. Flacius Illyricus und seine Zeit, II. Hälfte,
S. 304.
2) Casopis Musea krälovstvi ceskeho, 1856, S. 35 — 44. Wir
finden hier die Beschreibung der Reise und sehr interessante persön-
liche Eindrücke Blahoslavs in böhmischer Sprache. Er vergleicht
Flacius dem Oslander. Auch mit Melanchthon trifft er unterwegs
zusammen.
— 37 -
Stücken widersprächen. Z. B. von den Dienern sage man
einmal, daß die von unwürdigen Dienern verwalteten Sakra-
mente ungiitig, und wiederum ein anderes Mal, daß
sie gütig seien. Item von der Justificatio hätten sie in
der lateinischen Apologie ^) eine mit ihnen (den Lutheranern)
übereinstimmende Lehre von der Rechtfertigung (renascentiam
esse justificationem) ; dagegen in dem Schreiben an den
Fürsten von Preußen (Albrecht, Herzog in Preußen) hätten
sie zwei Teile der Rechtfertigung angenommen. Und
das stehe gleich mit der Lehre des Interims.
So scheint es Flacius und seinen Freunden daß die Brüder
nicht mit Recht die „Lehre der Preußen" (Osianders)
tadelten. Oslander nämlich betonte über Gebühr den Effekt
der Rechtfertigung, wogegen die Reformatoren die Imputatio
zur Geltung brachten. Blahoslav verteidigt sich dann und
will auch bei den Lutheranern ähnliche Sätze, die eine
Heiligung nach der Rechtfertigung lehren, nachweisen. Er
weist auch darauf, wie Verschiedenes Jakobus einerseits,
Paulus andererseits über die Rechtfertigung lehrten, und
wie auch Luther nicht sofort alles aufs klarste ausdrückte.
Wir lernen aus diesem Gespräch, wie das Interim als
Quelle der Irrtümer anerkannt war, und daß seitens des
Flacius über die Rechtfertigung auch mit den Böhmischen
Brüdern gestritten wurde. Und was noch weit wichtiger
ist : wir erfahren, daß Flacius auch den Böhmischen Brüdern
gegenüber in die Notwendigkeit versetzt war, einen Weg
zur Vergleicliuüg, wenn auch vergebens, zu suchen. Auch
in der Behandlung jener Brüder treten die zwei Parteien
in der lutherischen Kirche in deutlicher Scheidung
hervor. Auf der einen Seite standen außer Melanchthon
Leute wie Eber, Camerarius, Peucer, Vergerius, Crato,
Esrom Rudiger, des Camerarius Schwiegersohn, (nachmals
Lehrer in Eibenschitz an der böhmischen Lehranstalt
der Brüder) und die mit ihnen verbündeten Reformierten in
1) Wohl die für Markgraf Georg von Brandenburg geschriebene.
38 —
der Schweiz und Straßburg — auf der anderen Seite Flacius
und sein Anhang in Deutschland und auch in Polen. Während
nun jene ersteren geneigt sind, mit den böhmischen Brüdern
zu paktieren, sind die letzteren unerbittlich^).
Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergiebt sich für
die Beurteilung des Interims folgendes: Das Interim, von
Friedrich III. von der Pfalz noch im Jahre 1562 eine
„Schandhure" genannt^), stellte eine Bastardkirche neben
die wahre protestantische und näherte sich wieder der
römischen Kirche. Es that dies :
1) indem es römisch-katholische Gebräuche falscher
Pönitenz und eingegossener Heiligungskräfte neben den
Glauben in Christo stellt : Buße, Firmung, letzte
Ölung, Ordination, lauter Gebräuche, die mit Gottes
Wort offenbar streiten ^), und keine Adiaphora, d. h. gleich-
giltig für das Wesen der wahren Kirche, sind ;
2) hat das Interim die Gerechtigkeit durch den Glauben
allein fahren lassen und mit dem Satz von der Not-
wendigkeit der guten Werke einen neuen Weg der Ver-
vollkommnungeingeschlagen, der vom Heile abführt. Während
nun jene zwei Irrtümer des Interims pharisäisch-juden-
christlichen Charakter trugen, so trug ein letzter Irrtum
die Wurzel paganistischer Abweichung in sich. Denn es
wurde im Interim auch dem freien Willen ein Platz ge-
lassen, so daß er mit dem göttlichen Willen mitwirket (im
Artikel des Leipziger Interims: „Wie der Mensch für Gott
gerecht wird").
Damit aber hatte die Kirche des Interims vorerst
das Anrecht verloren, eine wahre Kirche Christi zu heißen
und sich der Schlüssel des Himmelreiches zu bedienen.
1) Siehe das Nähere bei Czerwenka, Geschichte der evang.
Kirche in Böhmen, II, S. 334.
2) Kluckhohn, Briefe Friedrichs III. I, S. 260; an den Her-
zog von Sachsen, seinen Schwiegersohn.
3) So sagt Calvin an Melanchthon (Calv. Opp., XIII S. 596).
— 39 —
Der Besitz solches Anrechtes ist freilich auch kein
selbstverständlicher. 0 b dieses Anrecht einer Kirche
zustehe oder nicht, hängt von ganz bestimmten Bedingungen
ab. Die einzelne Gemeinde nicht minder wie die Gesamt-
gemeinde (Kirche) hat die hohe Pflicht, jenes Anrecht auf
die Schlüssel des Himmelreiches stetig zu erweisen. Die
Schlüsselgewalt ist keine der Kirche anklebende Gabe, welche
durch Handauflegung magisch fortgepflanzt v/ird. Letzteres
ist freilich römisch-katholische, anglikanische und neuerdings
selbst hie und da lutherische Lehre. Nach protestantischen
Grundsätzen muß die Einzelgemeinde wie die Gesamtgemeinde
sich dadurch als zur Übung der Schlüsselgewalt berechtigt
zeigen, daß sie die drei Kennzeichen, ohne die eine Kirche
nicht zu denken ist, handhabt: 1) reine Verkündigung des
Wortes, 2) schriftgemäße Verwaltung der Sakramente, 3)
Kirchenzucht. Wo diese drei Merkmale nicht vorhanden
da ist die Kirche tot. Sie hat wohl etwa noch einen,
Glauben, aber einen ohne Werke, mithin einen toten
Glauben.
40 -
III. Historischer Übeiljlicli.
Der Name des Flacius weckt verschiedene Empfin-
dungen: etliche nennen ihn einen Eortsetzer des Werkes
Luthers, andere verwerfen seinen Namen als einen bösen.
Schon in der Reformationszeit galt dieser Name teils als
ein solcher, dem um jeden Preis widersprochen werden
mußte, teils aber als ein guter, dessen Andenken in Ehren
gehalten werden muß.
Seine Biographie zu geben ist nicht unsere Absicht
nach Pregers Meisterwerk i). Wir erinnern nur an folgen-
des: Elacius ist kroatischer Abstammung. Er ist am
3. März 1520 zu Albona (unweit Pola) in Istrien geboren.
Sein Vater, Andreas Vlacich (Vlacic) oder Francovic, war
ein angesehener Mann, der ihm auch den ersten Untericht
gab, aber schon früh starb. Seine Mutter stammte aus edlem
Geschlecht; sie war die Tochter eines adligen Herrn,
Bartholomäus Lucianus, wohl italienischer Herkunft. Elacius
selbst nennt sich in einer Schrift an den Dogen und Senat
von Venedig, durch welche er sie zur Annahme der Re-
formation bewegen wollte, deren „ergebensten und gehor-
samsten Unterthan" (1565 und nochmals 1570). Persön-
lich hatte er bereits 1563 in Venedig in der gleichen Sache
intervenirt, war aber höflich abgewiesen worden. Elacius
war also Unterthan des in Glaubenssachen toleranten
Venedig und nicht etwa ein beschränkter Kroate, mit der
üblen Nebenbedeutung, die jener Ausdruck zu haben pflegt 2).
Er war anfangs ohne Eindruck von der neuen Lehre;
1) Vergl. auch den Artikel Flacius von Preger in der Allg. D.
Biographie, und Kawerau, Art. Flacius in Prot. Eealencyklopädie,
3. Ausgabe.
2) S. Beiträge zur Gesch. des Prot, in Istrien und Triest von
Dr. Schatzmayr, in Jahrb. der Ges. f. Gesch. des Protestantismus in
Österreich, XV, II, S. 61, 63. Hier ist über Flacius und seinen
Lehrer Baldo Wichtiges mitgeteilt.
— 41 -
ja, er wünschte als Laienbruder in ein Kloster 7ai gehen.
Durch einen Verwandten Lupatino Baldo ^) erhielt er einige
Schriften Luthers und den Rat, nach Deutschland zu ziehen.
Zunächst hielt er sich in Augsburg auf, dann ging er
nach Basel, wo er sich in den Sprachen vervollkommnete.
Grynäus sorgte für ihn. In Basel machte er eine schwere
innerliche Schule durch, die ihn auch leiblich tief herunter-
brachte. Hierauf begab er sich über Tübingen nach Witten-
berg, wo er von Melanchthon liebreich empfangen wurde. Dort
kam er zur vollen Erkenntnis der Wahrheit, und geistige
wie leibliche Gesundheit kehrten wieder bei ihm ein ^j. In
Wittenberg wurde Flacius Lehrer des Hebräischen. Luthers
Einfluß auf ihn war ein überwältigender ; derselbe hielt ihn
sehr hoch und soll einmal geäußert haben : dieser werde es
sein, an welchen nach seinem Tode die gebeugte Hoffnung
sich anlehnen werde.
Auch Flacius ist also durch eine längere innere Heim-
suchung hindurchgegangen und gleich wie andere Refor-
matoren in der rechten Weise für sein Werk vorbereitet
worden. Ohne sich vorzudrängen, wurde er durch die Ereig-
nisse nach Luthers Tode ins Vordertreffengetrieben. Was ihn
beseelte, war der Eifer um die Kirche des Wortes, wie es
ein Luther verkündigt hatte. Seine eigentliche Kraft lag
auf dem Felde der Kirchengeschichte — er ist weder
Dogmatiker noch Homiletiker, und nur gelegentlich ergreift
er auch in der Dogmatik in treffender Weise das Wort,
so im Streite mit Oslander, Schwenkfeld, Major, Menius
und Strigel. Das Interim war es, das ihm, auch angesichts
1) Lupatino B. , em gelehrter Theolog u. Minoritenprovinzial ,
war wegen seiner Predigt gegen die reUgiösen u. kirchlichen Miß-
bräuche in Venedig zweimal gefangen gesetzt und nach 15-jähriger
Haft 1556 seines Luthertums wegen hingerichtet worden. Wäre
Flacius 1570 persönlich dort erschienen, so würde man ihm
wohl recht übel begegnet sein. Italien war von der Eeformation
tief erfaßt worden.
2) Vergl. Preger, I, 23.
— 42 —
seines Magistereides, die rücksichtsloseste Opposition auf-
drängte. Zu ihm gesellten sich andere, besonders Nikolaus
Gallus, Amsdorf, Aepinus in Hamburg, Brenz, Medier,
Wigand, Judex und Caspar Aquila, überhaupt die Geist-
lichen des niedersächsischen Kreises.
Der Schmalkaldener Bund war seit längeren Jahren
Gegenstand des Hasses Karls V. gewesen, und nach Luthers
Tode fehlte leider der Mann, der seine Augen offen hielt und
seinen Fürsten warnen konnte. Gerade in den ersten Monaten
des Jahres 1546, um die Zeit von Luthers Tode, war die
Lage der Protestanten eine überaus bedenkliche geworden.
Der Schmalkaldener Bund wollte nicht mehr recht zusammen-
halten ; von den Protestanten traten einzelne schon zum
Kaiser über : so Markgraf Albrecht von Brandenburg, Markgraf
Hans von Küstrin; und die Bundesglieder verfolgten eine
Kirchturmspolitik. Herzog Moritz von Sachsen hatte sich
zum Kaiser geschlagen, und das Gewitter zog sich immer
mehr über Kursachsen und Hessen zusammen. Die Acht
wurde über die Fürsten dieser Länder ausgesprochen ; an
Moritz wurde die Kurwürde verliehen, und Kursachsen von
ihm und den Truppen König Ferdinands besetzt. Karl
kam mit der Hauptmacht und brachte die Entscheidung.
Bei Mühlberg wurde die Macht des Kurfürsten gebrochen.
Einer der edelsten Männer der Zeit, Fürst Wolfgang von
Anhalt, mußte lange Jahre in der Verbannung leben; er
der einzige, dessen Gedächtnis uns noch mit den Fürsten
und Bekennern der Reformation in dieser Zeit aussöhnt.
Kurfürst Johann Friedrich war der Gefangene des Kaisers.
x\uch der Landgraf von Hessen mußte sich auf Gnade und
Ungnade ergeben, blieb dann aber gefangen, was die
Q.uelle späterer Verwickelungen zwischen Herzog Moritz
und dem Kaiser wurde.
Über Moritz' Charakter giebt es gegenwärtig zwei ver-
schiedene Meinungen. Die eine vertritt Maurenbrecher in
seinen „Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformations-
zeit", V, S. 66:
— 43 -
„Moritz' Auftreten war 1546 nicht gegen den Pro-
testantismus gerichtet; im Gegenteil, er suchte ihn zu retten,
ihn zu schützen, durch das Bündnis mit dem überlegenen
Feinde vor der Bedrohung durch diesen Feind ihn zu
decken. Es kam nur darauf an, daß Moritz von dieser
diplomatischen Haltung nicht abließ und die Koncessionen,
die ihm Kaiser Karl gewährt, geltend zu machen und aus-
zunützen verstehe. Er hat sofort 1548 gezeigt, daß es ihm
Ernst damit war."
Als die Gelegenheit, Karl zu demütigen, sich bot, griff
Moritz rasch zu und rettete nach menschlicher Ansicht den
deutschen Protestantismus.
Eine andere, von E. Brandenburg in seinem Buch
„Moritz von Sachsen" vertretene Meinung stellt uns Herzog
Moritz in einem ganz anderen Lichte dar. Er meint, Moritz
sei bei dem Tode seines Vaters noch ohne religiöses Interesse
gewesen, in der Politik völlig planlos und dem Kriege, der
Jagd, dem Wein und Weibern ergeben. Erst der schmal-
kaldische Krieg und die darauf folgenden Verhandlungen
hätten ihn die Mittel der habsburgischen Staatskunst kennen
und würdigen gelehrt. Und so sei er durch die Habsburger
und deren Diplomaten gezwungen worden, loszuschlagen
Mit Brandenburg hat sich im „Neuen Archiv für sächsische
Geschichte und Altertumskunde" (20. Band) G. Wolf aus-
einandergesetzt. Dieser führt aus, daß Moritz, der an zahl-
reichen Fürstenhöfen eine politische Schule durchlebt,
in der letzten Zeit eine seinen Eltern scharf opponierende
Politik getrieben hatte und dabei mit dem bedeutenden
Philipp von Hessen in Berührung gekommen war, für sein
Alter von 21 Jahren außergewöhnlich reiche Erfahrungen
für den Herrscherberuf mitbrachte, so sehr er auch, seiner
Jugend gemäß, noch rasch zufahrend und zuweilen un-
besonnen sich zeigte. In der kurfürstlichen Periode
hätte sich dieses Zufahren gemildert, Behutsamkeit,
Sowie zielbewußtes Handeln sei an die Stelle getreten
- 44 —
und er habe einen positiven Standpunkt politischer Natur
gewonnen. Eür das Schwankende in Moritz' Haltung sei
besonders der entgegengesetzte Einfluß, welchen er zwei
politischen Antipoden, nämlich dem Landgrafen von Hessen
und dem Minister Georg von Karlowitz, einräumte, ver-
antwortlich zu machen. Für Männer wie Luther und
Kurfürst Johann Friedrich habe Moritz noch kein Ver-
ständnis gehabt.
Im Verlauf seiner Abhandlung weist Wolf darauf hin,
daß es psychologisch unwahrscheinlich sei, daß Fähigkeiten,
wie sie Moritz später zeigte, urplötzlich im Menschen ent-
ständen. Dem stimmen wir zu, und ohne Wolf in seinen
einzelnen Einwendungen hier nachzugehen, bemerken wir
nur noch folgendes : Wie wollen wir überhaupt das
Problem erklären, daß in gewissen Momenten der Geschichte
•wo die Not aufs höchste gestiegen, den Bedrängten der
rechte Mann am rechten Orte ersteht ? Das ist eben Gottes
Sache, und Gott hat in diesen Dingen seine Hand und
lenket die Herzen der Menschen und den Lauf der Dinge,
wie er will! Es war kein Geringes, mit Männern wie Karl
und Granvella das Kampfspiel aufzunehmen. Und Moritz
hat gewonnen.
An Moritz erinnert sein gleichnamiger Enkel Moritz
von Oranien, der unter ähnlich schwierigen Umständen der
rechte Mann am rechten Orte war. Wie der sächsische
Moritz den großen Gegner Karl aus seiner klug gewählten
Position hinauszuwerfen verstand, so handelte gleicher-
weise der Enkel Moritz mit Spaniens König und zuletzt
mit Oldenbarneveld. Wie Oldenbarneveld der gewiegteste
Diplomat seiner Zeit, aber auch ein in der Wahl seiner
Mittel nicht skrupulöser Mann war, so verhielt es sich
ähnlich mit den gewaltigen Gegnern des ersten Moritz.
Großvater wie Enkel haben im gegebenen Augenblicke, ob
bewußt oder unbewußt, der Religion die größten Dienste
geleistet und arme Unterdrückte aus der Bedrängung zu
— 45 —
einem glücklicheren Dasein geführt^). Wie sie das iin
einzelnen gemacht, das soll wohl ihr Geheimnis bleiben.
"Wir bescheiden uns hier, demjenigen, der den Erfolg hatte,
Beifall zu geben, und verlangen nicht, wie gewisse Historiker
der heutigen Zeit, das Gras wachsen zu hören. Jedenfalls
ist zu sagen : gleich wie der Großvater Karls V. Herrschaft
über Deutschland brach, so hat der ruhmreiche Enkel das
Seine gethan, um ein Ende zu machen an der spanisch-katho-
lischen Herrschaft über Niederland und der Tyrannei
Oldenbarnevelds.
So sehr wir uns mit der Skizze Maurenbrechers über
Moritz einverstanden erklären können, so sind wir doch wenig
erbaut von seiner Beurteilung des Interims, welche für beide
Formen desselben, der Augsburger wie der Leipziger, weit-
aus zu nachgiebig erscheint. Er sagt: ,,Man ist gewohnt,
das Interim und das Verhalten von Kursachsen, sowohl des
Kurfürsten Moritz als der Theologen von Wittenberg als
ein schwächliches, laues zu verdammen. Welche Be-
rechtigung immer diesen damals schon von einer theologischen
Clique (?) angestimmten Vorwürfen beiwohnen mag, — die
historische Betrachtung dieser Geschichte wird gut thun,
auch einmal eine andere Seite der Frage zu erwägen : was
konnten die Protestanten, Fürsten wie Theologen, Besseres
thun, als sich scheinbar beugen, s che in bar das Gebot
des Siegers annehmen? An direkten Widerstand war doch
nicht zu denken: hätte man nicht kompromittiert, hätte
man sich nicht einem Mitteldinge angefügt, so würde ein-
1) Über Moritz von Oranien vgl. die neueren Forschungen von
Groen van Prinsterer (Prolegora&nes, I. Reihenfolge, I.Teil, S. 124 ff.),
ferner Fruia (Gids, 1858, II, S. 312; Verhören, S. 353), Busken
Huet (Het Land van Rembrand, IP, S. 70ff., II ^ S. 2l8ff.), end-
sich H. Dosker, John of Barneveld, Martyr or Traitor (Pr. RR. IX,
289—323, 438-471, 637-658, X, 120-139). Dosker, ein Holländer,
ist mehr dafür, Üldenbarneveld als Verräter zu betrachten. Seine
Handlungsweise hätte zu jener Zeit und überall die gleichen Folgen
gehabt. Zufolge dieser Forschungen wird Motley als veraltet zu
betrachten sein.
— 46 —
fache Reaktion zum Katholicismus Deutschland aufgezwungen
und alle protestantische Lehre und Predigt ausgerottet
worden sein. Acceptierte man aber äußerlich das Interim,
so war man unbelästigt, so hatte man die Möglichkeit ge-
wonnen, neben dem Schutz und der Hülle des kaiserlichen
Ediktes das Feuer des Protestantismus zu hüten und zu
pflegen. Und das ist die Art und Weise, in der Moritz damals
verfahren."
Ein solcher Opportunismus aber, wie ihn zuerst Joachim
Camerarius in seinem Leben Meianchthons, ed. Strobel,
§ LXXXIII, zum Maßstab für diese traurige Zeit erhoben,
ist ein von Gott und seinen Propheten verdammtes, durch
Menschenfurcht diktiertes Verhalten, wofür die Rache nicht
ausblieb.
Es ist Sache der Aufrichtigkeit, mit dem Lobe der
Reformatoren sparsamer zu sein und auch gerechten
Tadel nicht zu scheuen. Mit zu vielem Lobe nützen wir
ihnen nicht, schaden dagegen uns und der Kirche der Gegen-
wart Und besonders Melanchthon trifft hier gerechter
Tadel, und Flacius gebührt Lob.
Melanchthon war nach der Einnahme Wittenbergs bald
dorthin zurückgekehrt. Schon das hat man ihm zum Vor-
wurf gemacht, wie solches Calvin in seinem Briefe vom
Juni 1550 Melanchthon gegenüber hervorhebt, worin er
sagt : Es müsse jedem billig Denkenden mißfallen, daß,
während gegen die Brüder mit unmenschlicher Grausamkeit
verfahren würde, Philippus ruhig im Lager des Feindes
säße. Und Calvin giebt zu, daß er wohl begreifen könne,
daß die Magdeburger, unter denen Flacius weilte, ihre Ver-
lassenheit auch von selten Meianchthons nur mit großem
Unwillen ertragen hätten. Opp. XIII, 596.
Für den Kurfürsten und seinen vertrauten, hochbegabten
Rat, Christoph von Karlowitz, der später (1568) nach Wien
gerufen ward, war Melanchthon die angewiesene Persönlich-
keit, um der Universität und dem Protestantismus
wieder aufzuhelfen. Sonst aber waren die Männer, die
— 47 -
sich damals um Melanchthon in Wittenberg und Leipzig
scharten (wir nennen nur Joach. Camerarius, Joh. Pfef-
finger, Valentinus Paceus, D. Joach. Rhaeticus), angesichts
der drohenden Gefahr wenig trostbietend. Luther selbst
hatte, wie oben bemerkt, wenig Vertraiien in die Zu-
kunft gezeigt; den einen — Amsdorf — nahm er aus,
sonst mißtraute er zuletzt allen, besonders auch Agricola,
dem Helfer beim Interim. Auch ein Bugenhagen war
ganz ungeschickt, um den Ereignissen, ja auch nur der
Versuchung die Stirn zu bieten. So denn leider auch
Melanchthon. Auf ihn war Karl V. ganz besonders erzürnt.
Der Kaiser hatte nach seinem Siege 1547, in Abwartung
des Ausgangs des Tridentiner Koncils, auf dem Reichstag
zu Augsburg 1548 das bereits erwähnte Interim erlassen,
nach welchem er die Religion und den Gottesdienst im
Reich geregelt wissen wollte. Dieses Normativ, bei
dem der genannte Agricola half, das sog. Augsb. In-
terim, accommodierte sich der katholischen Dogmatik und
gab nur noch für einige Zeit in einigen Punkten sekundärer
Bedeutung den Protestanten gewisse Erleichterungen frei.
Die meisten Fürsten ließen sogleich die Absicht merken,
sich dem Kaiser nicht zu widersetzen. Nur wenige hatten
den Mut, bestimmt ihre Weigerung zu erklären. Als Reichs-
gesetz wurde das Interim proklamiert; wo man ihm nach-
lebte und nach seinen Sätzen lehrte , begann für den
Protestantismus der Anfang vom Ende (Maurenbrecher,
Skizzen S. 168). Als eine Hochburg des bekenntnistreuen
Protestantismus zu jener Zeit erwies sich allein Magdeburg.
Mit Unrecht macht Calvin dem Melanchthon die Konzession
im oben erwähnten Briefe, daß der Kampf zwischen
Melanchthon und den Magdeburgern ein Gott und seinen
Engel mißfälliges Schauspiel böte. Er war offenbar Aveit
vom Schuß und geneigt, wie auch sonst, für Melanchthon
Partei zu nehmen. Alle Frommen empfanden es als eine
Erleichterung, daß Flacius , Gallus und überhaupt die
Magdeburger seit dem Juni 1549 für die gute Sache ein-
traten und Leib und Leben dafür übrig hatten.
— 48 —
Moritz erbat sich Bedenkzeit, um mit seinen Ständen
über das Interim zu verhandeln. Schon diese Heimlichkeit
ist nicht schön, wenn auch zu begreifen. Er hatte die
Absicht, so viel für sein Land vom Protestantismus zu retten,
wie möglich war. In Pegau mußten im Frühjahr 1549
sich die Vertreter beider Religionsparteien versammeln,
unter ihnen Melanchthon und die Bischöfe von Naumburg
und Meißen. Hier wurde eine zweite Form des Interims
zustande gebracht, das viele Einschränkungen des Augs-
burger enthielt und später das „Leipziger Interim" genannt
wurde. Das Dogma der Protestanten wurde in dieser
Schrift wohl besser gewahrt als im Augsburger Interim;
aber die äwßere Ordnung der Kirche mit ihren Ceremonien
ist den hergebrachten katholischen Formen sehr nahe ge-
führt, unter Verleugnung wesentlicher protestantischer Haupt-
positionen (s. 0.). Moritz wußte durch kluge Beschwichtigung
der kaiserlichen Bedenken die Octroyierungen des Kaisers
in religiösen Dingen abzuschwächen. Die von den Theologen
ausgearbeitete, dem Interim gemäße neue Gottesdienstordnung
(mit ihren sieben römischen Sakramenten) blieb sogar nur
auf dem Papier stehen und wurde in Sachsen nicht den
Kirchen aufgezwungen. Im wesentlichen fand eigentlich
keine Veränderung statt, trotz aller den sächsischen Kirchen
auferlegten Formen. Dennoch hat der Protestantismus durch
die unverantwortliche Nachgiebigkeit der kursächsischen
Theologen und Staatsmänner schwere Schädigung erlitten,
welch letztere Eber heftig anklagt^). Das Interim stand,
trotzdem die Belästigung durch dasselbe in Sachsen mehr
scheinbar war, wie eine schwere Gewitterwolke auch über
Kursachsen, aus der sich alle Augenblicke vernichtende
Blitze entladen konnten. Es war ein Verrat an der Kirche,
insbesondere gegenüber den vielen, von Amt und Haus ver-
triebenen umherirrenden Geistlichen (gegen 400), den Flücht-
1) Vgl. Voigt, Briefwechsel Albrechts v. Preusser p. 432, 33.
— 49 —
lingen in Süddeutschland > ) und denen, die sich im festen
Magdeburg sammelten und den für die damalige Zeit gefähr-
lichen Schein des Aufruhres gegen die weltliche Obrigkeit auf
sich luden. Es entstand ferner ein offenes Mißtrauen gegen
Melanchthon und die Wittenberger überhaupt. Von da an
datiert der heftige Kampf seitens der strengeren Anhänger
Luthers (Placius, Amsdorf, Gallus, Wigand.) In diesem
Kampfe handelte es sich nicht bloß um die Adiaphora,
sondern um alle die im Interim gemachten Konzessionen,
auch in Betreff der Heilslehre. Die höchsten Güter
standen auf dem Spiele. Gottes Sache, vor kurzem erst
herrlich ans Licht gekommen, schien verloren. Und wenn
auch in Deutschland vorerst noch Leib und Leben geschont
ward, so wurde das Gewissen doch um so mehr geschädigt.
Für die Lauterkeit der Eeligion in Deutschland wäre es
wohl besser gewesen, wie Kurfürst Friedrich einmal an-
deutet ^j, sie hätten nicht so in Rosen gesessen, sondern
mehr gelitten gleich den Christen in den Nachbarländern.
Eben dadurch erhielt der Protestantismus in Deutschland
eine andere Gestalt, als jener in den anderen Ländern.
Die Notwendigkeit, die reine Lehre gegenüber den Zwei-
deutigkeiten des Interims genauer zu präcisieren, wurde
zu einem Erbteil, das aus jener Zeit bestehen blieb.
Als traurigstes Erbstück blieb aber zunächst eine furcht-
ba re Gereiztheit der theologischen Führer, die gelegentlich
auch die Massen aus ihrer Teilnahmslosigkeit aufzurütteln
verstand. Der Gegensatz zwischen den Schulen streng
lutherischer und melanchthonischer Farbe bildete sich aus.
1) Z. B. Brenz, A. Musculus, Joh. a Lasco mit seiner Gemeinde
in Frankfurt, P. Martyr, Bucer, welche letztere beide nach Oxford
gingen und dort im Sinne der reformierten Kirche wirkten, wodurch
England einen Nutzen vom Interim zog. Der sonst so milde Bucer
verwarf auf das entschiedenste das Augsburger Interim, verfiel in
kaiserliche Ungnade, mußte fliehen und starb im Exil.
2) Briefe Friedrichs III. ed. A. Kluckhohn, I, S.252f.
4
- 50 -
von denen die erstere ihren Sitz in Jena erhielt, die andere
in Wittenberg und Leipzig war^).
Die gewaltige Bewegung in Deutschland wurde auch
in der österreichischen evangelischen Kirche ganz besonders
empfunden. Hatte sie doch in Süddeutschland zu Regens-
burg gewissermaßen ein neues Centrum gefunden. Dort
wirkte der aus Anhalt stammende Nicolaus Hahn, genannt
Gallus, als Superintendent bis zu seinem Todesjahr 1572.
Denselben einen Flacianer zu nennen wäre verkehrt ; er ist
Flacius ebenbürtig und ihm an Maßhaltung und weiser Be-
handlung der Kirchenangelegenheiten weit überlegen. Um
sein Urteil und seine Billigung bewarben sich Unzählige,
auch ein Heshus ordnet sich ihm unter. Flacius wirbt um
seine Stimme und schlichtendes Wort gegenüber den An-
griffen des Heshusius nnd letzterer gegenüber dem ersteren.
Gallus bestand schon 1549, im Bunde mit Flacius, den
Kampf gegen den Adiaphorismus der Wittenberger, weiter
auch gegen Osiandrismus und Majorismus. Nach einem kurzen
Aufenthalt in Köthen wurde er 1553 nach Regensburg be-
rufen. Hierselbst hat er 17 Jahre lang den für die Er-
haltung des Evangeliums im Süden wichtigen Posten be-
kleidet, und wir werden aus den Briefen von seiner an-
gesehenen Stellung ein Näheres hören.
In Verbindung mit Gallns wird natürlich auch in
unseren Akten Matthias Flacius genannt, besonders schon
im Streit gegen die Adiaphora. In der Schrift, betitelt
„Der Theologen Bedenken", mit einer Vorrede und Schollen,
1550, stehen beide zusammen, Gallus obenan, was auch
sonst der Fall ist. Bald aber entwickelte sich Flacius zum
nie ruhenden Hauptstreiter in den Kämpfen der Kirche.
1) Von Leipzig aus schrieb der theologische Professor und
Prediger an St. Nicolai , Val. Paceus (Fried) , 1550 einen sehr
schmeichelhaften Brief an Calvin, in welchem unter verhüllten Worten
doch die ganze Unaufrichtigkeit dieser Leute hervorstrahlt. Calvin
Opp. XIII, 540.
— 51 —
Im Kampfe gegen den Adiaphorismus der Wittenberger
behielt Flacius Recht mit seiner Ablehnung desselben i),
sowie mit der Anklage, daß schmähliche Furchtsamkeit
und ein gewaltiges Ärgernis nur durch ein offenes Schuld-
bekenntnis gut zu machen sein würden. Aber sein Hasten,
und Drängen, besonders gegenüber dem persönlich durch
ihn erzürnten Melanchthon, verdarb alles. Melanchthon
hat zwar in diesem Kampfe Schuld bekannt ^ ), aber nur
privatim, nicht in der formellen Weise, wie Flacius es von
ihm forderte (in den Artikeln von Koswig vom 27. Januar
1557)^). Das der Kirche gegebene öffentliche Ärgernis
war somit nicht aus der Welt geschafft*).
Huberinus und andere haben Schuld bekannt. Melanch-
thon aber fürchtete leider, zu viele Fromme bloßzustellen,
falls er ein so umfassendes Schuldbekenntnis vor Flacius
und den Seinen, und das in einem gegebenen Moment,
1) Nihil est adiaphoron in casu confessionis et scandali; was
später die Konkordienformel acceptierte (Form. Conc. Epitome X de
cerem. eccles. Affirmat. I, II III, IV, vgl. Solida Declar, pars II, X).
2) Vgl. Corpus Reformatorum VIII, 842, 2. Zeile.
3) Vgl. Preger II, 38.
4) Camerarius, De Vita Melanchthonisp. 342 und 532, ed. Strobel.
Der Herausgeber giebt die Ereignisse hier unter dem Texte genauer
an, von denen Camerarius selbst unglaublicherweise schweigt. Vgl.
auch Calvin, Opp. XVI, 456; daselbst meldet Conrad Hubertus,
Prediger in Straßburg, am 25. April 1557 über diese Verhandlungen
und klagt über die allseitig in Sachsen verbreiteten Zwistigkeiten,
die der Kirche so schadeten. In einem daselbst beigelegten Briefeines
Wittenberger Gelehrten an einen Freund Huberts in Straßburg wird
Flacius besonders gegeißelt und seine Zumutungen an Melanchthon
als schimpflich getadelt. Flacius wolle nur Sieger bleiben und sich
Lob erringen. In demselben Licht erscheint dem Schreiber der Streit
mit Justus Menius (1556), den Flacius angebunden. „Wer nicht den
PhiUppus verwünschet, der ist aus ihrer Synagoge hinausgeworfen."
— Es ist also nicht schwer zu vermuten, auf welcher Seite Calvin
stand, wenn er auch nicht gerade sich in den Streit mischte und
Flacius beschimpfte. — Im Abendmahlsstreit streiften sich die beiden
Koryphäen nur vorübergehend (Oi^p. IX, 180) vergl. auch Preger II,
258. Flacius ließ Calvin sogar einmal grüßen (Opp. XVI, 64).
4 *
— 52 —
den seine Gegner herbeigeführt, abgelegt hätte. Dies
war in der That ein schwerer, höchst verhängnis-
voller, ihm persönlich , wie auch der Kirche schadender
Irrtum. Der Streit ward somit ein stationärer, ja er wurde
mehr und mehr ein persönlicher. Die Freunde Melanchthons
erklärten Flacius gleichsam in die Acht. Ein Caspar
von Nidbruck, der für Flacius' Centurien Gönner warb,
mußte dessen Namen verschweigen i), besonders in den
Briefen, die er an Melanchthon und Calvin in dieser An-
gelegenheit richtete.
Das Schlimmste aber war, daß von dieser Zeit an die
Maßstäbe verändert wurden. An Stelle der Billigkeit trat
theologischer Übereifer, an Stelle des frommen Zuwartens
schnelles Zufahren.
Zu diesen Veränderungen in der theologischen Welt
kam noch, daß auch der Politik ein großer Anteil an der
Verschärfung der theologischen Parteistellung eingeräumt
wurde. Ganz andere Faktoren waren im Spiele als die rein
geistlichen. Nicht- die Weisheit von oben war es, welche
diese Fürsten, einen Kurfürst August von Sachsen, einen
Herzog Christoph von Württemberg, einen Wolfgang Pfalz-
grafen bei Rhein, ja endlich Herzog Johann Friedrich den
Mittleren von Sachsen vornehmlich beseelte, sondern was
sie trieb, war gar sehr die Weisheit von unten; es
trieben sie ferner ränkesüchtige, zanksüchtige und auf
die Gegenpartei eifersüchtige Theologen (Andrea, Heshus
u. a.); weiter Staatsmänner, welche die Hauspolitik ihrer
Fürsten mehr im Auge hatten als die Ehre Gottes und das
Evangelium. Die fromme Begeisterung war nur bei wenigen
zu finden. An ihre Stelle trat in Mitteldeutschland eine
Art Zweikampf zwischen Kursachsen und dem ernestinischen
Sachsen, zwischen Wittenberg und Jena. Die Hauptaktoren,
wie die Zuschauer waren leidenschaftlich erregt und wenig ein-
gedenk der Seligpreisung Christi : „Selig sind die Friedfertigen".
1) Vgl. „Nidbruck und Tanner", von V. Bibl. S. 16, Wien, 1898.
— 53 —
Die Versuche zur Einigung der Theologen mußten an solchen
Klippen scheitern ; ebenso die Versuche zur Einigung der
römischen und der evangelischen Partei im Reiche, zu deren
Behuf ein Kolloquium zu Worms 1557 auf dem Regensburger
Reichstag beschlossen war. Von vornherein war die zu
solchem Gespräch erforderliche Einigkeit unter den evan-
gelischen Ständen, die vor allen Dingen hätte feststehen
müssen, nicht vorhanden, sondern nur ein frommer Wunsch
Ottheinrichs von der Pfalz ^) und Christophs von Württem-
berg. Man wünschte den Streit der Evangelischen ruhen
zu lassen bis auf eine spätere evangelische Synode, um nur
auf dem Wormser Kolloquium den Römischen einig ent-
gegenzutreten und sich mit ihnen gütlich vergleichen
zu können. Es war vorauszusehen, daß der sächsische
Herzog und seine Theologen nebst ihrem Anhang auf eine
Verleugnung ihrer Meinung vor der römischen Partei in
W^orms nicht eingehen würden. Ja, es war so gut als ge-
wiß, daß während dieses Wormser Kolloquiums der Zwie-
spalt angesichts der Römisch-Katholischen oöenbar werden
würde. Gerade die Verleugnung der internen Gegensätze
seitens der Protestanten gab den Römischen Gelegenheit,
sie des Gegenteils zu überführen und so jene Gegensätze
unter ihnen zu verschärfen ^j. Den herzoglich sächsischen
Deputierten in Worms, unter denen Schnepf und Strigel
sich befanden, lag im Grunde mehr daran, die W^ittenberger
alter Sünden wegen fder Verteidigung der Adiaphora und
des Majorismus) zu treffen, als die zwischen Protestanten und
1) Dieser Fürst hatt an seine Schule zu Heidelberg Flacius
gerufen, der ihm aber voq dem sächsischen Herzog (s. Preger, Fl.
Illyricus I, 105) streitig gemacht wurde. Flacius ging nach Jena.
2) Dies bemerkte Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz bei
einer späteren Gelegenheit seinen Eäten zu Augsburg (2. Mai 1559),
s. Kluckhohn, Briefe Friedrich des Frommen, Bd. I, S. 65. Vgl. Bd. I
S. 17 über das Verhalten der Römischen auf dem Wormser Gespräch.
Sie machten zweierlei Parteien aus den Gegnern, unter dem Namen
Philippianer und Schnepfianer ; letztere nach E. Schnepf, dem herzog-
lichen Theologen; also nicht „Flacianer".
— 54 —
Katholiken schwebenden Fragen einer doch aussichtslosen
Verständigung zuzuführen. Wer will sie deswegen tadeln?
Denn das genügt doch nicht, zu sagen: Flacius hat es ge-
than. Es ist ein abgebrauchtes Mittel, gewisse Namen dem
Gegner entgegenzuschleudern, um die eigene Sache von vorn-
herein damit ins Recht zu setzen. Flacius that seine Pflicht,
als er einer voreiligen Union sich in den Weg stellte. Melan-
chthon hätte, wie wir aus seinem Benehmen in Augsburg 1530
schließen können, wo allein Luther ihn hielt, alles mögliche
zugegeben, nur um des lieben Friedens willen i). Erst durch
die herzoglichen Deputierten gedrängt, entschied er sich zu
einer gewissen Verwerfung der von jenen bezeichneten
Irrtümer und Korruptelen, so schwer ihm die Verdammung
des Osiandrismus bei der notwendigen Rücksichtnahme
auf die Württemberger [Brenz 2)j fallen mochte. Jedoch
die von Melanchthon aufgesetzte Formel kam nicht zur
eigentlichen Verhandlung ^). Den einen genügte sie nicht,
den anderen war sie zu streng; so gingen denn die
herzoglich sächsischen Deputierten ihren eigenen Weg, und
es ward den Katholiken Veranlassung gegeben, das ganze
auch den Schweigern widerwärtige, Kolloquium zu sprengen,
indem sie den inneren Zwist der Protestanten trefflich zu
benützen verstanden. Auch die alsdann von Flacius und
seinen Kollegen mittelst einer Supplikation an alle evan-
gelischen Stände der Augsburger Konfession befürwortete
Generalsynode wurde, obwohl anfänglich selbst in der Pfalz
günstig aufgenommen*), aus Gründen politischer Zweck-
mäßigkeit von diesen Ständen abgelehnt.
Man wünschte außerhalb Thüringens eine stille, fried-
liche Ausgleichung oder Verwischung der Gegensätze
1) Planck, a. a. O. VI, S. 144 ff.
2) Brenz hielt, wie wir auch aus unseren Eegensburger Akten
sehen, den osiandrischen Streit für einen Wortstreit. Vgl. den Brief
J. F. Cölestins an Gallus vom Jahre 1568.
3) Planck, a. a. O. S. 154.
4; S. Kluckhohn, I, S. 128.
— 00 —
lind scheute die Öffentlichkeit in diesen Dingen •). Erst
der Naumburger Fürstentag, 1561, brachte größere Klarheit
in die Situation, und der Streit, welchen Flacius und seine
Freunde mit der Wittenberger Schule führten, begann nun-
mehr, nach Melanchthons Tode, gerechtere Würdigung zu
finden. Die Nachgiebigkeit der Fürsten und Theologen
gegen die Schule Melanchthons hörte jetzt auf, und die
strengere Richtung (diejenige Jenas) drang durch, um zu-
letzt den Sieg davon zu tragen über alle Vermittlungsversuche
und Unionsformeln, die bei den Fürsten und Theologen
außerhalb Thüringens bis dahin im Schwange waren ^j.
Als nun gar im Jahre 1574 dem Kurfürsten August
über die schon anfänglich durch Melanchthons Beipiel ge-
nährte Unaufrichtigkeit von Männern wie Peucer, Cracov,
Stößel, Schütz die Augen geöffnet wurden, da ging auch
Kursachsen in das Lager der strengen Lutheraner über.
Denn nicht allein dem Calvinismus, der sich in der Abend-
mahlslehre unter lutherisch klingenden Formeln eingeschlichen,
galt der Schlag, sondern ganz besonders jenem gemäßigten
Luthertum, das unter dem Einfluß Melanchthons und seiner
Schriften seit Decennien in Kursachsen geblüht hatte. Diese
ganze Richtung hatte im Lande feste Wurzeln geschlagen
und abgesehen von zweien oder dreien (Listenius, Seinecker,
Mirus) fehlte es an Männern, um das Werk der Reinigung
der sächsischen Kirche auch nur einzuleiten ^).
Die scharf ausgeprägte Lehrgestalt der Lutherischen,
deren Verfechter Flacius und seine Freunde in Jena
waren, hat einen großen Erfolg gehabt. Sie hat
es dahin gebracht, daß die lutherische Kirche in kritischen
Augenblicken vor der schiefen Ebene bewahrt wurde, auf
der sie zu einer die wichtigsten Lehrgegensätze ausgleichenden
blaß melanchthonischen geworden wäre. Zu einer solchen
1) Preger, II, 86.
2) Preger, II, 102.
3) Vgl. A. Kluckhohn, Der Sturz der Kryptocalvinisten in
Sachsen 1574, in Sybels Histor. Zeitschrift, Bd. XVIII, S. 108.
- 66 —
Eichtung drängte vieles um 1560. Die Schwäche eines Melan-
chthon hatte den Liebhabern einer dogmatisch unbestimmten
Richtung Anlaß genug gegeben, daß sie seinen Namen als
Deckmantel für ihre Bestrebungen mißbrauchten. Auf der
anderen Seite warteten die Reformierten, um sich mit den
Männern der unbestimmten Richtung zu vereinigen. Die-
selben zeigten sich auch in der Folgezeit mehrfach unfähig,
die Emanationen der Kryptokalvinisten i), z. B. den „Dresdener
Grundfest" und den Wittenberger Katechismus, von den
Emanationen der strengen Lutheraner zu unterscheiden ^ ).
Was für eine Hochflut der Unentschiedenheit dann über die
Welt gekommen wäre, läßt sich leicht vorstellen. Sind wir
doch heutzutage reichlich damit gesegnet !
Jene Jenaer Theologen haben also das Verdienst, einen
faulen Frieden verhindert zu haben, wovon die Konkordien-
formel reichen Nutzen gezogen hat. Bis dahin aber war
noch viele Erregung der armen Kirche beschieden , und
gerade in diese Jahre, von 1560 — 80, fällt die erste Ent-
wickelung und der Aufschwung der österreichischen Kirche.
Bleiben wir bei dieser Zeit noch etwas stehen: es ist
die Zeit der Auscheidung des sogenannten Synergismus.
Derselbe war ein aus den Zeiten des Interims noch latent
vorhandener böser Stoff, der plötzlich 1559 im orthodoxen
Lager hervorbrach und ausgeschieden werden mußte. Dies
ist die Bedeutung der folgenden Streitigkeiten, die auch
nach Österreich herüberkamen.
Die im Interim dem Willen zugestandene Mitthätigkeit
veranlaßte später neue Deutungen. Nach einem Vorgefecht
zwischen dem Leipziger Pfeffinger und Amsdorf nebst
Flacius nahm der sjmergistische Streit einen ernsteren
Charakter an. Um den Frankfurter Receß vom Jahre 1558,
der als Norm der Lehre dienen sollte, für Sachsen unschädlich
1) Kryptocalvinisten und Synergisten sind vielfach identisch j
sie finden sich beisammen und werden miteinander verfolgt (vgl.
Raupachs Presbyterologie, unter dem Namen Sunderus, S. 171).
2) S. Kluckhohn, Briefe Friedrichs III., Bd. II, S. 422.
— 57 —
zu machen , ließ Herzog Johann Friedrich auf Rat des
Flacius das Konfutationsbuch ausgehen. Dasselbe war von
Strigel und Stöße) aufgestellt, hernach aber von Flacius
revidiert worden und am 28. November 1558 als Richt-
schnur der Lehre eingeführt. Es diente, alle Irrtümer, welche
offen oder latent bis dahin wider Gottes Wort, die Augsburg-
ische Konfession, Apologie oder die Schmalkaldischen Artikel,
eingerissen waren, aus der Kirche auszuscheiden i). Dasselbe
erweiterte aber nur die Trennung zwischen den Jenaern
und Wittenbergern. Melanchthon und seine Anhänger, d. h.
die Fürsten des Frankfurter Recesses, erhoben sich dagegen ^j.
Aber auch Strigel selber faßte Feuer und fand alsbald Anlaß
zum Zank. Dieser Victorinus Strigel, erster Prorektor (1558)
an der neubegründeten Universität Jena, war ein Mann von
großem Selbstgefühl, von dem Andrea (wie Cölestin an Gallus
schreibt) bezeugte, er sei der stolzeste Bacchant, „den ich
mein Tag gesehen" ; zugleich aber ein Mann von großer
Gewandtheit in allen dialektischen Künsten , auch von
großer Gelehrsamkeit, dazu Melanchthons Schüler 3). Aus
der Mitte des orthodoxen Lagers, an der neugegründeten
Universität, erhob sich dieser ganz unerwartete Widerspruch
in einem Hauptpunkt der Lehre ^). Strigel trug, von
Flacius herausgefordert, urplötzlich die Lehre vom freien
Willen im Sinne der Wittenberger vor, mit einer Spitze
gegen Flacius' Lehre. Ihm schien Flacius in manichäischer
Weise die Erlösungsfähigkeit des Menschen zu zerstören
(die aptitudo naturalis). Nun aber legte er in jene aptitudo
1) Vgl. über das Konfutationsbuch Preger II, 79 f. u. J. Janssen,
Geschichte des deutschen Volkes, Bd. IV, 36.
2) Corp. Ref. IX, 763 ff. Melanchthon zieht hier das früher
gethane Schuldbekenntnis bezüglich der Adiaphora zurück und ver-
wirft Lehrsätze, die er selbst früher vertreten.
3) S. Preger, II, 118.
4) Das Nähere lese man bei Planck, a. a. O. IV, B. III,
Kap. 8 — 12; ferner außer Preger siehe auch die akademische Rede
von Otto's: De Victorino Strigelio, Jena 1843.
— 58 -
noch ein Vermögen zum Guten hinein. Er denkt den
natürlichen Menschen nicht sowohl erstorben fürs Geist-
liche, als vielmehr nur erkrankt. Die natürliche Kraft
zum Guten ist nicht völlig verloren, sondern nur durch
die Sünde gebunden, so daß sie allerdings aus sich selbst
nichts vermag, aber vom heiligen Geist mittels des Wortes
befreit, geweckt und angeregt, auch selbst wirksam wird
und mitwirkt zur Bekehrung des Menschen (cooperatur quam-
vis languide). Diese seine Theorie wurde zwar alsbald
verworfen, aber später durch Disputationen wieder auf die
Bahn gebracht. Um Ordnung zu schaifen, ließ der Herzog
Strigel und den Superintendenten Hügel gefangen nehmen,
da sie sich gegen das weimarische Konfutatiousbuch
(1559) aufgelehnt hatten. Dennoch gelang es den Gegnern
des riacius, eine Disputation in Weimar zu erwirken, im
Beisein des Herzogs Johann Friedrich des Mittleren (1560).
Als Strigel hier dem Herzog nicht mißfallen, durfte er bleiben,
bis sein Prozeß zu Ende geführt worden. Nun aber mußte
Flacius weichen. Gegen ihn machten sich nämlich verschiedene
Gegner geltend. Man suchte die damals einflußreichen Theo-
logen ihrer angemaßten Machtansprüche halber beim Herzog
anzuschwärzen. Der neue Superintendent Stössel trat auf
Strigels Seite. Der Herzog verwies das Schelten. Ein Brief
des Flacius und seiner Kollegen gegen den Superintendenten
rief eine Kommission nach Jena (10. Dezember 1561), und der
dem Flacius grollende antiorthodoxe Kanzler Christian
Brück wußte ihn und seine Anhänger zu verjagen,
Strigel frohlockte 1): „Hinausgeworfen ist jener König,
der ein neues anabaptistisches Reich in Thüringen erträumt
hatte 2)". Er selbst wußte sich dadurch wieder in Jena möglich
1) Matthias Judex, Mitarbeiter an den Centurien des Flacius,
schreibt aus Jena an Gallus um diese Zeit: „Strigel triuraphirt.
Mein Buch exite (Offenb. 18, 4, gegen das Papsttum gerichtet, vgl.
Preger II, 165, 423) bereitet mir exitum" (das Exil). (Reg, Akten,
Eccles. I, No. XV, Z. 46.)
2) Vgl. Dialect. Hb. I, 826.
— 59 —
zu machen, daß er eine Deklaration seines Glaubens verfaßte,
durch welche der synergistische Handel gebessert werden
sollte, wodurch aber erst recht die Gemüter der Frommen
im Lande verletzt wurden. Mit Ingrimm erklärten sich die
verjagten Theologen, mit ihnen die thüringische Geistlich-
keit, dagegen, daß Strigel auf solche Weise wieder zu Gnaden
angenommen würde. Auch die Superdeklaration Stössels,
worin er Strigels Meinung zu ermäßigen suchte, wurde von
den Predigern, freilich auch von Strigel selbst, verworfen.
Vierzig dieser Prediger, die sich nicht fügen wollten, wurden
exiliert ^). Strigel ging, der Sache überdrüssig^, nach Leipzig,
lehrte synergistisch, bald auch calvinisch im Abendmahl
und ward, nachdem ihm das Lesen verboten, später in
2) Von denselben kamen später nach Österreich : Superintendent
P.Egerdes aus Gotha, Breßnitzer aus Aken bürg, Lektor der griechischen
Sprache, Friedr. Cölestin aus Jena, die Pfarrer Martin Wolf aus Kahla,
Joach. Magdeburgius aus Oßmannstedt, Hieron. Peristerius aus Ilmenau,
später in Eegensburg und Innerösterreich, Jerem. Dissinger, Bened.
Melhorn, Balthasar Hancke, Nie. Hacus, Jonas Frankus, wahi--
scheinlich auch Conrad Lupulus. Nur drei, nämlich Magdeburgms,
Frankus und Lupulus, unterschrieben die „Confessio etlicher Pre-
diger in Österreich vom Jahre 1566". Alle jene Vertriebenen nun,
welche nach Österreich gelangten, kamen nicht ungerufen, sondern
waren empfohlen. So empfahl Gallus dem Erbmarschall Hofmann
am 21. April 1563: Dr. Simon Musäus m Jena, B. Kosinus, früher
in Weimar (jetzt in Erfurt), Joach. Magdeburgius, M. Wolf in Eis-
leben und lenkte auch die Aufmerksamkeit auf Heshusius als
allfälUgen Prediger für Österreich. In gleicher Weise war Cyr.
Spangenberg zu Mansfeld thätig ; dieser schreibt am 27. Juli 1565 an
Gallus, nachdem er den Zustand in ÖsteiTcich beklagt hat, Gott
werde seine Herde nicht leicht verlassen. Auch die aus Magdeburg
vertriebenen Barth. Strelen, P. Egerdes imd Wilh. Eccius kamen
nach Österreich, nicht ohne empfohlen zu sein. Job. Leutner, Pre-
diger in Schwersperg (Österreich), schreibt am 2. Mai 1565 an Gallus :
Fast alle österreichischen Barone und viele Gemeinden seien dem
Synergismus, welchen des Schreibers Nachbar Veit Nuber vertrete,
abgeneigt (Reg. Akten, Eccles. No. XXXV, Z. 99). Daher berief
man solche Prediger,
— 60 -
Heidelberg als Professor der Moral angestellt, woselbst er
gestorben ^).
Wie sich die Sache in den Augen zweier Zeitgenossen aus-
nahm, vernehmen wir von Martin Wolf und x\dam Giller. Der
erstgenannte, gebürtig aus Rochlitz in Sachsen, hat hervor-
ragenden Anteil genommen an den uns vorliegenden Kämpfen.
Er ist ein Märtyrer seiner streng lutherischen Überzeugung. Als
Superintendent zu Kolditz, wurde er, wie wir später hören
werden, wegen einer in Dresden gehaltenen Predigt gegen
das Interim von Kurfürst August abgesetzt 2) und nun von
dessen Gegner, dem alten Kurfürsten Johann Friedrich, im
Altenburgischen angestellt, und zwar erst in Gößnitz 1554,
dannl559 in Kahla. Hier wurde er 1562 init vielen anderen
verjagt und erhielt eine Pfarre zu Helfta im Mansfeldischen,
woselbst er den gleich mitzuteilenden Brief geschrieben hat.
Von Helfta aus ward er 1567 nebst anderen Theologen nach
Antwerpen gerufen, um der dortigen lutherischen Gemeinde
als Berater zu dienen. Sein Name steht mit unter der von
Flacius dort eingeführten „Antorffischen Confession". Nach
kurzem Aufenthalt allda ging er zurück nach Kahla. Hier
ward er abermals (1572) durch seinen alten Feind
Kurfürst August, der als Vormund der Söhne des ver-
storbenen Herzogs Johann Wilhelm über hundert Pfarrer ver-
trieb, abgesetzt. Nunmehr ging Wolf nach Österreich, wo-
selbst er zuerst nach Lichtenwart, nachher von Herrn Hartmann
von Lichtenstein nach Dobermannsdorff zum Pfarrer be-
rufen ward. Im Jahre 1580 unterschrieb er das „Einfältige
Bedenken" und bekannte sich vor der Visitation zu dieser
"Unterschrift. Man findet nicht, daß er die „Deklaration"
unterschrieben; man ließ ihn ruhig in seinem Amte. Und
so hat er noch der „Repetition" und der Formula Veritatis
seinen Namen unterschrieben und wird in Ruhe in Oster-
reich gestorben sein. Seine Bücher kamen auf den Index;
1) S. Kkickhohn, Briefe Friedrichs III, S. 90.
2) Dass auch Melanchthon in diese Sache verwickelt war, zeigen
die Annaleu in C. R. 8, IX.
— 61 -
man rechnete ihn unter die „Autores damnatos primae
Classis". Das gebührt ihm als Mitunterschreiber jener Ant-
werpener Konfession. Er war auch Mitverfasser einer wichtigen
Schrift, die er nebst Irenäus und Jonas Frankus gegen Wigand
und Heshus in Jena am 3. Januar 1572 veröffentlichte i).
Dieser Martin Wolf wollte die Victorinische Deklaration
nicht unterschreiben und „wider dessen Lehre nicht zu reden
sich nicht verpflichten-'. Aus Anlaß seiner Berufung nach
Bayern (1562) war er von zwei anderen Geistlichen, Namens
Lofladius und Mag. Prätorius, verdächtigt worden, als ob er
wegen unreiner Lehre vom Herzog entsetzt oder gar des
Landes verwiesen sei. Zu seiner Rechtfertigung schreibt er
an den Grafen Ladislaus von Haag - 1 einen Brief, in welchem
er zur Richtigstellung der Sachlage folgende interessante
Äußerungen macht: „Ich muß aber auch den durchlauchtigen,
hochgebornen Fürsten vnd Hern, Hern Johan F, Hertzogen
zu Sachssen in deme entschuldigen, das s. f. g. mich vnd
andere geurlaubt (aus dem lande ist noch keiner verweist)
nicht obgedachter meiner lere vnd meinung halben, denn
s. f. g. vnd die Visitatores waren vnd sein der lere halben
allerding mit vns eins, sondern darumb ists allein zuthun,
wie die Acta zu seiner Zeit ausweisen werden, das wir
des Victorini, der ein Synergist ist, zwei-
zungige declaration, welche fürstliche Durch-
laucht vnd die Visitatores vnser vnd Irer lere
vnd meinung gemeß vorstehen vnd ercleren,
mit nichte können vnser lere vnd meinung gemess er-
kennen, noch derselben, wie begert wird, vnterschreiben,
viel weniger vns verpflichten, wider den Victorinum vnd
seine lere nicht zureden, vnd haben des großwichtige
vrsachen angezeigt vnd Schemen vns derselben gar nicht,
so offt es vonnötten sein wirt, weiter anzuzeigen" ^).
1) S. Preger II, 257.
2) Über deu Grafen von Haag vgl. Raupach, Presbyterol. Suppl.
S. 17, Aretin Maximilian I v. Bayern, p. 192.
3) Reg. Akten, Ka.sten D, Fach I, Eccles. No. XXXV, Z. 109.
— 62 —
Wolf sagt also, daß er und seine Genossen nicht zu-
geben könnten, daß Strigels Deklaration sich mit ihrer
Lehre decke, was eben der Herzog und die Visitatoren
behaupteten. Damit ist der Kern der Differenzen aufs
beste getroffen und auch der Grund, weshalb die treuen
Bekenner das Land räumten. —
Giller, ein Reuße, der sich Exul Jesu Christi nennt und
1567 aus Gera entlassen wurde, sagt in seinem Buch, betitelt:
.,Beweiß aus Gottes Wort, beyneben D. M. Lutheri und
D. Augustini, daß und wiefern die Leiber der Heiligen am
jüngsten Tage vollkommen und wesentlich dem verklärten
Leibe Christi gleichförmig gemacht werden sollen" (1583),
folgendes: „Die Synergisten vertriben auß dem Hertzog-
tum Sachsen über 40 Luterische Predicanten, die da zu
derselbigen zeit der verfluchten victorinischen Lehre vom
freyen willen ernstlich widersprachen und darüber verfolgt
wurden. Dadurch gab Gott vielen andern Lendern dieselbige
Bekenner, die zuvor beisammen in einem Winckel steckten.
So da hernach viel Lerer und gemeine leute, die da ge-
hungert und gedürstet nach der Gerechtigkeit, Matth. 5
zur erkentnis der warheit brachten und sonst derselben
wol hetten entperen müssen. Wenn auch das nicht ge-
schehen So möcht mancher gedencken Gott were ein anseher
der Personen, der allein etlichen Reichen, hohen und ge-
waltigen sein wort und willen offenbarete und andere arme
elende betrübte verließe."
Aus diesem Urteil Adam Gillers, des Efferdinger
Predigers in Oberösterreich, sehen wir, daß man damals den
Lauf der göttlichen Vorsehung darin bewunderte, daß durch
die thüringischen Wirren neben anderen Ländern auch
Osterreich mit Predigern versehen wurde. Wir lehnen es
nochmals ab, jene Prediger „Flacianer" zu nennen ^), sie
waren einfach Gegner der Synergisten.
1) Vgl. auch Weiß, Weltgeschichte und Wiedemann, a. a. O
I, S. 42 u. a. m.
— 63 —
Aus dem Werke: „WahrliafFtiger und gründtlicher
Summarieu-Bericht etlicher Predicanten, wie und worumb
sie im 62. und 63. Jahre in Thüringen seind ires Ampts
entsetzet und zum Theil verjagt worden", i) entnehmen wir
folgende Namen der 1562 in Thüringen abgesetzten und ver-
triebenen Geistlichen :
1. M. Bartholomeus Rosinus etwa Pfarrherr und Super-
intendent zu Weimar.
2. Alexius Bresnicerus etwa Pfarrherr und Superintendent
zu Aldenburg. .
3. M. Martinus Wolfius etwa Pfarrherr zu Chala.
4. Michael Schulteis etwa Pfarrherr zu Cieutzburg.
5. David Scheffer etwa Pfarrherr zu Saltzungen.
6. M. Johannes Fuldner etwa Pfarrherr zu Butstat.
7. M. Joachimus Magdeburgius etwa Pfarrherr zu Oßmanstat.
8. M. Matthi Kindler etwa Pfarrherr zu Grunstat.
9. M. Martinus Faber etwa Pfarrherr zu Gößnitz.
10. M. Johann Andre, gew. Pfarrherr zu Mansted.
11. M. Thimot Kirchner etwa Pfarrer zu Herbstleben,
12. M. Benedic Meibom etwa Diacon zu Weimar.
13. Philippus Ruttenus etwa Diacon zu Neustadt an der Orla.
14. Jeremias Disigerus etwa Pfarrherr zu Swerstat.
15. Johannes Barck etwa Pfarrherr zu Madel.
16. Fabianus Kein etwa Diacon zu Weimar.
17. Georgius Ziebler etwa Pfarrherr zu Sulzbach.
18. Jonas Francus ^) etwa Pfarrherr zu Ober-Roßla.
19. Johannes Günther*) etwa Pfarrherr zu Ober- Weimar.
20. Johannes Töpfer gewesener Pfarrherr zu Obringk.
21. Johannes Strofius etwa Diacon zu Saltzungk.
22. Balthasar Hancke etwa Pfarrherr zu Hermstedt [in
Österreich zu Oberhollabrunn j 1578].
23. Nicolaus Hacus etwa Diacon zu Butstadt. [erscheint
1580 in Österreich].
1) Beide nochmals 1571 in Weimar als Flacianer entlassen.
2) Nochmals im August 1571 als Diakon in Weimar wegen
flacianischer Ansicht entlassen.
- 64 —
24. Johannes Leo etwa Pfarrherr zu Großen -Mülhausen.
25. Henricus Moller etwa Pfarrherr zu Heuchelheim.
26. Paulus Reineckerus 1) etwa Pfarrherr zu Teutleben.
27. Paulus Regius gewesener Pfarrherr zu Ramsla.
28. Pridemannnus Hauck etwa Pfarrherr zu Opplick.
„Der verjagten Pfarrherr und Prediger seindt sonst
mehr^), nemlich fast Viertzig, sampt den Vier Theologen 3)
vnd D. D. Johanne Coelestino Griechischen Leser, auch die
Superintendten M. Baltaser Winter, welcher bis in den
Tod geplagt, vnn auch endtlich auff seinem Todtbeth ligend,
kurtz vor seinem ende hat müssen seine entsetzung anhören,
vnd einer seiner Diacon, der auch bis zum Tode geplaget
worden ist, vnd sampt M. Peter Egerdes kSuperintendenten
zu Gotha. Das heist die Kirche Gottes nach dem Newen
vnnd unerhörten Modo agendi reformieren. Vsquequo Domine
non uindicas scandala pusillorum et sanguinem seruorum
tuorum , doctrinae filii tui corruptelis et Ecclesiae tuae
uastationes. 0 domus, antiqua domus."
Der unter No. 17 genannte Georg Ziebler war es, der
dem Kanzler Brück im Schlosse zu Weimar unter die Augen
sagte: ,,lhr greifet dem Herrn Christo in seinen Augapfel!
So Ihr nicht Buße thut, wird Gott Euch auf die Einger
klopfen"'*)! Worauf der Kanzler soll geantwortet haben:
„Ei, Gott wird mich wohl auf die Finger klopfen" ^)! Dieser
Worte erinnerte er sich, als er, in die Grumbachschen
Händel verwickelt, im Jahre 1567 in Gotha hingerichtet
werden sollte. Er ließ sein Bekenntnis und eine Abbitte
auf den Kanzeln Thüringens verlesen und erklärte, daß
er jene Antwort nie vergessen habe; und wenn er diese
1) O. O. 1564. 4 der Univ. Bibl. zu Jena.
2) z. B. Hierou. Peristerius.
3) Dieselben sind bekanntlich: Flacius, Wigand, Musäus und
Judex.
4) Handschriftliche Nachricht im Kirchenbuch zu Sulzbach.
5) Löber, Hist., eccles, Orl. 61; Wimmer, Vita Pontani, 293;
Ziegler, Schauplatz der Zeit, Monat Mai, 537.
— 65 -
Todesstrafe verdient habe, so Ijabe er sie nicht jetzt, sondern
um jener Verfolgung willen verdient. Nun komme Gott
und klopfe ihm auf die Finger').
j^rster Exodus" aus Thüringen.
Dieser erste Exodus ist in seinen Ursachen wie in
seinen folgen noch lange nicht genügend erforscht. Es
bleibt ein Rätsel, wie Herzog Johann Friedrich so um-
gestimmt werden konnte, daß er, der zuvor den strengen
Lutheranern so wohl wollte und sich von ihnen auf den
Fürstenkonventen (1557 und 15G0) so gänzlich leiten ließ,
1 563 auf Anraten Brück's an seinen Rivalen, den Kurfürsten
August, die freundliche Bitte richtete, derselbe wolle ihm
von den Wittenberger Theologen etliche überlassen ; worauf
dann Seinecker, Freyhub und Salmuth ihm gesandt wurden.
Durch, den Superintendenten Stössel ließ er zugleich den
Wittenberger Theologen erklären, er sei „durch einen mit
Nahmen Flacius Illyricus unter dem Schein der Heiligkeit"
gar schändlich von seiner väterlichen Religion, welche er
noch zu Wittenberg studiert und gefaßt hätte, abgeführt
worden, dadurch er „viele fromme Menschen betrübt" hätte.
Er fühle sich in seinem Gewissen beschwert und wolle sich
„hinfort ihrer Religion gemäß halten und helfen, daß seine
Universität Jena von solchen sophistischen Calumnien ge-
reinigt und wieder auf den rechten Weg gebracht werden
möchte ^j."
Ein solcher Umschwung von einem fast kränklichen
Eifer ins gerade Gegenteil innerhalb weniger Jahre zeugt
einerseits von großer Charakterschwäche des Herzogs, anderer-
seits aber erwies sich darin die göttliche Vorsehung, die, wie
Adam Giller sagt, auch anderen Ländern die Erkenntnis
1) Müller, Sachs. Annalen, 139, 147. — Unsere Quelle für
diese Mittheilungen ist Dr. Joh. Köhr, Magazin für christliche Pretligfr
Bd. 13., 2. Stück.
2) Planck a. a. 0., IV, S. 664, Note 273.
5
— 66 —
der Wahrheit brachte. Noch im Oktober 1560 muß der
Herzog von seiner Schwiegermutter getadelt werden,
daß er seinem Schwiegervater Friedrich III., dem Kur-
fürsten von der Pfalz, geschrieben habe^), er sei
dem Teufel verfallen, falls er sich nicht bekehre,
d. li. streng lutherisch werde; und jetzt wendet er sich
an die Wittenberger, die in Melanchthons Fahrwasser sich
bewegen und der Herrschaft des Kryptocalvinismus bereits
die Stätte bereiten. Da hat freilich Flacius in seinem
Briefe an Gallus vom 11. Juli 1561 ^) nicht so unrecht ge-
sehen, wenn er schreibt: ,,Der Herzog scheint noch der
wahren Lehre zugethan zu sein; aber mittelst einer „Brücke"
(des älteren Brück) ist die Wahrheit ins Land gekommen,
mittelst einer „Brücke" (des Kanzlers Christian Brück)
scheint sie wieder hinausziehen zu wollen. Per pontem
intravit veritas, per pontem exitura videtur. Gott wider-
stehe seinen Gegnern mit Macht. Die Wut nimmt zu,
Gott lebt." — Der Herzog war offenbar ein Spielball der
Leute , die sein Ohr hatten, besonders jenes Kanzlers Brück,
von dessen traurigem Ende schon oben die Rede war.
Auch sein späterer intimer Verkehr mit Grambach, der ihn
mit der Hoffnung köderte, durch seinen Beistand wieder
in den Besitz der abgetretenen sächsischen Kurlande zu
kommen, zeigt die Leichtgläubigkeit des Herzogs °). Es
war eine Art Größenwahn, genährt durch lange Vertraut-
heit mit dem Evangelium, aber ohne demütige Beugung
unter dasselbe, der ihn zu solchen Willkürakten, wie die
oben erwähnte Absetzung des Flacius und seiner Kollegen
und später der 40 thüringischen Prediger, veranlaßte.
Er glaubte, alles allein zu verstehen, ohne zu bemerken,
daß er von listigen Leuten irregeleitet wurde. Guten
1) Kluckhohn, Briefe Friedrichs III., S. 150.
2) Codex germanicus der Münchener SlaatsbibHothek 1318,
f. 59 (bei Preger II, 155).
3) Schlosser, Weltgeschichte, XIII, S. 31'J— 323.
— n? —
Rat von jenen, die ihn liebten, erbat er sich nicht. Ja,
es ist interessant, daß er in den Briefen an seinen
freilich nur etwa 15 Jahre älteren Schwiegervater, Fried-
rich III.. niemals dieser Katastrophen gedenkt, wie aus
Kluckhohns Sammlung der Briefe dieses Fürsten erhellt.
Zwar weiß Johann Friedrich, indem er die Unkenntnis des
pfälzischen Kurfürsten benutzt, ihm gehörige Lektionen zu
ireben, besonders über die Abendmahlslehre. Seine Briefe
enthalten sogar exegetische Erörterungen über Joh. 6 und
die mündliche Nieliungdes Leibes Christi^). Auch be-
beschwert er sich darüber, daß Friedrich ihln und seinen
Theologen vorwirft, sie hätten in Rosen gesessen, während
man wohl andere Miene machen würde, wenn es einmal zum
Blutvergießen käme'^). Er fragt aber nicht um Rat in den
eigenen Verlegenheiten, sondern giebt immer nur ungefragt
Ratschläge, wohl in der Meinung, der Kurfürst verstünde
doch nichts von der Sache oder würde ihm etwa raten,
was in seiner Lage zu befolgen unmöglich ^).
Genug, der Herzog, jeden frommen Rates bar, unter-
nahm es, zu Hause in seiner Weise Ordnung zu schaffen,
und zwar — als echter Vertreter des von Luther so gerügten
Cäsai-eopapismus — mit Amtsentsetzung und Verbannung,
wo es mit der Überredung nicht gehen wollte. Damit
treten die Ereignisse, die zu jenem ersten Exodus der
thüringischen Prediger führten , ins rechte Licht : Der
Herzog spielt eine große Rolle auf dem Reichstage zu
Worms 1557, wo seine Theologen, Schnepf und Stößel, es
zum Abbruch des Gespräches bringen. Er läßt sodann
1) Kluckhohn, Briefe Friedrichs III. an verschiedenen Stellen.
•2) Kluckhohn I, S. 260, vergl. S. 252.
3) In den wichtigsten Entscheidungen wird vom Herzog nie sein
Schwiegervater Friedrich von der Pfalz um Rat angesprochen; sein Kon-
futationsbuch schickt er der glaubensverwandten Schwiegcrm utter^Maria
(Kluckhohn I, S. 130), denn Friedrich selbst war auf die Jenaer Theo-
logen allzu erbost, wie aus der Korrespondenz mit dem Schwieger-
sohn wiederholt hervorgeht (Kluckhohn, a. a. O. I, S. 136 u. ö.).
5*
— 68 —
von fliesen eine „Konfutationsschrift" ^) aller in die
lutherische .Lehre eingeschlichenen Korruptelen verfertigen
(1558). Damit geht er ganz in den Bahnen, die Flacius
und Wigand ihm zur Fernhaltung der interimistischen,
majoristischen und neuerdings auch synergistischeu Händel
voi'gezeichnet hatten. Alsbald aber, da die Theologen
und der 1559 nach Jena berufene Pastor Winter dem
Herzog zu weit zu gehen schienen und gewissen Lieblingen
des Hofes, wie dem Antwerpener Wesenbek und Diirfeld, die
Zumutung machten, sie sollten sich zur Konfutationsschrift
bekennen oder aber der x^usübung gewisser kirchlichen
Rechte (z. B. der Taufpatenschaft) begeben, entstand
großes Geschrei. Die Betroffenen hüllen sich in vor-
nehmes Schweigen oder schützen Unwissenheit vor; Wesen-
bek will auf einmal den strittigen Punkt vom freien
Willen nicht verstehen ; und beide appellieren an den Hof
und ihre dortigen Schützer, besonders an Brück ^j. Und doch
war diese Handlungsweise der Theologen nichts Unerhörtes.
Ein ähnlich strenges Vorgehen erfuhr später die Kurfürstin
Maria von der Pfalz bei ihrem Aufenthalt in Weimar ^^).
Man lehnte sie wegen ihres reformierten Glaubens als Tauf-
patin ab, worüber ihr Gemahl sich beim Schwiegersohn
Johann Wilhelm beklagt (Nov. 1563). Der Herzog
aber, dem man schon die spanische Inquisition vor die
Augen zauberte, schränkte nach dem Vorfall mit Wesenbek
solchen Gebrauch seines Konfutationsbuches ein und re-
servierte sich zuletzt die Kognition in diesen Dingen selbst.
Er will den Binde- und Löseschlüssel selbst an sich nehmen
und zu dem Ende ein Konsistorium in Weimar errichten,
in welchem die Theologen nur neben den Juristen und dem
1) Bei diesem sogenannten Konfutationsbuch war (nach
Planck IV, 1, S. 586 ff.) Flaciu.s nicht raitthätig, sondern Strigel,
Sc'hncpf und Hügel waren die Verfasser ; wohl aber nahm Flacius Ein-
fluß auf eine lööS zu Weimar vorgenommene Änderung des Buches.
2) S. Preger, a. a. O. II, S. 185.
3) Kluckhohu, I, S. -171.
- 69 -
Herzog eine Rolle spielen dürfen. An dieses Konsistorium
seien alle Zuchtfälle behufs oberster Entscheidung, die im
Zweifelsfalie sich der Herzog vorbehalte, zu leiteu ^). Die
Theologen Flacius, Wigand, Musäus und Judex wehrten
sich. An ihrer Seite kämpfte die gesinnungstreue Geistlich-
keit des Landes. Ihre Argumente waren folgende : Die
Konsistorial Ordnung sei von keiner kompetenten Autorität
(Synode) angeordnet ; der Herzog sei weder die Kirche
selbst, noch das Haupt der Kirche, sondern ein Glied der-
selben. Die Theologen müßten das Recht der Kirche zurück-
fordern und den Cäsareopapismus verdammen. Man wollte
eben der weltlichen Obrigkeit nicht die Macht eingeräumt
wissen , die von den Sakramenten Zurückgewiesenen den-
noch zuzulassen. Zwar, das geben die Theologen zu be-
denken, hätten die Fürsten die Kirchengüter und das Recht,
die Prediger zu berufen, an sich gerissen ; aber sie hätten
darum doch den Dienern der Kirche nicht gleich ihren
Vasallen zu befehlen '-). Die Theologen wollten der Kirche
die Befugnis gewahrt wissen , welche Jesus Christus
derselben verliehen. Sie waren Vorkämpfer für die Frei-
heit der Kirche und des von rechtswegen ihr zu-
stehenden Binde- und Löseschlüssels und spannten ihre
Forderungen höher, als selbst Calvin um diese Zeit in Genf
es that. Insbesondere gegen die übertriebene Büchercensur
und das Verbot, im Ausland gedruckte Bücher im Inland
zu verkaufen, opponierten sie und setzten ein eigenes,
höchst interessantes Responsum über die Preßfreiheit
(de praelorum libertate) auf, welches sie an den Herzog
gelangen ließen 3). „Seit der Erfindung der Buchdrucker-
kunst"', sagen sie, „ist solche Knechtschaft in Deutschland
nicht erhört." Sie warnen mit Luther vor dem kaiserlichen
Papsttum. Der Herzog, in seinem Größenwahn hart au-
1) Salig, Geschichte der Augsburger Konfession, III, S. 585.
2) Planck IV, I. Bd., Buch :^, 8. 637.
3) Preger II, S. 155 f.
- 70 —
getastet, antwortet sehr entschlossen, und Schlag auf .Schlag
trifft nun die Theologen. Musäus wird entlassen. Judex ab-
gesetzt wegen des Druckes einer Schrift, die das Papsttum
betraf, im Auslande; Flacius und Wigand werden mit
Schimpf und Schande von Jena fortgewieseu. Die
letzteren ertragen den von Brück ihnen angethanen Affront
mit Würde. Mit dem Weggang des Flacius und seiner
Kollegen war auch die Blütezeit Jenas vorbei. Geringere
Geister kamen an ihre Stelle, wie denn überhaupt auf
jener Seite die bedeutendsten Theologen der Zeit standen.
Auch jüngere tüchtige Kräfte zogen mit Flacius ins Exil,
so Krell und Melissander, welche im Süden zu angesehenen
Stellungen gelangten ; ersterer, wie wir sehen werden, als
Superintendent in Laibach, letzterer als Professor in Lauingen,
nachmals wieder in Jena, wo man ihn einst als Verbreiter
einer Entschuldigungsschrift des Flacius schimpflich relegiert
hatte, endlich in Altenburg i).
Nach solcher Ungerechtigkeit war es nicht zu verwundern,
daß auch die thüringische Geistlichkeit die harte Hand des
Landesherrn zu fühlen bekam. Gleich als ob er die fatale
Sache mit Gewalt ersticken wollte, wurde nun den Predigern
durch eine neue Visitation (1562) zwangsweise auferlegt, sich
des Zankes über den Synergismus zu enthalten. Der all-
gemeine Verdacht gegen Strigel und dessen Gönner sollte aus
der Welt geschafft werden. Stößel setzte eine neue Formel auf,
in welcher die Deklaration Strigels den Pfarrern des weitereu
mundgerecht gemacht werden sollte, und verlangte bloß von
ihnen, daß sie dieselbe unterschrieben. Als auch das nicht
half, ermäßigten die Visitatoren ihre Forderung dahin, daß
man nur bedingungsweise zu unterschreiben und zu versprechen
brauchte, vom Disputieren ablassen zu wollen, falls Strigel
wirklich in seiner Deklai-ation dem Synergismus entsagt
habe, was anzunehmen oder nicht anzunehmen einem jeden
überlassen wurde. Jene Prediger nebst mehreren anderen
1) Vergl. Preger II, S. 178.
— 71 —
ürklärten jedoch, liebe)' das Land räumen als ihr Gewisse
damit bestricken zu wollen. Ihre Weigerung aber veranlaßte
eine solche Gärung unter dem Volke, daß die Visitatoren
nicht mehr mit Sicherheit im Lande herumreisen konnten.
So ging es im Weimarischen und im Gothaischen. Man
begann nun damit, die Superintendenten Bresnicer (Alten.
bürg) und Rosinus (Weimar) abzusetzen, um ein warnendes
Beispiel zu statuieren. Zu gleicher Zeit aber gingen die
Visitatoren noch weiter in ihrer Nachgiebigkeit. Um nur
etwas auszurichten, überließ man es den Predigern selbst
unter welchen Bedingungen und Klauseln sie sich fügen
wollten. Dies geschah in der Weise, daß man mit Um-
gehung der Victorinischen Deklaration sich gänzlich auf
die Schrift Luthers „Vom knechtischen Willen" und auf das
Konfutationsbuch zurückzog ^). Denen, die auch jetzt noch
unschlüssig blieben, gab man einige Monate Bedenkzeit
und gewann so ihrer mehrere. Dennoch blieb noch immer
eine eroße Anzahl unerschütterlich auf dem Punkte stehen,
man könne sich weder auf die Strigelsche Deklaration noch auf
die Formeln der Visitatoren ohne Verletzung des Gewissens
einlassen. Zu allerletzt kam ein Befehl des Herzogs
vom 15. Oktober, wonach die Prediger, mit gänzlicher Beiseite-
lassung irgend welcher Unterschrift, das Eifern auf den
Kanzeln gegen jene Deklaration zu unterlassen hätten. Als
sie auch diesem Befehl widerstanden, wurden ihrer 40 ab-
gesetzt ^).
Das Bedenkliche an diesen Leuten war eben der
Widerstand, den sie in gewissen Sachen der Obrigkeit
entgegenstellten, unter welchem Vorwande man sie damals
freilich leicht an den Pranger stellen konnte. Mit gutem
Gewissen konnte Magdeburgius , einer der vornehmsten
jener Vertriebenen, in der Vorrede zu seinem Bekenntnis,
1) Vgl. Planck, a. a. (). S. 659 f. So im Gothaischen und
Ron neburgischen .
2) 28 von ihnen rechtfertigten sich in der p. 63 genannten
Schrift.
— 72 -
das er in Üsterreicli herausgab (15. November 1560), sagen :
„Warumb etliche aiiß den vnseru auß Landen vnn Stetten
verjagt sein worden, wird ein jeglicher für sich (wenn man
jhm dazn weyter vrsach geben wird) wol wissen vrsach
anzuzeigen vnd rechenschafft zugeben" (C III). Damit
wahrt sich der Schreiber das hohe Prinzip der Grewissens-
freiheit, also des Satzes : „Man soll Gott mehr gehorchen
als den Menschen." Es ist dasselbe Prinzip, das Luther
beseelte^) in seiner Schrift von der Gewalt der weltlichen
Obrigkeit, die er im Jahre 1523 herausgab und dem Herzog
Johann von Sachsen zueignete. In dieser Schrift ver-
tritt er kräftig den Grundsatz, daß in Glaubenssachen die
weltliche Obrigkeit nichts dreinzureden habe: „den Ketzern
zu wehren sei Sache der Bischöfe und nicht der Fürsten."
Gottes Wort soll hier streiten: „wenn das nichts ausricht,
so wird's wohl unausgericht bleiben von weltlicher Ge-
walt, ob sie gleich die Welt mit Blut füllte." £s ist
ferner dasselbe Prinzip, welches Gallus und Flacius trieb,
gegen das Interim aufzutreten. Auf den Brief etlicher
Prediger in Meißen mit der Frage, ob sie lieber weichen
als den Chorrock ^ ) anziehen sollten, rufen sie die Kirche
mit großem Pathos an. Sie sagen: „Es wird sehr ge-
sündiget von der kirche in dem, das sie alleine die prediger
im streit lest, auff sie alleine den haß vnd die gefahr des
bekentnis wirfft. Denn die kirche solte zugleich ein-
trechtiglich beide den Fürsten vnd Seelsorgern zufus fallen
für die Religion, vnd auch darneben anzeigen, sie wolt auft'
keinerlei' weis gestadten, das jr Pfarherr jrgent eine ver-
enderung um der kirche zugebe, denn sie habe einen befehl
von jhrem einigen Hirten Christo, das sie sich für dem
Sawerteig der Phariseer vnd für den wollfen hüten soll.
Also bekennet die Herde vnd liede '^j zu gleich mit den
1) Planck, Ge!5chichte des protestantischen Lehrbegriffes,
II, S. 53.
2) Das Anziehen dos Chorrockes galt als der erste Schritt auf
tler abschüssigen Bahn zum Papsttmu.
3) d, i. litte.
73
Hirten" (A III). — Weiter unten antworten sie auf die
Alternative, ob man im Punkte des Meßgewandes nachgeben,
oder aber aus dem Lande weichen solle : „8n solt jhr dem
Fürsten antworten vnd öffentlich in der predigt anzeigen,
jhr weret von dem heiligen Geiste vnd nicht von den welt-
lichen Herrn vber die Herde zu Bischoffen vnd hirten gesetzt.
Ihr könnet nicht vmb menschen gebot willen die schaffe
verlassen, auch nicht das kleid anziehen, der angezeigten
vrsach halben. Sonderlich aber die weil jhr sehet das es
alles dahin gerichtet sey, das die Bepstische^ j Gotslesterungen
auffgericht werden, wie das Leipsische Interim "''j vnd Aus-
zug klar zeugen. Das sollen ja billich die Prediger sagen
vnn also die armen schaffe vor dem Wolff oder Antichrist
öffentlich warnen". — Zuguterletzt aber raten Gallus und
Flacius den Schreibern des Briefes, wenn sie alles gethan
hätten, um die Schafe zu warnen und es nicht geholfen,
alsdann sollten sie den Staub von den Füßen schütteln und
von ihnen weichen •*).
Gleichwie es damals geraten wurde, also geschah es
jetzt seitens der thüringischen Prediger: sie gingen aus
ihrem Heimatlande weg. Man mag ihnen wenig Füg-
samkeit und allzu schroffe Energie zur Last legen, wie es
auch vireidlich geschehen ist in alter und neuer Zeit, — dennoch
nahmen sie ein großes Prinzip mit sich in die Fremde, das
Prinzip der Gewissensfreiheit: daß also in geistlichen Dingen
weder Kaiser noch Herzog dreinzureden hätten. Mit Arg-
wohn wurden sie empfangen, wo immer sie hinkamen; und
so gerieten sie bald in Konflikt mit den österreichischen
Ständen wie mit dem Kaiser, der auch wohl von solchen
beraten wurde, die der gegnerischen wittenbergischen Rich-
1) päpstliche.
2) Das Leipziger Interim vom Jahre 1548.
3) S. die Schrift „Autwort M. Nicolai Galli vnd M. Fla.
lUyrici auff den brieff etlicher Prediger in Meissen, von der Frage,
Ob sie lieber weichen, denn den Chorrock anzihen sollen", gedruckt
zu Magdeburg bei Christian Roedinger.
— 74 —
tuug angehörten. Man witterte Aufruhr in der Landschaft Öster-
reich, und die Vertriebenen hatten überall mit Mißgünstigen zu
thun, welche ihre Lehre und Wandel begeiferten, obwohl sie
freudige Bekenner Christi waren. Sie bildeten, wie auch
Wiedemann anerkennt i), eine „sehr energische und thätige
Partei" , wir dürfen sagen, gleichsam das Rückgrat in der
evangelischen Kirche, das schwer zu beugen war.
Dem ersten Exodus folgte zu Anfang des nächsten
Jahrzehnts ein zweiter (1571 — 1573), der direkt durch
die Parteinahme für Flacius verursacht war. AVir nennen
nur Christoph Irenäus, Friedrich Cölestin, N. Hacus, Martin
Wolf, die nebst vielen anderen Thüringen verlassen mußten.
Hier standen, wie der oben genannte Adam Giller bemerkt,
die „beständigen Flacianer" den „verkehrten Accidentzern",
gegenüber, welch letztere „das Accidentz Victorini ge-
ziegelt^j hatte", und die nun die Flacianer verfolgten^).
Erst seit dem zweiten Exodus darf man von „Flaciauern"
in Österreich reden. Dieser Nachschub fand dort abermals
bereitwillige Aufnahme. Wiederum waren die neuen An-
kömmlinge theologisch gebildeter als die bisherigen
Pfarrer. Sie nannten sich exules Jesu Christi. Schließ-
lich fand noch 1573 eine dritte Vertreibung von
streng lutherischen Theologen aus Thüringen statt, als
Kurfürst August mit Hilfe des Kaisers die Vormund-
schaft in den durch Johann Wilhelms Tod verwaisten
sächsischen Herzogtümern erhalten ^) und nun aus Rache alle
Gegner seiner Richtung — damals der melanchthonischen
— , auch Wigand und Heshusius, fortschaffen ließ, wobei
so viele Prediger das Land räumen mußten, daß großer
1) a. a. O. ßd. I, S. 330.
2) großgezogen.
3) Vgl. das Nähere bei Preger, II, 242 ff, 310-343, 356 f.
4) Preger II, 382 f. : 111 Pfarrer der strengen Kichtung wurden
vertrieben aus Thüringen und Pfarrer von der Wittenberger Rich-
tung an ihre Stelle gesetzt.
- 75 -
Mangel an Kandidaten eintrat. Auch von diesen Ver-
triebenen kamen etliche nach Österreich ^). Rosinus ging
nach Regensburg, Heshusius und Wigand nach Preußen.
Wenden wir uns nun dem Anlaß des zweiten
Exodus zu, dem Streite über die „Erbsünde". Indem
Strigel auf dem Kolloquium zu Weimar dem Flacius be-
ständig auswich, als dieser das Zustandekommen der Be-
kehrung ausschließlich von der göttlichen Gnade abhängig
machte, so blieb Flacius gegen ihn im Recht. Flacius
lehrte mit Luther nicht nur (wie Etliche thaten), daß
der natürliche Mensch in der Bekehrung sich rein leidend
verhalte und zum Guten völlig erstorben sei, sondern
auch, daß er nur widerstreben könne (repugnative,
nicht bloß passive) und sich vor, in und nach der Be-
kehrung nur widerstrebend verhalte. Flacius und seine
Schüler stellen dem Synergismus Strigels einen aktiven,
beharrlichen Widerstand des Willens entgegen; sie tragen
hier der menschlichen Selbstbestimmung durchaus keine
Rechnung — die Wiedergeburt ist eine neue Schöpfung
— , und das war einzig und allein gemäß der Lehre Luthers.
Flacius war vollkommen im Recht gegenüber
Strigel. Solange als Luthers und der Augustana Defini-
tionen feststanden , sowohl diejenigen, welche das Bild
Gottes als Substanz im Menschen betrachten lehrten,
als auch die Sätze von der Erbsünde im zweiten
Artikel, konnte Flacius nicht anders handeln, als er
that. Er mußte die Erbsünde als an die Stelle des gött-
lichen Ebenbildes oder der ursprünglichen Gerechtigkeit
getreten ansehen. War die Gerechtigkeit Substanz gewesen,
dann war es natürlich auch die an ihre Stelle getretene Erb-
sünde. Victorinus Strigel dagegen lenkte im reinen Verstandes-
interesse wieder in die alten, von Luther verlassenen Bahnen
zurück, wenn er, ganz zur Unzeit, die Freiheit des Willens
bis zu einem gewissen Punkte gewahrt wissen wollte. Er
1) Planck, a. a. O. V. 11. 602.
- 76 —
rechnete <len freien Willen zur nnvertilgbaren Substanz des
Menschen und fand an diesem leeren, inhaltslosen Willen
doch noch etwas Gutes, Ucämlich, daß er, unterstützt vom
heiligen Geist, eine Mitwirkung habe im entscheiden-
den Punkt der Bekehrung, d. h. wollen oder widerstehen
könne. Das war der alte römische Irrweg, der im Interim und
später im Lehrbegriff des tridentinischeii Konzils betreten
ward^). Die alten Gegensätze, die auch Melanchthon,
wenigstens noch in den Locis von 1521. vertreten, machten
hier milderen Sätzen Platz, die Raum ließen für eine,
wenn auch noch so geringe, Mitwirkung des mensch-
lichen Willens.
Der Satz, daß die Erbsünde nur ein Accidens sei
und dem Willen nicht also anhänge, daß derselbe nicht
fähig sei, neben dem heiligen Geist mitzuwirken, war
theologisch falsch, wenn auch in der Philosophie sich dar-
über disputiren ließ. Als auf dem Kolloquium zu Weimar
Strigel dem Flacius die Frage stellte : „An tu negas, pecca-
tum Originis esse Accidens?" antwortete jener: „Lutherus
lehret 2), die Erbsünde sei de essentia hominis •'')".
Aus solchem Anlaß ist die Erklärung des ganzen
flacianischen Erbsündestreits zu ersehen. Strigel ist es, der
den Anlaß dazu gab. Auf die übel angebrachte Distinktion
zwischen Accidens und Substanz, die, theologisch genommen,
hier nichts verschlug, mußte zur Antwort dienen, daß die
Erbsünde tiefer gehe, nämlich: peccatum originis est sub-
1) Canones Conc. Trid. : Homo non nihil agit — der Wille
konkurriert bei der Rechtfertigung des Menschen vor Gott.
2) Am Rande bei Francus in der gleich zu nennenden Schrift
steht: In Genesin, Cap. II.
3) Dies ist der Wortlaut nach Jonas Francus in seiner Schrift :
Warnung wider das Pfützwerk Dr. Joh. Wigandi (gemäß dem Exem-
plar mi Regensburger Stadtarchiv). Preger (II, 202) citiert aus seiner
Quelle: .,Quod sit substantia, dixi Scripturam et Lutherum affirmare."
Er giebt aber zu, daß dies nichts anderes meine, als de essentia
hominis, also im Gegensatz zum Strigelschen Accidens gewählt
worden sei.
— 77 -
stantia hominis corrupta. Oder, wie besser mit Luther zu
sagen gewesen wäre: peccatum originis est de substantia
hominis. Nur diese Antwort genügt dem Interesse, das
der Glaube an der Frage nimmt. Die Kirchenlehre hat
auch die Frage stets in des Flacius Sinn beantwortet, obwohl
unter Ablehnung seiner Terminologie.
Nach der Weise der Zeit wurde nun dieser gelegent-
liche Satz, der in einer Disputation ganz zulässig war,
auch anfangs nicht besonders auffiel, von Flacius zum
obeisten Leitthema im .Erbsündestreit erhoben, und zwar
geschah dies sieben Jahre später in der Clavis scrip-
turae sacrae (Basel 1576). Damit wai den Gegnern
und leider auch den Freunden, die solche Redeweise
perhorrescierten, eine willkommene Zielscheibe im Kampfe
geboten. Und da man mit der Behauptung, die Erbsünde
sei Accidens, selbst in einem gläsernen Hause saß (wie ehe-
mals die scholastische Theologie), so mußte man um so mehr
das Wort „Substanz" beschimpfen und in den Kot zerren.
Die moralische Entrüstung ob der Ausdrucksweise des
Flacius, welche seine Gegner (besonders Heshus, Wigand
und Mörlin) zur Schau trugen, lenkte in erwünschter
Weise die Aufmerksamkeit ab von der Schwäche der
eigenen Ausdrucksweise (von dem synergistisch-römischen
(Accidens); denn im Grunde war man in der Lehr
von der Erbsünde mit Flacius durchaus einig und
verwahrte sich nur vor dem Mißverständnis, als ob
der Mensch aus einer Kreatur Gottes eine Kreatur des
Teufels, d. h. substantiell böse, geworden. Das meinte ja
Flacius auch gar nicht, und wenn man es gegen ihn be-
hauptete und in langer Rede bewies, so that man etwas
höchst Überflüssiges.
Für die Lehre von der Erbsünde trug der Nachweis: die
Substanz des Menschen sei, insoweit sie nun einmal aus
Gottes Schöpfung hervorgegangen, noch gut, nichts aus.
Sie verbesserte auch die Sache des Menschen im gött-
lichen Gericht keineswegs, wenn nach der heiligen
— 78 —
Schrift und der Lehre der Kirche „unsere Natur also ver-
giftet worden, daß wir alle in Sünden empfangen und ge-
boren werden" i), oder wenn dieselbe (nach anderen refor-
matorischen Ausdrücken) „coram Deo rea" (vor Gott schuldig)
und wir Menschen vor dem geistlich richtenden Gesetz
„untüchtig zu einigem Guten und geneigt zu allem Bösen'
sind 2). Optimi pessima corruptio. Was nützt alles Reden
von der Güte der Substanz, von der Unversehrtheit des
Verstandes und Willens, wenn dieser Verstand und dieser
Wille seit Adams Fall gänzlich untauglich geworden, und
wenn dem Menschen zwar noch Verstand und Wille ge-
blieben, er aber dieselben in gänzlich verkehrter Richtung)
d. h. gegen Gott und sein heiliges Gesetz verwendet?
Wenn nun die W^ahl zwischen dem Strigelschen Ausdruck:
„die Erbsünde ist Accidens" und dem flacianischen Aus-
druck: „sie ist Substanz allein" übrig bleibt, so müssen wir
sagen, Placius habe das größere Rechtim Vergleich zu Strigel.
Ja, die übertriebensten Flacianer waren zu jener Zeit
immer noch besser als jene mattherzigen Accidenzer, die
aus der noch irgendwie gut zu nennenden menschlichen
Natur immer wieder neue Hilfsmittel zur Selbstbestimmung
des Willens im Punkte der Bekehrung herbeiholen konnten
und zuweilen auch herbeiholten'^).
Obwohl zuzugeben ist, daß die Gegner des flacianischen
Ausdruckes Substanz, zu denen seit dem Jahre 1568 die
1) Heidelberg. Katechismus, Fr. 7, in Übereinstimmung mit
der gesammten protestantischen Lehre. Hauptverfasser des Katechis-
mus ist der Breslauer Ursinus, Schüler Melanchthons, Moibans und
Peter Martyrs.
2) Heid. Kat., Fr. 8.
3) Man vergl. aus damaliger Zeit die Parajiblete des Christoph
Lasius, Predigers zu Küstrin in der Mark, welche den Flacius veran-
laßten, zu seiner Rechtfertigung die im Manuskript bereits einzelnen
mitgeteilte Schrift ]"vw5i oeauiov in den Druck zu geben. Derselbe
Lasius sprengte die Sage aus, Luther habe seine Schrift „De
servo arbitrio" widerrufen. Zu ihm stand auch Melanchthon in näherer
Beziehung; er schrieb die Vorrede zu einem seiner Werke; s. Janssen
Vni, 410.
- 79 -
angesehensten Lutheraner gehörten, eine an sich berechtigte
Wahrheit vertraten, so ist doch zu beklagen, daß sie es zur
Unzeit gethan und zur Unzeit dem Flacius ein Ketzer-
gewand angezogen haben.
Heshus war es, der zufolge eines Mißverständnisses des
oben genannten Manuskripts des Flacius diesem die unsinnige
Konsequenz aufbüidete, er mache den Teufel zum Schöpfer
der Substanz, und der in diesem Stück nur allzuwilligen
Glauben fand. Heshus, Mörlin, Wigand befanden sich dabei
zugleich in Auflehnung gegen die ihrem Ruhm gefährliche
Diktatur des Flacius, welche demselben seiner Gaben wegen
und durch die Verhältnisse zugefallen war; denn als nach
dem Interim alle schwiegen, da begann Flacius zu schreien.
Aber freilich, es gelang den Gegnern, die flacianische
Lehrweise vom schützenden Boden der Augsburgischen
Konfession gründlich zu verdrängen und auch in Osterreich
zu verfemen. Und das ist höchst verhängsnisvoll für diese
Länder geworden. Von großer Wichtigkeit ist aber, daß
die neuere Forschung den Flacius durchaus wieder ins
Recht setzt und zugeben muß, daß man seine Lehre arg
entstellt habe, und sie nicht so übel gemeint war. Loofs,
Ritschi, Kawerau und Tschackert (im Kurtzscheu Lehr-
buche der Kirchengeschichte) nehmen Flacius in Schutz ij.
Der beste Beweis dafür, daß Flacius nicht Unrecht
hatte, seine Stimme laut zu erheben, ist aber darin gelegen,
daß wirklich in den folgenden Jahrhunderten alle seine Be-
fürchtungen eingetroffen sind.
Im Strigelschen Fahrwasser befindet sich der rechte
Flügel der gegenwärtigen protestantischen Theologie, im
pelagianischen der linke Flügel derselben.
Ij Loofs, Leitfaden, § 74, 3 ; Ritschi, Theologie und Meta-
physik, S. 52 f. sagt : ,,So anstößig und übertreibend wie der Satz :
peccatuni originale sei substantia hominis, aussieht, war er nicht ge-
meint. Derselbe hat ein direktes Verhältnis zu dem Umfang, in
welchem Luther die Erbsünde zu schildern pflegte und zu verab-
— 80 —
Wir unterlassen es, Flacius hier auf seinen Irr-
fahrten zu begleiten, indem wir uns auf die Kämpfe seiner
Schüler, die unter seinem Namen litten, beschränken, und
zwar im Vogtlande und in Thüringen zunächst, welche
Kämpfe ein Vorspiel für den Kampf in Österreich bilden.
Hier wie dort sind es dieselben Verhältnisse, zuweilen
sogar dieselben handelnden Personen. Wir werden ins
Sächsische, ins Thüringische imd in die reußischen Herr-
schaften versetzt, nach Greiz und Gera, und hören dieselben
Klagen, stoßen auf denselben Widerstand, der Brüder ent-
zweite und Pfarren verödete.
Beginnen wir mit Kursachsen, woselbst der alte Gegen-
satz gegen die Ernestiner sich auf die bei denselben ein-
flußreichen Theologen, auf die „Flacianer", erstreckte. Und
neben den Ernestinischen Herzogtümern wurden auch die
schönburgischen Herrschaften Penig, Geringswalde, nebst
andern benachbarten Ländchen, auf die sich Augusts Einfluß
mittelbar oder unmittelbar erstreckte, in Mitleidenschaft ge-
zogen. Kurfürst August war ein finsterer und heuchlerischer
Mann i). Solange er in den Händen der Kryptocalvinisten
war, betrieb er die Verdrängung aller jener, die diesen ver-
dächtig waren. Die Ausführer seiner Pläne waren Männer
wie Pfeffinger, Camerarius und Johann Curio. Er setzte
damit nur fort, was schon zu Moritz' Lebzeiten die Witten-
berger gegen ihre unbequemen Mahner vollführt, gegen einen
Johann Ereder2), Hofprediger Weiß, gegen Amsdorf, den evan-
gelischen Bischof von Naumburg etc. Kaum war August
seinem Bruder in der Kurwürde gefolgt, so wurde auch schon
Martin Wolf, Hofprediger zu Kolditz, gefangen gesetzt. Der-
selbe predigte am 22. Oktober 1553, daß der schmalkaldische
scheuen lehrte."' Vergl. ferner Kawerau, Art. „Flacius", in der prot.
Real-Encyklopädie, über die Zulässigkeit der flacianischen Begriffs-
bestimmung der Sünde.
1) Vergl. Kluckhohn, Briefe Friedrichs IIL, 11, 1014 Note 2.
2) Preger 11, 20, Note; Distel, der Flacianismus zu Gerings-
walde S. 17.
- 81 —
Krieg wider das Evangelium geführt worden sei, und derjenige
Teil, welcher dem Kaiser anhange und helfe, das unschuldig
vergossene Blut auf sich lade i). Er wurde nach harter
Kerkerhaft des Landes verwiesen und zog nach Thüringen.
Ähnlich erging es 1554 M. David Schäfer, der Ereiberg
verlassen mußte. Solche Eiferer wider das Leipziger Interim
wollte August schon damals absolut nicht dulden ; man wollte
nicht an die Vergangenheit erinnert sein. Das geschah zu
Melanchthons Lebzeiten. Noch viel schroffer trat August später
auf. Unter dem 20. Mäi-z 1560 befahl er die allgemeine
Einführung des Corpus doctrinae christianae oder Misnicum i)
in allen Landeskirchen, indem er damals noch die melan-
chthonische Richtung mit der lutherischen verwechselte.
In den schönburgischen Herrschaften, besonders zu Penig,
erhob sich Widerspruch gegen solche obligate Einführung
der melanchthonischen Lehrweise 2). Der Patron AVolf zu
Schönburg wollte sich diesen Befehl nicht gefallen lassen.
Noch allgemeiner wurde der Widerstand, als August am
18. Juni 1566 ein Mandat erließ, in welchem er alles un-
zeitige und unnötige Gezänk und Verdammen untersagte,
widrigenfalls die Strafe der Landesverweisung erfolgen
würde. Dieses Mandat traf eine Anzahl uns auch sonst
bekannter Prediger: Johann Tetelbach, Georg Autumnus,
Josua Opitz in Sachsen, ferner Prediger der schönburgi-
schen Besitzungen, die hier, wie in dem benachbarten
Vogtlande, nachdem sie an anderen Orten vertrieben waren,
Anstellung gefunden hatten. Der sich w'idersetzende Patron,
1) Vergl. Salig, Vollst. Historie der Augsb, Konf. III, S. 219 f.
Wolfs Erzählung findet sich im Cod. 64 der VVolfeubüttler Bibl.
S. 10 SS. Melanchthon verhörte Martin Wolf und David Schäfer.
2) Dieses enthielt die veränderte Augsb. Konfession von 1540,
die Apologie, die sog. Eepetition der A. C, Melanchthons Examen
ordinandorum und Antwort auf die ArticuU Bavarici, endlich: Ju-
dicium de controversia Stancari; latein. Ausgabe 1560; alles auf
Veranstaltung und unter dem Vorwissen Melanchthons.
3) S. Planck, a. a. O., II Buch II, T. VII, S. 526 f.
6
— 82 —
Wolf von Schönburg, erlitt die schwersten Verfolgungen ^).
Als er sich gewissenshalber zu keiner Verdammung der strengen
Richtung verstehen wollte, wurde er gefangen genommen,
nach Dresden gebracht und in ein schmähliches, von Schmutz
starrendes Gefängnis (den sog. „Kaiser") geworfen; dort
erlitt er Monate hindurch eine Behandlung, die ihn bis an
die Pforten des Todes brachte. Er sollte eine die
Vertreibung der „Flacianer" zusichernde Schrift („Ob-
ligation") unterzeichnen. Die Sache lief hoch. Kurfürst
und Kaiser standen auf der einen Seite, den Flacianismus
zu bekämpfen, auf der anderen Seite etliche einflußreiche
Freunde Wolfs. Mit Genehmigung des Kaisers wurden
auch in der Schönburgschen Herrschaft Waidenburg, die
nicht unter August stand, Bartholomäus Kosinus und Martin
Faber verjagt. Der Gefangene unterschrieb zwar, zum
Äußersten gedrängt, am 16. Oktober 1567 jene Obligation,
war aber natürlich aufs tiefste gekränkt 2). Als bald darauf
August selbst umschlug und seine bisherigen Freunde, die
Kryptocalvinisten, verfolgte, hörte auch seine feindselige
Haltiing gegen Wolf von Schönburg auf.
In den schönburgischen Besitzungen war seit dem 3. Juli
1566 eine Landesschule in Geringswalde bei Rochlitz, und
zwar im „Kloster", einem böhmischen Lehen, welches dem
Kurfürsten nicht unterstand, errichtet worden. Der erste
Rektor (zugleich auch der letzte) war M. Hieronymus Hauboid
aus Frankenberg, ein eifriger Mann, der uns auch in Öster-
reich später begegnen wird. Infolge einer von Kurfürst
August durch Kaspar Peucer, Joachim Camerarius u. a. am
13. Juli 1568 vorgenommenen Visitation, bei welcher die
Visitatoren kein Lob verdienen, wurde die Schule „ur-
1) Vgl. Th. Distel, Der Flacianismus u. die Schönburgische
Landesschule zu Geringswalde, Leipzig 1879.
2) Durch seine Unterschrift waren seine Gesinnungsgenossen,
u. a. Cyriacus Spangenberg, betrübt worden. Dieser schreibt am
31. Dez. 1567 an Walduer in ßegensburg darüber. (Reg. Acten»
Eccl. IL Nr. 26 Z. 122).
— 83 —
flatianisch" mit Waffengewalt aufgelöst. Nur durch seine
Abwesenheit entging der Rektor der ihm drohenden G-e-
fangemiahme 1). Der Grund der besonders heftigen Ver-
folgung gerade dieses Mannes waren seine 12 Argumente
(Abhandlungen, 45 Folioseiten groß), die Haubolds Lehr-
weise enthielten, und in denen der Kurfürst und seine
Mandate für tyrannisch erklärt, Melanchthon aber in einem
Punkte der Irrlehre beschuldigt wurde. Haubold entkam
glücklich und war eine Zeitlang Gast des Kosinus in
1) Das Interesse dieses zwischen Camerarius, Peucer (JMelan-
chthons Schwiegersohn und Leibarzt des Kurfürsten), Freihub und
Lycius einerseits, und dem von ihnen auf kurfürstlichen Befehl
förmlich überrumpelten M. Haubold gehaltenen Kolloquiums liegt
in dem Gewicht der Visitatoren. Camerarius und Peucer waren
die vornehmsten Wortführer der gegen Flacius erbosten Partei.
Ihnen gegenüber steht ganz allein der überraschte Schulrektor. Jene
traten von vornherein als Inquisitoren, nicht als Visitatoren auf,
und ohne allen ordentlichen Prozeß und Verhör setzten sie dem
Ärmsten mit ihren Argumenten zu, wobei Peucer sogar flucht, wäh-
rend Camerarius nur gelegentlich ein Wörtlein einfließen läßt und
einmal auch dem Rektor ins Gewissen redet, daß er „den teueren
und wohlverdienten Mann, Philippum" für einen falschen Lehrer
dürfe ausschreien. Den Hauptton gab Peucer an, als es sich um
den Synergismus Melanchthons handelte, nämlich daß der Wille eine
causa efficiens fidei sei („in homine est vis applicandi se ad gratiam").
Alles Einreden auf den Rektor half nichts, man konnte ihm
nicht beweisen, daß Melanchthon nicht gelehrt, was er (Haubold)
in der Disputation behauptet und in seinen Vorträgen vor den er-
wachsenen Schülern der Anstalt gesagt habe. Als Camerarius end-
lich noch auf den Mangel an Liebe, der in der Verdammung Melan-
chthons läge, hindeutete, wies Haubold auf Lutherum, der auch
verdamme. Und als Camerarius erwiderte: „Ihr seid noch lange
nicht Lutherus", sagte der Rektor: „So bin ich ein christ und alhie
ein Schulmeister." Und gleich darauf: „Eur trotz ist nur Philippus."
Nachdem die Visitatoren sich also blamiert, zogen sie jählings
von dannen, nachdem sie auch eines der Argumentbücher (Vor-
träge), die er den Knaben gegeben, vor Haubolds Augen mitgenommen.
Diese Vorträge gaben den Anlaß, die Schule mit Gewalt auf-
zuheben, den Rektor zu verfolgen und das Land einer heilsamen
Schulanstalt für immer zu berauben. (Die ausführliche Darstellung
findet sich nach Haubolds Berichterstattung bei Distel a. a. 0.)
— 84 —
Weimar und Regeusburg. In letzterer Stadt kam er wegen
seines „Flacianismus" mit dem Rate in Kollision und wurde
mit drei Anhängern (Predigern) der strengen Lehre 1574
entlassen; er wirkte dann in Klagenfurt und endlich in
Eferding, an welchem Ort er am 15. Juni 1579 gestorben ist.
Hierselbst hat er die Formula veritatis noch vor seinem Tode
aufo-estellt ^). Wegen seiner strengen Ansichten und flacia-
nischen Sympathien hat dieser Rektor viel üble Nachrede
erduldet, obschon er im G-runde nichts that, als die Lehre
Luthers von der Erbsünde in der von Elacius vertretenen Form
vorzutragen, und zwar so, daß es auch seinen Schülern ver-
ständlich war, worüber der Regensburger Prediger W. Wald-
ner sich in einem Brief an Chemnitz 1572 unwillig aus-
läßt 2). Distel rechnet Haubold unter die Männer, welchen
die lutherische Kirche ihre scharf ausgeprägte Lehrgestalt
mit zu verdanken hat. Er schätzt insbesondere an ihm,
daß er sich nicht „für dem lieben vnd heiligen Creutze,
welches dem klaren Bekentnis der Euangelii immer auff
den Fuß nachfolget, förchtete".
Den Kollegen Haubolds, Jakob Meibom aus Langen-
leuben-Niederhain im Altenburgischen , der als „Cantor"
in Geringswalde wirkte, traf bei der Auflösung des Gy-
mnasiums das Schicksal, ein Jahr lang in schwerer Kerker-
haft zu sitzen. Auch ihn finden wir später nebst einem
der Zöglinge jenes Gymnasiums , Paulus Preuser aus
Thüringen, der Diakon in Eferding ward, in Österreich. Nach-
dem Melhorn allerlei Schicksale wegen seines Antisynergis-
mus erduldet, erhielt er 1582 einen Ruf nach Eferding.
Dies gelang aber nicht, da inzwischen nach dem Tode des
Freiherrn von Starhemberg ein Umschwung in den dortigen
Verhältnissen stattgefunden, wodurch die Flacianer entfernt
wurden. Weiter begegnet uns auch Jakobs Bruder, Benedikt
Melhorn aus Lößnitz, unter den damals Abgesetzten. Er
unterschrieb das „Einfältige Bedenken" in Österreich 1579.
1) Eaupach III, S. 27 f.
2) Vgl. Wiedemann, Gesch. der Eeformation etc. I, S. 402.
— 85 —
Für die Behandlung der Flacianer wichtig ist noch
ein Brief des Johann Tetelbach ^) an W. Waldner, aus
Schwandorf vom 14. August 15G8 2). Er gedenkt darin der
großen Gefahr, in welcher Autumnus in Greiz stehe. Dieser
sei nämlich beim Kaiser verklagt als der Urheber der
Zwistigkeiten, die in Greiz und Umgegend unter den Brüdern
ausgebrochen, weshalb der Kaiser ihn vom Amt zu entfernen
befohlen. Der ältere Baron des Ortes ^), gestützt auf diesen
kaiserlichen Befehl, habe seine Unterthanen angewiesen, ihn
als flacianischen Unruhestifter zu steinigen, falls er in die
Gegend käme, und habe seinem Bruder, d^ m Patron des
Autumnus, gegenüber sich als den erbittertsten Feind aller
Flacianer bezeichnet, weshalb Autumnus am Rande des Exils
stehe. Wir begegnen also in Greiz, d. h. im Vogtlande,
merkwürdiger Weise auch dem gewaltthätigen Eingreifen
Maximilians, welches sich i. J. 1570 wiederholte und
durch August von Sachsen in großem Maßstabe gefördert
wurde. Im gleichen Jahr mußte Herzog W^ilhelm die
strengsten Weisungen vom Kaiser entgegennehmen, alle
Flacianer aus den Grenzen seines Herzogtums zu verbannen,
was abermals August von Sachsen durch Gesandte unter-
stützte. Die Stände Herzog Wilhelms waren nahe
daran solchem Druck nachzugeben und sich gegen
den Herzog zu erheben ^j. Um diese verwickelten Verhält-
nisse zu verstehen, muß man wissen, daß im Vogtlande der
Kaiser Lehensherr war, und August von Sachsen Mitbelehner.
Ferdinand gab seinem Kanzler Heinrich von Plauen das
Lehen Greiz. Da. seine Erben es vernachlässigten, wurde
1) Dieser war 29. Sept. 1566 in Chemnitz nebst seinem Diakon
Georg Autumnus der Lehre wegen des Amtes entsetzt worden.
2) R. A. Eccles. I, No. XXVI, Z. 170.
3) Die hier genannten Barone sind die Vertreter zweier reußi-
scher Linien. Unter den Titulaturen der einen Linie kommt auch
die Bezeichnung vor: dynasta de Greiz. Zwei Brüder Reussen
standen also in diesem Streite gegeneinander.
4) Vergl. den Brief von Georg Autumnus an Gallus aus Greiz
Sonntag Quasimodogeniti 1570. R. A. Eccles. Nr. XL. Z. 18.
— 86 -
es 1569 an den Kurfürsten August abgegeben, und so er-
klärt es sich, daß beide, der Kaiser und der Kurfürst in
jenen Jahren im Vogtlande ein Recht sich aneigneten, auch
über kirchliche Sachen zu verfügen. Interessant dabei ist
aber, wie beide mit Zwang gegen die „Flacianer" auf-
traten und die Entlassung geliebter Prediger durchsetzten.
Autumnus schreibt in dem erwähnten Brief 1570 an G-allus,
daß ihm die Vertreibung unmittelbar bevorstehe laut kaiser-
lichen Befehls, und daß die Verheißungen Luthers, Deutsch-
lands Undank werde gestraft werden durch Entziehung des
Gotteswortes, jetzt sich erfüllen würden. Er und viele andere
Heilige müßten wie Lot aus Sodom davon ziehen, wo Gott
es also wolle, und er sei bereit, eine Berufung nach Steier-
mark anzunehmen, die ihm durch Josua Opitz angeboten
worden war. — Ob nicht doch dergestalt die beiden Fürsten,
Maximilian und August, in den „Flacianern" wirklich die
Frommen jener Zeit verfolgten und ausrotteten?
Die Behandlung der Antisynergisten (Flacianer) in
der schön burgischen Landesschule zeigt, wie verhaßt Flacius
in Kursachsen, welches dem Philippismus huldigte, nament-
lich aber beim Kurfürsten August und seinen Ratgebern
(Camerarius, Peucer) gewesen. War doch Flacius 1570
selbst bei Kaiser Maximilian durch seine Gegner als politisch
verdächtig verklagt^) und seine Gesinnungsgenossen als
persönlich interessierte Gegner der kurpfälzischen Theologen
verdächtigt worden. Alsbald mußte Herzog Johann Wil-
helm und mit ihm seine Theologen, auf Kommando des Kaisers
und Augusts, eine Schwenkung vornehmen, und die Flacianer
kamen nun zwischen zwei Feuer zu stehen, zwischen ihre
früheren Freunde und die gesamte Gegenpartei. Man jagte
sie als Friedensstörer durch das Reich und suchte sich
auf ihre Kosten beim Kaiser und Kurfürst August in
Gunst zu setzen. So erklärt sich auch aus politischen
Gründen der Haß der großen Majorität wider die in die
1) Preger, II, 242.
— 87 —
Minorität gedrängten Flacianer. Daß dieser Haß im Grunde
bis auf die Zeiten des Interims zurückdatierte, steht
fest. August scheute keine Mittel, um Flacius zu vernichten.
Letzterer schreibt unter dem 4. Mai 1569, der Kurfürst
habe von seinen Freunden in Nürnberg seine Briefe erpressen
lassen. Vom Magister Besler in Nürnberg habe der Kurfürst
die Erzählung seiner für die Straßburger geschriebenen Hand-
lungen amtlich abfordern lassen ^). Er suchte nach Stoff, um
Flacius des Verbrechens der beleidigten Majestät anklagen
zu können. Diese Behandlung oder vielmehr Maltraitierung
so geachteter Leute hat etwas für den rechtlichen Sinn
Empörendes : das odium theologicum steckt dahinter, von
allen das schrecklichste. Und was besonders dabei ins
Auge fällt, ist, daß alle jene Verfolgten sich deutlich der
Gründe der ihnen widerfahrenen Behandlung bewußt sind.
Wo sie in die Lage kommen, sich zu rechtfertigen, sagen
alle ohne Ausnahme fast dasselbe aus, sei es in Öster-
reich oder in Steiermark, in Nürnberg oder in Regensburg.
Für alle diese Verteidigungen typisch ist die Ant-
wort Beslers an den Nürnberger Stadtrat vom Januar 1576.
Besler sollte nach Nieder-Osterreich als Superintendent
berufen werden. Er war der Kandidat der „flacianischen"
Partei, die Gegenpartei wünschte ihn fernzuhalten und
verlangte eine ßechtfertigung wegen früherer Anstände,
die er im antisynergistischen (flacianischen) Streite in
Nürnberg gehabt, infolge deren er vom Pfarramt und der
Superintendentur enthoben worden. Dieser bereits im Ruhe-
stand lebende, sonst unbescholtene alte Mann rechtfertigt sich
alsbald folgendermaßen: Er habe nichts anderes gethan, als
gegen die durch die Annahme des Interims und durch die
Adiaphoristen eingerissenen Irrtümer „vom freien Willen,
von gnädiger Rechtfertigung und guten Werken, daß sie
auch zur Seligkeit nötig" Stellung zu nehmen und seine Zu-
hörer davor zu warnen. Diesen Irrtümern habe „Matthias
1) Präger, a. a. Ü. II, S. 305. Regsb. Arch., Fase. 86, N. 179.
— 88 —
riacius Illyricus neben etlichen anderen beständigen Kirchen-
dienern nothalben widersprechen müssen, daher sie denn
von dem Gregenteil und Verteidigern gedachter interimistischer
Handlungen und Corruptelen Macianer genannt und den
Oberkeiten hin und wieder mit Schreiben und Schreien,
mit Sparung aller Wahrheit, Gottesfurcht und Redlichkeit
bis auf diese Stund verunglimpft und die Sache dahin ge-
bracht worden, daß nun alle, so dem Interim und den dar-
aus hergeflossenen Corruptelen widersprochen und sich noch
zur alten unverruckten Augsburgischen Confession und
zum reinen , beständigen, evangelischen Bekenntnis der
Schriften Lutheri halten, Flacianische Secten und Flacianer
sein und als die ärgsten Ketzer verfolgt werden müssen".
Bezüglich der Lehre von der Erbsünde stehe er noch auf
dem Standpunkte der vom Nürnberger Stadtrat verfaßten
„Formula concordiae", die er auch unterschrieben habe i).
Ob diese Streitfragen nun Nutzen hatten? Ganz ohne
allen Zweifel. Die Konkordienformel sagt (Abschnitt 2
p, 654 &.: „Vom freien Willen oder den menschlichen
Kräften"): „Nachdem ein Zwiespalt (über obige Dinge)
nicht allein zwischen uns, sondern auch unter etlichen
Theologen der augsburgischen Confession selbst eingefallen,
so müssen wir vor allen Dingen klar anzeigen, welches die
Controversien unter den Theologen der augsburgischen
Confession gewesen." Darauf folgt eine gänzliche Ver-
werfung dessen, was die Gegner unserer strengen „Flacianer",
also die Synergisten, gelehrt, und die Flacianer werden
vollkommen in ihr altes Recht eingesetzt. Luthers Ansicht
vom freien Willen, wie sie von der Augustana an bis zu
den Katechismen herab (p. 665) gehandhabt worden, wird
streng behauptet, die Gegner dadurch ins Unrecht gesetzt,
und vor allem sein Buch vom unfreien Willen (de servo
arbitrio, gegen Erasmus geschrieben) in den Himmel er-
hoben (p. 668).
1) Vergl. Bibl, Die Organisation des evang. Kirchenwesens
S. 107 (219); a. d. n. ö. Landesarchiv, Fol. 127—128.
— 89 -
Das also haben mit ihrem Zeugniß die Gegner des
Synergismus, die „Flacianer", gethan.
Man pflegt wohl zu sagen, daß dieser ganze Streit ein
Schulstreit gewesen, für die große Masse unverständlich, und
also nicht vor das Volk hätte gezogen werden müssen.
Das ist aber keineswegs der Fall. Die Begeisterung, mit
der das Volk in Thüringen, im Vogtlande und dann in
den österreichischen Ländern bis nach Steiermark und Krain
hinunter sich des Streites annahm, beweist das Gegenteil.
Es sind freilich Unterschiede zu machen bei der Be-
urteilung dieser Streitigkeiten. Unter den Protestanten, die
sich der besonderen flacianischen Terminologie bezüglich
der Erbsünde bedienten, ist wohl zu unterscheiden zwischen
den Gelehrten, wie Irenäus und Cyriacus Spangenberg, und
dem nicht theologisch gebildeten Gros der Anhänger. Das
Gleiche gilt von den sogenannten Accidenzlern, von welchen
auch nicht alle die Sache so tief erfaßten, wie etwa Wigand
und Heshusius. Davon sind auch die Mitglieder des Herren-
und Eitterstandes in Österreich, die Rogendorf, Starhemberg,
Liechtenstein u. a. m., die mit offnen Armen die aus
Thüringen Vertriebenen aufnahmen, nicht auszunehmen.
Die Durchschnittsanschauung der Partei ist mehr nach
den Schriften und Äußerungen der Parteigänger des Flacius
oder seiner Gegner, als nach den Schriften der Meister
selbst zu bemessen. So dachten sich denn die meisten Acci-
denzler die Erbsünde in den Menschen eingetreten als ein
fremdes Element, einen Mangel, eine Schwachheit, ein Ge-
brechen, Neigung, Verderben, qualitas, kurz als ein Accidens,
aber so, daß das menschliche Wesen selbst davon noch ab-
trennbar sei. Anders die Gegner, welche die Erbsünde
derartig vom Menschen Besitz ergreifen ließen, daß zwischen
dem letzteren und ihr kein Unterschied mehr zu machen
sei. Dadurch allein glaubten sie, wider die Pelagianer
und besonders die Synergisten (wie Strigel) sich verwahren
zu können. An die theologisch - wissenschaftlichen Folgen
solcher Lehre dachten sie kaum, sondern bloß an den prak-
— go-
tischen Nutzen, oft auch nur an einen augenblicklichen Er-
folg im Disputieren und in den damals beliebten Rede-
kämpfen.
Dazu kam, daß die Accidenzler auch im kirchlichen
Leben andere Interessen verfolgten. Ihre Lehre ließ erwarten,
daß man die Notwendigkeit der Taufe und überhaupt des
Verdienstes Christi, sowie der Wiedergeburt einschränken
wolle, insofern als dem Menschen noch ein für das Gute
empfänglicher Rest verblieben war. Und so war sie minder
für die tieferregten Zeitgenossen berechnet, die soeben aus
den Banden Roms durch das Evangelium befreit waren.
Diese hatten eine lebendige Sündenerkenntnis und waren
zu keiner Abschwächung der Sünden Verderbnis geneigt.
Wie tröstlich und echt lutherisch klang es , wenn der
Thüringer Jonas Erancus in seiner oben genannten Schrift
gegen Wigand (1574) lehrte: „Wir aber lehren mit der
Schrift und Luther, das des Menschen verderbte Wesen,
Seele, Hertz, Wille, das ist der gantze Mensche die Sünde
thue ; wie David saget : Dir allein habe ICH, ICH gesün-
diget und ICH habe übel für dir gethan, nicht etwas
in meiner Seelen oder Wille. Item wir sprechen:
Meine Sünde sind schwer, sonst werens nicht unsere
Sünde." Es ist also die streng lutherische, fälschlich
flacianisch genannte Lehrweise faßlicher, unerschrocken und
ganz stellen sich ihre Anhänger auf Gottes Wort und
Luthers Lehre und ziehen Kraft daraus in den vielfachen
Gefahren und Leiden ihrer Zeit. Und das tritt nun be-
sonders in den von ihnen geleiteten Gemeinden unter dem
Kreuz in Österreich hervor. Auf Schritt und Tritt wissen
sie ihre Sache mit Citaten aus Luthers Schriften zu ver-
teidigen, im Kampfe wächst ihr Mut. Die Folgerichtigkeit
treibt sie wohl oft höchst auffallende, ja unbescheidene Sätze
in den Streit zu mischen. Aber selbst solche Übertreibungen
dienten immer noch, für die gewaltigen Folgen der Taufe und
überhaupt für den Segen der Wiedergeburt und das Verdienst
Christi mehr und schlagendere Beweise zu bringen, als es
- 91 —
die Gegner vermochten. Auch in ihrer Streitschriften-
litteratur ist mehr biblische Wahrheit und mehr Erbauliches
zu lesen als auf selten der Gegner. Sie sind ferner auch
in der Antithese gegen die Schweizer klarer und auf-
richtiger als die späteren Lutheraner und besonders die
Straßburger (Joh. Marbach) und Württemberger (Andrea).
Vorbildlich ist in diesem Punkte Flacius. Er sagt (1560)
in einer Zuschrift über eine Generalsynode zur Beilegung
der Lehrstreitigkeiten : Über den freien Willen und die
guten Werke habe man bis jetzt mit den Schweizern keinen
Streit gehabt. Es sei eine häusliche Angelegenheit, welche
auf der gewünschten Synode ausgeglichen werden sollte ^).
Die Anhänger des Elacius sind die Frommeren und auf-
opferungsfähiger, wenn auch politisch brutal und unbequem,
wogegen die Accidenzler sich geschmeidig nach oben bewiesen
und Opportunisten im Predigen waren ^). Daher kam es
auch, daß jene bei Maximilian besser gesehen waren. Der
böse Ruf der Unbotmäßigkeit ging den „Flacianern" voraus,
wie wir aus den Regensburger Akten erfahren. So schreibt
der bekannte österreichische Prediger Chr. Reuter im Früh-
jahr 1568 an. Gallus^): „Der Kaiser ist ganz entrüstet über
die, die oben vertriben und in das landt komen : der ge-
fangen Fürst "^j redet übel von uns, die nur ein wenig dem
Illirico anhengig. Unser fromer Herr Victor von Mamming
ist persönlich bei Ime zu presburg gewest; vermeldt, er
höre, es seien etliche flacianische Im Lande, werden nichts
guetts stifFten. Item küns ^) darthun, daß Illyricus soll ge-
leret, die unthertanen heften recht In feilen, ir ordentliche
Obrigkeit abzusetzen. Item er bettet täglich, gott welle
1) Präger II, 93, Anm.
2) Vergl. den Brief Krells an Gallus, aus Laibach, 1. Sept.
1565: Plerique Potentes tum adulati sunt, et Doctores lilcclesiae ob-
mutuerant. (E. A. Eccles. Nr. XXX, Z. 76.)
3j E. A. Eccles. Nr. XXXVI, St. 70.
4) d. i. Joh, Friedrich d. Mittlere.
5) d. h. Der gefangene Fürst könnte es.
- 92 —
In vor dem flacianischen geiste bewaren und vil andere
reden. Der R. K. hat auch den zweien ständen aufgehoben i)
wie man außers lande den flacianischen geschenkhe i;nd
gaben schikhe und hinaufordene ; besonderlichen vermeldt,
wie die landtschafft Illirico sol was verehret haben 2). Wirt
alles erkundiget, volgen reden ^) : gottes wortt wil man haben
und fürdern, aber keine flacianischen, denn sie seind Sec-
tisch und hadersichtig, in ehr und gelt geitzig; es ist Inen
nicht umb die kirchen, Sondern umb das ratthauß zu thun."
Noch ein anderer Umstand kam hinzii, daß die Flacianer
als ganz besonders verlästert vor der Welt dastehen : es
galt nämlich, zwischen Melanchthon und Flacius zu wählen,
und da fiel die Wahl nicht schwer. Selbst solche, die eine
Zeitlang mit Flacius gegangen, wie Marbach, Professor zu
Straßburg ^), Mörlin, Heshusius, Wigand und viele andere
wurden zuletzt seine unversöhnlichen Feinde und schlugen
auf den armen Vertriebenen los, der doch treuer Luther
gefolgt, als einer der Epigonen. Den Vorwand bot die gar
nicht so böse gemeinte Definition der Erbsünde als Substanz.
Es spielte jedoch meist persönliche Animosität, ja Eifersucht
eine bedeutende Rolle, so bei Mörlin und Andrea, auch bei
Musäus und Wigand ^) ; ferner Mißverständnisse, welche
später von den Urhebern (u. a. Heshus) bis aufs
äußerste verteidigt werden mußten ; kurz der alte Satz :
„Oderunt quem metuunt" fand hier eine neue Bestätigung.
Es entstand ein Krieg aller gegen Flacius. Das Feuer
schürten leitende Persönlichkeiten, wie der jüngere Brück
lind der sächsische Kanzler Carlowitz, welche dazu halfen, daß
1) d. h. vorgeworfen.
2) Dies bezieht sich auf die Beiträge zu den Centurien des
Flacius, von denen- die zwölfte 1569 erscheinen sollte, wofür Eeuter
schon seit 1559, wo er 83 Fl. 2 ß 20 pf. an Gallus schickt, sammelte.
(E. A. Eccles. Nr. XXIII, Z. 7).
8) d. h. es folgen dabei weitere Reden.
4) Planck, 1. c. II Buch I, T. V 303, 312, 320, 328, 329, 331.
5) Preger II 32ö ff., 329, 330, 333 f.
— 93 -
das odium theologicum stets unterhalten blieb. Camerarius
vor allen anderen, als alter Freund Melanchthons, haßte
ingrimmig jenen Mann, der es gewagt hatte, Melanchthons
guten Namen anzutasten. Er sieht Flacius auch als schuldig
dafür an, daß 1557 das Wormser Gespräch abgebrochen
werden mußte i), obgleich hier Strigel, Schnepf und Stößel
die Handelnden waren, und überhaupt mehr Kirchenpolitik
als Religion im Spiele war. Die Versöhnungsversuche zu
Koswig würdigt er kaum eines Wortes; statt Liebe trägt
er Flacius Hohn entgegen ; und diese Auffassung vererbte
sich der Nachwelt. Aber noch ganz anc^ere Erbstücke
gingen auf die Nachwelt über: die Loci theologici Melan-
chthons, welche das Lehrbuch im XVL und auch noch zu
Anfang des XVII. Jahrh. bildeten, und durch welche Flacius'
angefochtene Lehrweise von vornherein unmöglich ward.
Noch 1591 gab Polykarp Leyser diese Loci mit Kommen-
taren des Martin Chemnitz heraus ; derselbe Leyser, der in
seinem Briefwechsel, dem gedruckten wie dem handschrift-
lich 1) vorhandenen, eine Hauptquelle über das Auftreten
und Wirken der Flacianer in Osterreich hinterlassen. Er
stand während seiner zweijährigen Wirksamkeit in Öster-
reich unter dem Einfluß seines Stiefvaters Osiander und
des mit diesem eng befreundeten Andrea. Am 30. April
1577 verließ er seinen Amtssitz Göllersdorf in Osterreich mit
einem rühmlichen Entlassungsschreiben des Herrn von Puch-
heim. Kurz vor seiner Abreise verfaßte er ein Gutachten
darüber, wie ein christliches und wohlgefaßtes Kirchenregiment
in Österreich möchte angerichtet werden. Auch von Witten-
berg aus machte er noch Vorschläge, wie der durch die „Fla-
cianer" angerichteten Zerrüttung möchte gesteuert werden.
Dieselben wurden, nach einer gleichzeitigen Nachricht des M.
Lucius, nicht vorgelesen, was eben nicht für die Stich-
1) In der Vita Melanchthons, CVI.
2) In der Hamburger Stadtbibliothek.
- 94 -
haltigkeit seiner Voinvürfe zu sprechen scheint i), Leyser
unterhielt auch später noch sowohl mit Backmeister als
auch mit verschiedenen Predigern in Osterreich eifrige Korre-
spondenz um der Notdurft der Gemeinden abzuhelfen.
Ferner war auch Chyträus, der als Verfasser der öster-
reichischen Agende und als angesehener Ratgeber der Stände
von Nieder-Österreich und Steiermark bekannt ist, ein
Freund und Schüler Melanchthons. Die späteren Eatgeber,
D. Backmeister und D. Becker, standen auf seiner Seite und
sahen alles mehr durch die Brille der Gegner des Flacius an ^).
Andrea, der vielgeschäftige Diplomat und Veranstalter
des Konkordienwerkes, war viel zu schlau, um sich mit
Flacius und auf dessen theologische Sätze tiefer oder länger
einzulassen ; er verfolgte ihn vielmehr heimlich und öffent-
lich. Und so erfuhr schon deswegen die Konkordienformel
eine Abweisung in Österreich.
Daß auch der entschiedene Gegner des Flacianismus,
der Leibarzt Crato v. Kraftheim (seit 1560 am Hofe zu
Wien), seinen Einfluß gegen die strengen Lutheraner geltend
machte, steht zu vermuten. Inwiefern aber der Burgunder
Hubert Languet, jener ausgezeichnete Diplomat und geist-
volle Publizist, der in den Jahren 1573 — 76 am kaiser-
lichen Hof im Auftrage Kursachsens verweilte, im anti-
flacianischen Sinne wirkte, ist schwer zu entscheiden. Sein
Verhältnis zu Flacius wechselt je nach den Umständen. Wir
lernen ihn im Jahre 1555 als im Dienste der Centuriatoren
in Italien weilend kennen, während er zur Zeit des Streites
zwischen Melanchthon und Flacius als entschiedener haß-
erfüllter Gegner des Flacius uns entgegentritt, der selbst den
1) Eaupach, Presbyt., S. 97 f. Mag. Lucius erwies sich auch
später noch Backmeister gegenüber als sehr parteiisch, indem er
die vermittelnde Haltung desselben in einem Briefe an Leyser aufs
häßlichste anschwärzte und den armen Mann in bösen Verdacht
brachte (s. Raupach, a. a. O. Kleine Nachlese, S. 15f.l.
2) Vergl. dazu noch das Rostocker Gutachten der theol. Fakultät
V. J. 1580 bei Raupach, a. a. O. III, S. 1801
— 95 —
Samen der Zwietracht weiter zu säen bemüht ist ^ ). Im
späteren Dienstverhältnis zu August von Sachsen und über-
haupt als Reformierter mag er, der bei verschiedenen Gelegen-
heiten die Parteien zu versöhnen trachtete, den Widerstand
der Flacianer ganz besonders unangenehm empfunden haben ^).
Sein Einfluß auf Melanchthon ging so weit, daß er, nach
einer brieflichen Bemerkung Hotomans an Calvin, ihn sogar
mit dem notorischen Freidenker Sebastian Castellio, Calvins
und Beza's Gegner, zu versöhnen gewußt ^). Auch Calvin
tadelt dies.
Kaiser Maximilian endlich lieh schon a is politischen
Gründen dem Kurfürsten August, des Flacius Todfeind,
gern das Ohr, und so wirkte alles zusammen, daß die
„Flacianer" allmählich allein den Haß aller Gegner des
Evangeliums in Oesterreich auf sich laden mußten. Es
liehen Männer, wie der obengenannte Languet und Lazarus
Schwendi, der vielvermögende kaiserliche Rat und Feldherr,
die Hand, um Flacius nach dem Mißlingen des Altenburger
Gespräches (1568 — 69) dem Kurfürsten August zulieb von
einer Stadt zu der anderen zu verfolgen*). Schwendi
war ein Weltmann, stand bei vielen großen Herren im An-
sehen und wurde zu wichtigen Sendungen verwendet °). Als
1) Preger II, S. 30.
2) Siehe über ihn Geiger, Allg. Deutsche Biogr. XVII, S. 692 ff. ;
Prot. Eealencyclopädie VIII; AVaddington, De Huberti Langueti
vita, 1888.
3) Opp. Calvini, Tom. XVII, 133. Melanchthon schrieb au
Castellio am 1. Nov. 1557. Hotoman sah übrigens voraus, daß die
Lehre von der Prädestination dereinst viel verhängnisvoller werden
würde, als der seit 30 Jahren wütende Sakramentsstreit. Calvin
war darin kurzsichtiger.
4) Preger, II, 306 f.
5) Über Schwendi vergl. den Art. in AUg. D. Biographie von
Khickhohn und Briefe Friedrichs, II, S. 768, und Hopfen, a. a. 0.
S. 108 ff. ; ferner Aretin, Max. von Bayern, I, 209. Berühmt ist
sein Gutachten v. J. 1572 an Kaiser Maximilian. Als letztes Ziel
der von ihm vorgeschlagenen Toleranz stellt er Constantins Verfahren
— Ge-
därm der Streit über die Schlagworte „Substanz" und
„Accidenz", auch mit durch Absetzung der schlimmsten
Kampfhähne, zur Ruhe kam (zu Anfang der 80er Jahre), ent-
stand ein gleichmäßigeres evangelisches Kirchenwesen in
Österreich, welches nur unter den Schlägen der äußersten
Gewalt im folgenden Jahrhundert zusammenbrach.
Wie wäre aber wohl je aus dem österreichischen Pro-
testantismus etwas Rechtes geworden , wenn nicht so
entschlossene Leute, wie jene 1562 aus Thüringen Ver-
triebenen oder jene 1568 — 73 eingewanderten „beständigen
Flacianer" die Predigt von der Unfreiheit des Menschen
und der göttlichen Gnade mit ins Land Österreich gebracht
hätten, also Lebenswahrheiten, um die zu kämpfen es
sich der Mühe lohnte. Sie sind die letzten, die für Luthers
Lehre „vom unfreien Willen" etwas opferten, ja ihre
Existenz dabei in die Schanze schlugen. Als solche nun
hatten sie gegen alle, die zurückblieben, gegen alle, die
auf der Seite Melanchthons gegen Flacius standen, ein un-
auslöschliches Mißtrauen ^). Das mußten ein Chyträus, ein
Andrea, ein Backmeister und Becker erfahren. Auch
den Flacianern zahlte man mit gleicher Münze heim : die
meisten Quellen Raupachs stammen von entschiedenen
Antiflacianern. Solche Abneigung aber ist nicht geeignet
zu unparteiischer Geschichtschreibung.
Jene aus dem Reiche Vertriebenen konnten sich auf
Luthers Schriften berufen und waren in den Adiaphora
keine laxen Interimisten, noch weniger Synergisten und Ver-
dem Kaiser vor Augen, weil jener, wie auch seine Nachfolger, beide
Eeligionen zugelassen, bis Theodosius der Grosse die Abgötterdienste
abzustellen befohlen. (Vergl. Aretin a. a. O. S. 209 Änm 18.)
1) Über die Wucht des Streites geben verschiedene unserer
Briefe Auskunft; z. B. einer an Gallus, geschrieben 156.Ö von dem
Prediger Johannes Leutner über die errores Wittebergensium (Syn-
ergie) und des Maior. Es wurde angesichts der Herren (der Barone)
über solche Materien gestritten. Leutner lernte seine Theologie aus den
Schriften des Irenäus und C. Spangenberg. (E. A. Eccies. No. XXXV,
Z. 99.)
- 97 -
teidiger des Satzes Maior's von der necessitas operum ad salutem.
Sie widerstanden aufs heftigste dem ihnen vom Kaiser und
den Papisten gelegten .Fallstrick, daß man Ceremonien, wie sie
die Adiaphoristen zuließen , in die neue Agende nehmen solle
und perhorrescierten Leute wie Camerarius, Eber, kurz die
Melanchthonianer, die sich zu solchen Kompromissen her-
gaben. Selbst der vom Kaiser Maximilian II. geneh-
migte Chyträus aus Eostock war ihnen als zu nachgiebig
verdächtig.
Gleichwohl standen sie um jene Zeit zwischen 1560 und
1580 als Minorität einer großen Phalanx gegenüber und
konnten sich im Eeiche nur auf die Kirchen zu Regens-
burg, Pfalz-Neuburg, Mansfeld, Wismar und Braunschweig,
kaum noch auf Eostock verlassen. Von den Akademien
waren weder Tübingen noch Leipzig, weder Jena noch
Straßburg, weder Wittenberg noch Heidelberg für sie
völlig zuverlässig, wenn es galt, Stellung zu nehmen in den
Streitigkeiten der Zeit, die auch in Österreich sich reflek-
tierten. In Tübingen herrschte eine durchaus vermittelnde
Eichtung, z. B. dem Osiandrismus gegenüber, welchen die
Württemberger in einem Gutachten Brenzens (v. 5. Dez. 1551)
an den Herzog von Preußen im Gegensatz zu Melanchthon
möglichst schonend behandeln i). Die Anhänger der stren-
geren Eichtung in Österreich machen den Namen Osiandrist
zum Schimpfnamen und bezeichnen die Empfehlung eines
solchen in Lauingen als ein strafwürdiges Unternehmen (z. B.
in dem Briefe Melissanders an die krainischen Stände vom
6. April 1568 und in Cölestins Brief an Nie. Gallus vom
gleichen Datum), während die andere Partei, wozu die Tübinger
dazumal noch gehörten '^) , einen notorischen Osiandristen,
1) Vergl. mein Werk über die Rechtfertigung durch den Glauben
S. 23 f.; Brenzens Leben von Jul. Hartmann im 6. Bande des be-
kannten Sammelwerkes S. 240, und Traub, Ein Beitrag zur Gesch.
des Eechtfertigungsbegriffs in «tud. u. Krit., Heft 3, 1900, S. 465 ff.
2) Tübingen ist überhaupt erst seitdem Wirken von Luk. Oslander
und Erhardt Schnepf, der 1557 auf dem Wormser Kolloquium Me-
— 98 -
namens Yögelin. der aus Preußen vertrieben war, empfiehlt.
Die Tübinger suchten, gewarnt durch Primus Trüber, der,
wie wir sehen werden, einer vermittelnden Richtung an-
gehörte, direkt die Berufung eines Caspar Melissander nach
Laibach zu verhindern, damit ihre Gegenpartei in Inner-
Österreich nicht verstärkt werde. Jene Berufungsgeschichte
Melissanders, über welche die Regensburger Akten ergiebig
sind, hat symptomatische Bedeutung zur Erkenntnis der
religiösen Sachlage. Es sind wirklich schon zwei Richtungen,
die auch in Inner-Österreich aufeinander stoßen. Zu den Lu-
theranern der strengen Richtung, die man unter dem Namen
„Flacianer" zurückzudrängen und anzuschwärzen suchte,
gehört in Krain der mit Gallus in Korrespondenz stehende
Matthias Klombner, seit 1530 Landschrannenschreiber
in Laibach 1) und Hauptvertreter der evangelischen Rich-
tung, weshalb er auch 1562 von König Ferdinand verfolgt
wurde. Dei'selbe wünscht 2), Leute wie Melissander und
Johann Fr. Cölestin, kurz energische Vertreter der evan-
gelischen Predigt, und nicht seichte Schwätzer ins Land
zu ziehen (1568). Auch sonst meldet er Interessantes:
„Ich hab gutes Wissen, das das Evangelium in Ungarn sehr
aufgeht und jetzt in Sclovien 3). Der Herr treibts wo
maus am wenigsten glaubt oder verhofft, und soll in und
durch die Türkei gehn und keines Schuzherrn bedürfen.
Gut ist es, wo maus hat. Wo nit weltlich Schutz und Hilf,
da ist Gott selbst Schutzherr; unter diesem Fandl wollt
ich am liebsten streiten. Ich sterb, so sterb ich Christo.
Der Tod in Christo ist mein Gewinn. Wolt gern erleben
von den Crainerischen mit den schwabischen Teufeln, Sie
werden uneins."
lanchthon entgegentrat und den Abzug der herzogl. Theologen ver-
anlaßte, zur strengen Richtung, die in der Koukordieuformel zum
Abschhiß kam, gelangt. Anfangs stand es recht verschiedenen Rich-
tungen offen.
1) Th. Elze, Trubers Briefe, S. 67, 107.
2) R. A. Kasten D eccles., Fach 2, N. XL, Z. 35.
3) Slavonien,
— 99 -
Letztere Worte zeigen, wie groß die Animosität der
„beständigen" Lutheraner gegen Trubers Anhang und
Tübingen war. Er weiß „keinen Ort, da das Evangelium
Ruhe und Frieden hat. — Sie meinen, oben^) seien sie sichei-,
ist nichts. Ist gleich ein Tanz, allein eine deine Ver-
weilung kommt dazwischen, sonst ist alles ein Teuffl, ein
Hell 2)." „Unter den Türken haben die Prediger mehr Schutz,
als oben oder hier unten."
Neben Klombner wirkte Sebastian Krell, mit Flacius
aus Jena geflohen und durch ihn bei Klombner in Laibach
persönlich eingeführt, ein Freund des Gallus and hoch von
ihm geehrt, ein Mann des Gebetes, der bei aller Leibes-
schwäche auch in der Landschaftschule thätig war ^). Er hatte
den Ständen Melissander empfohlen und fürchtete nichts
mehr als die Saat (progenies) der Adiaphoristen und In-
terimisten ; auch klagt er über den Mangel an passenden
Predigern.
Auf der anderen Seite stand Primus Trüber, der
zu Anfang des Jahres 1564 sich in einem Briefe an
Nie. V. Graveneck des Zwinglianismus verdächtig gemacht
hatte, weshalb Herzog Christoph ihn ermahnte, sich solcher
verdächtiger Ausdrücke zu enthalten'^). Trüber war Vertreter
1) d. i. im Eeich.
2) Klombner ist durchaus nicht optimistisch und kein Freund
der „Halben", wie solche durch Trüber und überhaupt von Tübingen
aus nach Inner-Osterreich befördert wurden.
3) b. Th. Elze, Die Rektoren der krain. Landesschule in Laibach
während des XVI. Jahrh., Jahrbuch d. Ges. f. d. Gesch. d. Prot.
in Österreich, Heft 3 u. 4, 1899. Hier redet Elze sehr entschieden
von jenen zwei Richtungen (besonders S. 119 u. J49), verwechselt
aber nach seiner Weise Luthertum mit Flacianismus, um der guten
Sache in Inner-Osterreich einen gehässigen Anstrich zu geben.
4) Vgl. Laibacher landschaftl. Archiv, Fase. 54 h. Evang. R. S.
Trüber betreffend ex. 1564. Auch Klombner tadelt Trüber eben-
deswegen in einem Brief an Gallus (1568), sowie auch noch wegen
anderer in der windischen Vorrede zum N. T. nachweisbarer Irr-
thümer über Werke, Rechtfertigung, freien Willen etc. (R.A. Eccles.
Nr. XXXVI, St. 25. vergl. Sillem, Primus Trüber S. 14).
7*
— 100 -
einer freieren Richtung und nach seiner Vertreibung aus
Krain Ende Juli 1565, wie Elze sagt, besonders Gegner der
flacianischen, „alle Entwicklung der evangelischen Kirche
und Schule in Krain hindernden Richtung". Man ging
so weit, ihn bei den Ständen in Krain zu verklagen, als
sei er nicht der Augsburger Konfession gemäß, und seine
Kirchenordnung beim Erzherzog Karl anzuschwärzen i) :
eine Beschuldigung, die aber die Stände als unbegründet
ablehnten, indem sie in ihrem Entschuldigungsschreiben
an den Erzherzog sich darauf beriefen, daß sie ihn nie
anders als gemäß der Augsburger Konfession befunden.
Gewiß ist also, daß sich die Gesinnungsverwandten
eines Klombner und Krell und die eines Trüber in Schule
und Kirche stießen 2), und die Berufungsgeschichte Melis-
sanders zeigt uns, mit welchen Mitteln hier gefochten wurde.
Der Prediger Seb. Krell, welcher nach Trubers Vertreibung
aus Laibach (Ende Juli 1565) in die Würde eines Super-
intendenten vorgerückt war, bemühte sich jetzt, an die
durch Budina's ^) Pensionierung 1566 erledigte Stelle eines
Rektors der Landschaftschule seinen gleichgesinnten Freund
M. Kasp. Melissander zu bringen. Kaspar Bienemann (Melis-
sander), um 1537 in Nürnberg geboren, hatte in Jena unter
Flacius studiert und war, wie Krell, seinem Lehrer 1561
aus Jena nach Regensburg gefolgt^); dann aber hatte er
l),Vgl. Dimitz, Geschichte Krains. Bd. II, 4, sowie das land-
schaftl. Archiv. Eel. S. No. 2, 16 zu Laibach.
2) Derartige Gesinnungsgenossen brachten es im Mai 1582 dahin,
daß ihnen von Herzog Ludwig der Professor Dr. Nicodemus Frischhn,
dessen Leben David Strauß beschrieben, überlassen wurde ; im Schul-
kollegiuni in Laibach saßen damals die drei Stadtprediger, Super-
intendent M. Christ. Spindler, M. Georg Dalmatin und M. Felic.
Trüber, welche bei dieser Berufung die Augen zudrückten. S. Elze,
a. a. O. S. 127.
8) Gesinnungsgenosse des Trüber, vgl. Elze a. a. 0.
4) Er wurde vom Rektor Matthias Coler in Jena (9. Febr. 1562)
auf den 4. Mai citiert, um sich zu rechtfertigen wegen der Mitteilung
einer Eechtfertigungsschrift des Flacius an Johann Dürnpacher, welcher
— 101 —
sich nach Tübingen gewandt, wo er 1564 magistrierte. So-
dann wurde er Professor in Lauingen, an jener Schule,
welche Herzog Wolfgang von Pfalz-Neuburg gegründet und
die von 1562—1622 daselbst in Blüte stand i). Diesen
luden die Stände ein, nach Krain zu kommen und er be-
fand sich schon auf der Reise nach Laibach in Regens-
burg, als die Stände, gewarnt durch ein Anschreiben des
Erzherzog Karl, ihr durch Hans Diener, Burggrafen zu
Laibach (damals in Augsburg), mittels Expreßboten vom
23. März 1568 übersandtes Berufungsschreiben widerrufen
ließen. Dieser Widerruf (d. d. Laibach, Ostermontag 1568)
war durch den Freiherrn v. Egk an Gallus gerichtet und
wurde behufs schnellerer Beförderung über Venedig nach
Regensburg gesandt. Vergebens verteidigt sich Melissander
am 6. April 1568 in einem Schreiben an die Stände gegen
die auf ihn gehäuften Ivalumnien, als ob er ein aufrühre-
rischer Geist sei, sofern er gegen die Interimisten, Syn-
ergisten und Adiaphoristen gestritten. Vergebens macht er
geltend , daß er bereits mit seiner ganzen Familie sich
unterwegs in Regensburg befinde. Vergebens sind die
Klagen des Gallus, daß man einen Anhänger des frommen
Krell und der Augsburgischen Konfession verworfen habe ;
vergebens klagt auch Klombner in einem Brief an Gallus
über dieses Vorgehen. Melissander bleibt Österreich fern
— warum? „Etliche Theologen und angesehene Leute
haben vor ihm gewarnt." Er war eben ein Gegner der
damals herrschenden melanchthonischen Richtung. Später,
nachdem er als Professor in Jena eine Rede, die den Titel
„Confessio" trägt, an einem großen Disputationstage, 5. März
ihn dann angegeben hatte und dadurch sich von dem ihm drohenden
Todesurteil befreite. (Vgl. Präger 11, S. 178.) Jene Citation desEektors
findet sich in den ß. A.
1) In Lauingen wirkte auch Pfauser nach seiner Entlassung
aus Österreich 1560 als Pfarrer und Superintendent; er wurde mit
den Professoren der dortigen Schule bald in Streitigkeiten verwickelt
(DöUinger, Reformation 1, S. 440; Raupach, Presbyterologie, S. 140).
— 102 —
1572, öffentlicli gehalten, ergab sich, daß er sich von der
Meinung des Flacius zwar abgewandt, aber weit entfernt
war von dem Haß und dem blinden Eifer der anderen
Professoren 1). Er starb 1591 als Generalsuperintendent
in Altenburg. Sein Symbol war: Mortuus en vivo; auch
war er ein großer Hebräer und Liederdichter. Es scheint
nun, daß, „die etlichen Punkte aus dem Schreiben Karls
an die Stände, betreffend Cölestin und Melissander -y- von
den evangelischen Gegnern dem Erzherzog souffliert worden
sind, wodurch auch wohl Klombners Zornesausbrüche er-
klärlich werden (S. 98). Daß damit dem Evangelium in
Inner-Osterreich kein Dienst geschah, liegt wohl aaf der
Hand. Das Evangelium wird nicht durch Intriguen gefördert.
Wir sind zwar nicht der Meinung, daß durch Be-
rufung von Männern, wie Casp. Melissander oder J. F. Cö-
lestin 3), nach Inner-Osterreich der Sache des Evangeliums
besonders gedient worden wäre. Gewiß waren beide be-
deutende Gelehrte, Cölestin sogar einer ersten Ranges in
jener Zeit, der selbst zwischen Elacius und V. Nuber
(1563) vermitteln sollte"^), der mit Andrea in Lauingen
zusammentraf und über die wichtigsten Zeitfragen verhan-
delte, dann in Jena von 1568 — 72 Professor war. Aber
1) Preger II, S. 361.
2) s. Eegensburger Stadtarchiv, Eccles. XXXV, Beilage zu St.
15. Sie wurden als „auffruerische, Rebellische, vnruebige, aigensinige
eut" dem Erzherzog verdächtigt.
3) Vergl. Klombners Brief an Gallus etwa v. J. 1568. Cölestin
war zeitweilig in Ortenburg; dann von dort vertrieben, war er als Gast
Gundakers v. Starhemberg auf Peuerbach in Österreich und ging später
wieder nach Lauingen und Jena als Professor; er starb in Wien.
4) Vergl. seinen wichtigen Briefwechsel darüber mit Gallus und
Flacius 1563 (R. A. Eccles. XXIII, Z. 114 u. 115.), worin er anfangs
Nuber günstiger beurteilte, um in einem folgenden Briefe doch alles
mehr im Sinne des Flacius zu beurteilen, nachdem sich Nuber sehr
gemein gegen ihn benommen und inzwischen auch der Bigamie be-
zichtigt worden. Er gestattet sich sogar ein freimütiges Wort an seine
zwei Lehrer. — Nuber war em adiaphoristisch und synergistisch ge-
sinnter Prediger im Dienste der Freiherren von Hoffmann in Steiermark.
— 103 —
selbst noch größere lutherische Streittheologen hätten in
jener Zeit und bei jenen Händeln keine Besserung mehr
bringen können. Der bestgemeinte Eifer um die reine
Lehre konnte einer solchen Übermacht des Feindes nicht
dauernden Widerstand bieten. Woran es fehlte, das war hier
wie überall dasselbe — es fehlte an Männern des Gebetes
und des Glaubens, wie Klombner, Seb. Krell und Barthol.
Pica; an Männern, die den rechten Kampf gekannt und
aus innerster Erfahrung gleich einem Luther redeten
und lehrten; Männer, die den Verbindungsfaden zwischen
Regensburg, Graz und Laibach nicht abreißen ließen, son-
dern durch Briefe und Gebet unterhielten. Diese Männer
aber, wider die allein die Jesuiten auch in Inner-Österreich
nichts vermocht hätten, waren, wie sie selbst klagen, in
der Minderzahl, teilweise auch krank oder müde geworden
im Streit 1). Die Älteren wurden alsbald weggenommen
und nicht ersetzt; genug, es ging, wie es Richter 2,
V. 7 — 10 heißt: „Es diente das Volk dem Herrn, so lange
Josua lebte und die Ältesten, die lange nach Josua lebten
und alle die großen Werke des Herrn gesehen hatten, die
er Israel gethan hatte. — Da nun Josua gestorben war,
.... und da auch alle, die zu der Zeit gelebt hatten,
zu ihren Vätern versammelt worden, kam nach ihnen ein
ander Geschlecht auf, das den Herrn nicht kannte." Wie
damals, so auch jetzt.
Treffliche Worte schreibt ein Mann wie der Grazer
Landschafts -Sekretär Bartholomäus Pica an Gallus. Der
erste Brief ist bald nach der Krönung Ferdinands geschrieben,
wahrscheinlich am 6. Jan. 1562 2). ^xiT geben den Brief
1) Auch Krell starb bereits nach dreijähriger Wirksamkeit in
Laibach nicht ohne die schwersten Sorgen betreffs eines der reinen
Lehre angehörigen Nachfolgers (vergl. Brief an Gallus vom 1. Okt.
1567). Er hat einen Katechismus geschrieben und eine Übersetzung
der Spangen berg'schen Postille hinterlassen, welche nach seinem Tode
vollendet wurde.
2) R. A. Eccles. I, Xo. XV, Z. 41.
— 104 —
zur Erleichterung des Verständnisses teilweise in deutscher
Übersetzung wieder. „Was den allgemeinen Zustand der
Dinge anlangt, das hörst du aus den Briefen anderer und
besonders von unserm Rueppius i) reichlich , der neulich
auch über den Fortgang unserer Gemeinden im Einzelnen
geschrieben, und du hast ihm weislich, wie ich selbst ge-
lesen, geantwortet. Sunt sane exigua et infirma incrementa,
adversarii multa iniciunt, desunt quoque idonei Doctores
et pii praecones verbi, nee deessent illi fortassis, si vester
recens per vos coronatus ^) a persecutione tandem desisteret.
Quae et quanta impedimenta Primus Truberus laborari (?) in
ipsis iniciis habet, ex Rueppii literis facile colliges ....
Unser Alter 3) ist ganz vom Alter geschwächt; daß doch
unsere Leute über einen geeigneten Nachfolger denken
möchten. Sed bone Deus, magna est infirmitas nostracium ;
illi Agonothetae^) qui negocium Evangelii audacter urgebunt,
nunc abrepti sunt. Sed vivit Christus qui vigilabit super
verbum et nos oremus .... Doctor Illyricus misit nuper
testes veritatis ^) et alios libellos, quos passim inter pios
distribui .... Grüße bitte ehrerbietig den Illyricus,
welchem ich bei dem schnellen Abgang des Eamulus des
Rueppius nicht schreiben kann, dem ich aber neulich alles
einzelne geschrieben."
Der folgende Brief ist gegen die Zeit der Türken-
kämpfe um Sziget und zwar um Ostern 1566 geschrieben*^);
Rica beklagt zunächst eine schwere Augenkrankheit, von
der Gallus befallen, und giebt ihm sehr seltsamen ärztlichen
Rat. Ihm ginge es gut, aber er sei selten ohne Prüfung
1) Maximilian Eueppius, ein steirischer Adeliger.
2) Kaiser Ferdinand.
3) d. i. unser Prediger.
4) D. i. jene Vorkämpfer, die die Sache des Evangeliums kühn
in die Hand nahmen, sind jetzt von uns genommen.
5) Erschienen Basel 1556.
6) Es ergiebt sich aus diesem Briefe, daß verschiedene Briefe und
auch Schriften von Predigern aus Kärnten, die man dem Gallus von
Graz aus zugeschickt, nicht in seine Hände gekommen. Wir geben
diesen Brief in deutscher Übersetzung (R. A. Eccles. I, No. XII, Z. 81).
— 105 -
und [wünsche auch nicht ohne Kreuz zu leben. Zu den
übrigen Kümmernissen komme hinzu ein kränkliches Alter
und politische wie häusliche schwere Lasten i), „Aber von
dem allem werde ich nicht so sehr erregt, als durch die
Erfahrung, daß, je mehr das reine Wort Gottes hervor-
leuchtet, um so mehr überall Hartnäckigkeit, Sicherheit,
Undank und alle mögliche Grottlosigkeit hervortritt. Die
höchst undankbare Welt wird für solche übermäßige Ver-
gehen zwar späte, aber doch gerechte Strafe leiden müssen.
Ich sehe, daß je näher uns die türkische Tyrannei und
Barbarei tritt, um so sicherer und hartnäckiger die Menschen
bei uns werden. 0, Adamantina coeca pectora!^) . , . .
Wie viele sind ihrer, die solche unverbesserliche Übel er-
wägen und daran denken, wahre Buße zu thun. Alle werden
sie von allerlei Sicherheit und Gottlosigkeit übermannt,
wobei sie alle Ermahnung der Prediger und Männer Gottes
verwerfen. Ich habe gehofft, daß die Regenten Deutsch-
lands nach altem Brauch einen Bußtag ausschreiben würden,
aber davon schweigt alles, auch bei Euren Fürsten und
Vertheidigern der Irrtümer. Überall werden Soldaten aus-
gehoben, Rosse und Wagen werden zum Krieg bereitet,
aber niemand erwägt, woher der Krieg kommt. Sed haec
Deo committenda in cuius manu ista sunt ^) . . . . Nach
dem Tode unseres Alten ist sein Diacon, der mäßig predigt,
an die Stelle getreten und lehrt frei zugleich mit einem
der zwei Feldkapläne. Unsere Herren wünschen, daß noch
zwei jenen beiden Eeldkaplänen zugefügt würden, zur bes-
sern Versehung der Kriegstruppen, aber der Fürst gibt
auf Anreizung der Bischöfe keinen salvus conductus mehr.
Es steht überhaupt noch zu erwarten, auf welche Seite sich
der Sinn des Fürsten wenden werde. Es fehlen unserm
Lande überhaupt nützliche und heilsame Männer in Kirche
und Staat. Ich bitte Gott von ganzem Herzen und in
1) Er hatte damals zeitweilig das Amt eines Quästors.
2) ü, über die Herzen, die blind und härter sind als ein Diamant I
3) d. h. das müsse man Gott überlassen, in dessen Hand dies
alles sei.
— 106 -
heißen Gebeten , daß er solche sende und nach seiner
unendlichen Güte unsere zerstreuten Kirchlein zu Ehren
seines Namens und zum Heile vieler wachsen lasse und
unserer Fürsten Herz lenke, daß sie den König der Ehren
einziehen lassen, und unsere Herzen lenke zum Gehorsam
gegen Gott und zur wahren Frömmigkeit. Amen." Schließ-
lich grüßt Pica die noch am Leben sind von den Bekannten
vind hofft die anderen im Jenseits zu sehen. Auch fragt er
dringend nach Illyricus, dessen die Welt nicht wert sei ^).
Solche Zerklüftung innerhalb einer und derselben Kirche
zeigt, daß nicht viel Gutes für die Zukunft zu erwarten
war, und daß der Fehler in der Vergangenheit lag — ein
Fehler, der nicht recht erkannt und gebüßt worden.
Seit dem Augsburger, resp. Leipziger Interim ist die
gesamte lutherische Kirche aus den Fugen gegangen und
nie wieder zur Reinheit der ersten Zeit Luthers zurück-
gekehrt. Die Konkordienformel bringt Änderung in diese
gelockerten Verhältnisse, und zwar eine Änderung zum
Bessern ; aber sie bringt doch schon mehr ein Bekenntnis
zum Ausdruck, das im Buche steht, einen Kompromiß
zwischen den streitenden Parteien. Daß sie ein frisches,
fröhliches Bekenntnis wäre, wie solches 1530 geschehen
kann man nicht sagen. Ihre Verfasser sind auch ganz
danach angethan, um eben nur solch ein Bekenntnis herzu-
stellen, wie jene Formel.
Blicken wir nach Österreich, besonders nach den Erb-
ländern, nach Ober- und Nieder-Österreich, so ist bei allen
Verkehrtheiten und Ausschreitungen im einzelnen , wobei
1) Ein Gegenstück zu Pica bietet das Lebensbild Caspar Hirsch's,
eines späteren Landschafts-Sekretärs in Graz, welches Gustos Mencik
aus einem in der Wiener Hofbibliothek befindlichen Kalender zu-
sammengestellt hat. Hirsch ist ein unruhiger, nach seiner Vertreibung
aus Graz bald in Württemberg, bald in Österreich ansässiger Mann,
der sich wiederholt wegen Abweichungen im Punkte der Gnaden-
lehre vor lutherischen Kircheubehörden rechtfertigen mußte. Er
huldigte nämlich dem groben UniversaHsmus des Samuel Huber,
imd für ihn waren die Männer der Konkordienformel Prädestinatianer
oder Xeocalvinisten (JB. f. Gesch. d. Prot, in Österreich, XXII. 1, 2),
— 107 —
wir der furchtbaren Erbitterung der aus dem Reiche Ver-
triebenen Rechnung tragen müssen, im allgemeinen folgen-
des zu sagen.
Man ereifert sich in den Streitigkeiten zwischeu
1560 — 1580 doch immer noch über Lebensfragen: Sünde
und Gnade, freier Wille und Gottes Souveränität; über
Adiaphorismus, Majorismus und Synergismus — nicht aber
über Kirchenverfassungsfragen, die man vielmehr, freilich
ohne Schuld der Theologen, allzusehr beiseite ließ. Da-
gegen hatte man eine feine Nase, wo man seitens der dem
Kaiser genehmen Politiker und Theologen mit dem Betrug
umging, „das Babstthum unter dem Namen der Augsburgi-
schen Coufession aufzurichten und zu bestätigen" i). Man
hatte eine noch feinere Nase dafür, wenn unter dem Deck-
mantel des sogenannten „Accidens" die Erbsünde verkleinert
werden sollte. Kurz man fürchtete seine alten Feinde,
die Danaer, auch wo sie Geschenke brachten. Daher der
Streit und die Aufregung, die nimmer zur Ruhe kommen
wollten, bis endlich zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, seit
Matthias' Auftreten, die Protestanten einer relativ ruhigeren
Zeit sich erfreuen durften, und die Gemeinden, besonders
in Österreich unter der Enns, leidlich zufrieden lebten.
Endlich geben wir noch zu bedenken, daß es eine Zeit
war, da die Prediger keine Superintendenten und kein
ordentliches Konsistorium besaßen, was nach dem Toleranz-
Edikt, 1781, der Fall war. Man hatte dem Kaiser Maximilian
den für die Evangelischen höchst nachteiligen Rat gegeben,
sich auf kein Summepiskopat oder Einrichtung eines Staats-
kirchentums einzulassen ; solches geschah durch den Bischof
von Gurk. Maximilian überließ vielmehr die weitere Gestal-
tung des neuen Kirchenwesens den Ständen und beging hier-
durch, wenn er es wenigstens mit den Evangelischen ernst
1) !?. Regensburger Akten Eccles. Kasten D, Fach I, No. XXXVI,
8t. 15: Nie. Gallus an die Stände von Krain in der Melissander-
schen Berufungsangelegeuheit.
— 108 —
meinte , einen großen Fehler ^). Die Stände nahmen die
Sache selbst in die Hand ; es war ihnen nur erlaubt, zur
Leitung ihrer kirchlichen Angelegenheiten Deputierte zu er-
nennen und einen Superintendenten aufzustellen, der aber
nicht die Ordination vornehmen durfte. Hierdurch entstand
im Schöße der Stände eine Behörde, auf welche sämtliche
Bekenner der evangelischen Lehre blickten. Damit aber war
vielerlei Unordnung Thür und Thor geöffnet.
Wir haben im bisherigen besonders die Beziehungen
Thüringens zu dem evangelischen Osterreich im Zeitalter der
Reformation aus den Akten des Regensburger Stadtarchivs
erläutert -) und treten jetzt auf österreichischen Boden hinüber.
Wir wünschen auch hier jene Regensburger Quellen nutzbar
zu machen, ohne natürlich eine vollständige Reformationsge-
schichte geben zu wollen. Wir müssen da zunächst die vier
Herrscher aus dem Hause Habsburg: Ferdinand L, Maxi-
milian IL, Rudolf IL und Matthias, die ein ganzes Jahrhundert
einnehmen (1521 — 1619), in Betracht ziehen. Alle vier haben,
wenn auch nicht gleichmäßig freundlich, so doch auch nie ab-
solut feindselig sich zu den Evangelischen gestellt. Wenn wir
absehen von der ersten Regierungszeit Ferdinands, so hat
keiner dieser Herrscher blutig die Evangelischen verfolgt;
Toleranz haben alle vier zu gewissen Zeiten geübt. Es
wäre gewiß dem Protestantismus gelungen, sich auch in
Osterreich auf die Dauer zu befestigen, wenn nicht in ent-
scheidenden Augenblicken gerade protestantische Fürsten
dem am meisten entgegen gearbeitet hätten ; unter ihnen
besonders August von Sachsen (reg. 1553 — 1586) 3).
1) Wiedemann I, S. 361.
2) Vgl. Zeitschrift für Thüringische Geschichte u. Altertumskunde
Bd. XX. 8. 327 ff., woselbst die bisherigen Abschnitte abgedruckt sind.
3) Bei seinem Tode wehklagten am meisten die am schmerz-
lichsten betroffenen Parteigänger der habsburgischen Politik. Vgl.
„Urteil eines Zeitgenossen über Kurfürst August" im Archiv f. Kunde
sächsischer Geschichte, Bd. VI, S. 218—217, Leipzig 18G8, ed. D.
Karl Weber.
100
Besondere Persönlichkeiten zur Zeit der Reformation
in Nieder- und Oberösterreicli.
A. Die Fürsten.
Ferdinand IA\
Unter den leitenden Persönlichkeiten des Jahrhunderts
kommt zunächst König Ferdinand in Betracht, der Wien
wieder zum Mittelpunkt und Schauplatz großer Ereignisse
machte. Er war für seine Person dem alten Glauben er-
geben und sah mit Schmerz, wie ein Teil seiner Unter-
thanen, besonders der Adel, sich von jenem Glauben ab-
und dem protestantischen Bekenntnis zuwandte. Er duldete
aber die Vei-breitung des protestantischen Gottesdienstes
trotz aller Mandate dagegen und gab selbst seinem Sohn
Maximilian einen Lehrer von evangelischer Richtung, namens
Schiefer (Severus; und diesem folgte 1539 P. Collatinus, ein
Freund des Joach. Camerarius.
Die Vorbereitungen auf eine Glaubensänderung waren
seit dem vorigen Jahrhundert schon im Gange; besonders
die Verderbtheit des Clerus und seine Unwissenheit gaben
den wesentlichsten Anstoß. Häretische Klänge drangen aus
den Räumen der Universität hervor. Es wurden öffentliche
Predigten gehalten, die den tiefen Zwiespalt im Schöße der
Kirche und bedenkliche Angriffe auf kirchliche Einrich-
tungen zu Tage förderten'^). Rasch verbreitete sich durch
Pamphlete die Kenntnis von dem, was in Sachsen und auf
dem Reichstage zu Augsburg, an welchem Ferdinand den
regsten Anteil nahm, geschehen; der Adel neigte nach
Wittenberg^); Ferdinand konnte keinen dauernden Wider-
1) Über ihn vgl. Buchholz, 1831—38, neun Bände. Vgl. auch
die von Friedensburg publizierten Nuntiaturberichte, die über zu viel
Nachsicht gegen die Evangelischen von selten Ferdinand sund Karls V.
klagen.
2) K. Weiss, Geschichte der Stadt Wien, II, 20.
3) Besonders lebhaft waren die Verbindungen zwischen den
Jörgers und Luther. Ein Jörger war Kanzler der Universität
Wittenberg.
— 110 —
stand leisten und nicht einmal verhindern, daß seine
Schwestern Maria von Ungarn und Elisabeth, die Gemahlin
Christians II. von Dänemark, dem Evangelium geneigt
wurden 1). Die Opposition ging aus sowohl von den Land-
tagen seit 1526 als auch von einzelnen Personen 2). Wenn
auch die freie Religionsübung den Protestanten nicht gesetz-
lich zuerkannt wurde, so lag die Unterdrückung der pro-
testantischen Lehre doch noch in weitem Felde. Ferdinands
Politik gegen die Protestanten war, durch die Finger zu
sehen. Besonders seit Anfang der 40er Jahre, wo in Ungarn
1) Von Maria von Ungarn schreibt Melancbthon am 28. Juli
1530 an Luther: „Die Königin steht bei Allen im Kuf größter
Frömmigkeit." D. Job. Henkel mußte in ihrem Namen Fragen
über den Gottesdienst an Luther stellen (vgl. Enders, Luthers Brief-
wechsel, VIII, 151). Spalatin in seinem Tagebuch über den Reichstag zu
Augsburg schreibt 1530 folgendes {p. 413, 27. Juni): „Die Königin
von Ungarn . . . hat ihr bisher ihr Predigt nicht wehren lassen,
sondern soll Kais. Maj. gesagt und verwarnt haben, sich wohl für-
zusehen, damit sie nicht auch von den Pfaffen betrogen werde, wie
ihr Gemahel König Ludwig und ihr Bruder König Ferdinandus von
ihnen betrogen wären ; (412^', 30. Juli) Der Königin von Ungarn
Prediger Henkel sagt ihr viel Guts nach, sonderlich daß sie ....
stetigs ein lateinisch Biblien mit und bei ihr habe, auch auf der
Jagd, und wenn ein Prediger die Schrift nicht anziehe, so suche
sie darnach und rede darumb; (415, 4. Juli) Der Königin Maria
Prediger ist das Predigtambt auch jetzt verboten, wiewohl die fromme
Königin treulich dafür gebetet hat."
Die Schwester Marias, Königin Elisabeth von Dänemark, hatte
evangelische Eindrücke empfangen, da sie bei jener, ihrer altern
Schwester, erzogen war. Nach einem unglücklichen Leben an der
Seite ihres Mannes endete sie damit, daß sie das Abendmahl unter
beiderlei Gestalt empfing. Sie beschloß ihr Leben in der Verbannung
und starb, 24 Jahre alt, in der Nähe von Gent.
2) S. V. Bibl, Die Organisation des ev. Kirchenwesens S. 1 [119] ;
Th. Wiederaann, Eef. und Gegenref. I, S. 85 — 87: Auf dem Ausschuß-
tage der n.-ö. Lande zu Prag 1541 wurde am 13. Nov. eine Bittschrift über-
reicht und dem Landesherrn gesagt, es sei der Landschaft höchstes
herzliches Flehen und demütigste Bitte, S. K. M. mögen bei den
Ordinarien und aller geistlichen Obrigkeit darob sein, daß das heilige
Evangelium nach rechtem christlichem Verstand und der höchste
— 111 —
sich der politische Horizont trübte und er der Hilfe der
Protestanten bedurfte, gab Ferdinand den letzteren nach.
Auch hatte er aus den Religionsgesprächen 1540 und 1541
eine bessere Meinung von ihnen gewonnen^).
Seit dem Jahre 1546 ändert sich die Sachlage. Ge-
schickte Prediger der „alten wahren Religion" werden
dringendstes Bedürfnis. Ein eigentliches Reformationswerk
wird allgemeine Forderung der Zeit^j. Man sah katholischer-
seits ein, daß, wenn nicht eine Reformation ins Werk ge-
setzt würde, alles zu Grunde gehen werde ^). Demgemäß
trachtete Ferdinand für die Hebung des katholischen Glau-
bens etwas zu thun. Er verfügte zunächst, daß an der
Universität die neu zu berufenden Lehrer das „katholische"
Artikel unserer Heilwürdigkeit, als Vergebung der Sünde allein aus
dem Verdienst und Leiden Jesu Christi, und daneben die Liebe des
Nächsten und aller guten Werke als Frucht und gewisse Anzeige
des innerlichen Glaubens geprediget und mit den Geboten Gottes
zu steter rechter Pönitenz, als zu Widerstand der bösen sündlichen
Affecten oder Neigung, auch Danksagung der hohen Gnaden, das
wir allein aus solchem Verdienst Christi von Süud, Tod und Hölle
erlöset und Kinder der ewigen Seligkeit werden; daß auch das hoch-
würdige Sakrament des Altars, denen so aus christlicher Neigung,
wie es im Anfang der Christenheit auf etliche Hundert Jahren ge-
halten worden und noch in vielen Landen gebraucht wird, begehren,
also gereicht werde." Ferdinands Antwort auf diese aus der Feder
von Justus Jonas geflossene Bittschrift entsprach nicht den Er-
wartungen der Stände, und in der von Ungnad verfaßten Schlußrede
nannten sie die katholische Religion geradezu eine Abgötterei.
1) Von 1541 an bemerkt auch Eaupach ein merkliches Nach-
lassen Ferdinands von seiner vorigen Heftigkeit, was aus ver-
schiedenen Gründen abzuleiten, besonders auch daher, daß der
Bischof von Wien, Johann Faber, 1541 gestorben, und Ferdinand
überhaupt mehr Fühlung mit Evangelischen direkt und indirekt
hatten. (Vgl. das Wormser und Eegensburger Gespräch, 1540 — 41,
welch letzteres Faber in einem Briefe an Aleander, 28. Januar 1541,
aufs äußerste perhorrescierte, da er die Gefährlichkeit desselben einsah.)
2) Vgl. Wiedemann, I, S. 87 Note, S. 104 ff., S. 127 Note, S. 135.
3) Vgl. Mauren brecher, Skizzen zur Reformation, S. 274: „Die
prot&stantische Reformation rief eine katholische hervor."
— 112 —
Glaubensbekenntnis abzulegen hätten, und machte für seine
Unterthanen das Studium in Wien und Freiburg obliga-
torisch. Besonders wurde das Studium in Wittenberg ver-
boten (1548). Auch die Lehrer der Partikularschulen mußten
auf ihren katholischen Glauben geprüft werden.
Urban Textor, Bischof von Laibach bringt die Jesu-
iten ins Land. Die Evangelischen sahen in seinem jähen
Ende durch einen Sturz von der Treppe ein Gottesgericht ^).
Ferdinand aber versprach sieb Erfolg von jener Berufung
behufs Herstellung der Autorität der Kirche. Es war dafür
auch seines Erachtens hohe Zeit. Im Landtag saßen nur
mehr 5 Katholische vom Herrenstand. Katholische Leichen-
bestattungen mit Sang und Klang, Prozessionen und An-
dachten der Bruderschaften mußten eingestellt werden, w^eil
die Geistlichkeit in Gefahr war, auf den Straßen beschimpft
zu werden. Es wurden also den Jesuiten Collegia ein-
geräumt, um auf den Unterricht, besonders der Söhne des
Herren- und Ritterstandes, einzuwirken. Kelch, Abschaffung
der Messe, Zulassung der Priesterehen waren so allgemein, daß
das Gegenteil zur Ausnahme gehörte. Interessant ist die
Nachricht, welche Herzog Christoph 2) am 12. Mai 1554 dem
1) S. Eaupach, Presbyterologie, II. Nachlese, S. 92. Valvasor
in seinem Buch „Ehre des Herzogtums Krain", Teil II, S. 664 will
wissen, daß dieser plötzliche Tod des Bischofs durch eine Hinter-
list der Evangelischen geschehen sei, welche in der kalten Winter-
nacht die Treppe mit Wasser begossen , auf welcher Textor aus-
gegütten und sich zu Tode gefallen habe. Raupach nennt dies
eine boshafte Beschuldigung, und ist es doch gewiß nicht aus-
geschlossen, daß jener Fall ein neues Glied an der langen Kette von
Beispielen de mortibus persecutorum bildet. Jedenfalls hätten jene
Übelthäter nicht im Auftrag ihrer kirchlichen Obern also gehandelt.
Flacius Illyricus in einem „Epigramma in foedain mortem Urbani
Episcopi Labacensis" und Wolf gang Waldner haben den Tod des
Bischofs als ein Gottesgericht bezeichnet (s. Eaupach, a. a. O. S. 89
und deutsch-österreichische Litteraturgesch. von Dr. Nagl u. Zeidler,
S. 503).
2) Vgl. Briefwechsel des Herzogs Christoph von Württemberg.
Im Auftrag der Kommission für Landesgeschichte herausgegeben von
Dr. Viktor Ernst, Bd. II, 1553—54.
— 113 -
Kurfürsten Friedrich von der Pfalz sendet, König Ferdinand
habe den Bischöfen, Prälaten und der Landschaft in Ungarn
auf dem ,,Rakosch" ^) zu Preßburg auf ihr „streng und emsig"
Anhalten 1) die Predigt des reinen Evangeliums, 2) die
communio sub utraque, 3) die Priesterehe zugestanden. Die
österreichische Landschaft wolle jetzt diese drei Zugeständ-
nisse auch für sich gewinnen ^).
Den eigenmächtigen Gebrauch des Kelches untersagte zu
gleicher Zeit Ferdinand in seinen Erbländern durch das General-
mandat V. 20. Februar 1554, nahm es aber nach dem Augs-
burger Religionsfrieden, im Jahre 1 556, gedrängt durch Türken-
und Geldnot, zurück. Demnach sollte den Protestanten in den
Erblanden der Gebrauch des Kelches nicht verwehrt werden.
Überhaupt fällt nach unsern Akten in jenes Jahr 1554
eine stärker hervortretende Neigung, den Protestantismus in
den Erbländern zu verfolgen. J. v. Perckhaim, Herr von
Wirting und. Roseneck, ein Adeliger aus Oberösterreich von
hohem Ansehen^ klagt in einem Brief an den Juristen D.
Joh. Hiltner 3) in Regensburg, seinen alten Studienfreund und
Mitglied des Rats (welcher Brief zugleich für Gallus be-
stimmt war) aus Linz vom 15. April 1554 *): „Wasmassn
die K. M. mit ainer landtschafft preceptor ^) In Osterreych
1) Rakosch oder Ragocz wurde in Ungarn das Feld genannt,
wo die Stände ihre Reichstage hielten, und wobei der König in
Person erschien. Lat. : campus coniitiorum Hungariae (S. Hübner,
Staats- u. Konversationslexikon s. v.). Seit 1541, wo Ofen in die
Hände der Türken fiel, war Preßburg die Hauptstadt Ungarns.
2) Vgl. auch Raupach, 1, S. 42.
3) Über ihn s. WiLh. Geyer, die Einführung der Reformation
in Regensburg S. 18.
4) R. A. Eccles. I, Nr. LVIII, Z. 17.
5) Nach einem spätem Brief Perckhaims hieß derselbe Polito (?)
und wird ein guter ehrUcher Mann genannt, welchen die Hauptfeinde
der gottseligen Lehre, die Jesuiten, verfolgen (12. Aug. 54). Dieser
Jörg oder Georg Freiherr von Perckhaim wurde 1508 geboren, und
gelangte später zu hohen Würden : er war 1547 auf dem Reichstag zu
Augsburg, 1555 und 1556 bei der Zusammenkunft der österr. Lande
und der Grafschaft Görz zu Wien. Er starb 1559 als der Letzte eines
uralten Geschlechtes, wie seine Zeitgenossen Schaimburg und Kuenring,
8
- 114 —
vnter der Ens, vmbget vnd durch pischoff von laybach
vnd ain a Josuit ^) handlt, vnd wie die khuaben so 15 Jerig
ler pekhantnus zum thayl vor K. M. on schreckh vnd zum
thayl vor dem pischoff than, werd ler von Andres Wolffn
vernemen, gleychs vals von dem pfarrer zu weyßnpach.
Vnd werdn nun theglich mer gefenckhlich einzogen, wellns
alles auff das pabstumb pringen '^) wies den an Jetz Im rakosch
an die Hunger avich pegert wierdt welich aber sych noch
pis hör 3) ganz cristlich erzaigen vnd In die abgotterey nit
gebilligt, got wel sy erhalten, amen, woln demnach mit
Innerlich petn vnd schreyen zu Gfot, das er sy pey dem
waren cristlichen glauben erhalten vnd sterckhen weil,
wider den theuf 1 und weldt, ist Jemals pet ^) von nott ge-
best so is Jetzund." Im weitereu Verlauf berichtet er ver-
traulich: „Das vnnser etlich (aus Ober-Oesterreich) ein
kleine vnterthenigiste schrifft auff das ausgangen generali
gesteldt, welichs auff khunfftigen lantag merers pedacht vnd
peratschlagt sol werden, dan vns sunst khain gemaine Zu-
samenkhunfft mer gestat wierdt." Dieselbige Schrift möchte
durch Hiltner und Grallus durchgesehen und verbessert werden ;
obwohl er der Meinung sei, daß das ganze Bekenntnis unseres
Glaubens darin stehe, sei solches doch nicht jedermanns Ding.
Er gedenkt daher des weitern, daß sie zuvor zu Prag auf ihren
Knien vor R. Iv. M. ihr Bekenntnis gethan hätten, das im
Druck öffentlich ausgegangen sei 5).
In der Beilage zu diesem Brief erzählt Perckhaim
folgendes: Ein gewisser Paulus, den der Bischof von Lai-
bach auf seine Kosten in Bologna hätte studieren lassen,
der aber heimlich über ein Jahr in Wittenberg studiert,
dann erst über Rom nach Bologna gegangen, hier Doktor
geworden und hernach Priester, erhielt in Wien die Stelle
eines Hofkaplans. Darauf, als die evangelischen Eindrücke
1) Einen alten Jesuiten?
2) zurückbringen.
3) bisher.
4) Gebet.
5) s. Wiedemann, I, 85.
- 115 —
in ihm mächtig wurden, bat er um Urlaub vom Messelesen,
weil er solches nicht mehr könne. Der König gestattete
das, hielt ihn aber gleichwohl am Hofe fest, was jener
nur ungern that. Als nun der Theologe Villinus sich nach
Baden begab, ersuchte er den Paulus, ihn an der Universität
einstweilen zu vertreten, was er that und „paulum ad
ephesios angefangen zu lesen, so gewaltig vnd de pleno ^),
das sich jedermann verwundert. Redt frey heraus trefflich vnd
thuet den sachen recht ; ist schon ein mal vor der K. M. selbst
und zwier vor dem Herrn Hofmarschall In Capitl gebest ^),
hart angeredt wordn, er aber anzeigt, erlesm'chsNeus, Sunder
Paulum ad ephesios, denselbn Interpretier er aus heyliger
schrifft gütlicher vnd biblischer, vnd mit den alten Vetern.
Mag man das nyt leydn, peger er ler K. M. wol In
Zihen lassen, hat vil andwerten^) von Hoffgesindt vnd
landtleuten, der almechtig sterkh In und erhalt In."
Im Postscriptum folgt dann noch die Bemerkung:
„wist das der Doctor paulus das leßambt an der hohen
schuel Nidergelegt hat, hat sein abschiedt pegert, aber
K. M. nit gebn wein, In der meß zu lesen pegeben" ^).
Am 12. August ^) dankt Perckhaim für die empfangene
1) aus der Fülle des Herzens.
2) gewesen.
3) Anwert s. v. a. Beifall.
4) dispensirt. — Über den gleichen Vorgang mit Paul SkaUch,
einem Kroaten aus adeligem Geblüt, berichtet Wiedemanu II, S. 83 ff.
Nach der Darstellung unserer Akten jedoch ist der Kaiser viel glimpf-
Ucher mit ihm umgegangen. Skalich hielt später auch eine öffentliche
Disputation, in welcher er die Rechtfertigung durch den Glauben
verteidigte (August 1557). Die Thesen schickte Eeuter (11. Oktober
1557) als .Aieilige Neuzeitung" an Galius; er nennt ihn einen gelehrten
Mann, „der unser religion lieb soll haben. Gott welle in erhalten
vnd mit dem heiligen Geist vmbschatten durch Christum, Amen."
Obgleich der Kaiser ihm Wien zu verlassen befahl, suchte Maximilian
Skalich noch zu halten (Buchholtz VIII, 223); er mußte ihn aber
endlich ziehen lassen, worauf er später wieder abfiel und nach
mannigfachen Schicksalen in Preußen verschollen ist.
5) E. A. Eccles., No. LVIII, Z. 24.
8*
— 116 —
Antwort und den gottseligen Ratschlag ; er habe solches den
oberösterreichischen Verordneten und Ausschüssen vorge-
bracht (da keine gemeine Landschaft zusammengekommen
sei). Dieselben hätten es für christlich und gut erkannt
und nur etliche Änderungen und Kürzungen vorgenommen,
die er Gallus hiermit zur Kenntnis bringe. Er meldet
ferner, daß die Verordneten (Ausschüsse) mit der K. M.
derzeit sich in keine weitern Verhandlungen (Disputation;
einlassen wollten, sondern daß I. Mt. allein zur Kenntnis
gebracht werde, „das wier bey vnser ersten peckhantnus
peleybni) ynd verharren wein, ob ler M. also durch die
finger zuesech oder des mit der That verfolg 2), was
wier mit gots gnädiger hilfif gwarttn wein." — Ferner
meldet er, daß I. K. Mt. anjetzt den Verordneten der Städte
besonders geschrieben: daß L M. hoffen, es sei nicht aus
aller Städte und Gemeinden Willen geschehen, daß sie im
Landtag in die Sache 3) gewilligt hätten, mit beigefügter
Warnung, sie sollten es sich nicht gelüsten lassen, wider den
Brauch der katholischen Kirche [Forderungen zu stellen] *).
Gemeldete Städte sollen zusammenkommen, und werde sich
Perckhaim bemühen, jenen königlichen Befehl an die Städte
und ihre Antwort zu erlangen und per Boten nach Regens-
burg zu senden. „Den ler Mt. rett^) damit vmbgeen das
sy gern ein Zerthaylung zwischen stendn vnd personen
[anrichten] darzue der teufl gern hülff, hoff aber zu got,
werdt vns pey vnser peckhantnus hinst 6) zu dem endt
diser weit von wegen seines suns Cristi parmbherzlich
vnd gnedig erhalten, Amen, vnd gibt das nit wenig
pefuedrung^) viller Cristlich fuerpit, so mit dem theg-
lichen pater noster geschechn vnd glaub gwiß, daß zu dem
nit khumen wer, wo nit offne gemain pet, fuer uns ge-
1) bleiben.
2) d. h. mit Gewalt abstellen wolle.
3) Freistellung der Religion.
4) Der Satz ist im Original abgebrochen.
5) Räte.
6) bis.
7) Beförderung.
— 117 —
schehen were, der tbeufl feyrt nit, man suecht jetzt vil
rengkh, wie man ein bösen frembdn samen vnter vns strett i).
aber ich hoffet es sol nit gerattn.
Der pfarher zu Weyssnkirchen ligt noch ge-
fangen, gedenkh dieweyl Ro. K. M. an Jetz In pehaim ^)
zihen, daselbst lantag zu halten, mecht zuvor etbas seint-
halben fuergenumen werdn. got erhalt In pey seim wort,
wie ich hoff, es gee sunst wies wel , Er der guet Herr,
wierdt von got reychlich ergetzt werdn und dadurch vil
Cristen gesterckht werden." — Nach einer Bemerkung über
die Türken, die mit den Persern zu thun hätten, fährt er
resigniert fort: „Es khan vnd wiert pey vns nit vil gluckh
sein, die weyl vnsere Heybter ^j wider rain wordt gots sein
got peckher sy oder wer^) In ler vorhaben, Amen.''
In einem folgenden Brief an Gallus aus Linz vom
28. August 1554^) schreibt Perckhaim: „Ich khan, euch nit
verhaltn das der theufl noch vns hefiftig zürnt, vnd leugt ^)
wie sein ardt ist. Vor verrugkhung ^) der Ro. K. M. zu
Wien sein abermals 3 arm pfarher gefangen worden, alain
das sy das sacrament des altars In bederlaj gestaldt gebn
habn, die lign noch gefangen. So hat man Im landthaus
mit pebiligung der obrigkhait, auff dem sali ein freye sing-
schuel gehaltn wordn, die haben allain aus heyliger schrifft
gesungen, vnter andern von den getzen^) aus dem 6. Capitl
Baroch, auch ein wenig den pabst augeruert, wie die sing-
schuel ain endt genumen, sein sy von stund an der K. M.
anzaigt worden, vnd die 2 singer gefengklich angenumen,
vnterrist In Kherner thuern geworffn^) daselbst lign sy
1) streut.
2) Böhmen.
3j Häupter.
4) wehre.
5) R. A. Eccles. No. LVIII, Z. 25.
ü) lügt.
7) Vor der Abreise.
8) Götzen.
9) zuunterst in den Kärthner Thurm geworfen — ein damaliges
Gefängnis.
- 118 -
peschwerlich vnd zu pesorgn mueßen ain spot leydn, die
weyl sy frembt vnd nit peckhandt sein, got lielff In aus
not, vnsere Canzler sein vleysig, unser Herr wierdt In lern
verdeintn Ion geben, in dem sy hoffen, der sol In aufF den
deinst wartn, wo sy sich nit pekhern vnd bues thain i)."
Nachdem er die Eroberung der Festung „Siget"^) durch
die Türken beklagt hat, fährt er fort : Wier habn wenig
gluckh, vnd wein vns nit pessern, sunder das wort Je lenger
Je mer verfolgen; vnsern Canzlern ist gleych wie den
wiedtenden pluethundten, wan dieselbn ainmal des wilpretz
genossen, so khan mans nimer dauon Entwen 3), also den
Vervolgern auch. Grot peckher sy oder wer Innen, umb
seins heylign namens wiln, darzue soln wier petn, wie ler
Hern schreybt, aber (wir sind) leyder gotloß vnd faul, dan der
alt adam wer gern frey, vnd ist vast schwach, got geb sein
gnadt zu aller pesserung. — ich hab euch Hern zuvor pey
Valthan puechfuerer ^) geschriben, man hat Sy wein pe-
suechn vnd was gefundn wer worden, lutheri, puceri ^).^ vnd
Zwingli, vnd was derselben scribenten anhang, wern alle
zu nemen, vnd In die regierung gen wien zu schickhn.
Damit weren die armen puechfuerer vmb Ire puecher vnd
In grossen nachtl ^) pracht wordn, also hat man das mitl
gefundn, das sy mit all lern puechern wegkh zihen, des sy
wol zufriden gebest die weyls doch zu dem khumen isf)-
In die Regierungszeit König Ferdinands gehört auch
ein wichtiges lateinisches Schreiben des Georg Sigismund
von Dietrichstein (dessen Linie in diesem Jahrhundert aus-
starb) an Gallus aus seiner Burg Hollenburg vom 10. Dezember
1) Buße thun.
2) Ein fester Grenzort gegen Steiermark und Krain, womit
der Zugang dorthin frei geworden.
3) entwöhnen.
4) Buchführer = Buchhändler.
5) Bucer.
6) Nachteil.
7i Die Buchhändler zogen gern fort, nachdem die Aussichts-
losigkeit ihres Bleibens sich dergestalt zeigte.
— 119 —
15571). Er dankt zuerst für die freundliche Geneigtheit,
mit welcher Gallus seine geringen Verdienste um die Kirche
wertschätzt und wünscht nur, daß seinen guten Absichten besser
entsprochen worden wäre. Denn was gäbe es Köstlicheres?
in diesen unglücklichen letzten Zeiten als den Eifer, die
wahre Religion zu behaupten? Wie selten finde sich der
Glaube, der durch die Liebe thätig ist und in ihr erkannt
wird, auf Erden. Und dazu komme, daß bei dem besten
Vorhaben doch meist die Majorität die bessere Minorität
besiege (ut maior plerunque pars meliorem \äncat). Denn
es sind sehr viele, die mehr dem Namen nach als mit der
That Christen sind. Solche geben sich au ihren Früchten
zu erkennen, indem sie mehr das teure Vaterland, die
geliebte Gattin und Kinder als das fromme Leben schätzen,
welches des Kreuzes, der Verfolgung, der Trübsal in der
Welt, wie der Apostel zeugt, nicht entbehren kann. So
bedroht auch Christus, mit der Wurfschaufel in der Hand,
die Sünder und droht, nicht den Frieden, sondern das
Schwert und zwar das zweischneidige, welches Herz und
Nieren durchdringt, zugleich mit dem Feuer zu senden, von
welchem Er wünscht, daß es bereits brennen möge 2). Daher
erheben sich jetzt Deutsche gegen Deutsche und üben
unerhörte Grausamkeit gegeneinander. Ebenso in Frank-
reich, Italien, Spanien und den Niederlanden sei Krieg und
Kriegsgeschrei: „Donau, Rhein und Po sehe ich vom Blut
gefärbt. Wie viel Blut der Christen, das beste und teuerste
von Europa und Ungarn, ist schon geflossen, und dazu
kommen Pest, Hungersnot, Schwert, welche unsere Provinzen,
entblößt vom menschlichen Schutze, in diesen Jahren ertragen
mußten 3). Und doch giebt es so viele, die nicht wissen
1) E. A. Eccles., I, Nr. XV, Z. 42. Er war der Bruder Adams,
des bevorzugten Freundes des Kaisers.
2) Die Meinung ist: Xeben dem Evangelium, das nicht genug
brenne auf Erden, werde Christus jetzt die Gerichte schicken.
3) Ao. 1542 kam eine ungarische Gesandtschaft nach Regens-
burg, um Hilfe wider die Türken zu erflehen.
— 120 —
wollen, daß der gnädige Vater im Himmel damit uns strafen
wolle, oder es aus Pharisäismus sich selbst zu verheimlichen
suchen. Der König wirft auf uns, wir dagegen auf unsern
König alle Schuld an solchen Übeln. Wer aber läßt vom
Bösen in seinem Dichten, Trachten oder Handeln ?" Der
Briefschreiber beklagt, daß die Furcht vor den Türken
weder bei Hoch noch Niedrig die rechte Gottesfurcht, die Buße
und den Griauben an Gottes unendliche Langmut und Barm-
herzigkeit fördere. Gewohnheitsmäßig thue man seine Pflicht.
Dazu kommen die königlichen Edikte (impia principis pub-
lice promulgata edicta) , die gegen das ewige Testament
des Sohnes Gottes und den alten Brauch der wahren katho-
lischen Kirche und der frommen Väter verstoßen, indem
sie das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu nehmen ver-
bieten, den Häretikern wie den Schismatikern i) gemeinsame
Strafe auferlegen und den alten katholischen Brauch mit
„profanen" Worten zu verdammen wagen, ohne zu bedenken,
welche Strafe jener wartet, die eines Menschen Testament
aufzuheben suchen. Aber der die treuen Kinder Abrahams
behütet, die für die wahre Religion gern und mit Freuden
Schmach und Verdächtigung ertragen und Gott mehr als
den Menschen zu gehorchen pflegen, schläft nicht. Darauf
fährt er fort:
„Alsdann aber, wenn wir in den Krieg ziehen müssen,
so ist es unbegreiflich, mit welchem Stolz und hoher Ge-
bärde solches geschieht, wobei selten oder nie Gott ange-
rufen wird, mit dem Erfolg, daß wir uns und das unsrige
(indem wir mehr auf die eigene Waffe als auf die gött-
liche Allmacht vertrauen) der türkischen Übermacht der-
artig in die Hände liefern, daß unsere Provinzen bereits
der Verteidiger bar und ledig sind. Und während wir
von Haß und Bürgerzwist entflammt sind, hat es der
Türke leicht, das Vaterland (nachdem Ungarn und fast
ganz Illyrien schon eingenommen) mit gewaltigen Heeres-
1) Griechisch-Katholischen.
— 121 -
massen zu überfluten, die Männer von ihren Weibern
zu trennen, die Kinder an der Mutterbrust zu töten und
alles mit Feuer und Schwert zu verwüsten. Und wenn
dann unter solchem Schrecken Grottes zu den Waffen ge-
eilt wird, so ergreifen wir im Handumdrehen die Flucht,
verlassen die Fahnen und können die Unseligsten aller Sterb-
lichen, die gefangenen Christen, nicht befreien Dabei
werden uns und den unsrigen alljährlich Steuern auferlegt,
von denen zu wünschen wäre, daß sie dem gemeinen Wohl
dienten, aber, wie die Sachen stehen, uns nur dem Unter-
gang näher bringen. Wenn dann jemand aus wahrer
Vaterlandsliebe für das öffentliche Beste iasjenige, was
offenbar zu tadeln und nur von dem höfischen Anhang
(aulicis) belobt wird, mißbilligt und ohne Schmeichelei den
Zorn Gottes als die wahre Ursache hinstellt, von dem heißt es,
daß er sich des Majestätsverbrechens schuldig gemacht. Und
das geschieht von solchen, die niemals besonders Lobens-
wertes gethan und durch Schmeichelei und andere böse Prak-
tiken wohl oder übel reich zu werden trachten. Diese und
andere unzählige Dinge, die brieflich nicht wiederzugeben sind,
liegen mir mehr am Herzen als die noch so schlimmen persön-
lichen Sünden, die ja der Vergebung unterliegen, falls nur
nicht darin beharrt wird, wie der königl. Sänger sagt ^) •
Der Gerechte fällt siebenmal, aber der Herr hilft ihm wieder
auf. Aber eben das Beharren in der Sünde oder die Ver-
heimlichung und Leugnung, die doch im Widerspruch mit
dem eigenen Gewissen steht, — das alles verdient Tadel
und Strafe. Auch ich habe vielfach die Gewalt und
Macht Satans erfahren, seitdem ich zur Besinnung ge-
kommen, besonders aber, seit ich, was etwa vor 4 Jahren
geschah, eifrig in den heiligen Schriften studiert und mein
Leben nach ihnen zu führen unter Gottes Hilfe mir vor-
genommen. Jetzt aber bleibe ich fest: wenn auch die
Welt unterginge, so würde ich, im Vertrauen auf Christi
1) Spr. 24, 16.
— 122 —
Hilfe und befestigt durch den Trost des heiligen Geistes,
unerschütterlich bleiben. Ich weiß, daß man unserm Könige,
dem Vaterland, der Gattin, den Kindern, den Brüdern und
Freunden alles Gute, Ehre und Treue nur insoweit zu
geben schuldig ist, daß man dabei nicht die ewige Freude
und Seele, die man bereits vorlängst Gott befohlen, ver-
liere. Ich trachte den Fußstapfen Jesu Christi des Ge-
kreuzigten nachzufolgen, soweit es menschliche Schwachheit
vermag, die sich dabei auf die allergewissesten göttlichen
Verheißungen verläßt, und wünsche, sobald es sein heiliger
Wille sein wird (welchem ich den meinen immerdar unter-
ordne), abzuscheiden und bei Christo zu sein und mit der
unverwelklichen Krone der Gerechtigkeit gekrönt zu
werden, welche (wenn ich den Lauf vollendet und Glauben,
der mit Liebe und Hoffnung verbunden, gehalten haben
werde) mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter,
geben wird i). Denn wir müssen alles Irdische, falls wir
wahre Christen sein wollen, für Dreck achten, auf daß wir
Christum gewinnen 2j, und dafürhalten, daß die Leiden dieser
Zeit nicht wert seien der ewigen Freuden, die Gott denen
bereitet, die ihn lieben, und welche kein Auge gesehen,
kein Ohr gehört und die in keines Menschen Herz ge-
kommen 3j. Denn nicht sind die zu fürchten, die den Leib
zwar töten und die irdischen Güter mögen rauben, aber
die Seele nicht zu töten vermögen, wohl aber Der, der
Leib und Seele verderben mag in die Hölle*).
Zum Schluß weist der Briefschreiber auf die dreimalige
Versuchung Christi nach der Taufe, die auch uns von der
Taufe an bevorstehe, die wir aber ohne des Sohnes Gottes
Hilfe, den zu hören uns die göttliche Stimme anweist,
nicht überwinden werden. Er entschuldigt sich darauf
wegen seines langen Briefes und citiert endlich noch den
1) Phil. 1, 23; 2. Tim. 4, 8; 1. Petr. 5, 4.
2) Phil. 3, 8.
3) Rom. 8, 18; 1. Cor. 2, 9.
4) Matth. 10, 28.
- 123 —
Spruch: Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit ^j;
und ferner: Der Herr kennet die Seinen; und: Es trete
ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen Christi
nennet 2). Hierauf versichert er Gallus seines nie endenden
Dankes für alle ihm erzeigten Wohlthaten, besonders für
seine Fürbitte und hofft einmal ihm noch mit der That seine
unauslöschliche Dankbarkeit beweisen zu können.
Nach dem Rücktritt Karls V. von der Regierung
1556 eröffneten sich für Ferdinand die Aussichten auf die
deutsche Kaiserkrone, und er mußte bestrebt sein, den
Religiousfrieden aufrecht zu erhalten und die Protestanten
für sich zu gewinnen. Dies wurde noch dringender, als
der Papst sich gegen seine Nachfolge im Reich erklärte.
Schlosser (Weltgeschichte, XIII. 304) sagt: „Der Papst
fand bei seiner Ablehnung Ferdinand's an dem letzteren
und besonders an dessen Sohn Maximilian II. Fürsten,
welche seinem päpstlichen Rechte die Lehre des Evan-
geliums entgegensetzten." Und Schlossers Meinung wird
durch die neuerlichen Forschungen Sickels einigermaßen
unterstützt. Wie es zunächst am päpstlichen Hofe selbst aussah,
zeigt eine Differenz zwischen dem Kardinal von Medici
und dem Protektor Germaniae, dem Kardinal von Augsburg.
Der für den erledigten päpstlichen Stuhl in Betracht
kommende Kardinal von Medici war für weitgehende Zuge-
ständnisse an die deutsche Nation, eventuell an Kaiser
Ferdinand willig zu finden '^).
1) 2. Cor. 3, 17.
2) 2. Tim. 2, 19.
3) Sickel, Zur Geschichte des Concils von Trient S. 17.
F. V. Thurni, kaiserl. Orator, an den König Maximilian Rom 11. Okt. :
Mon sagt das der cardinal de Äledizi mit dem von Auspurg ver-
traulichen geret hab und gesagt, waer guet das mon einen pabst
erwelet, der der Tayzen (Deutlichen) gemiet erkenet und der sich
nit sprayzen sei, die communion sub utraque zu bewiligen, auch das
die priester elich Weiber nemen mechten ; mit dem würdt man das
concilium paldt enden, solches sol der von Auspurg den andern
cardinalen geöffnet haben, welche den Medizi angesprochen und von
— 124 —
Unter den von Sickel ^) aufgezählten Anklagepunkten,
die Papst Paul IV. gegen Ferdinand erhob und deren Reihe
das Überhandnehmen des Protestantismus und Maximilians
Häresie, sowie die stillschweigende Gestattung des Kelches
eröffnet, findet sich u. a. auch dieser, daß an verschiedenen
Orten mehrfache Konvente und Versammlungen auf Fer-
dinands Befehl gehalten wurden, auf denen in Sachen des
Glaubens und der Religion ohne richterliches Dazuthun
(sine auctoritate) des heiligen apostolischen Stuhls und ent-
gegen wiederholten, dem Nuntius gegebenen Versprechungen
verhandelt worden sei. Vom Passauer Vertrag (1552) an-
hebend, dann zum Augsburger Religionsfrieden (1555) fort-
schreitend, wird alles Ferdinand zur Last gelegt, was gegen
Rom beschlossen. Ferner daß das Religionsgespräch zu
Regensburg 1557 durchging, sei Ferdinands Schuld gewesen,
der damals seinen Bruder Karl V. vertrat ; ebenso das im
selben Jahre folgende Wormser Gespräch 2), auf dem über
Glaubensartikel ohne päpstliche Autorität verhandelt wurde ;
endlich der 1558 über die Einigung mit den Protestanten
verhandelnde Reichstag zu Frankfurt sei wiederum Ferdinand
zur Last zu legen.
Zu diesen nicht geringen Anschuldigungen gesellt sich,
in italienischer Sprache, als 12. Klagepunkt ^j folgender :
Seine Majestät toleriere, daß dieser offenbar ketzerische
Pfauser seinem Sohne predige, wobei die Gefahr bestehe.
hue wissen wollen, ob er solches geredt hab, des er wie ich vernimb
uit verredt hat, wiert ime aber nit von jedermann zum besten aus-
gelegt, aber den cardinal von Auspurg in der gemam lobt man nicht,
das er solches geöffnet sol haben. (Der Kardinal von Augsburg
hieß Otto Truchseß von Waldburg, seit 1543 Bischof von Augsburg,
als Kardinal Protektor der deutschen Nation, ein dem alten Glauben
eifrig ergebener Mann.)
1) Sickel, a. a. O. S. 29: aus einem Briefe Thurms an den
Kaiser, d. d. Rom, 20. Januar 1560.
2) Hier vertrat der versöhnliche Bischof Pflug von Naumburg
den Kaiser, der dem Papst anstößig, aber auch Maximilian nicht ge-
nehm war.
3) Sickel S. 35.
— 125 —
die Reinheit der Religion dieses Prinzen zu verderben und
der ganzen Welt Ärgernis zu geben. Darauf folgt eine
13. Klage über die lutherischen Professoren, von denen die
Wiener Universität voll sei , über den Druck und Ver-
kauf ketzerischer Bücher und darüber, daß ein gewisser
Musler ^) in der St. Stephansschule den Katechismus Luthers
erkläre ; endlich daß in Pfausers Hause ein Zufluchtsort der
Ketzer sei.
Als 18. Klagepunkt endlich 2j erfolgt:
Man habe Seiner Maj. mehrmals die Bosheit und Ver-
derbtheit der folgenden Ketzer wissen lassen, nämlich
Sebastian Fabbrus (Faber), ehedem Pfarrer in Hamburg,
jetzt Pfarrer in Haimburg 3), Albertus, Pfarrer in Pillerstorf,
Christoph Rosintaler, Pfarrer in Cornaumburg (Korneuburg),
Johannes Essingherus, Pf. in Haslentin aus der Passauer
Diözese, Sebastian Egranus, öffentlicher Zwinglianer in
Krems, Matthias, regulierter Kanonikus in Pruc (Bruckj,
Leonhard Villinus 4) , Paulus Schalik (Skalich), Georg
Musler und Sebastian Phauser, und läßt sie gewähren, trotz-
dem er offenbar Wien und das ganze umliegende Land von
der Bosheit dieser Leute angesteckt sehe.
Daß wir die Gefährlichkeit der schon seit den 50er
Jahren geübten Toleranz Ferdinands für die Intentionen
der päpstlichen Kurie begreifen, ist selbstverständlich.
Villinus erzeigte sich 1564 als Vertrauensmann Maximilians,
1) Thomas Mauer erwähnt Georg Musler oder Muschler, der
auch mit Melanchthon korrespondierte, in der Beschreibung emer
ßeise nach Österreich und sein Bruder Marcus Mauer gedenkt seiner
als eines auch von Maximilian für seine Kinder als Informator ver-
wendeten evangehsch gesinnten Mannes ; er war 3 mal Rektor an der
Universität. (Jahrb. der Ges. f. Gesch. d. Prot. 18, 37; Raupach II, 133.)
2) Sickel, S. 37.
3) In N.-Österreich, wie auch die in der Folge erwähnten Orte.
Über Faber vergl. Wiedemann II, 330.
4) Villinus ließ, wie oben erwähnt, Skaüch 1557 für sich an
der Universität lesen, wodurch er beim päpstlichen Hof sich ver-
dächtig machte.
— 126 —
welcher unter Berücksichtigung der Augsburgischen Kon-
fession populäre Schriften verfassen sollte zur Herbeiführung
einer Union zwischen Katholiken und Protestanten. Er wie
Skalich, Staphylus, eigentlich auch, wie wir bald sehen
werden, Gr. Cassander und G. Wicel, gehörten zu jenen
Theologen, die überaus zahlreich, auch in Böhmen, ver-
breitet und der Kurie gefährlich waren, weil sie ihr das
Wasser abgruben. Sie waren den Protestanten schon 1541,
auf dem Regensburger Grespräch^ stark entgegengekommen i) :
sie suchten alle „einen Platz an der Sonne", d. h. eine
evangelisch klingende Lehre mit päpstlichen oder doch
adiaphoristischen Ceremonien. Daher kam es, daß das
Interim in Rom ein decretum nefarium, bei den Protestanten
eine verwerfliche declaratio Caesaris hieß. Aber also er-
klärt es sich auch, daß jene Genannten Zugang erhielten
bei Ferdinand, zugleich aber die Verdammung der Kurie sich
zuzogen . welche ihnen durch ihr mächtigstes Werkzeug,
den Jesuitenorden, die Bahn verlegen ließ und sie zwang,
von solchen Idealen abzulassen und in die rauhe, d. h.
päpstliche Wirklichkeit zurückzukehren.
Im Zusammenhang mit diesen päpstlichen Anklagen
gegen Ferdinand erhalten nun die folgenden Briefe unserer
Akten erst ihre rechte Beleuchtung.
Um diese Zeit, am 22. Juli 1557, schreibt J. von Perck-
haim an Gallus über Ferdinand: „Ihre K. Maj. seindt ein
weyl gar vast schwach gebest, aber Got lob ist's pösser worden.
lerer K. M. prediger^) greiffen je länger je mer Mächtig
1) Die „gefhekte Notel" über die Eechtfertigungslehre gefiel
selbst Melanchthon, Bucer und Calvin, nicht jedoch Luther; sie
wurde auch von Cassander in seiner „Consultatio" wieder vorge-
bracht: „Die Protestanten irren, wenn sie nur eine Sündentilgung,
aicht auch eine Erneuerung des inneren Menschen durch die Ge-
rechtigkeit annehmen, die Wandlung des Gottlosen in den Gerechten."
2) Damit ist Pfauser gemeint, Maximilians Hofprediger, den
er im Frühjahr 1560 ziehen lassen mußte. Über Pfauser ist der
Bericht Blahoslaw's wichtig (bei Gindely, Quellen zur Geschichte
der Böhmischen Brüder in Fontes rerum Austriacarum, Abth. II,
— 127 —
die abgottereyen an, haben wider das fest Corporis Christi
ein gewaltige predigt than (Randbemerkung: „gesagt, nenn
es ein trug") die dem hohen potentaten ^) nit gefalen, das
er also grob predigt hat. Jedoch acht ers nit, ist nit
ein Starkher man, ist gar vertreglich, darff wol auffsehens,
damitt Im nit ain Venedigisch supl geben werdt 2). Sunst
haldt die K. Maj. hoch ob im, sunst het er längst muessen
herhalten und unter der Jesuiter Joch muessen, die hat
das spil ausgemacht. Got pehuet (behüt) In vor Inen.
A (Amen)"=^j.
Neben Pfauser erwähnen die Akten Bischof Urban
von Gurk. Über denselben, den nachmaligen Hofprediger
Maximilians, haben wir reichlicher Quellen als früher, und
zwar aus den römischen Akten, welche Sickel erschlossen.
Er dachte, ganz ähnlich wie viele der Edelsten, auch
unter den Bischöfen deutscher und französischer Zunge,
an eine Reformation der Kirche, die auch vor dem Papst
nicht Halt zu machen habe. Er trat entschieden für den
Laienkelch ein ; späterhin war er dem Canisius und dem
venetianischen Gesandten Mocenigo, August 1558, ver-
dächtig. Der letztere wünschte, daß der Kaiser dem
Bischof von Gurk bessere Ansichten vorzutragen empfehlen
sollte. Kurz er vertrat an Ferdinands, wie später an
Maximilians Hofe eine weitherzigere Anschauung, mußte es
aber erleben, daß er zuletzt keiner von beiden Parteien
genehm war, indem sein bestes Wollen verkannt wurde,
weshalb er 1568 um Entlassung aus dem Dienst in Wien
einschritt und dieselbe auch wirklich von dem Kaiser er-
Bd. XIX, S. 126). Meines Erachtens ist Pfauser bisher noch nicht
richtig beurteilt worden. Von ihm sagt Eeuter (März 1557) : er
predigt ziemlich, aber viel geht ab. Er tadelte später besonders
seinen Wandel (1565).
1) dem König Ferdinand.
2) vergl. bei Diemitz (Geschichte Krains II, S. 274) die „walisch
Suppen", vor der sich Primus Trüber fürchtet, und Eaupach II,
132, wonach die Jesuiten Pfauser nach dem Leben getrachtet hätten.
3) K. A. Eccles. I, Nr. XV, Z. 44.
— 128 —
hielt ^). Seiner milden Gesinnung hatten sich nach seinem
Weggang aus Wien die steirischen Stände zu erfreuen, denen
er eine große Kirche in Aussicht stellte 2). Bischof Urb an
zu G u r k 3) predigt — wie Herr von Perckhaim berichtet ■ —
zur Zeit Ferdinands gegen die Mißbräuche der alten Kirche,
— allein er will noch nicht recht daran mit der Vermeldung,
was die Abgöttereien seien. Er muß gemach thun: „denn
K. Maj. noch khain recht wissender ist, Gott aber sey lob,
daß I. M. nuer mügen davon hören, — es wiert von Tag
zu Tag pesser werden, — dafür solen wir peten." Für
Ferdinand beteten die Evangelischen eifrig. Am 26. Mai
1558^), zwei Monate nach der Proklamation Ferdinands zum
römischen Kaiser, schreibt Perckhaim, daß unter Ferdinands
Tode die allgemeine Lage Deutschlands aufs äusserste
leiden würde. „Demnach ist Beten hoch von nöthen".
Auch daß sein ältester Sohu Maximilian fast ausschließlich
mit entschiedenen Anhängern des Protestantismus verkehrte,
mag auf den alternden Vater nicht ohne Eindruck geblieben
sein. Die auf- und ab wogende Erbitterung gegen Pfauser
zeigt, wie ihm die Sachen zu Herzen gingen ^). Im Jahre
1556 war es, daß Maximilian durch seinen Prediger Pfauser
Melanchthon Fragen von 11 strittigen Religionsartikeln zu-
gehen ließ, welche Ferdinand seinem Sohne vorgelegt hatte ^).
1) S. Hopfen, Kaiser Maximilian II, 61 ff., 309.
2) Loserth, a. a, O. S. 124.
3) Man vergl. aus früheren Zeiten die Stellung des Bischofs
Bonuomo von Triest, die in noch ganz anderer Weise eine der
evangelischen Bewegung freundliche war.
4) R. A. Eccles I, Nr. XVIII, Z. 24.
5) S. Reimann, a. a. O. S. 9—16 in Sybels, H. Z., VIII, 1.
6) Nicolaus Selneccer hat die Antwort Melanchthons heraus-
gegeben, 1567, Leipzig, unter dem Titel: „Bericht auf ettliche ge-
meine haubtfragen und Obiectionen der Papisten, u. a. von den
fürnembsten stücken der streitigen artickel gestellet durch P. Melan-
chthon." Diese Antwort findet sich auch unter den Consil. germ. Mel.
S. 448—489. Vergl. Corpus Ref. IX, 699—723. Abgedruckt bei
Horawitz, Wien, Abhandlungen der Wiener Akademie, 1874, p. 307.
— 129 -
Viel weitgehender ist die merkwürdige Mitteilung, daß
der Kaiser durch seinen auf dem Siechbett liegenden
Hofprediger (Citardus?) ermahnt worden sei, nicht wider
den Stachel zu locken, indem er selbst sich Gewissenbisse
mache und von der Wahrheit überführt worden sei. Der
infolgedessen an Luther gerichtete Brief findet sich in
der Regensburger Sammlung und bei Raupach. Solche
Gerüchte sind nicht verwunderlich, wie denn selbst von
Karl V. das Gerücht ging, er sei evangelisch gestorben.
Melanchthon in seinen L. V. Epp. p. 729 erwähnt dieses
Gerücht. Man soll scharf gegen die Umgebi'ng Karls nach
seinem Tode verfahren sein. Wie dem auch sei, Kaiser Fer-
dinand muß innere Kämpfe gekannt haben gegen das Ende
seiner Regierung. Er wurde nachgiebiger und gestattete,
um das Ärgste zu verhüten, allerlei Nachlässe ; besonders
wurde vom Kelch Gebrauch gemacht bis in die Klöster
hinein. Am 15. Juli 1561 schrieb Christoph von Württem-
berg an Kurfürst Friedrich III. einen Bericht darüber,
was der Kaiser dem Erzbischof von Salzburg und anderen
Bischöfen jenes Gebietes geschrieben und fügt hinzu : „Und
wa dem also, so were zu hoffen, die K. M. möchte noch
vor ihrem Ende ain wenig von Luther schmecken."
Nicht ohne Eindrücke von der reinen Predigt des Evan-
geliums waren ja auch Franzi, von Frankreich und sein Hof i),
ferner Katharina von Medici, von deren Aufrichtigkeit die
Pfälzer Gesandten auf dem Religionsgespräch zu Poissy
1) Florimond de Eemond, Hist. de la naissance et progrfes de
l'H^rfeie (deutsch von Aegidius Albertinus, München 1614), 1. VIII,
cap, 16, p. 10431. erzählt, wie man sich am Hofe der Psalmen
Marots bediente, wie Heinrich II. für Psalm 42 Vorliebe hatte und
Franz I. selber sie vor seinem Tode las. Auch Katharina von Medici
schätzte jene Psalmenübersetzung; ihr evangelisch predigender Beicht-
vater Boutellier erinnert sie an jene ernsteren Zeiten am franz. Hofe
und beschwört sie, der Wahrheit nicht zu widerstehen. Wir werden
auch hier in eine Zeit der Erweckung eingeführt, aber alles wurde
durch Weltlust und hoffärtiges Leben erstickt.
— 130 -
und Kurfürst Friedrich selbst sich zeitweilig überzeugt
hielten 1). Der Hauptvorwurf freilich, den solche laue
Freunde den Evangelischen machten, war die Uneinigkeit
derselben, während das feste Vertrauen auf die Einheit der
römischen Kirche sowie deren politische Unterstützung
sie beim alten Glauben festhielten. Auch in Bayern hat
diese menschliche Berechnung nach längerem Schwanken bei-
getragen, den Herzog Albrecht V., Ferdinands Eidam, dauernd
wieder an das römische Kirchenjoch zu fesseln. Er ver-
folgte sodann das Evangelium in seinem Lande und in der
Grafschaft Orten bürg 2).
Ein Ereignis aus Ferdinands Zeit zeigt, welche gerechte
Haltung er auch in Konflikten der Römischen mit den Evan-
gelischen bewies. Aus einem Briefe Christoph Reuters aus
dem Jahre 1557 an Nie. Gallus^) ist folgendes mitzuteilen:
. . . Vnd gibe E. E. darneben mit freiden zu uernemen,
dz sich meine herrn, herr Leopold grabner, herr lienhartt
kirichperger, herr Achatz Eneckhel ietz gar wol vnd christ-
lich küen vnd dapffer in der bekentnus reiner leer gehalten
haben. Also dz im gantzen Lande vnd noch ferner er-
schollen ist, ia der König selber verwundertt, Und ist also
zuegangen. Sie haben ein Baß odr Mumen verheiratt einem
herrn von Neideckh, welcher ein bäbstler ist, vnd etliche
Brueder zu hoff hat, die was gelten. In der Ersten Wer-
bung gaben sie sambt der muetter im zur antwortt, die Junck-
fraue war ein Christin. Vnd damit er sie aber in keiner
ketzerey vnd schwermerey verdenckhe, so geben sie Ime
zu verstehen dz sie sey der Augspurgerischen Confession,
1) Briefe Friedrichs des Frommen von Khickhohn, I, 225, 276.
2) Vergl. über letzteres noch besonders Verhandlungen des
histor. Vereins für Niederbayern [Landshut 1894] 30, 1—44 f. Sehr
zutreffend drückt sich im allgemeinen über die Lage im Deutschen
Eeiche auch aus Lamprecht, Deutsche Geschichte V, 2, S. 609 ff.
Schlosser, W.-G. XIV, S. 36 und Aretin, Maximihan I. von Bayern,
Bd. I sind noch immer beachtenswert.
3) Regensburger Akten, Eccl. I, No. XV, Z. 12.
— 131 —
vnd derselben lere verwant. Dabey gedenckhs mit gottes
Hilffe ewiglich zu bleiben. Der herr von Neideckb gab
zu antwortt, was das soll hindern, er sey willens auch
solche lere anzunemen, vnd nicht die wenigste vrsach, dz
er daher heirat, in bedenckhung, dz ir muetter so gar ein
christliche fraue sey. Darvon hoffe er was zu lernen, mit
verhaissung, er wolle die guette Junkfraue in irer religion
gar nicht hindern noch in gewissen beschweren, man sol
nicht so arge ding von Im gedenckhen, sondern im besseres
trauen. Nach langen bedenckhen verehelicheten sie ime die
Junckhfraue. Und am Suntag vor Laurenti hielten sie ime
die Hochzeitt in der Statt S. Polten, in dem königlichen
Hauß. Da war ich prediger vnd pfarrherr, abents prediget
ich vnd gabs zusamen in Versammblung eines großen Adels
in die 12 tisch nur herrn, frauen vnd Junckhfrauen, darunter
war vil hoffgesindts; nach endung der predig, da war das
feuer im Dach, da war ein singen vnd sagen von der
predig. Ich und meine herrn schwigen, doch hieltens vil
mit uns, aber des hoffgesindts war zuvil, der breuttigam
vergaß seines zusagens, vnd zu morgen frue rotteten sich
die hoffjunckhern zum breuttigam vnd beschlussen, sie weiten
kurtzumb die Braut in das Kloster füren zu einem Hoch-
ambt vnd Meß. Der breuttigam gebott der brautt mit ernst
sagende, ir gehört mir zue, ir müest mir gehorchen. Aber
die braut war bestendig, vnangesehen daß der beyschlaff schon
war geschehen vnd sie erinerte in seines zusagens, die braut-
fürer weiten sie nur immer hinführen, sie wolt aber kurtz-
umb nicht.
Letzlich waren meine Herrn vnd andere Christen als
die freundt zu ratt vnd Namen die brautt vnd fürten sie
an den ortt da man Abends hatt geprediget, trutz allen teufein
and scharhansen. Da hätt einer Wunder gesehen , was
Christen waren, volgeten der brautt nach, da prediget ich
unerschrockhenlch, papisten, mamuluckhen, Heichler volgeten
dem bräuttigam in das Closter zu der Meß, vnter dem war
ein alter Mamuluckh Herr Jörig von Mäning, Hoffmeister
9*
— 132 —
üewesen, ietz im Caminerratt, der hatt ein Christliche Fraue
ein geborne Eneckhlin, ist die, die die große anfechtung er-
litten hatt, vnd E. E. vorm Jar ein trostgeschriflft durch mich
geschickht haben. Ist bey vns bliben, ein sehr Christliches
Weib. Nach der predig erhueb sich ein lermen. Der von
Mäning saget er wolt sein weib einmauren lassen, wo sie
sich nicht bekeret, aber das weib war bestendig. In dem
saget er, wo ich zu Ime kam wolt er mir hend vnd füesse
binden vnd in das wasser werffen. Item fraget herumb am
tisch waz ich wertt war, als der, der einem weib vnd kind
verfüret vnd vom gehorsam zöge. Da gab gott gnad, das
nicht vil personen an demselben tisch waren, die Im recht
gaben. Ja meine Herrn schützen mich beide mit wortten
vnd daß ich vnbeleidiget daruon kam, gleichwol war niemants
noch da, der mich antastet.
Solches kam von stundt am viertten tag für den könig,
der sol gesagt haben, Mich wundertt, daß sie solches So
öffentlich derffen thuen. Etliche meiner Herrn freund sagen,
der könig halt allein ietzunder stil, weil das Reichskriegs-
volckh 1) herunten ist, damit nicht ein lerrmen ins reich
käme. Gott waiß was noch drauff volgen wirtt. Wolan
Gottes wil geschehe. Also wissen E. E. wie es vns her-
unden gehet."
Inwiefern die besten Absichten Ferdinands, sich den
Anmaßungen des Papstes zu widersetzen, von seinen Dienern
durchkreuzt wurden, zeigt die Huldigungsrede Scipios v.
Arco an Papst Pius IV, (1560). Dieser Arco erkühnte sich,
in seiner Anrede aus eigener Bewegung dem Papste den
Gehorsam des Kaisers zu versprechen ^).
1) d. h. Kriegsvolk aus dem Reiche, unter dem viele Prote-
stanten waren.
2) Es geschah dies auf Andringen der päpstlichen Umgebung.
Damit hatte er den Kaiser schwer kompromittiert und bekam dies
auch von demselben zu hören (vergl. die Depesche vom 14. August
bei Sickel, Aktenstücke zur Gesch. des Conc. Trid. p. 580). AUe
Schriftstücke über diese Obedienzleistuna; Ferdinands sind verloren
- 133 -
Im Jahre 1564, also in seinem Todesjahre, war Ferdi-
nand, offenbar auf Antrieb Maximilians, noch ernstlich auf
eine Union in der Lehre zwischen Protestanten und Römi-
schen bedacht und hatte G. Wicel nebst G. Cassander \) beauf-
tragt, eine dazu dienende Schrift abzufassen, die aber Maxi-
milian bei seinem Regierungsantritt wohlweislich beiseite
legte. Näher dem Ziele gekommen war die Gestattung des
Laienkelches, welche Ferdinand, im Verein mit seinem
Schwiegersohn Albrecht von Bayern, mit aller Entschiedenheit
auf dem Tridentiner Koncil durchzusetzen bemüht war, und
welche durch ein Breve des Papstes Pius IV. vom 16. April
1564 erfolgte. Der Papst wußte sich nicht anders zu helfen,
als daß er den Kardinal Morone, einen gewiegten und ge-
mäßigten Diplomaten, nach Wien schickte, um die Sache im
Sinne Roms bei Ferdinand zu begleichen. Ahnungsvoll
schreibt der Grazer Sekretär Barthol. Pica am 3. April 1564
(also 11 Wochen vor Kaiser Ferdinands Tode) an Gallus:
„Der Legat des Papstes Moronus wird binnen kurzem
nach Wien zum Kaiser kommen, um das zu Trient mühsam
Zusammengestoppelte durchzusetzen (peracturus negocium.
Tridenti consutum). Parturiunt montes Prodibit Chimera
multo deterior INTERIMO, d. h. die Berge gebären; es
wird eine Chimäre hervorgehen, die viel schrecklicher ist
als das Interim."
Pica ermahnt dann seine Regensburger Freunde, fest
zu widerstehen, ohne Rücksicht zu nehmen auf der bösen
Welt schrecklichen Unglauben. In der That war die
Einführung des Laienkelches nur von kurzer Dauer. Für
uns ist bei dieser Klage von Wichtigkeit die Vergleichung
zwischen dem Tridentinum und Interim, welche beide den
Völkern in der That Wunden geschlagen, deren Heilung
gegangen (vergl. Sickel, a. a. 0. p. 38). Nur die Rede Arcos ist
vom Regensburger Stadtarchiv der Nachwelt aufbewahrt worden.
Wir bringen dieses denkwürdige Aktenstück im Anhang.
1) Kathohscher Theolog, der wie Wicel eine versöhnliche Hal-
tung zwischen den Parteien einnahm.
— 134 —
auch den besten Bemühungen der geistlichen Ärztezunft
nie gelingen wollte i).
Als ein den Evangelischen nicht geradezu Abgeneigter
ist in den letzten Zeiten Ferdinands auch der Kanzler
Johann Ulrich Zasius, der Sohn des berühmten Freiburger
Humanisten, zu nennen. Dieser doppelzüngige Mann galt bei
den päpstlich Gresinnten wohl gar für evangelisch ^j. Zasius
war bereits auf dem Colloquium zu Worms 1557 zugegen
und auch den Pfälzern wohlbekannt 3). J. von Perkirchen
schreibt an Nie. Gallus aus Linz am 18. Oktober 1557 4):
„Hie ist die Sag, wie der Doctor Zasius sag: das
Colloquium zu wuermbs ^) sey zertrent , vnd sol füer-
gebn, das Melanthon die höchst Vrsach sein solle, des
ich, wo dem also, von Hertzen erschrickh, pesorg, es
sey vmb das lieb theysch Vaterlaude geschehen vnd möcht
wohl vmb die zeyt sein, wie Cristus sagt: Mainstu, wan
des menschen son khomen wirdt, das er glauben werde
finden ? Dan war die sag, sol Melanthon khein Widthauifer %
1) Beide berührten sich auch in der Rechtfertigungslehre. Die
PubUkation der Tridentiner Beschlüsse war aber vorläufig in Öster-
reich untersag-t und blieb solches auch unter MaximiUan II., weshalb
das Anathema auf alle Häretiker, mit welchem das Tridentinum auf
Antrag des Kardinals von Lothringen schloß, vorerst in Österreich
noch keine Giltigkeit hatte.
2) Wiedemann, a. a. O. I, S. 360 ; vgl. eine andere Beurteilung
bei Hopfen, a. a. 0. S. 102.
3) Was er 1566 auf dem bekannten Augsburger Reichstage
dem verklagten Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz in den Weg
legte, hat uns Kluckhohn in der Lebensbeschreibung jenes Kur-
fürsten, S. 466, aus dem Münchener Staatsarchiv mitgeteilt. Er steht
hier ganz auf Seiten der Stände der Augsburger Konfession und
fürchtet von einem Überhandnehmen des calvinischen Geistes nur
eine Verschlimmerung des Üliels und lauter Unruhen gleich wie in
Frankreich, ja eine Unterdrückung der „A. C- Verwandten". Seme
UnZuverlässigkeit beklagen die Briefe der Pfälzer (s. Kluckhohn, I,
S. 631 und 639).
4) Nach den Regensburger Akten, Eccles. I, No. XV, Z. 18.
b) Worms.
61 Wiedertäufer.
- 135 —
Sacramentharrier, Ossiander vnd dergleychen sectierer nit
wein verurteln Sonder einn Jeden zu seinem glauben pleyben
lassen, also würdt gar khain wäre gewisse religion sein,
Sonnd all seylig werden, Juden, Heiden, türckhn vnd
Cristen ; das khan nit sej-n. Der guette Melanthon vertraut
seinem hohen Verstandt zu vil ; wo dem also ist, mecht des
lieben seyligen Man M. Lutero weyßsagung i), an Im erfüldt
werdn vnd .... (?) Er hat In das Interim gebilgt vnd
helffen zu machen, das ich Ime ja nit vergunnen wolt, dan
er je vil guetz an der rechten waren khirchen erpaut hat,
got wel Im helffn vnd sein Erparmbenn, amen."
Dieser Brief Perkirchens zeigt uns das große Inter-
esse, welches der hohe Adel in Österreich an allen Zeit-
begebenheiten nahm. Selbst die augenblicklichen Kämpfe
zwischen Frankreich und Spanien, in welchen Heinrich IL
(1557) besiegt wurde, erregen seine Hoffnung, daß nun die
„Christen" in Frankreich aufatmen würden. Am meisten
aber interessiert ihn natürlich die Lage der Evangelischen,
die gerade damals sowohl in Steiermark als auch in Oster-
reich zufolge der versöhnlicheren Haltung Ferdinands sich
günstiger zu gestalten begann. In diesem Zusammenhang
ist Perkirchens Urteil über den Abt vom Kremsmünster 2)
wichtig, welchen er dem Gallus schildert als einen Prälaten,
der „auch gern säch das ordentlicher vnd christlicher zue-
gang, als geet". Er rühmt die feine Schule des Abtes, an
welcher derselbe gegen 100 Knaben „und gemainigkhlich ge-
lerte Leyt, die die Jugend ziehen", habe. Er nennt ausdrücklich
als früheren Schulleiter den Nicenius, „so jetz zu frangkh-
fuert In der zusamenkhunfft gebest ist" ^j. ,,In Suma er
1) S. o. S. 15.
2) Gemeint ist Gregor Lechner (1543—56), der die Schule im
Jahre 1549 zu einer öffentlichen umgestaltete (d. h. zu einem Gym-
nasium). Vergl. den Art. von D. Schiffmann im 59. Jahresbericht
d. Mus. Francisco-CaroHnum, Linz 1900, „Das Schulwesen ob der
Enns etc.".
3) Gemeint ist der Frankfurter Fürstenkonvent, 1557, auf den
ihn sein Landesherr mitnahm, nachdem er in Wittenberg ordiniert
worden und in Thüringen ein Amt erhalten hatte.
- 136 —
lest sy die knaben auff khain abgeterey weyssen, Jedoch
bleybt er ein abt." Perkirchen habe noch vor kurzem mit
ihm geredet, da habe sich der Abt, der ziemlich alt, ent-
schuldigt, er wisse nirgends hin; „sol er dem Cluster etbas
entfuern ^j, wer auch nit guet. In Summa ist Im allain
vmb erhalthung lebens vnd leybs zu thain, ist sonst ain
erbarer man, der den armen gern hilfft, auch ein gueteu
Verstandt hat, aber was hilifz zu dem ewigen".
Diese Briefstelle gewährt einen tiefen Blick in die wahren
Hindernisse, auf welche das Evangelium überall in diesen
Ländern trotz der aller Anerkennng werten Bemühungen
Ferdinands traf. Und so scheiden wir im Innern versöhnt
von dem hochgestellten Fürsten und wenden uns zu seinem
Sohn Maximilian.
Maximilian II.
Während Ferdinand ein deutliches Bild dem Geschichts-
schreiber hinterlassen, ist die Schwierigkeit, Maximilians
Bild zu zeichnen, ungleich größer. Das Jahr seines Re-
gierungsantrittes 1564 macht einen Einschnitt, der freilich
nicht zu Gunsten Maximilians spricht. Bis 1562, d. h. bis
zur Wahl zum römischen König, hatte Maximilian es leichter,
seine evangelischen Neigungen auch im Widerspruch mit
dem Vater zur Geltung zu bringen. J. von Perckhaim in
einem Briefe an Gallus, vom 5. Juni 1558 2), [^^ (Jes Lobes
voll über ihn. Zunächst klagt derselbe über den jetzigen
Bischof zu Wien und dessen neues Vorhaben, die wahren
Lehrer aus Osterreich zu vertreiben: „hetzt die Khay. Mt.
auff hefftigist darzue vnd Kay. Mt. glaubn Im mer als
vnnserign, Sol auch on (?) die Kh. wierdt (Maximilian) nit
wol zufridn sein, halten vast an das ler Kh. W. von der
Neuen lehr lassn solen, aber ler Kh. W. sein vnuerzagt
pey dem waren wort zupleybn, vnd wein ler Kh. W. mit
1) d. h. zum Schaden handeln.
2) R. A. Eccles., No. XVIII, Z. 17.
- 137 —
geduldt durch gots Hilff alles leyden, was der lieb gut
schikst, dem ers peuielicht i)." Diese gute Meinung über
Maximilian basierte auf seinem Entgegenkommen, das er
seit dem Jahre 1555 und ebenso auf dem jüngst 1558 ge-
haltenen Landtage in Stellvertretung des Kaisers bei den
Verhandlungen mit den Evangelischen gezeigt hatte, wovon
die Akten im ß.-A. vorliegen 2). Damals war es überhaupt
noch leichter, sich über den Parteien zu halten, da die
Unterscheidungslehren noch keineswegs festgestellt waren
und die Römischen bis in die Zeit des Wormser Gesprächs
(1557) ein gewisses Entgegenkommen zeigten, um sich
mit den Protestanten zu verständigen, wie solches auch
der Wunsch Kaiser Ferdinands und besonders Maximilians
war. Es herrschte namentlich bei den Katholiken noch eine
große Verwirrung in den Ansichten, welcher erst der Ab-
schluß des Tridentiner Koncils (1563) ein Ende setzte.
Wichtige Glaubenssätze harrten lange der dogmatischen
Feststellung. Außerdem hatten damals die Protestanten die
Beweise für ihre religiösen Meinungen weit besser ausge-
bildet als die Katholiken ; die Bibelstellen, auf welche sie
sich stützten, nahmen auch solche gefangen, die der alten
Kirche treu blieben ^).
Notorisch ist Maximilians Verkehr mit Christoph von
Württemberg 4j und anderen evangelischen Fürsten, so auch
mit Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz. Von ersterem ließ
er die Werke eines Luther, Melanchthon und Brenz sich
schicken. Von einer ganzen Bibliothek lutherischer Bücher
1) befiehlt.
2) Eccles. I, No. XVIII, Z. 25, vergl. im übrigen Hopfen,
a. a. O. S. 30.
3) E. Reimann, Die religiöse Entwickelung Maximilians II.
von 1554—1564, Hist. Zeitschrift von Sybel, VIII, 1866, S. 15.
Außerdem die Skizze von Maurenbrecher, Hist. Zeitschr. VIII, S. 365
bis 367.
4) Lebret, Magazin zum Gebrauch der Staaten- und Kirchen-
geschichte, Uhn 1785, Bd. IX, S. 107, 111, 122, 132, 134.
— 138 —
redet die päpstliche Anklage, die 1559 an Ferdinand erging,
womit kaum der von Nid brück gesammelte Quellenstoff zur
Herstellung der Centurien des Flacius gemeint sein wird,
wie Bibl meint i). Ferner ließ er einen J. S. Pfauser längere
Zeit vor sich predigen, wie wir bereits aus den Zeiten
Ferdinands wissen; ja er unterhielt einen regen Verkehr
mit ihm und zog viele Evangelische in seine Nähe, wie z. B.
Wolf Haller und B. von Pacheleben, von dem Perckhaim am
26. Mai 1558 an Gallus schreibt 2), Johann Baptista von Pache-
leben sei „ein guter, erber ^) Cristlich man, ein glerter*)
Jurist , wie darvor v. Nitprugch ^), Seyliger gedechtnus,
gebesen ist". Pacheleben wünschte die Bekanntschaft des
Gallus zu machen, weshalb Perckhaim ihn demselben em-
pfiehlt mit den Worten : „Den müget Jer trauen, dan er
ainer freyen guten gewissen ist." Er ist der Vater jenes
Johann v. Pacheleben, welcher auf seinem Gute St. Ulrich
evangelische Prediger hielt, weswegen ihn Kaiser Matthias
1614 des Besitzes verlustig erklärte^). Auch der vom
Papst dem Maximilian aufgedrungene Kardinal Hosius, sowie
die Ermahnungen seines Schwagers, Albrecht von Bayern,
hatten wenig Erfolg bei ihm. Maximilian blieb seinen An-
sichten, die er gewiß schon im ersten Jugendunterricht (durch
1) Bibl, Nidbruck u. Tanner, Wien 1898, S. 5.
2) E. A. Eccles. No. XVIII, Z. 24.
3) ehrbarer.
4) gelehrter.
5) Bekannter Gönner und ehemaliger Schüler des Flacius, als
Kais. Rat im Dienste Maximilians und sehr fromm, am 26. September
1557 in Brüssel gestorben. Er hat Flacius bei Herstellung der Kirchen-
geschichte, für die in Österreich unter dem Adel gesammelt wurde,
geholfen. Sein Briefwechsel s. Jahrb. d. Gesellsch. f. d. Gesch. des
Protestantismus, 1898. Vergl. auch Bibl : Nidbruck und Tanner, ein
Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Magdeburger Centurien. Für
Anteilnahme Maximihans an der Herstellung der Centurien ent-
scheidet sich Krones, Mitteilungen d. Instituts für österr. Geschichts-
forschung, XXI, Heft 4.
6) S. Weiss, Gesch. der Stadt Wien, II, S. 46.
— 139 -
Schiefer; eingesogen, im ganzen getreu, nur daß uns der
Entwicklungsgang im einzelnen verborgen ist.
Aber das alles ist nicht entscheidend für Maxi-
milians volle evangelische Gesinnung, wenn seine Thaten
nicht danach waren. Was soll es heißen, wenn er 1563 im
Widerspruch mit seiner religiösen Überzeugung den künf-
tigen Thronfolger Rudolf und dessen Bruder, trotz der Vor-
stellungen der Stände, zur Erziehung nach Spanien schickte
und eine Ehe seiner Tochter Anna mit Don Carlos, diesem
unglücklichen Sohne Philipps, ernstlich ins Auge faßte?
Interessant ist hier der Brief des Sigmund Alten-
dorffer, böhmischen Kammer - Kanzleischreibers zu Prag,
eines vertrauten Freundes von Gallus^j, Flacius und
Waldner, welche er samt deren Hausfrauen grüßen läßt.
Dieser berichtet über die Zustände in Böhmen zur Zeit,
als Maximilian seinem Vater nachfolgte, an Gallus d. d.
15. September ]564 unter anderem folgendes 2): Daß erst-
lich in Wien und darnach auch durch den Erzbischof allhier
die Kommunion sub utraque specie gestattet sei, wovon
Gallus längst werde gehört haben. Dennoch habe er
„nach seiner ainfältigen Layschen Vernunft" nicht finden
können, daß es viel Erfreuliches und Seliges mit sich
bringen werde, sonderlich weil es sub una auch (erlaubt)
und also beides für recht gedeutet werde. Er sorge
unaufhörlich, „welch ain gar große Heuchelei und falsch
als etwa noch zur weiteren Defendirung des
papistischen Meßopfers hier zwischen stekhen müge
wie süß man dieses alles auch fürgegeben." Er bittet Gott,
derselbe wolle um seiner hochgeliebten, rechten, wahren, ein-
fältigen, auch allgemeinen christlichen Kirchen willen allen
Falsch und Betrug besser noch ans Tageslicht bringen
„vnd vnß vnsererseits, bei erkhanter Evangellischer waar-
haitt, biß anß ende vnd in alle Ewigkhaitt erhaltten".
1) Dem Schwager Altendorffers, Thomas Molitor, verhalf Gallus
zu einer Pfarrstelle beim Grafen Nie. Salm in Oesterreich.
2) R. A. Eccles. I, No. XXIII, Z. 137.
— 140 —
Zugleich berichtet Altendorffer, daJ] den zwei Söhnen
Maximilians, den Erzherzögen Rudolf und Ernst, samt dem
ihnen zugeordneten Kardinal von Augsburg, in Italien und
Spanien große Ehre erwiesen und ihre fürstlichen Durch-
lauchten auch vielleicht noch eine Zeit in Hispanien zu-
bringen würden. Er meldet weiter, daß Erzherzog Ferdi-
nand durch den Kaiser Maximilian („dem der Allmächtige
Gott, darumben höchst zu bitten, ain glugksällgiste langwierige
Regierung, zu Eerung vnd meerung seines heilligen gött-
lichen Namenß, vnd desselben Cristenlichen Khirchen, auch
heilligen Römischen Reichs, beuorab in Teutscher Nation,
ganz genediglich verleihen welle") zum Statthalter in Böhmen
etc. verordnet worden. Er erwähnt auch das schreckliche
Ende des abtrünnigen Staphilus , wovon er den Bericht
gelesen; ferner die Verfolgung der Christen in Bayern.
Er erzählt, daß im verflossenen Sommer, auf Berufung des
Erzbischofs, ein Prädikant aus Schlesien gekommen, „der
ettliche vast guete Predigen gethon, vnnd waarlich baldt
ain grosse anzall zuehörer gewunnen, der Ich auch selbst
sambt meinem clainen Heuiflein geern zu söllichen Pre-
digen gangen bin vnnd allda vill cristenlichs vnnd guetts
gehört hab". Dann aber sei jener bald gestorben, und
„eß sollen Jm auch die Jesuwiderischen i) vast mißgünstig
geweest sein". Der Erzbischof habe ihn vor einem Altar
in der Schloßkirche begraben lassen. Daran knüpft der
Briefsteller die Bemerkung, daß das Wesen der hiesigen
Schloßkirche noch immerdar nach papistischer Art bestellt
sei, und er bittet Gott um Erleuchtung „vnseres Aller-
genedigsten so frumben, gotßförchtigen Fürsten vnd Herrn".
Daß Maximilian sich vor der Übernahme der unga-
rischen Krone das Abendmahl in beiderlei Gestalt vom
Papste ausbedang, obzwar er damit abgewiesen wurde, war
keine Heldenthat, denn der Kelch gehört zu den Gebräuchen,
die der Papst ausnahmsweise gestatten kann, wie er früher
1) Jesuiten.
- 141 -
gelegentlich der Kompaktaten in Böhmen gethan und später,
wie eben erwähnt, in Österreich und Böhmen ^j. Maximilian
ist und bleibt ein durch und durch weicher und schwanken-
der Charakter ; in der Jugend war er sogar einem unmäßigen,
dissoluten Lebenswandel ergeben, so daß ihn sein Vater in
einem Briefe vom Jahre 1547 ermahnt, den wüsten, seiner
Gesundheit schädlichen und seiner Stellung unwürdigen Ver-
gnügungen zu entsagen. Dies geschah auch wirklich: er
wurde später ernster und fand immer mehr Geschmack am
Verkehr mit protestantischen Fürsten und Männern. Wie
schon erwähnt, ließ er sich von Kaiser Ferdinand einen
eigenen Hofprediger gestatten, den Pfauser, der sich freilich
in Wien während dieser Dienstleistung nie als einen Evan-
gelischen bekannt hat.
Auch ist es nicht verwunderlich, daß Maximilian die
Regierungshandlungen seines Vaters kritisierte. So schreibt
er anläßlich der von Ferdinand verhinderten Freistellung des
Gottesdienstes fauf dem Reichstag zu Regensburg, 1556 bis
1557) an Herzog Christoph (13. März 1557;: „Wer weiß,
es kann sich etwa noch alles umkehren.'-
Nicht verwunderlich ist es ferner bei seinem Charakter,
wenn er anläßlich des römischen Druckes, welcher auf
seinen Vater um jene Zeit ausgeübt wurde, von „teuflischer
Werbung" des Papstes spricht (20. Dezember 1557) ^i.
Nicht entscheidend für Maximilians volle Überzeugung
ist auch jener Umgang mit dem unzuverlässigen Peter Paul
Vergerius, und daß dieser ihn fest im evangelischen Glauben
fand, oder daß Maximilian den evangelichen Fürsten ge-
1) Vergl. Schlosser, Weltgeschichte, XIII, S. 309.
2) Wiedemann, II, S. 106. Der Pap.st hatte einen Notar an
Kaiser Ferdinand gesandt, um ihm zu gratulieren wegen des Miß-
lingens des Wormser Gesprächs imd ihn um weitere Abwehr „der
lutherischen Pest" zu bitten, welche „Werbung" Maximilian miß-
fiel. Er meldet bei dieser Gelegenheit, daß er des Evangeliums
halber in Verdacht stehe („propler veritatem suspectus simi") und
zu den Verhandlungen seines Vaters nicht zugezogen werde.
- 142 —
legentlich auch guten Rat geben zu müssen meint i). So
schreibt Vergerius an Christoph von Württemberg am
20. Febr. 1558: Maximilian wünsche dringend , daß das
Evangelium in seinen Bekennern eine wahre Besserung des
Lebens hervorbringe, besonders aber, daß die Fürsten allen
Haß und alle Feindschaft fahren lassen und wieder eine
wirkliche Eintracht untereinander aufrichten. Hierdurcb
wüi'den die Protestanten leicht den Sieg über diejenigen
davontragen, die ihnen das Evangelium aus den Händen
winden wollten '^).
Selbst Melanchthon mußte einmal eine Ermahnung
j\Iaximilians in einem Brief vom 14. Mai 1559 entgegen-
nehmen S), worüber er sehr beleidigt war. Der König er-
mahnte ihn, „auf dem gegenwärtigen Augsburger Reichstage
(dem vom Februar 1559) sich die gottselige geliebte Ver-
gleichung treulich angelegen sein zu lassen, so daß alle
Schärfe vermieden werde". Das Gebahren der melanchtho-
nischen Partei auf dem letztverflossenen Wormser Kolloquium
mochte solche Mahnung als nicht überflüssig erscheinen
lassen 4).
Persönlich aber große Opfer für das Evangelium zu
bringen, war Maximilian nicht gewillt. Als er im Früh-
jahr 1560 durch seinen Vater genötigt war, seinen Pre-
diger Pfauser 5) vom Hofe ziehen zu lassen, da wendete
1) Kluckhohn, Briefe Friedrichs III., Bd. II, S. 69. In einer
Ermahnung MaxitniUans „an die Chur- und Fürsten" heißt es : „Ir
die Augspurgischen confessionsverwandten, haltend beieinander, ir
werdend sonst bald zerrissen wie ein hasenbalg". Oder an Christoph
(22. Juni 1558) : „Durch den Weg der Vergleiehung der Spaltungen
unter den Anhängern des Augsburger Bekenntnisses sticht man dem
Papste ganz den Hals ab" (s. Reimann, a. a. O. S. 24).
2) S. Kugler, Herzog Christoph, Bd. II, S. 321.
3) S. Corp. Ref. IX, praef. XIII und 832.
4) Vergl. dazu Brieger, Theol. Studien u. Kritiken, 1873, S. 932.
5) Es steht nicht einmal fest, daß M. mit diesem entlassenen
Hofprediger noch in näherer Verbindung blieb, obwohl freilich
Pfauser wiederholt Bittgesuche (so auch für Eeuter) an ihn vermittelte.
— 143 -
er sich alsbald mit der Bitte um Rat, nötigenfalls um
Schutz an Philipp von Hessen i) und Kurfürst Friedrich III.
von der Pfalz 2), zu dem er ein besonderes Vertrauen^ hegte.
Er suchte im Falle einer nötigen Entfernung vom Wiener
Hofe ein Asyl. Auch fragte er an, wie er sich gegen seinen
Vater verhalten solle, und bekannte sich zu der Lehre, so
in der Augsburger Konfession begriffen. Der Kurfürst ant-
wortete, er rate, sich der kaiserlichen Majestät nicht zu
widersetzen, fleißig zu beten, aber die Messe zu fliehen : im
Falle der Not werde er ihm seine Unterstützung angedeihen
lassen, so weit er nicht dem Kaiser gegenüber durch Eides-
pflicht gebunden sei 3). Philipp von Hessen antwortete
Maximilian, er gebe ihm bloß den Rat, in keinem Falle aus
dem Lande zu ziehen, wohl aber vom Kaiser die Ab-
schaffung der päpstlichen Mißbräuche zu erbitten. Dieser
Rat aus dem Munde Philipps stimmt freilich nicht mehr
mit seinen früheren Glaubensäußerungen überein. In der
an die zwei Fürsten gerichteten mündlichen Werbung durch
den königlichen Gesandten kommt der Satz vor, was zu
Wir hören vielmehr aus einem Brief Eeuters an Gallus, v. 28. April
1565, daß er gelegentlich auf ihn als einen Verführer schimpfe
und gar nicht willens sei , wie die gutherzigen Evangelischen hofften
ihn wiederum zum Predigtamt an den kaiserlichen Hof zu berufen
1568 setzte er ihm freilich eine Pension von 800 Fl. aus. Pfauser
hat in Lauingen sich keines guten Rufes erfreut. Melissander schreibt
in einem Briefe an Waldner, JuU 1569, Pf. habe mit Fressen und
Saufen böses Beispiel gegeben, er sei plötzlich gestorben. Auch
J. F. Cölestin klagt 1568 in einem Schreiben an Gallus über diesen Fem-
schmecker, wie er ihn nennt, und giebt zu verstehen, daß derselbe auf
Bitten eines österreichischen Adiaphoristen beim Kaiser auf die Ver-
jagung der Flacianer andringen würde.
1) Vergl. Rommel, PhiUpp der Großmütige, Bd. II, S. 577.
2) Vergl. Kluckhohn, a. a. O. Bd. III, S. 1032, Note 3.
3) Kluckhohn, a. a. 0. I, LXIII. Beklagenswert ist der Undank
Maximilians gegen Kurfürst Friedrich HL, den er auf dem Reichstag
zu Augsburg 1566 wegen seines sogenannten calvinischen Bekennt-
nisses und Abfalls vom Religionsfrieden der Kurwürde entsetzen wollte,
was auch gelungen wäre, wenn nicht im letzten Moment Kursachsen
sich dagegen erklärt hätte.
— 144 —
zu geschehen habe, „falls ihre königliche Würde zu der
päpstischen meß und anderen dergleichen ceremonien und
mißbreuchen, darob ihre kön. W. viel jähr anhero (un-
geacht das sie derzeit etwas nachhangen muß)
abschewen und mißfallen getragen, weiter genöthigt wird".
Der eingeklammerte Satz: „ungeacht das sie derzeit etwas
nachhangen muß" enthält eine Entschuldigung gegenüber
den Fürsten und bestätigt die alte Klage der Protestanten,
daß Maximilian mit seiner evangelischen Umgebung der
Ansicht huldigte, man dürfe sich verstellen, dem Meßopfer
beiwohnen und das Abendmahl aus den Händen eines
katholischen Priesters unter beiden Gestalten empfangen ^).
Zu diesem Äußersten der Verbannung vom Hofe kam
es nun freilich nicht. Maximilian fand eben bei seinen
Glaubensgenossen den Beistand nicht, auf den errechnen
zu dürfen gehofft; andererseits ward er von seinem Vater
mit Ausschluß von alleu Ehren und Würden bedroht. So
gab er denn nach. Während Maximilian Ende Dezember
1561 in der durch den Kanzler Zasius an Friedrich III.
überbrachten Werbung sich noch rühmen konnte, daß er die
königliche Krone Ungarns zu zweien Malen ausgeschlagen, um
nicht im Punkte des Kelches wider sein Gewissen handeln zu
müssen 2), so giebt er sich jetzt vor der römischen Königs wähl,
wie bei der im September 1563 erfolgenden ungarischen damit
zufrieden, daß die Handlung der Kommunion völlig unter-
bleibt. Als endlich die geistlichen Kurfürsten von Ferdi-
nand die Gewißheit haben wollten, daß Maximilian gut
katholisch wäre, erklärte der letztere feierlich seinen Ent-
schluß, die katholische Religion zu behalten, vor eigens
1) Kluckhohn III, S. 1033, Note 1. Noch am 28. April 1565
schreibt Chr. Reuter an Gallus: „Item man sagt, der Kaiser solle
das Sakrament Nemen In grosser geheim, vor Tages, Auch also,
daß nur ein einiger Camerdiener darumb sol wissen".
2) Kluckhohn, I, 248, 249. Diese Separatbewerbung geschah
in Angelegenheiten der Wahl Maximilians zum römischen König
und verfolgte den Zweck, Maximilian als gut evangelisch hinzustellen.
— 145 —
hierzu nacli Prag abgesandten Männern. Diese Erklärung
befriedigte die drei geistlichen Kurfürsten, und als nun
auch Friedrich III. seinen Widerspruch aufgab, ging'^am
24. Nov. 1562 die Wahl und am letzten November die
Krönung zum römischen König vor sich.
Maximilian wohnte von jetzt an auch kirchlichen
Handlungen bei, von denen er sich so viele Jahre aus-
geschlossen hatte, wie Prozessionen, Oflfertorien, Vespern,
Heiligenmessen. Bei einer Unterredung mit dem Vater
sprach er sich deutlich dahin aus, daß er einsähe, wie
sehr die Evangelischen irre gingen, und er bekannte sich
nun zu der Ansicht, welche Ferdinand im Jahre 1560 sehr
ausführlich dem Papste begründet hatte, daß sich der
größte Teil des Volkes bekehren würde, wenn die Geist-
lichen aufhörten, es durch ihr böses Beispiel zu ärgern^).
Im September 1563 empfing dann Maximilian die ungarische
Krone ; — die Kommunion unterblieb.
Daß Maximilian trotz alledem im Herzen evangelisch
blieb, ist gewiß und wird auch, wenn wir etliche Gelehrte
ausnehmen, selbst katholischerseits gegenwärtig allgemein
anerkannt 2j. Es lag ihm nun aber die nicht leichte Arbeit
ob, zwischen zwei Gegensätzen zu vermitteln, die beständig
aufeinander stießen. Und dieses beklemmende Schauspiel
über dessen Unwürdigkeit er wohl niemals zur Klarheit ge-
kommen ist, welches aber von seinem Regierungsantritt
bis zu seinem 12 Jahre darauf erfolgenden Tode an-
dauert, trübt den freundlichen Eindruck, welchen die Zeit
Maximilians sonst auf uns Protestanten macht.
Maximilians Regierungsantritt als Kaiser am 25. Juli
1564 wurde von den Protestanten als der Beginn einer
neuen glücklichen Ära gefeiert ^). Sie leisteten mit Freuden
1) S. Reimann in Sybels bist. Ztschr., VIII, S. 59 ff.
2) Wiedemann , Weiss , Gesch. der Stadt Wien , Janssen,
Geschichte des deutschen Volkes, IV, S. 274 ff., 417, Krones, Hand-
buch der Geschichte Österreichs III, S. 270 u. a.
3) Vergl. Weiss, Geschichte der Stadt Wien, II, S. 36f. Des
Kurfürsten Friedrich III. Erwartungen bezüglich Maximilians be-
10
— 146 —
die Erbhuldigung , wobei ihnen der römisch - katholische
Eid erlassen und ein bloßes Gelöbnis gewährt wurde i).
Die ersten Regierungsmaßregeln machten auch die Hoff-
nungen der Protestanten weiter rege. Zur Promotion an
der Universität durfte das katholische Glaubensbekenntnis
nicht mehr gefordert werden (Edikt vom 5. September) 2).
zeichnet die Instruktion für den pfälzischen Gesandten D. Pastor
(Kluckhohn, I, S. 528). Dieser soll darauf achten: „ob auch die
Meß und andere Päpstlerei noch verstattet sei (;NB.!), was für
katholische Ceremonien beim Begräbnis Ferdinands beobachtet seien"
etc. etc. Hoffnungen, Befürchtungen und Enttäuschung, welche sich
an den Eegierungsantritt Maximilians betreffs der Religion knüpften,
geben wohl am besten etliche Verse des von Maximilian arg
verfolgten Schmähgedichts die ,, Nachtigall" wieder, wo es heißt:
„Da du empfingest die gülden krön,
„Hastu das evangeUon
„Zu schützen vielen zugesagt.
„Denk, ob es denn auch Gott so behagt,
„Wenn itzt die hur von Babylon
„Gefürdert wird durch deine krön."
Vers 262 fährt der Frankfurter Dichter Hans Baier warnend fort:
„Der höchste sitzt in seinem thron
„Und hat für lengst gezelet schon
„Die tag und stund des zepters dein
„Die zeit, die ist hie kurtz und klein.
„Das heilige evangelion
„Daß ist die beste confession."
(Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Fase. 50). Den Zorn Maxi-
mihans über dieses Schmähgedicht lernen wir kennen aus Kluck-
hohn, a. a. 0. Bd. n, S. 82, 3, 90, 92, 4, 97, 8, 108-110.
Vergl. Hopfen, a. a. O. S. Ulf. Etliche nehmen den Heidelberger
Prediger Kiebitz für den Verfasser jenes Gedichtes an, so Krones,
a. a. O. III, S. 271.
1) Für die Eidesleistung der Stände in Krain, die zu Gunsten
der EvangeHschen abgeändert wurde, vergl. Dimitz, Geschichte Krains,
II, S. 4. Statt „alle Heiligen" setzten sie „das heilige Evangelium".
2) Vergl. Otto, Gesch. der Reformation im Erzhzgtum Öster-
reich unter Kaiser Maximilian IL, S. 29, Note 67: Die Doktoren,
Dekane, Rektoren der Universität Wien waren damals zum größeren
Teile Protestanten. Maximilian erließ am 4. Februar 1568 ein Dekret,
— 147 -
Der Ausdruck „katholisch" mußte den Ausdruck „römisch-
katholiscli" ersetzen i). In den Kirchen zu St. Stephan,
St. Michael und bei den Jesuiten wurde kundgemacht, daß
gegen die Verabreichung des Abendmahls unter beiderlei
Gestalt kein Bedenken zu erheben sei. Die Jesuiten wurden
in Schranken gewiesen ; man entzog ihnen die eine der
zwei Lehrkanzeln an der Universität. Auf dem Landtage
zu Ende des Jahres 1564 ließ Maximilian ausdrücklich er-
klären, daß die Stände bis zur Ordnung der Religions-
streitigkeiten in ihren Rechten geschützt und ihre Prediger
von niemand beschwert werden sollten. Dennoch aber
zeigte sich keine Entschiedenheit, und die Praxis ließ viel
zu wünschen übrig.
Sehen wir nun, was die Regensburger Akten aus
den Reuterschen Briefen für diese Zeit ergeben.
Anno 1565, als sich der Ortenburger Graf bei Maxi-
milian wegen der in seiner Herrschaft stattfindenden bay-
rischen Einmischung, die ihn aus dem Lande getrieben, be-
schwerte, meldet Reuter am 28. April an Gallus folgendes
aus „Steyreckh auf der Thonaue", nachdem er aus seiner
zweijährigen Verbannung nach Österreich ohne Vorwissen
des Kaisers zurückgekehrt war 2) :
worin ausdrücklich erklärt wurde, daß die Augsb. Konfession nicht
als ein Hindernis zur Erlangung des Doktorgrades zu betrachten
sei. Abgedr. b. Kink, Geschichte der Universität Wien, Bd. I, Th. 2,
S. 187 f.
1) Wiederaann, I, 352.
2) R. A. Eccles. No. XXIII, Z. 47. In Wien verglich
Reuter mit dem Hofmarschall Herrn von Ungnad das geschrie-
bene Exemplar der Augsb. Conf&ssion , das sich im Besitz
des Kaisers befand, mit dem bereits veröffentlichten Druck; „vnd
hat sich im Meisten artikhel wie die zu R. (Regensburg) ge-
drukht verglichen, doch Ist in dem geschribenen esemplar iner,
hat mirs nicht ausser das Hauß wellen vertrauen". — Haben
wir hier etwa eins der beiden nie aufgefundenen Originale der A. C.
zu suchen? Dann dürfte es vielleicht noch in Wien zu finden
sein! Khevenhüller, Annales Ferd., T. VI, S. 108 (s. bei Otto,
a. a. O. S. 44), verzeichnet ein Gutachten des Erzherzogs Matthias
lü*
- 148 -
„In den Tagen besuchten wir herrn Joachim graffen
von Orttenberg, vnd hielten ratt, ein vertriebener beym
andern ; stellet sich gegen vns freuntlich Doctor Simon i) ;
vermeinet, wo es zur Audienz komm, soll ich mit wenig
beystand erscheinen ; meldet, die Apostel hätten auch wenig
beystand gehabt. Aber unsere Österreicher verhießen einen
großen beystand vnd war dazumal eine große anzal der
Landleutt." Herr von Polhaim auf Männersdorf hatte sich
bereit erklärt, „unsere Brief der Rom. K. Maj. zu über-
antworten vnd unser Nehemias sein und bleiben zu wollen.
Ir Maj. aber entschuldiget sich ihm gegenüber der Unge-
legenheit halber. Ir Maj. waren krank, und da wir in die
4. Woche zu Wien verharrten und nichts (dabei) heraus-
kommen wolt, zogen wir zuhaus. Vnd wisset, der gantze
Handel -) ist nie für die ratte (Räte) komen , die Ro.
K. M. hatts allein für sich mit dem Herrn von Polhaim
gehandelt In geheim. Darumb ists lang nicht zu einer offent-
chen audientz vnd verhör komen, wie wir meinten. Sehet,
höret, geliebte Herrn vnd Brueder, wie arm der fromb
keiser ist, fürwar er hangt voller teufel, wir haltens darfür, er
war gern fromb, aber der Teufel helt stark." — Im selben Brief
klagt Reuter weiter : Der Offizial (von Passau) zu Wien habe
einen „Landtag" mit seinen Pfaffen jetzt gehalten vor wenig
Tagen, d. h. seine Geistlichen berufen und ihnen beide Teile
des Sakraments unter der Messe auszuteilen vorgehalten ^). Da
n Rudolf II., vom Juli 1604, wonach das Original der A. C. in
der That damals auf Befehl Maximilians „aus der Mainzischen
Kanzlei" hätte gebracht und für die Stände abgeschrieben werden
müssen.
1) Vielleicht ein kaiserlicher Rat?
2) Es handelt sich in diesem Briefe dem Reuter zuerst um Dar-
stellung seiner Rehabilitierung in Österreich, wozu die Empfehlung
Pfausers und ein Zeugnis des Pfalzgrafen Wolfgang dienen sollte.
3) Reuter meint jenen Vorhalt, den der Offizial der Geistlich-
keit in Österreich unter der Enns gemacht, wonach sich die Pfarrer
verpf höhten mußten, die Spendung des Kelches nach den kaiser-
lichen und päpsthchen Erlässen zu halten (Wiedemann, I, 314),
— 149 —
seien nur wenige (6 ?) beständig geblieben bei der Augsbur-
gischen Konfession, sondern die Meisten wären wirklich er-
schienen. „Sehetan die beswichter f Bösewichte), wer wolt
wider solche pueben nicht donnern vnd blitzen ; sie sind vnd
bleiben zweizüngische pfaflfen. Sei das vnserm Ro. K. nicht
ein bedenckhen machen ? Vnter andern ist auch Caesar ^)
erschienen, aber von den Vnsern keiner, Ich bin auch nie
berueffen. 0 wie spottlich haben sie vnsern armen Kaiser
(d. i. Caesar) gehalten ; der claget seinem Herrn von Eyzing ;
der ging zum Landtmarschalich, welcher Instante zum K.
(Maximilian) gieng, zeiget Ime darneben an, die pfaffen rumben
(rühmen) sich, ir Maj. hettens befolhen. Die K. gab zur
Antwortt gleich fragweis : Hab Ichs befohlen ? vnd aber-
mal, Hab Ichs befolhen ? vnd Nams auf ein bedenckhen.
was darauf wirtt folgen, wirtt die Zeitt geben". — Maxi-
milian lehnte also den Evangelischen gegenüber alle Ver-
antwortlichkeit für solches Verfahren ab.
„Yr Herrn glaubet nicht wie elend die Kirchen In
Osterreich ist, es ist eine lauttere Samaritanische religion In
gemein, wir alle sind In Osterreich wie Christus Im staal
zu betthlehem, Annas vnd Caiphas haben den Tempel Innen.
Ausgenommen meine Herren, sonst tugets mit dem Nimro-
Dabei ergab sich, daß auch manche bisher der A. C. treu Gebliebene
sich gefügt hätten, weil es kaiserlicher Befehl war, unangesehen dessen,
daß das Sakrament nur dann zu reichen sei, wenn es sub sacrificio
missae konsekriert war. (Vergl. das gleiche Verfahren in Bayern
bei Aretin a. a. 0. I, 122 und den Brief Eisengreins nach München
bei Hopfen, Kaiser Maximilian II., S. 272, der aber den Brief, der
ohne Datum ist, in ein falsches Jahr setzt.)
1) Caesar zu Schratten tal, bei von Oswald Eyzing; er hieß wohl
Kaiser; ihn führt Eeuter in einem Brief vom 6. Januar 1566 als im
Ruf der Trunkenheit stehend an. Am 7. JuU 1566 beklagt Jonas
Frankus (in einem Briefe an Gallus) den Streit, welchen Georgius
Caesar mit Reuter und allen Orthodoxen angebunden, worüber er
an „unsern lUyricus" geschrieben, der vielleicht darüber mit Gallus
handeln werde. Er scheint ein laxer Synergist gewesen zu sein,
wie es deren so viele im Lande gab.
— 150 —
dischen (Wesen) Wol besser, die guetten bruder werdens
wol erfaren, (ja) leider sie erfahrens schon/'
Der Kaiser lavierte eben zwischen den streitenden
Parteien hindurch, bald dieser, bald jener etwas zur
Beruhigung nachlassend i). Aber diese Vermittlerrolle ge-
nügte nicht zur Durchführung des Evangeliums in seinen
Ländern ; sie hat vielmehr zur Folge gehabt, daß bei seinem
Tode niemand recht wußte, in welchem Glauben er gestorben.
Zu den Beschwichtigungsmaßregeln nach der römischen
Seite hin gehört auch jener Erlaß Maximilians kurz vor
seinem Abgang nach Augsburg (Januar 1566), welchen
Reuter in einem Brief vom 7. Januar ein böses „Valete"
nennt und worin die Regierung und die Stadt Wien auf-
gefordert wird, „die Winkelprediger zu Wien und, wo es
die Notdurft erfordert, gar aus dem Lande zu schaffen".
Dabei sind folgende Worte angehängt: „Wie Wir auch
mit vnserm bruder Ertzhertzogen Carole geredt, dem sollet
ir In allem gehorchen." Damit war also einem Gregner
die evangelische Sache ausgeliefert. Dort in Augsburg
war es, dass der Kaiser das Verwerfungsurteil über den
pfälzischen Calvinismus und die Ausschließung des Kur-
fürsten vom Religionsfrieden durchzusetzen trachtete, was
aber die Fürsten schließlich nicht bewilligten -). Maximilian
war überhaupt in Augsburg in schlechter Stimmung gegen
1) Die Jesuiten schränkte er ein, aber kam ihnen doch wieder
entgegen, wenn sie sich schmeichelnd an ihn heranmachten, be-
sonders durch ihren Fürsprecher, den angesehenen Hofrat Eder,
denselben, der auch den Hofprediger Eisengrein aus Bayern ver-
schrieben. Als aber dieser mit seinem Buche „Evangelische Inquisition"
mit dem Schelten gegen die Lutheraner zu weit ging und gegen sie das
Wort „Ketzer" gebrauchte, woUte Maximilian das nicht dulden. Mit
einer für aUe unverstäudhchen Heftigkeit wurde Eder gefänglich
eingezogen und sein Buch schonungslos vertilgt (vergl. die Akten
bei Hopfen, a. a. O. S. 367—376, S. 115 ff.). Maximilian Heß es
nicht zu, daß religiöse Ansichten, mit denen er im Grunde sympathi-
sierte, also lächerhch gemacht und beschimpft wurden.
2) Kluckhohn I, S. 658, 665, 667, 680-682
- 151 —
die Evangelischen ; er ließ sich von der römischen Partei
dazu gebrauchen, die im Zuge befindliche Einigung der
Protestanten zu hindern. Ja vielmehr, er benutzte die vor-
handene Spaltung in der Abendmahlslehre, um den refor-
mierten Teil in der Person des pfälzischen Kurfürsten vom
Reiche auszuschließen. Damit wäre das Gleichgewicht der
Konfessionen im Reiche gänzlich zu Ungunsten des Pro-
testantismus verändert und die ausländischen Religions-
verwandten vollends von der Teilnahme an jenem Frieden
ferngehalten worden , ' was eben der römischen Partei
erwünscht war. Der Kaiser äußerte sich gelegentlich :
,,Confessionem Augustanam , sacco esse persimilem, in quem
sectas quasvis conjicerent et ubi sacci os obstruxissent, tum
foramina fieri, per quae et novae rursum sectae inserentur
et nova errumperent dissidia, Imperium tandem, nisi obviam
Iretur , funditus perditura" i). Dem Herzog von Bayern
schreibt Maximilian 1566 von Augsburg aus: „In summa
nulla constantia est apud istos .... ich wolt vmb ier con-
fession nit ain ruebenschnitz gewn, dann der gschtalt wiert
es bald ain zwinglianismus aber sie saind verblent,
transeat cum ceteris erroribus, wie wol es zu grow ist" ^).
— Auch war Cithardus in diesem Jahre, wie Reuter im
Januar bemerkt, wieder von Einfluß und warnte vor Reuter,
als einem, „der die Landschaft aufrührig mache". Cithar-
dus' Einfluß war überhaupt kein günstiger; er hatte bereits
1560 Kaiser Ferdinand als Hofprediger gedient, als dieser
seinem Sohne Maximilian den Bischof von Gurk als Hof-
prediger beigegeben. Zu der Zeit diente er 3) dem Hosius
als Werkzeug, um schwache Seelen wieder in den
Schoß der Kirche zurückzuführen, und wurde auch von
diesem Maximilian dringend anempfohlen. Maximilian nahm
ihn, nachdem er ihn früher nicht hatte hören wollen,
1) Historia Soc. Jes. III, 56.
2) Freyberg, Historische Schriften und Urkunden, IV, 14'J;
vergl. Stülz, Gesch. des Klosters Wilheriug, S. 106.
3) Eaupach, Bd. II, S. 137.
— 152 —
bei seinem Regierungsantritt zum Hofprediger an und ließ
ihn auf dem Augsburger Reichstage 1566 öffentlich in
anticalvinischem Sinne predigen, was die Pfälzer sehr
verletzte 1). Es bestanden für Maximilian allerlei äußer-
liche Gründe, um sich gerade damals also hervorzuthun.
Nach seiner Rückkehr kommunizierte Maximilian mit
etlichen seines Hofgesindes bei Herrn Hans Gugelman,
Pfarrherrn zu Enns. Über diesen schreibt Reuter am 28. April
1565 an Gallus 2) : „H. Hanß Kugelman pfarher zu Ens ist
jetz stätts zu Wien. Ist nicht guet auf vnser seitten, er
sei des R. K. beichtvatter sein. Er wil ein beschaidner
Man sein. Ich bin bei Ime gewest, habe Ime mein Handel
1) So klagt ein Gesandter dem Kurfürsten Friedrich von der
Pfalz (29. Jan. 1566), daß Cithardus eine scharfe, heftige und läster-
liche Predigt wider unsere Religion und Meinung vom heil. Abend-
mahl (doch ohne Namen zu nennen) gehalten habe (s. Kluckhohn,
Briefe I, 634). Übrigens hatte Cithardus wohl seine besseren
Seiten; er predigte scharf das Gesetz, sagte auch, es sei recht, daß
man das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt reiche, und gab
nichts auf seine Mönchskutte (vergl. Raupach, II, 137). Auch predigte
er 1563 vor Kaiser Ferdinand über die 1. Epistel Johannis streng
nach der Schrift, und Zasius hat seinen guten Einfluß auf K. Ferdinand
sehr gelobt (s. Hopfen, Kaiser Maximihan IL, S. 63: „er bessere
sich täglich treffentlich in seiner Lehre, schaffe viel gutes, und
weise und stärke den Kaiser (Ferdinand) zu der Moderation in
Glaubenssachen" schreibt Zasius an PhiHpp von Hessen 12. Mai 1564).
Er war also weder kalt noch warm, und Reuter beurteilt ihn richtig,
wenn er seufzt: „Gott bekehre ihn!" Cithardus stammte aus
Acken; er war ein gelehrter Mann und Doktor der Theologie,
auch führte er ein unsträfliches Leben und hatte eine schöne
Gabe der Beredsamkeit (vergl. Henr. Pantaleon , Prosopographia,
Part. III, S. 194). Wie hoch ein Mann wie Dr. Weber seine
zwischen den Parteien vermittelnde Predigtweise schätzte, bezeugt
eine Korrespondenz Prunners an Eisengrein, wonach Dr. Weber ge-
sagt habe: „Ja, es ist wahr, wir werden sobald keinen Cithardum
mehr mögen bekommen". Neben Cithardus wird in diesem Gespräch
auch Urban von Gurk als das Ideal eines Predigers der vermittelnden
Richtung gekennzeichnet (s. Hopfen, Kaiser Maximilian IL, S. 268).
2) Reg. A. Eccles. No. XXXV, Z. 47.
— 153 -
angezaigt, aber wenig darzue gethan. Er ratt nur, Ich sol
auf ein pfar vnd dise Condition faren lassen, das thue ich
nicht." Und im Mai 1566 schreibt Reuter: „Die fromen
Christen halten diesen gugelman für einen ertzheuchler" ^).
Wir werden auch fernerhin bei den Verhandlungen
über die evangelische Agende den mehr lähmenden als
fördernden Einfluß Maximilians kennen lernen ; vergebens
hatten die Evangelischen ihre Hoffnung auf einen Mann
gesetzt, der leider ein schwankendes Rohr war. Einer-
seits machte er notgedrungen dem Herren- und Ritterstande
große Zugeständnisse, indem er ihnen am 18. August 1568
den Gottesdienst gemäß der Augsburgischen Konfession und
Abfassung einer Agende gestattete 2) ; andererseits suchte
er wieder die Katholiken zu beschwichtigen. , An seinen
Bruder Ferdinand schreibt Maximilian: Wider seinen Willen,
aus äußerster Not habe er den beiden Ständen ihre Bitte
um freie Religionsübung bewilligen müssen, ihm sei es um
die mögliche Vereinigung beider Religionen zu thun ge-
wesen. Er folge hierin seinem Vater. Was aber diesem
nicht gelungen, vermöge auch er nicht durchzuführen. —
1) Dieses Urteil wird indirekt bestätigt durch den bayrischen
Hofprediger Eisengrein, der an Herzog Albrecht (4. Sept. 1568) von
Gugelman schreibt: er sei sonst catholicus, allein daß er ein Weib
hat, den Meßkanon, Anrufung der Heiligen, Gebet für die Ver-
storbenen auslasse und den Papst für den Antichrist halte u. s. w.
— caetera bonus! (Hopfen, a. a. O. S. 397.) Nach Raupach II,
268 f. erzählte Reuter dem Backmeister, der Kaiser habe Gugelman
bei einer Audienz in der Ferne stehen sehen, sich sofort zu
ihm verfügt und zu aller Verwunderung mit entblößtem Haupt
dem Manne die Hand geboten, ihn freundlich gegrüßt und angeredet:
„Mi Domine Johannes, seit Ihr zu Wien; vnd wollet mich nicht
salutiren und bleibet jetzt dahinden stehend, Ir solt herfürtreten,
ich sehe und habe euch gerne." Darauf nahm er ihn bei der Hand
und führte ihn in sein Kabinet.
2) Davon wird weiter unten die Rede sein. Mit welchem Opti-
mismus Friedrich von der Pfalz die Kachricht davon begrüßte, siehe
Kluckhohn, Briefe II, 273; v. 17. Dez. 1568. Er sah darin eine
ganze Freistellung des Evangeliums.
— 154 —
An den katholisch gebliebenen Adam von Dietrichstein i)
schreibt er: die Konzession 2) sei gegeben, um Confusion
und Sektiererei zu mindern und einen x\ufstand zu hindern.
— Dem Kardinal Commendone gegenüber behauptete der
Kaiser (24. Okt. 1568), die römische Kirche habe bei der
Augsburgischen Konfession am wenigsten zu fürchten,
worauf jener erwiderte, die Lutheraner seien nicht minder
schlimme Ketzer als die übrigen ^j.
Zur Beruhigung des Papstes, dessen Dispensation er
zur Vermählung seiner ältesten Tochter mit ihrem Oheim
Philipp von Spanien bedurfte, versprach Maximilian, daß
er „in betreff der Augsburgischen Konfession nichts Neues
einräumen werde". Dies deutete der Papst auf gänzliche
Aufhebung der Aug. Conf. in einem Schreiben vom 1. Dez.
1568, wogegen der Kaiser nur hatte sagen wollen, er werde
außer der Konzession vom 18. August d. J. den beiden
evangelischen Ständen nichts weiter zugestehen^).
Der Kardinal bot sogar dem Kaiser vom Papste Geld
an, Reuter schreibt von 30000 Gulden. Die Stände boten
90000 (nach anderen 99 000) Gulden, wie jener an Gallus
berichtet 5). So ging alles sehr nach der Welt Lauf,
Als im folgenden Jahre sein Bruder Karl eine dringende
Mahnung an den Kaiser sandte, ihm mit gutem Rate bei-
zustehen^ wie er sich seiner drängenden protestantischen
Unterthanen zu erwehren habe, die auf dem bevorstehenden
Landtage die Freistellung der Religion verlangen würden,
antwortete der Kaiser unter Anerkennung seines Eifers,
1) Dieser war Vormund der beiden ältesten Söhne Maximilians
und dessen intimster Freund, der auch bei seinem Tode zugegen war.
Die Linie dieses katholischen Dietrichstein ist 18ö4 erloschen.
2) Gemeint ist die ebenerwähnte Konzession an die niederöster-
reichischen Stände vom 18. August 1568, s. Eaupach II, 195.
3) Wiederaann I, 3üO.
4) S. bei Otto, Gesch. der Eeformation in Österreich unter
Maximilian IL, S. 28 f.
5) Vgl. Otto, a. a. O. S. 43, und zwar als Ehrengabe für die
Religionskonzession.
— 155 —
daß er von Gewalt abmahüen müsse, so auch von der an-
gedrohten Strafe der Abschaffung der Evangelischen vom
Hofe. Die Zeiten seien zu schwierig: „bereits wird uns
(dem Kaiser), dem König von Spanien ^) und beiden E. L.
(den Erzherzögen Ferdinand in Tirol und Karl in Inner-
österreich) ohnedies mit Gewalt zugemessen, und will sich
niemand abreden lassen, daß wir mit dem Papste, der
Krone Frankreich und den geistlichen Ständen des Reiches
in einem verdächtigen geschwinden Bündnis einverleibt und
Vorhabens seien, die Augsburgische Confession auszutilgen" ^).
Im weiteren Verlauf des Schreibens rät der Kaiser, „man
solle sich gedulden, bis Gott auf einem andern Wege eine
Besserung sende. Man müsse „dissimulieren", wie dies jetzt
auch andere Kurfürsten und Fürsten an ihren Höfen und
in ihren Landen selbst gegen ihre geheimsten Räthe bei
diesen unseligen Zeiten thun müssen".
Also auch hier dasselbe schwankende, oft sogar un-
aufrichtige Verfahren, wie es uns bei den Verhandlungen
im eigenen Lande , wie nicht minder im Reiche in den
Verhandlungen mit den Fürsten, entgegentritt ^i. Ver-
gebens suchte man im Reiche Gelegenheit, den Kaiser
zu drängen, sich einmal ungescheut und öffentlich zu der
Augsburgischen Konfession zu bekennen *). Vergebens suchte
1) Philipp IL hatte am 26. Okt. 1569 eine Mahnung in Betreff
der Religion an Maximilian ergehen lassen. Vgl. Koch, Quellen
zur Gesch. Maximilians IL, Bd. II, S. 02—100). Die Antwort vom
20. Nov. 1569 erinnert Philipp an den wahren Weg der Toleranz,
wobei Maximilian nur das Beispiel seines Vaters nachgeahmt habe.
Im Übrigen aber ist der Brief voll von Dissimulationen, die auch
wohl kaum in Spanien geglaubt wurden.
2) Loserth, Reformation und Gegenreformation in Inner-
österreich, S. 145.
3) Vgl. auch das weitere bei Loserth, S. 148, wo der Kaiser
abrät von einer Bewilligung der Augsburg. Konfession „ohne Weiters"
isimphciter et absolute). Dabei werden dem Erzherzog lauter Aus-
flüchte und ein Hinhalten der Stände empfohlen.
4) Kluckhohn, Briefe Friedrichs des Frommen von
I, S. 608.
— 156 —
man ihn zu energischer Parteinahme „für die bedrängten
Christen", z. B. in den Niederlanden, zu bewegen i); im
Interesse der französischen „Christen" schrieb Calvin eine
Confession (1562), die besonders auf den römischen König
Maximilian berechnet war 2j. Es kam doch über Anläufe
und Versprechungen nicht hinaus. Die Hoffnungen auf
Maximilians offenen Übertritt zum Protestantismus, die er
selbst gelegentlich nährte, erwiesen sich immer wieder als
trügerisch 3). Die „Freistellung der Religion" war auch
auf Maximilians letztem Reichstage zu Regensburg 1576
nicht durchzusetzen*), wie solches schon vor dem Augs-
burger Reichstage 1566 offen befürchtet wurde 5). Von
Maximilians Liebe zum Evangelium ist wohl die Rede ^j,
auch davon, daß er sich der wahren Religion „affectionirt"
ausgesprochen (z. B. auf dem Frankfurter Wahltage, woselbst
Friedrich von der Pfalz hoffte, „daß Maximilian an der
Kirche Christi viel thun werde"), aber zu durchschlagenden
Entschlüssen kommt es nicht. Trotz alledem war Maxi-
milian mit dem Verstände Protestant und gab an buch-
stäblicher Erkenntnis den evangelischen Fürsten wohl wenig
nach. Er hatte sein eigenes Urteil über die Agende in
Österreich und über den pfälzischen Calvinismus; er er-
munterte auch die Amberger hinter dem Rücken des Kur-
fürsten Friedrich zum Widerstand gegen denselben 7) ; er
las den Heidelberger Katechismus und mißbilligte ihn auch
nicht, sondern nannte ihn „an ihm selbst ein müglich gut
Werk", obwohl er ihn nicht überall mit der Augustana
übereinstimmend fand ^).
1) Ebendas. I, 708, 709.
2) Corpus Ref. XXXVII, Prol. LX f .
3) Vgl. Kluckhohn, a. a. O. I, 637.
4) Ebendas. I, 418.
5) Ebendas. I, 639, 657 A.
6) Ebendas. I, 122, 537, 538, 600.
7) Kluckhohn, a. a. O. I, 595, Note : Friedrich hat Zuversicht,
der Kaiser werde wegen des Katechismus nicht gegen ihn ein-
schreiten, aber gleichwohl geschieht es. Vgl. S. 706.
8) Ebendas. I, 398, 399, Note.
— 157 —
Schöne Trostworte aus dem Evangelium weiß der
Kaiser zu finden; so schreibt er z, B. an Friedrich von
der Pfalz beim Tode der Kurfürstin Maria i): „Wir alle
sind tödtlich und müssen die Schuld der Natur einmal be-
zahlen , zu dem daß es jetzt leider dermaßen in der elenden
Welt steht, daß einer ja wohl sagen möchte: cupio dissolvi
et esse cum Christo" (d. h. ich habe Lust abzuscheiden
und bei Christo zu sein, Phil. 1, 23). In derselben rühren-
den Weise schrieb der Kaiser über die Toleranz an Lazarus
Schwendi (Prag 14. Jan. 1571) und zwar unter dem un-
mittelbaren Eindruck der am selben Tage ausgefertigten
Assekuration : „Und ist in der Wahrheit nicht anders, als
wie ihr vernünftiglich schreibet, daß Religionssachen nicht
mit dem Schwert wollen gerichtet und gehandelt werden.
Kein Ehrbarer, Gottesfürchtiger und Friedliebender wird
es anders sagen. Zudem hat Christus und seine Apostel
viel ein anders gelehrt. Denn ihr Schwert ist die Zunge,
Lehre, Gottes Wort und christlicher Wandel gewest. Zu-
deme, so sollten die tollen Leute nunmehr billig in so viel
Jahren gesehen haben, daß es mit dem tyrannischen Köpfen
und Brennen sich nicht will thun lassen. In Summa, mir
gefällt es gar nicht und werde es auch nimmermehr loben,
es wäre denn Sach, daß Gott über mich verhängte, daß ich
toll und unsinnig würde, dafür ich aber treulich bitten
will 2)."
Besonders aber ward Richard Freiherr von Strein, der
seit den 7Uer Jahren großen Einfluß am Hofe erhielt, in-
timer Herzensergüsse von Seiten Maximilians gewürdigt.
Wir werden davon näher bei der Herstellung der Agende
hören. Aber auch betreffs der Bewilligung einer Land-
schaftskirche in Wien äußert sich des Kaisers Gutherzig-
keit kurz vor seinem Tode (1576). In einem Handschreiben
erinnert er Strein an das, was sie miteinander geredet
1) Ebendas. II, 142.
2) Vgl. K. Oberleitner, Die evang. Stände im Lande ob der
Enns unter Maximilian II. und Rudolf II., Wien 1862 S. 24.
— 158 —
haben. Er werde aber den Sachen getreulich nachgedenken,
wie etwa zu einer besseren und gelegeneren Zeit dieser
Sache (Bewilligung einer Landschaftskirche) möge abge-
holfen und die Stände nach Möglichkeit mögen zufrieden
gehalten werden. „Denn Ihr wißt, wie treulich und gut-
herzig ichs gegen bemelten Ständen jederzeit und noch mein,
und in nichts anders suche, allein damit Fried und Einig-
keit erhalten werde, zudem daß die zween Stand ohne das
nunmehr in Religionssachen unbetrübt seint und ihnen kein
Irrung beschieht, so muß auch solche Sachen also wohl in
der Still als die Bewilligung der Agenda gehalten und
tractirt werden" ^).
Immer aber müssen wir es bei allen solchen Zeug-
nissen einer evangelischen Gesinnung bedauern, daß es
nicht zu einer völligen Zerreißung jener Bande kam, die
Maximilian an die Welt und ihre Lust gefesselt hielten.
Wie hoch wir trotzdem einen Maximilian schätzen und sein
Gedächtnis in Ehren halten messen, beweist der Vergleich
mit seinem Schwager Herzog Albrecht von Bayern und
seinem Bruder Karl in Innerösterreich. Ersterer war be-
kanntlich stets ein Freund der Jesuiten, und nach der
Ortenburger Affaire 1563 wurde durch ihn Bayern das
Hauptland katholischer Restauration^); letzterer war von
Anfang seiner Regierung an ein erbitterter Feind der
Evangelischen; er ließ sich nur durch die Not bewegen,
den Ständen Zugeständnisse zu machen, und that solches
alles wider sein Gewissen, während Maximilian mit gutem
Gewissen seinen evangelischen Unterthanen ihr Recht gab.
R u d 0 1 f II. und Matthias.
Noch höher in unserer Schätzung steigt die Regierung
Maximilians, wenn wir sie mit derjenigen seines Sohnes und
1) Vgl. BibI, Die Organisation des evang. Kirchenwesens in
Niederöst., Wien 1899, S. 42 ff., 63.
2) Eifersucht gegen den Pfalzgrafen und späteren Kurfürsten
Friedrich III, dem er die Kurwürde abzuhandeln suchte, trieb ihn
noch mehr ins päpstHche Lager (s. Kluckhohn I, S. XLIV).
— 159 —
Nachfolgers Rudolf II. vergleichen. Obwohl beide nicht die
Männer waren, welche die unabweisbaren Anprüche der
Protestanten auf eine gerechte und gesetzmäßige Weise
hätten befriedigen können, konnten doch die Protestanten
damals auf die Sympathien ihres Kaisers rechnen, während
sie unter Rudolf nur selten mit dem in Prag residierenden
Kaiser in direkte Berührung kamen.
Jedoch das alles wäre noch von minderer Bedeutung
gewesen, hätte nicht eine höchst ungünstige politische Kon-
stellation dem Fortschreiten des Protestantismus überhaupt
Einhalt gethan.
Es war Kurfürst August von Sachsen, welcher 1576
ganz kurz vor dem Tode Maximilians und Friedrichs III.
von der Pfalz der Sache des Katholizismus förderlich wurde.
Ohne irgend welche Grarantie zu fordern bezüglich der
Auslegung des „geistlichen Vorbehalts" im Sinne der
Deklaration Ferdinands I., willigte er in die Wahl Rudolfs
zum König ^). Die Uneinigkeit der protestantischen Fürsten,
besonders die feindselige Stimmung Augusts gegeu den
Kurfürsten Friedrich haben der Gegenreformation in Oster-
reich und anderswo zum Siege verhelfen 2).
Auch die römische Kurie that das ihre, um zu den
weltlichen Fürsten katholischen Glaubens in Deutschland in
engere Beziehungen zu treten, so zu Herzog Albrecht V.
von Bayern, dem Hauptmann des Landsberger Bundes und
Eidam Ferdinands I.; ferner zu den Erzherzögen Karl
von Innerösterreich und Ferdinand von Tirol; endlich zu
dem Kaiser selbst. Die Vermittler waren die Jesuiten, in
deren Geist Rudolf erzogen war.
Rudolf war nicht der Mann, um mit dem alten System
plötzlich zu brechen. Er behielt auch unter seinen Räten
protestantisch Gesinnte, welche die Furchtsamkeit des Kaisers
1) Vgl. Kluckhobu, Friedrich der Fromme, S. 416.
2) Vgl. Die Einführung der katholischen Gegenreformation in
Niederööterreich durch Kai.ser Rudolf II. (1576—1580), von Dr.
Victor Bibl, Innsbruck lüOO, zunächst S. 2 f.
— 160 -
vor Glaubenskrieg und gewaltsamer Erhebung der pro-
testantischen Stände zu nähren wußten i). Somit blieb Rudolf
vorerst in des Vaters Fußstapfen und rührte nicht an die
Privilegien und Freiheiten der evangelischen Stände. Das
war immerhin löblich; denn er hätte auch, nach strengem,
durch den Augsburger Eeligionsfrieden (1555) statuiertem
Recht, mit Umgehung der ständischen Privilegien, verfahren
und alsbald den Protestantismus ausrotten können.
Von großer Bedeutung war es, daß Kaiser Rudolf, der
in Prag residierte, das Erzherzogtum Österreich durch
seinen Bruder Erzherzog Ernst verwalten ließ, der an Ent-
schlossenheit und Willensstärke ihn weit überragte, was
seit dem Beginn der Krankheit Rudolfs noch ersichtlicher
wurde-'). Die vormals milde Auslegung des Gesetzesbuch-
stabens wurde nunmehr verlassen und das Verbot, in Wien
sowie in den landesfürstlichen Städten und Märkten öffent-
lichen Gottesdienst zu halten, urgiert. Es geschah freilich
zunächst wenig, um dem aus der Ferne erlassenen Befehl
des Kaisers Gehorsam zu verschaffen 3). Erzherzog Ernst
scheute bei der großen Ausdehnung der evangelischen
Sympathien in Wien vor Gewaltmaßregeln zurück.
Etappenweise rückte man gegen die Hauptstellungen
des Protestantismus vor, unter beständiger Einholung maß-
gebender Ratschläge aus München. Der Kern der letzteren
war: bei der Konzession einstweilen zu bleiben, aber dar-
über hinaus den Ständen nichts mehr einzuräumen; aus
den Städten aber die Prädikanten unverzüg-
lich auszuweisen. Im Fall gewaltsamen W^iderstandes
habe man auf die thatkräftige Hilfe Bayerns und anderer
befreundeter Mächte zu rechnen. Also zuerst Wien und
dann die übrigen Städte sollten von den Prädikanteu ge-
säubert werden — das war der Anschlag ! Auf Grund der
Konzession Maximilians, die keine Prädikanten in den
1) Bibl, a. a. O. S. 4 f.
2) Die Krankheit bestand in Melancholie und Menschenscheu.
3) Bibl, a. a. O. S. 18.
- 161 —
Städten zugelassen, wurde zunächst Opitz im Landhause und
dem Prädikanten Ziegler in Hernais das Predigen unter-
sagt. Bei Opitz wurde durch Albrecht von Bayern seine
falsche manichäische (d. h. flacianische) Lehre mit ins
Treffen geführt ^). Denn sonst konnte man ihm nicht viel
anhaben. Josua Opitz, wie wir sehen werden, war ein be-
gabter und gelehrter Mann, früher Superintendent in Regens-
burg, und dort nur deshalb entlassen, weil der Rat (nach
theologischen Gutachten, aus Tübingen und Braunschweig 2),
wo Gegner des Flacius wirkten), es für opportun erachtete.
Jedoch der Mann mußte nun einmal beseitig: werden, eben
weil er Tausende in Wien um sich sammelte und mit be-
redter Zunge das Evangelium verkündete.
Die Stände leisteten die Erbhuldigung und gaben
sich zufrieden mit der mündlichen Erklärung des Kaisers,
daß er ihre Freiheiten (also auch die Religionskonzessionj
respektieren werde. Damit war der geeignete Augen-
blick versäumt, um dem Kaiser die Freistellung des Gottes-
dienstes auch in den Städten und Märkten abzunötigen.
Die Sache war auf die lauge Bank geschoben, und als
hernach die Stände auf die verheißenen Verhandlungen
über die Religionssachen zurückkamen, zogen sie den
kürzeren. Der Hof hatte sie nicht mehr zu fürchten, und
es geschah, was eigentlich in Maximilians letzten Regierungs-
zeiten vorauszusehen war, daß nämlich die Evangelischen
streng nach dem Buchstaben der 1568 gegebenen Konzession
behandelt wurden. Die Schließung des evangelischen Gottes-
dienstes in Wien und Umgebung, die Ausweisung der
Prediger war nur die Folge davon. Obschon die Stände,
der Mehrzahl nach evangelisch, einen starken Druck 3) auf
1) Bibl, S. 22.
2) Bald standen andere Gutachten über Opitz, das Eostocker
z. B., den obigen entgegen (s. Raupach, Bd. I, ö. 142).
3) Gegen hundert Ständemitglieder erschienen am 27. Mai 1578
in der Hofburg, um eine von Ihnen unterfertigte Schrift, die auf
11
— 162 —
Kaiser Rudolf auszuüben wußten , obschon die meisten
Bürger Wiens der augsburgischen Konfession angehörten,
so war doch nichts über die Grenzen der Konzessions-
urkunde hinaus zu erreichen i). Die Gegner rechneten nur
zu gut mit dem zahmen Charakter der Opposition in Öster-
reich und wußten andererseits ihre Machtmittel beim Kaiser
in die Wagschale zu werfen. Nicht einmal der vierte Stand
(die Städte) war in Niederösterreich eng mit dem Herren-
stand verbunden; nach kurzem Zusammenhalten trennte
sich der Adel wieder von den Städten und ging seinen
eigenen Weg 2). Damit aber konnte die Rückgewinnung
der Städte und Märkte für die alte Religion und die
Reinigung der Ämter von Evangelischen beginnen. Den
Drohungen des Adels gegenüber gewährte die Berufung
auf den Landsberger Bund und auf Bayern dem Kaiser
Beruhigung. Nach langen Verhandlungen, auf die wir hier
nicht eingehen können, endete die Sache mit einem Rück-
zug der evangelischen Stände. Mit dem Jahre 1580 wurde
die katholische Restauration auf Grund der bayrischen
Ratschläge systematisch und in großem Stile durchgeführt.
Daß dabei auch die Uneinigkeit der Evangelischen
untereinander eine Rolle spielte, dürfen wir nicht leugnen.
Diese beklagenswerten Mängel wollen wir ohne Zögern an-
erkennen ; nur ist es nicht gerecht, etliche Männer besonders
dafür verantwortlich zu machen, wie es geschehen und
leider immer geschieht. Opitz mußte freilich für die offen-
baren Schäden, die seit der Mitte des Jahrhunderts in der
Kirche zu Tage getreten, büßen, und werden wir darauf
später zurückkommen. Dem Kaiser aber hat seine Politik
gegen die Protestanten nichts genützt, ja vielmehr Ver-
derben gebracht.
Zugeständnisse in Sachen des Gottesdienstes in Wien drang, zu
überreichen; vgl. Bibl, S. 58.
1) Wiedemann, Bd. II, ö. 212—214. (bes. Note 1).
2) Vgl. Bibl, S. 177.
— 163 —
Alles schlug nur zum Schaden für den Frieden des
Reiches und speciell auch für Rudolfs Autorität aus. Der
Kaiser lebte in ewigem Zwist mit seinen Unterthanen, die
wiederum um des Gewissens willen seine persönlichen
innersten Überzeugungen verletzen mußten. Solch ein innerer
Krieg zwischen Fürst und Unterthanen ist höchst ge-
fährlich für des ersteren Autorität. Rudolf sah seine fürst-
liche Gewalt unter dem Widerstand der Protestanten, be-
sonders auch in den böhmischen Kronländern ^), wo er die
Bestimmungen seines Vaters mißachtete, hinfällig werden.
Die Schwäche des Kaisers hatte aber für das gesamte Reich
die Folge, daß ein Teil desselben 1608 an Matthias ab-
getreten werden mußte, darunter eben Österreich unter
und ob der Enns. Und Matthias hatte noch weniger Sym-
pathie für die Protestanten als Rudolf, geschweige denn
sein Vater. Von einer Gewissensfreiheit, wenigstens für die
königlichen Städte, wollte auch er nichts wissen. Aber der
Bruderzwist im Hause Habsburg zwang König Matthias,
unter Vermittelung des mährischen Freiherrn Karl von
Zierotin, den Österreichern eine mehr ausgedehnte Religions-
freiheit zu erteilen 2), wofür er dann die Huldigung in Wien
und Linz (29. April und 18. Mai 1609) erhielt.
Damit hatte aber die evangelische Lehre keinen voll-
ständigen Sieg errungen und noch nicht volle Freiheit erlangt.
1) Beiträge zur Geschichte der Zeit Kaiser Rudolfs IL, von
A. Gindely, Sitzungsber. d. phil.-hist. KL, Bd. XVIII, Heft 1.
2) Dies geschah durch eine vom König erteilte Resolution, in
welcher der Assekuration Maximilians eine Ausdehnung auch auf
die Städte gewährt wurde (19. März 1609), wogegen freiUch der
Nuntius, der Bischof Leopold von Passau und Kiesel Beschwerde
erhoben (Wiedemann I, 538). Was alles hinter den Kulissen vorging,
bevor es zu solcher Resolution kam, hat Raupach, Bd. IV, Beilagen
12—23, mitgeteilt. Das Genaue über den Hergang findet sich in der
„Relation der Unter- und Ober-österr. evang. Stände Abgesandter
nach Wien, 1610", und „Kurzer Anhang, Was nach jener Relation
ferner zwischen I. Majestät und den drei evang. Ständen vorgegangen,
1610" (Raupach, Bd. IV, S. 204 Note).
11*
— 164 —
Denn die niederösterreichischen evangelischen Stände mußten
sich damit zufrieden geben, daß die Worte der den mährischen
Abgeordneten gegebenen Erklärung, als Grundlage für fol-
genden Zusatz bezüglich der Städte, der Resolution ein-
verleibt würden:
„In Ansehung der Städte lassen es Ihre Majestät bei
dem, wessen sie sich gegen die mährischen Abgesandten
in Gnaden erklärt, bewenden. Soviel aber das Landhaus
zu Linz und die Städte ob der Enns betrifft, welche Kirchen
und andere Gerechtigkeiten prätendiren, so sollen sie bei
dem gnädigst gelassen werden, wozu sie ihre Rechte er-
weisen würden."
Der mährischen Vermittelungsgesandtschaft unter Zierotin
hatte Matthias eine mündliche Erklärung abgegeben, dahin
gehend, er werde „die Städte in keiner Sache wider die
Billigkeit beschweren, sondern sie in allem also halten, daß
sie sich bei seiner Regierung über keinerlei Unbilligkeit
und Bedrängnis zu beklagen haben werden" ^).
Den Sinn der Erklärung des Königs Matthias gaben
die mährischen Vermittler den Österreichern auf ihr Er-
suchen schriftlich. Es ist sonach ersichtlich, daß allen
Einwohnern Österreichs Gewissensfreiheit gewährt war, daß
aber die Protestanten in den niederösterreichischen Städten
sich keine Kirchen bauen- durften. Es ist dies jedenfalls
eine Religionsfreiheit mit Hindernissen, und die Gegen-
reformation hat sich den zu verschiedenen Deutungen An-
laß gebenden Wortlaut der Resolution wohl zu nutze ge-
macht.
Daß die Stände alles an die Erreichung oder dann
die Befestigung der erreichten politischen Machtstellung
gesetzt hätten, wie Wiedemann bissig bemerkt 2), ist falsch.
Schon die Beteiligung Zierotins beweist das Gegenteil.
1) Vgl. A. Gindely, Die Gegenreformation und der Aufstand
in Oberösterreich im Jahre 1626, S. 5 f., aus den Abhandhmgen d.
phil.-hist. KI., Bd. CXVIII, Heft 6.
2) Bd. I, S. 548.
— 165 -
Unter seinem Einfluß geschah es, daß man Vertrauen
auf die Zusagen des Königs Matthias setzte, die doch nur
m ün d lieh geschehen und durch die Hand der mährischen
Vermittler schriftlich sichergestellt waren. Dieses Vertrauen
war politisch unklug, aber unter den gegebenen Umständen
v/ohl das einzig mögliche loyale Verfahren.
Der Widerstand der Katholiken , besonders Kiesels,
des im Vergleich zu seinen Nachfolgern toleranten Ministers
Matthias', zeigt, daß die Protestanten viel erreicht hatten.
Auch König Matthias ' hatte ein Opfer gebracht, denn er
wurde durch seinen Bischof von den Sakramenten aus-
geschlossen.
Wir können uns auf das Einzelne nicht einlassen,
zumal da die Eegensburger Akten über diese Zeit, abge-
sehen von zahlreichen Ordinationsgesuchen, schweigen. Beim
Tode Matthias' (20. Mai ]619) waren die evangelischen
Stände im Besitze einer hervorragenden Machtstellung und
die katholischen nur eine oppositionelle Partei. Zum Glück
ließen sie sich nicht in den böhmischen Aufstand zu weit
mitverwickeln, sondern traten rechtzeitig als loj^ale Unter -
thanen zurück. Sie huldigten mehrere Monate vor der
Schlacht am weißen Berge, am 13. Juli 1620, dem König
Ferdinand IL unter der Bedingung, daß ihre politischen
und religiösen Ereiheiten nicht angetastet würden^), und
Ferdinand verzieh seinen Gregnern. Damit retteten sie für
ihre Gewissensfreiheit, was noch eben in elfter Stunde zu
retten war. Mündlich hatte Ferdinand in der That am
11. Juli 1620 feierlich gelobt, die Stände bei dem Exer-
citio der Augspurgerischen Confession, wie sie es bei Kaiser
Matthiä Zeit gehabt, ruhig verbleiben lassen zu wollen.
„Glaubt Unsern Worten, sagte der Kaiser, die Hand auf
die Brust legend und über sich zum Himmel sehend, dann
Wir auch Alles, so wahr wir ein geborner Erzherzog, er-
wählter römischer Kaiser sein, gewisslichen halten wollen."
1) Gindely, a. a. 0. S. 1.
— 166 —
Es wurde auch diese Zusage zu Papier gebracht mit dem
Vermelderi, „das solche Worte I. K. M. den 11. Juli 1620
mündlich geredet und unter dero aufgedruckten kais. Secret
Insigl schriftlich herauszugeben verwilligt".
In Oberösterreich wurde die Gegenreformation gewalt-
sam durchgeführt, in Niederösterreich auf Umwegen, indem
die Prädikanten auf Anraten des Nuntius und des kaiser-
lichen Beichtvaters Lammormain, sowie zweier Jesuiten —
aber im Widerspruch mit dem kaiserlichen Eid einfach aus
dem Lande geschafft wurden (Dekret v. 27. Sept. 1627) i).
Daß nun die evangelischen Stände in den Jahren von
1609 — 1620 keine feste Ordnung des Kirehenwesens an-
strebten, zeugt von ihrer Vorsicht. Ihre Gegner hätten
sie auf Schritt und Tritt gehindert, und für die damalige
Zeit konnten sie ohne einen Summus Episcopus, oder die
autoritas magistratus nicht auslangen. Ihre Schöpfungen
wären nur Kartenhäuser gewesen, und für den bloßen Schein
wollten sie nichts thun. Während in den protestantischen
Territorien des Landesfürsten Entscheidung Norm und Regel
für kirchliche Neubildungen war, hätte man in Österreich
eine freie Kirche anticipieren müssen, was auch heute
noch bekanntlich die größten Schwierigkeiten bietet. Sind
doch auch die Kirchen unter dem Kreuz nicht am schlimmsten
dran: die Kirche Christi muß unter jedem Regime blühen
können, da sie in Christo, ihrem Haupte, alleinigen Schutz
und Halt hat.
B. Der Adel.
Die evangelische Bewegung ist in Österreich so mit
dem Adel verwoben, daß, wer eine vollständige Geschichte
derselben schreiben wollte, die Geschichte der vornehmsten
Adelsgeschlechter, sowohl der Grafen und Freiherren als auch
der Ritter, schreiben müßte.
1) Vergl. Wiedemann , Bd. I, S. 597, 601 ; Kaupach, Bd. I,
S. 270 ff.
— 167 —
Da aber der Zugang zu den Archiven, soweit dieselben
überhaupt noch bestehen , bisher noch mannigfaltig ver-
schlossen ist, so hätte das seine großen 8chwierigkeiten_
Bei der Auswanderung gingen natürlich viele ramilien-
papiere verloren, und die an die Stelle der Vertriebenen
tretenden Familien sorgten nur in seltenen Fällen für die
Erhaltung derselben, wo sie sie nicht gar verschleuderten.
Der Beispiele, wie leichtsinnig mit den Archiven umge-
gangen wurde und wird, könnten wir genug anführen, aber
dies gehört an einen anderen Ort.
Zur Zeit der Reformation lebte noch eine stattliche
Anzahl ältester Geschlechter im Erzherzogtum und in Inner-
österreich, deren Mitglieder sich des höchsten Vertrauens
und Wohlwollens ihrer Landesherren, bereits zu den Zeiten
der Babeuberger, rühmen konnten. Ihrer unentwegten Treue
und Loyalität konnten sie sich mit Recht berühmen i m
ganzen 16. Jahrhundert, wie solches H. v. Starhem-
berg (1598 bei einer Abordnung nach Prag) dem Erzherzog
Maximilian gegenüber that, indem er Nachdruck darauf
legte, daß sie nicht gethan, was die Niederländer oder
Franzosen gegen ihre Herren gethan^). Hohenecks Werk:
Österreichs Genealogien 2) führt jene Geschlechter an für
Oberösterreich, Wisgrill für Niederösterreich. Bei diesen
Geschlechtern finden wir oft das Prädikat „uralte Familie"
angegeben, und die meisten Familien sind untereinander ver-
wandt. Im Erzherzogtum unter der Enns waren nach der
Zählung, welche uns die Akten der von Backmeister ge-
leiteten Kirchenvisitation aufbehalten haben ^j, im Jahre
Ij Der diesbezügliche Bericht Starhemhergs an die obcrösterr.
Landstände findet sich im Linzer Landesarchiv.
2) 3 Bände, Fol., von denen der dritte äußerst selten, da ein
Brand gerade diesen zum größten Teil zerstört hat. Außerdem giebt
es ein sehr umfangreiches Wappen buch von V. iSibraacher, welches
weit korrekter ist als Hoheneck und neuerdings von O. Hefner wieder
herausgegeben wird.
3) Die Kirchenvisitation; vom Jahre 1580 findet sich im 4.
Bande des Raupachschen Werkes.
— 168 -
1580 aus dem Herrenstand 81 , aus dem Ritterstand 96
Protestanten, und diese geboten über 7 Städte, 35 Märkte,
.150 Schlösser und 130 Dörfer. Die geachtetsten Namen
des Adels, die Dietrichstein, Liechtenstein, Rogendorf und
Starhemberg, Zinzendorf, Polhaim, Jörger zu Tollet und
Kreusbach, Eyzing, Perckhaim, Perckirchen , Puchhaim,
Kirchberger, Zelking, Mamming , Losenstein, Tschernembl,
Salm, Strein, Ruber, die Grabner, die Gebrüder Enickl
u. s. w. gehörten zur evangelischen Kirche in Österreich.
Nicht gering war auch die Zahl der evangelischen Stände
in dem Erzherzogtum ob der Enns, beträchtlich auch in
Innerösterreich, also in Steiermark, Kärnten und Krain , wo-
selbst Loserth die loyale Haltung, Ehrlichkeit und Bildung des
Adels aufs höchste rühmt i) , Die meisten dieser Herren
bekleideten die höchsten Ämter und Würden und wurden
zu allen Staatsgeschäften hinzugezogen. Sie begegnen uns
auf den Reichstagen und werden zu Gesandtschaften im
Auslande verwendet. Sie bewohnten die herrlichsten
Schlösser in schönen Gegenden. Des Chyträus Begleiter,
der junge Edeling, rühmt in einer dichterischen Beschrei-
bung Spitz als das glänzende Städtchen am Donaufluß, von
Weinbergen rings umgeben, bewohnt von den Kirchbergern ^).
Auch Lucas Backmeister genoß Gastfreundschaft auf diesen
Schlössern. So war er bei Christoph Ruber, dem Vater
des berühmten Eeldhauptmanns, Patron des Joachim Magde-
burgius; ferner bei diesem selbst in seinem Schloß zu
Grafenwerd, das voll von Waffen und Trophäen war, und
wo sich ein von einem gefangenen Türken angelegter
schöner Garten befand. An den Disputationen der Theologen
nahmen die Gastherren Anteil, und Chyträus rühmt die
Frömmigkeit, die Weisheit und Schärfe des Urteils an ver-
1) Loserth, Die Eeformation und Gegen reform atin in Inneröster-
reich, bes. S. 271 Note, 343. Sie standen im Schutze des h. röm.
Reichs; s. J. Ges. für Prot. 1899, S. 188.
2) Chyträus, Epp. S. 446, und Schütz, De vita D. Chytraei, II,
S. 32.
— 169 —
schiedenen dieser Herren i). Nachmals wünschte er sich in
diese Gegenden zurück.
Selbst Frauen traten mutig ein für ihren evangelischen
Glauben. Judith von Polhaim, geb. von Weißpriach, riet
der Schwester Maximilians Kathax'ina, Königin von Polen,
die von ihrem Gemahl getrennt in Linz lebte, die heilige
Schrift zu lesen, um sie für das Evangelium zu gewinnen.
Sie erhielt eine sehr gemessene, aber freundliche Antwort
von der Königin, daß ihr die Bibel gar wohl bekannt sei
und sie dieselbe oft durchgelesen zu ihrer größten Freude
und Trost 2). Die Frauen scheinen besonders auch die
strengen Prediger zu lieben; als ein Beispiel tritt uns
Barbara von Zinzendorf entgegen, welche Reuter als ihren
Vater bezeichnet. Wenn sie auch nicht jene ansehnliche
Eolle spielten, wie in der französischen Reformation, welche
große Namen aufzuweisen hat ^), so haben sie doch mannig-
faltig durch ihren sanften und stillen Geist, durch ihr Gebet
und ihren Glauben ihre Männer zum Widerstand gegen die
katholische Partei angetrieben und in demselben bestärkt.
Daß nun freilich das Hofleben und die Hofsitte bei
den Adeligen im 16. Jahrhundert nicht alsbald mit dem
Wechsel des Bekenntnisses sich auch schon gründlich
änderten, ist nach der menschlichen Art wohl selbstverständ-
lich. Wir sind hier nicht in der Zeit des Pietismus ; freilich
gab es auch damals schon Kritiker, besonders im Freundes-
kreise Polykarp Leysers, des Dresdener Hofpredigers, welche
einen asketischen Maßstab anzulegen liebten. So klagt
1) Raupach III, 100—103; D. Chyträus, Orationes (heraus-
gegeben von seinem Sohne), S. 389.
2) Der Brief der letzteren vom 16. Oktober 1568 findet sich in
CoUectanea Geneal. Hist. ex Archiv. Austr., Vienn. 1705, p. 177 und
bei Raupach, Bd. II, S. 171.
3) Unter den französischen Frauen, welche sich an der Aus-
breitung der evangelischen Lehre beteiligten, nennen wir Johanna
von Navarra, nebst ihrer Mutter Margaretha, Renata von Fcrrara,
Charlotte von Bourbon, Charlotte de Laval, Louise von Teügny,
Jacqueline de Moribel u. v. a.
— 170 —
der Nachfolger Leysers, M. Joh. Prätorius, in einem Schreiben
an den Erstgenannten nach Dresden im Jahre 1600 über
die Mittel, welche die evangelischen Landstände anwendeten
nm ihre kirchlichen Zwecke zu fördern. Es seien noch
dieselben, wie zur Zeit der Assekuration unter Maximilian,
wo sie 40 Tonnen Goldes für jene gegeben. Dabei klagt
er über die merklich veränderten Zustände in Göllersdorf,
woselbst nach dem Tode des so frommen und christlichen
Patrons Hans Christoph von Puchhaim, bei Minderjährigkeit
der nachgelassenen Erben , reichlicher Anlaß zu Klagen
gegeben war ^). Auch über die Aneignung der Kirchen-
güter seitens der Adeligen klagt er als ein gemeines Übel
in Österreich, ferner über das reichliche Essen und Trinken
an den Adelshöfen. An der evangelischen Lehre lag solches
alles nicht. Oft genug hatten Prediger, wie Moseder, Keuter
und auch Magdeburgius, unerschrocken ihre Stimme erhoben.
Besonders der letztere ging in einer eigenen Predigt von
„Johannes dem Täufer" schon 1565 den Predigern scharf
zu Leibe. Er erinnert sie, was für Glück sie zu Hofe zu
gewarten haben unter Hinweis auf Johannes den Täufer.
Dieser sei nicht einer, der weiche Kleider trage, gewesen,
„das ist, er sey nicht ein Fuchsschwäntzer, Heuchler vnd
Suppenfresser oder Tellerlecker, kein Tüncher oder Polster-
macher, kein Euchß der nicht für die lucken trete gewesen
, der den Leuten nach dem Maul rede, und ihnen
placentia sage". Zum andern sollen die Prediger aus dem
Ruhm, den Christus dem Johannes gibt, lernen, wie sie sich
in ihrem Amt rechtschaffen verhalten sollen. „Sie sollen
nicht lose, leichtfertige leut sein, keine Wetterhanen oder
Windmüller, welche den Mantel nach dem Wind schicken
vnnd den leuten sagen, was sie gern h-ören wollen. Sollen
nicht wanckelmütig noch unbeständig sein, welche zu ver-
folgungszeiten verleugnen oder verschweigen, was sie zu
fridenszeiten mit grosser freimütigkeit gelehrt und bekand
1) Eaupach, Presbyt., 143, ferner IV, 124.
1
— 171 —
haben Wie wir aucli dergleichen zu vnsern zelten
mit grossem hertzenleid gesehen und erfahren an den
Interimisten vnd Adiaphoristen, welche zu Fridens Zeiten
die Warheit frei vnd öffentlich lehreten vnnd bekenneten,
auch vil grosser bücher für die Warheit Vnnd wider die
veruolger derselben schrieben, Zu welchen sie sich her-
nach in zeit der veruolgung nicht dorften bekennen, sondern
vilmehr dieselben verleugneten" etc. Genug also des Guten,
um den Predigern Warnungen zu geben, auf dem glatten
Boden der adeligen Höfe mit Vorsicht zu wandeln.
Die guten Elemente des Adels nahmen solche Predigt
mit Dank entgegen, trotzdem sie ja eigentlich mit Herodes
in einer Linie zu stehen kamen. Magdeburgius schonte
eben niemand. Sie suchen sich über die schwebenden
Streitfragen aufzuklären ; wiederholte Bücherbestellungen
in Briefen an Gallus beweisen das. Gundakar von Starhem-
berg bestellt sich durch J. F. Cölestin, dem er nach seiner
Vertreibung aus Ortenburg Unterkunft an der bayrischen
Grenze gewährte, alle Schriften über die adiaphoristischen
Streitigkeiten (1565). Perckkirchen wie Perckheim zeigen
sich in ihren Briefen aufs beste über alles unterrichtet.
' Die Stammbäume mehrerer ältester Geschlechter be-
schlossen damit, daß noch der Letzte an den Segnungen
des Evangeliums Anteil erhielt. Dahin gehören die Fa-
milien der Perckheim, der Schaunberg 1), endlich die Familie
der Khunring^). Wie eng die Landesfürsten selbst mit
verschiedenen Herren vom Adel verbunden waren, zeigen uns
zwei Beispiele: einmal das Verhältnis Kaiser Maximilians L,
der dem Sigmund Freiherrn von Dietrichstein ein Ehren-
denkmal in der Burgkapelle zu Wiener-Neustadt setzen
ließ, was er ihm schon bei Lebzeiten zugesagt und was von
Ferdinand L dann ausgeführt wurde.
1) Vergl. über sie Strnadt in seiner großen Abhandlung : Peuer-
bach, im Museuiji Francisco-Carolinuin, Linz 186S.
2) Blätter des Vereins f. Landesliunde in Niederösterreich,
Neue Folge, Bd. II, S. 11, 18ü9j.
- 172 —
In gleicher Weise ehrte Rudolf IL den Freundschafts-
bund zwischen Maximilian IL und Adam von Dietrichstein
dadurch, daß der Sarg des letzteren in der kaiserlichen
Gruft zu Prag neben den Sarg des ersteren gestellt wurde i).
Wir werden auf den Adel fortwährend zurückkommen ;
auch bei Besprechung der einzelnen Prädikanten (im folgen-
den Abschnitt) und bei der Agende , sowie der Kirchen-
visitation. Wir lassen es hier bei den wenigen allgemeinen
Bemerkungen bewenden und fügen nur noch etwas über
die damalige Landesordnung bei.
Die Landschaft war aus den drei Ständen oder „Land-
ständen" der Prälaten, der Herren und der Ritterschaft ^j
zusammengesetzt und versammelte sich alljährlich auf einem
Landtage. Dieselbe hatte seit alter Zeit ihre zahlreichen
Privilegien und Rechte, welche der Landesfürst bei der
Erbhuldigung beschwören mußte; sie war in den einzelnen
Ländern eine zweite Macht neben der landesfürstlichen
und bewilligte die Forderungen des Fürsten, stellte aber
auch ihre Bedingungen. Die Städte bildeten einen nicht
immer anerkannten vierten Stand, obwohl sie es anstrebten
und auch bei wichtigen Fragen auf dem Landtage zugezogen
wurden. An der Spitze stand der Landmarschall ; das war
1568 Herr von Rogendorf; ferner der Landesverweser;
auch gab es, wie wir hören werden, ständige Ausschüsse,
welche in Abwesenheit der Stände amtierten ; weiter einen
Landessekretär, als welchen wir Barthol. Pica in Graz
kennen gelernt haben , und einen zweiten in Chr. Thalhamer,
einen dritten in M.Amman kennen lernen werden; endlich gab
es einen Quästor, welches Amt derselbe Pica auch zeitweilig
verwaltete. Der Sekretär war häufig das Faktotum der
1) Archiv f. vaterl. Gesch. und Topographie, herausgegeben v.
hist. Verein f. Kärntheu, III, 5; Klagenfurt 1856.
2) Letztere zwei auch schlechthin die „Landleute" genannt.
Vgl. dazu K. Haselbach, Über die Stände Niederösterreichs im
16. Jahrhundert (Blätter des Vereins für Landeskunde von Nieder-
österreich, 4. Jahrg., Wien 1870).
- 173 —
Landschaft, wie es offenbar bei Pica und Amman der Fall
war. Die Stände machten auch wohl dem Kaiser, wie wir
bei der Agende sehen werden, Ehrengeschenke, stellten als
Bedingung die Gewissensfreiheit, drohten gelegentlich, wie
zur Zeit des Matthias, und suchten selbst Bündnisse außer-
halb des Territoriums ^).
C. Die Prädikanten,
Wichtiger als Kaiser und Adel für die Ausbreitung
des Evangeliums waren die Diener am Wi^rt, die Prä-
dikanten — die eigentliche Großmacht des Jahrhunderts,
wenn sie rechter Art waren. Und an diesen war Österreich
nicht arm ; es erhielt sie vom Reiche, besaß aber auch unter
den eigenen Landeskindern treffliche Prediger und Schul-
lehrer, die als kühne Streiter für ihren Glauben auftraten,
und deren Namen die Geschichte aus den Archiven erst
wieder zu erheben haben wird. Während in dem benach-
barten Bayern vor der Ankunft der Jesuiten, 1557, fast
gar keine bedeutenden Lehrer hervortraten '-^j, und die bald
nach' 1560 eintretende Gegenreformation Herzog Albrechts
die Ausländer systematisch fernhielt^), stand es in Oster-
reich ganz anders. Dieses steht ein Jahrhundert lang unter
dem Zeichen der neuen Lehre, und auch hier, wie in Deutsch-
land, waren es die fähigsten, mutigsten und tüchtigsten
Köpfe, die sich derselben zuwandten.
Die Verbreitung der evangelischen Lehre läßt sich von
Anfang der Reformation an verfolgen ^) ; früh schon fand
1) Vgl. auch Pfausers Bericht an Blahoslav bei Gindely in Fontes
rerum Austriacarum. Abt. 2, Bd. XIX, S. 164 und ßeimann in Sybels
H. Z. VIII, Heft 1, S. 12.
2) Aretin, Maximilian I. von Bayern, Bd 1, S. 176 nennt aus
der alten Schule von Eck in Ingolstadt nur zwei: Gotzmann (The-
ander) und Hunger.
3) 1569 wurde der Besuch protestantischer Hochschulen ver-
boten, Aretin, a. a. O. I, 177.
4) Eine wohlgehnigene Darstellung siehe bei A. Czerny, regulirteiii
Chorherrn von St. Florian und ehemaligen Bibliothekar: Der erste
— 174 -
dieselbe Eingang. An der Spitze der mit Luther Sj'^mpathi-
sierenden steht der Landeshauptmann Wolfgang Jörger
zu Tollet, der seinen ältesten Sohn Christoph 1521
in Wittenberg Luthers Unterricht genießen läßt. Die
Familie bleibt im engsten Verkehr mit Wittenberg. Die
mit Luther gewechselten Briefe hat Martin Moseder 1561
zu Regensburg drucken lassen. Luther schickt dem Sohne
Christoph als ersten Prediger in Österreich den ehe-
maligen Mönch Michael Stiefel. Als einen anderen Kor-
respondenten Luthers lernen wir Barthol. v. Starbemberg
kennen; der an ihn gerichtete Brief Luthers ist vom
1. Sept. 1523. Später standen Georg und Johann v. Schaun-
berg mit Luther in brieflichem Verkehr.
Weiter erwies die Visitation der Klöster vom Jahre 1528,
veranlaßt durch Faber, den Bischof von Wien ^ i, daß die
Reformation in den Klöstern Nieder- und Oberösterreichs
zahlreiche Anhänger hatte.
Die Kirche hatte ihren Einfluß eingebüßt, wie Czerny
sagt (S. 51 f.), und war in ihrer Existenz bedroht. In ihrem
Gutachten an Erzherzog Ferdinand vom 7. Juni 1525 finden
die Stände ein Hauptursache der Empörung der Bauern in
dem verweigerten Wort Gottes und in dem Hass, mit
welchem dasselbe von den Gegnern bekämpft werde. Im
Verzeichnis der Artikel, welche alle nieder- und oberöster-
reichischen Lande in Innsbruck beraten sollten und welche
in Linz am 14. Juni 1525 aufgesetzt wurden, heißt es „Zu-
allererst daß das heilig Evangeli recht und ainheilig allent-
halben gepredigt und Niemand deshalben in Irrsal geführt
werde."
Wenn die Majorität des Landtages den Fürsten mit
der offenen Bitte, dem Worte Gottes kein Hindernis zu be-
reiten, nahen durfte, so läßt sich schon daraus schließen.
Bauernaufstand in Oberösterreich, 1525 (Linz 1882); ferner Wiede-
mann I, I. Buch: Die reformatorische Bewegung.
1) Vergl. Wiedemann, I, 52.
— 175 —
wie viele adelige Familien sich bereits den reformatorischen
Bestrebungen angeschlossen hatten. Österreich war von
der Bewegung der Geister damals nicht isoliert, wie
später. Wenn schon am 12. Mai 1523 Ferdinand die
Schriften Luthers , Ökolampads und Zwingiis verbieten
muß, die das Land überschwemmten, besonders durch das
Mittel des Handels von Linz und Steyr mit Regensburg;
Augsburg, Nürnberg und durch die stark besuchten
Linzer Jahrmärkte, so läßt sich aus dem Verbot und dessen
Motivierung auf die Nachfrage schließen. In seinem strengen
Edikt V. J. 1528 nennt Ferdinand die Buchdrucker und
Buchhändler gradezu die Hauptverführer und Vergifter
seiner Lande. Derselbe Fürst verschwieg aber nicht in
der geheimen Instruktion seiner Gesandten an Karl V \/
(in der ersten Hälfte des Jahres 1524), daß die Zwietracht
in religiösen Angelegenheiten, die Beraubung der Kirche,
die Untergrabung aller Autorität größtenteils
(potissimum) daher entstanden seien, daß beinahe der ganze
geistliche Stand mehr das Fleisch und die Welt, als den
Geist und die Religion spüren lasse ^). Vier Jahre später
erkennt er als die Ursache der raschen Verbreitung der
unchristlichen Sekten, besonders der Wiedertäufer ^), den
Mangel an ehrbaren, geschickten, wohlgelehrten, verständigen
Predig;ern an, was er in seinem Testament abermals wieder-
holt 4).
Das Predigerwesen lag eben, wie Wiedemanu sagt
(I, S. 60 f.), im Erzherzogtum im argen. Weder im Bistum
Wien, noch im Bistum Passau fanden sich Männer, die dem
Schaden abgeholfen hätten. Die Zahl der Tauglichen neigte
zu den Ideen der gierig aufgesogenen neuen Lehre, sei es
in den Schlössern, sei es in den Städten und Marktflecken
oder auf dem Lande.
1) S. Archiv f. österr. Gesch.-Quell. I, 109 ff.
2) Czerny, a. a. O. 62.
3) Die sich hier auch unnütz machten und sich bis Steiermark
und Mähren hinein schlichen (besonders Hans Hut).
i) Buchholz, Ferdinand I., Bd. VIII, S. 741.
— 176 -
In Steyr predigte im Jahre 1524 der Barfüßermönch
Patricius, der als gefährlich mitten in der Fastenzeit ent-
fernt werden sollte. Erst auf die eindringliche Bitte des
Stadtrates wurde sein Bleiben gestattet. In der Fasten-
zeit 1525 predigte der Franziskaner Calixtus zu Steyr in
lutherischem Sinne, und die Stände in Linz meinten dazu,
sie hielten das für das rechte Evangelium und göttliches
Wort 1).
Von der Kirche ist schon nimmermehr die Rede in
diesen Verhandlungen. Im Benediktinerkloster zu Garsten
predigten der Prior Michael Forster und sein Kooperator
Hans Weinberger unter Gutheißung der Steyrer Bürger
ebenfalls lutherische Lehre; ersterer mußte abberufen werden,
worauf er 1528 starb 2).
In der Hauptstadt Linz, dem Mittelpunkt des öffent-
lichen Lebens in Oberösterreich, trat zu Anfang des Jahres
1524 Leonhard Eleutherobius (Freisleben), ein aus dem
Reich eingewanderter deutscher Schulmeister, mit der Über-
setzung der Bugenhagenschen Schrift „von der Sünde im
hl. Geist und wie man die Psalmen lesen soll" hervor.
In einer Vorrede widmet er das Büchlein den „sogenannten
Geistlichen" in Linz und freut sich über das wieder an
den Tag gekommene Wort Gottes, tadelt aber jene, welche
die Mutter des Herrn über das Wort Gotte;s setzten ^).
In Gmunden müssen schon 1523 ziemlich viele An-
hänger Luthers gewesen sein, darunter der Priester und
Rektor der Stadtschule Kaspar Schilling, welcher heiratete
und sodann nach Enns ging^j.
1) Czerny, S. 55 u. 56.
2) Vergl. Preuenhuber, Annal. Styr., S. 241.
S) Für diesen und den folgenden Fall vergl. Czerny, S. 56.
4) Vergl. Raupach, Presbyt., S. 175 ff. Dafür, daß die Masse
der Laien mit protestantischen Ansichten erfüllt war, vergl. auch
Stieve, Gesch. des oberösterreichischen Bauernaufstandes, I, S. 26.
Für Gmunden speciell vergl. die wertvolle Geschichte dieser Stadt von
Dr. F. Krackowizer, II, S. 129 ff., wonach das Übergewicht des
Protestantismus schon um die dreißiger Jahre eine vollendete That-
sache war.
— ITT —
In einem Bericht der Stände an den Wiener Hofrat
vom St. Valentinstag 1526 wird bemerkt, daß schon vor
dem Auftreten des oben genannten Calixtus in Steyr auch
in anderen Städten und auf dem Lande verschiedene Prediger
wegen verdächtiger Lehre nach Passau citiert wurden und
„spurlos verschwunden seien".
Schon im Jahre 1524 klagen verschiedene Klöster über
Ausreißer und Überläufer i). Jünger des heiligen Franciscus
waren es, welche in den österreichischen Ländern evangelische
Predigt verbreiteten, und im Domkapitel von Passau saß
der Dechant Rupert von Mosheim, ein Frtund der Refor-
mation 2).
Bei der Gefangennahme des bekannten Leonhard Keiser,
der im Bayrischen 1527 hingerichtet werden sollte, legten
die , vornehmsten Edelleute Oberösterreichs, u. a. die Grafen
von Schaunberg, beim Bischof von Passau ein Fürwort für
sein Leben ein ^).
Wenn auch seit der Versammlung der Bischöfe Süd-
Ost-Deutschlands zu Regensburg im Jahre 1524 seitens der
katholischen Klerisei im ganzen Lande ein Kampf gegen
das Luthertum von den Kanzeln organisiert und gegen die
verdächtigen Priester mit Absetzung vorgeschritten wurde,
so blieben solche von oben befohlene Verteidigungsmaß-
regeln doch wirkungslos (Czerny, S. 60). Auf allen Land-
tagen brach der Unwille der oberen Stände los, und nichts
konnte mehr die Ausbreitung der evangelischen Lehre ver-
hindern. Die Visitationen der Jahre 1555, 1562 und spätere
1) Vergl. Schelhorn, Vom Ursprung und Fortgang der evang.
ReUgion in den salzb. Landen, S. 71, 79. Über die Verbreitung der
evang. Lehre in Tirol s. „Beiträge zur Geschichte Tirols in der Re-
formationszeit" im Jahrbuch der Gesellsch. für d. Gesch. des Protest,
in Österr., Bd. VI, S. 145 s. ; ein Aktenbündel über die späteren
Schicksale des Evangeliums in Tirol findet sich im Laibacher Landes-
archiv, das ich 1893 dort eingesehen habe.
2) Czerny, a. a. O. S. 60; Wiedemann II, 335.
3) Czerny, S. 54.
12
- 178 —
mußten die kirchlichen Behörden überzeugen, daß der weit-
aus größte Teil des Klerus im Bannkreis der neuen Lehre
stand. Die Bekenner des Evangeliums mußten zwar zu-
nächst unter Kreuz und Verfolgung ihr Dasein fristen ;
um so mehr setzte sich aber das Evangelium in den Herzen
fest, so daß die prädikantenlose Zeit nicht so schwer
empfunden wurde. Die anfangs heimlich ins Land ge-
drungenen, dann wieder verjagten Prediger mehrten sich
seit der Mitte des Jahrhunderts, und unter dem milderen
Scepter Maximilians kamen sie endlich in Scharen, um dem
Volke die regelmäßige Verkündigung des Evangeliums und
schriftgemäße Verwaltung der Sakramente zu bringen.
So nehmen wir eine ganz naturgemäße Entwickelung
der evangelischen Bewegung in Österreich wahr; besonders
ist es die Verbindung mit Regensburg, die in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts dem Lande gute Prädikanten ver-
schaffte und so einen guten Volksunterricht ermöglichte.
Vor allem aber hatten diese evangelischen Männer den
reichen Bücher- und Liederschatz ihrer Kirche zur Ver-
fügung, worunter die Bibelübersetzung und überhaupt Luthers
Werke den ersten Rang einnehmen. So schmolz unter dem
warmen Hauche des Evangeliums das Eis der kirchlichen
Satzungen in vieler Herzen, und an die Stelle trat frisches
geistliches Leben. Inwiefern an alle dem die Prädikanten,
wenn auch durch den Widerstand immer wieder gehindert.
Anteil hatten, das werden uns die folgenden Blätter zur
Anschauung bringen.
Widerlegt haben die Feinde die Prediger des Evange-
liums nicht; — nur waren dieselben wider solche kein
Mittel scheuende Rekatholisierung , wie die Jesuiten sie
eingeführt hatten, nicht gerüstet. Sie gingen eben unter,
und nur wenige Apostaten haben wir zu beklagen. Aber
auch der Untergang wurde auf ein halbes Jahrhundert, bis
in die Zeit des dreißigjährigen Krieges, hinausgezogen,
während in Bayern schon 1569 das Schicksal der evange-
lischen Bekenner besiegelt war. Die Ursache davon war
— 179 -
Herzog AlbrecLts entschieden katholische Haltung und
der Mangel an begeisterten Prädikanten i). Merkwürdig ist,
daß die schlimmsten Feinde des Evangeliums in Osterreich
aus Bayern hereinkamen; wir nennen nur Georg Eder (Hofrat;
aus Freising, Eisengrein aus Ingolstadt. Merkwürdig ferner
ist, daß Staphylus, Superintendent in Ingolstadt, ein Apostat
und geborener Osnabrücker war, und der bösartige Gegner
von Cölestin und Rorer, der Apostat Caspar Franck, später
Professor in Ingolstadt, ein gebürtiger Meißener. Rudolf
Klenck endlich war aus Bremen und Professor am Seminar
in Ingolstadt. Der bereits erwähnte Propst und Polemiker
Eisengrein zu Ingolstadt war ein Stuttgarter und auch wieder
übergetreten zum alten Glauben. Also lauter Apostaten und
Fremde besorgten die Geschäfte Roms, und in Bayern selbst
ließ mau geduldig alles über sich ergehen.
Wir beginnen mit dem Lebensbild des Mannes, dem
das Heil der evangelischen Kirche in Österreich besonders
am Herzen lag, mit Nicolaus Gallus.
I. Nicolaus Gallus 2).
Gallus, geboren zu Köthen in Anhalt (1516), gehörte
einer sehr angesehenen Familie an. Sein Vater, eigentlich
Han, was der Sohn in Gallus umwandelte, war fürstlicher
Rat und Bürgermeister. Dieser Sohn nun war durch die
göttliche Vorsehung berufen, im Süden Deutschlands und
mittelbar auch in Österreich segensreich zu wirken. Schon
frühzeitig, nachdem er seine Studien in Wittenberg vollendet
und daselbst magistriert hatte, berief ihn der Rat von
Regeusburg auf Luthers Empfehlung als Diakon an die
Marienkirche. Er sollte hier die Einführung der evangelischen
Lehre neben Mag. Nopp, dem gleichfalls empfohlenen Super-
intendenten, unternehmen (1543). Hier las er zuerst die
deutsche Messe und schrieb mehrere erbauliche Schriften,
1) Aretin, a. a. O. I, 62—234.
2) Vgl. den Artikel „Gallus" von Kawerau in der Prot. E. E.,
3. Auflage.
12*
— 180 -
während Nopp die Kirchenordnung verfaßte. Unter den
schweren Bedrängnissen des Augsburger Interims wich er
mit den anderen Predigern aus der Stadt (Juni 1548) und
ging nach Wittenberg, wo er Cruciger vertrat und mit
riacius näher bekannt wurde. Hier aber stand alles anders,
als da er es verlassen; an Stelle des heldenmütigen Luther
fand er Theologen, welche mit dem Kurfürsten Moritz
wegen Annahme des Interims verhandelten. Gerade jetzt
wurden jene entscheidenden Konvente von Meißen, Pegau
und Celle, Jüterbogk und Leipzig gehalten, wo sich die
Ohnmacht der Wittenberger Theologen offenbarte. Er
war nur zurückgekehrt, um hinsichtlich seiner Freunde
(Melanchthon , Major , Bugenhagen) bitter getäuscht zu
werden. Er verließ daher Ostern 1549 die Stadt, ge-
rade als das Leipziger Interim vom Kurfürsten in Torgau
bekannt gegeben wurde. Zunächst ging er nach Magdeburg,
wo sein Schwager Heinrich Merckel Sekretär war, und
wurde erster Prediger an der Ulrichskirche. Bald kamen
auch der aus seinem Bistum Naumburg vertriebene Ams-
dorf und Elacius, der kurz vor Gallus Wittenberg verlassen
hatte. Auch hier wirkte Gallus vorzugsweise als Seel-
sorger, scheint aber damals schon nicht ohne Einfluß aul
wichtige Entscheidungen des Rates gewesen zu sein. Die
feste Haltung Magdeburgs, auch während der Belagerung
durch Moritz, ist Gallus und Elacius zuzuschreiben. Zu-
gleich nahm Gallus Anteil an dem Schriftenkampf gegen
die Wittenberger, dessen Anführer Elacius war. Sein
Name steht in gewichtigen Schriften obenan, vor dem des
Elacius 1). Nach dem Passauer Vertrage gelangte auch
Regensburg wieder zur Ereiheit des evangelischen Bekennt-
nisses, und der Rat berief alsbald Gallus zurück, was dieser
nur nach großen inneren Kämpfen annahm, da es ihm
schwer wurde, aus dem Magdeburger Ereundeskreis zu
1) S. Preger II, S. 544 f. (Verzeichnis der Schriften und Flug-
blätter aus jener Zeit;.
- 181 —
scheiden. Er wurde in Regensburg Superintendent und
ordnete das sehr verwahrloste Kirchenwesen aufs Neue-
Eine Hauptstütze fand er an dem würdigen Dr. Hiltner,
Advokaten der Stadt Regensburg, den uns die Regensburger
Akten wiederholt nennen. Die Schwierigkeiten mit dem
Bischof von Regensburg wußte er geschickt zu umgehen ;
seine Besonnenheit zeigte sich auch den Feinden gegenüber,
so daß er bald der Schützer der in Bayern, Österreich und
Salzburg sich bildenden evangelischen Gemeinden wurde.
Bei alledem vergaß er seine Magdeburger Freunde nicht.
Er unterstützte dieselben getreulich in ihren Kämpfen, be-
sonders gegen den Majorismus. Auch bei dem großen kirchen-
geschichtlichen Werke des Flacius leistete er treue Hand-
reichung. Der Hauptförderer desselben, Kaspar von Nid-
bruck 1), bediente sich seiner Beihilfe und sandte ihm eine
große Anzahl von Werken behufs Excerpierung für die be-
rühmten Centurien nach Regensburg (Oktober 1554). In
einem Briefe Nidbrucks an Gallus wird dieses Quellen-
material, welches von überall her zusammengebracht war,
in den Dienst der Centuriatoren gestellt, — das heißt also,
unter gewissen Kautelen der schrankenlosen Benutzung durch
Flacius und seinen Amanuensis Wagner anheimgegeben.
Letzterer war ein halbes Jahr in der Wohnung des Super-
intendenten Gallus damit beschäftigt. Zugleich leitete Gallus
Geldsammlungen ein, und sein Name machte auch in Oster-
reich für dieses den Feinden bald so verhaßte Werk
Propaganda. Christoph Reuter sammelte in Niederösterreich,
Rica in Steiermark während der ganzen Zeit der Her-
stellung der Centurien. Noch am 3. April 1564 schreibt
Rica an Gallus über diese Sammlungen, bemerkt aber, daß
bei ihm im Lande „hergelaufene Prediger, die aus Euren
Gegenden stammen und sich hier eingedrängt, jenes heilige
und fromme Werk der Kirchengeschichte, zugleich mit
ihrem Verfasser" in Verachtung brächten und auch die
1) Vergl. Bibl: „Nidbruck und Tanner", S. 18.
— 182 —
Herzen der wohldenkenden Magnaten entfremdeten. Er
selbst müsse oft für die gute Sache der frommen Männer
eine Lanze einlegen und häufig werde er gezwungen, über
den Streit und Hader im Reich Bemerkungen zu hören.
Das sei der Dank, der frommen Männern gezahlt würde.
„Oh greuliche Zeiten, veni Christel"
Unsere Aktenstücke beweisen die ununterbrochene
Teilnahme, welche Gallus den allgemeinen Angelegen-
heiten der evangelischen Kirche gewidmet. In Osterreich
waren viele adelige Herren, die auch ein offenes Auge für
diese Dinge hatten. So war Christoph Jörger zu Tollet und
Kreuspach auf dem Regensburger Reichstag (1556), wo die
zwischen Katholiken und Protestanten streitigen Punkte
verglichen werden sollten, anwesend und läßt des Gallus
Schwager Merckel, einen der Magdeburger Abgeordneten,
in einem Brief an Gallus vom 18. August 1557 grüßen.
Auf diesem Reichstag war es, daß Gallus die Gelegenheit
ergriff, die Abweichungen der „Wittenberger" von der
reinen Lehre Luthers in zahlreichen Predigten zu geißeln.
Auch zu dem Frankfurter Konvent, den die Protestanten
behufs Vorbereitung zum Wormser Religionsgespräch und
Schlichtung ihrer eigenen Lehrstreitigkeiten abhielten (1557),
wurde Gallus abgeordnet i), um an der Ausarbeitung einer
Instruktion für die evangelischen KoUokutoren zu helfen.
Es fanden seine zwei Vota, die eine klare Stellungnahme
zu den in die Kirche eingerissenen Irrtümern forderten,
zwar nicht die Zustimmung der Majorität, wohl aber ein
beifälliges Echo in Österreich. Der alte Jörg von Perck-
haim hebt in einem Briefe an Gallus (14. Dezember 1557)
hervor, wie sehr sie des Gallus gegen die „Sectierer" be-
1) Ein Brief des Lindauer Pfarrers G. Necker (1559), dessen
wir unten erwähnen werden , bezeugt das Zusammentreffen mit
Gallus in Frankfurt und ihr inniges Verhältnis, das durch einen
österreichischen Adeligen, Johannes Stockhorner, vermittelt wurde.
Über diese Versuche zur Einigung der Fürsten auf verschiedenen
Konventen vgl. Preger, Bd. II, S. 63 ff.
— 183 -
dürften. Jener war auch in Regensburg, wohl in Begleitung
des Kaisers (1556), ist später den Ereignissen in Frankfurt
und auf dem Religionsgespräch in Worms (1557) gefolgt
und hat die Zuschriften Melanchthons an Kurfüst August und
Johann Friedrich den Mittleren gelesen, in denen Melanch-
thon nicht ohne Bitterkeit alle Schuld Erhart Schnepf und
den herzoglich sächsischen Gesandten beimessen will. Perck-
haim fühlt sich zu gering, um hierin zu urteilen, bemerkt
aber, daß der Fürst dieser Welt „ein Tausendkünstler, ein
alter erfahrner Schalk" sei, der „durch viel Weg zu
schlüpfen" weiß und „wo's möglich war', die Auserwählten
verführen möchte". Er bittet schließlich Gott, derselbe
wolle sie bei seinem ewigen gnädigen Wort erhalten. Ahn-
lich äußert sich J. von Perckkirchen in dem schon citierten
Brief an Gallus aus Linz vom 18. Oktober 1557. Seine
Meinung über das Religionsgespräch in Worms, an dem
er krankheitshalber nicht teilnehmen konnte, drückt Gallus
in einer Schrift i) an den Pfalzgrafen Friedrich, den nach-
maligen Kurfürsten von der Pfalz, damals noch Statthalter
seines Oheims in Amberg, aus. Er führt dem Fürsten zu
Gemüte, daß man nicht im Interesse des Friedens Sekten
und Irrtümer „in unsere Kirchen" einlassen dürfe, denn
das hieße die A. C. und Lutheri wie der Apostel und Pro-
pheten Zeugnis zum Deckel mißbrauchen. Besonders richtet
er sich gegen jenes auf dem Wormser Gespräch beliebte
Vertuschen der Irrtümer, wie es von der Majorität der
Protestanten als Mittel der Einigkeit empfohlen wurde. Er
weist nach, wie die Papisten, Wiedertäufer, Schwenkfelder,
Zwinglische und Calvinische nicht nur, sondern auch die
Interimisten (Adiaphoristen), ferner die Majoristen, Osian-
dristen gegen die einige wahre Regel des göttlichen Wortes
1) „Von Irthumen vnd Secten Thcses vnd Hypotheses, das ist,
gemeine erwiesene Sprüche, auf gegenwertige zeit vnd hendel gezogen
zu erhaltuug wares Verstands vnser Christlichen Augspurgischen
Confession, vnd absonderung der Secten, dieser zeit nötig. Jhena
IMDLVIII." Die Calvinischen behandelt er hier noch mild.
— 184 -
in der heiligen Schrift und der A. C. verstoßen hätten. Mit
Kraft tritt er dafür ein, daß es nicht geringe Streitigkeiten
seien, um die es sich handle, Streitigkeiten, die man etwa
unterschlagen könnte, sondern höchst gewichtige, weshalb
er die ganze Sache bei seiner Leibesschwachheit dem lieben
Gott befehlen müsse, aber es doch zugleich dem ihm wohl-
geneigten Fürsten unter die Augen bringen wolle.
Daß der „Frankfurter Abschied" in Regensburg nicht
angenommen wurde, war Gallus' Werk. Dem Prediger
Martin Schalling kostete seine Weigerung, eine Censur des
Gallus über diesen Abschied zu unterschreiben, sein Amt.
Unsere Akten geben reichliche Belege für diesen Vorgang.
Den nächsten Anlaß, um sich auf kirchenpolitischem Ge-
biete hervorzuthun, gab ihm der Naumburger Fürstentag
(1561). Die hier versammelten Fürsten warnte er gemeinsam
und einzeln in Sendschreiben vor der vordringenden calvini-
schen Abendmahlslehre, fand aber kein Gehör. Die Politik for-
derte damals eine durch Melanchthon angebahnte Toleranz auch
der Lehranschauung der Schweizer und drängte die Majorität
der Fürsten, zu diesem Behuf alle früheren Spaltungen im
eigenen Hause zu begraben. Aber nicht einmal so sehr
dem Calvinismus als vielmehr seinen eigenen alten Gegnern,
die hier am Werke waren, trat Gallus feindlich entgegen.
Seitdem konnte er sich auf die innerkirchliche Wirksamkeit
beschränken, da die Sache, die er vertrat, nach dem Naum-
burger Fürstentage eine siegreiche zu werden begann.
Er vermochte Flacius, der in Regensburg eine Zufluchts-
stätte gefunden, vier Jahre lang kräftig zu schützen. Ihre
Gemeinschaft gründete sich auf die feste Überzeugung, in
der unveränderten Lehre Luthers das festeste Bollwerk
nicht nur gegen Abweichungen in der eigenen Kirche,
sondern auch, was mehr ist, gegen den Ansturm des neu-
gekräftigten Papsttums zu besitzen. Bei aller Überein-
stimmung beider ist doch dem Gallus ein weit höheres Maß
von Besonnenheit, Takt und Zurückhaltung eigen. Wir
finden ihn, trotz aller Anschuldigungen auch eines Melan-
— 185 —
chthon, als einen seiner natürlichen Neigung nach fried-
liebenden Mann. Dies zeigte sich besonders Heshusius
gegenüber, dem er durchaus nicht in allen Stücken recht
gab, z. B. in der bekannten Magdeburger Streitfrage ^). Er
vertrat auch in der Kontroverse über den Satz des Flacius
von der Erbsünde des letzteren Meinung gegenüber Hes-
husius, wie die Briefe zeigen. Er steht keinem seiner
Gegner an Weite des Blickes, an Lauterkeit der Gesinnung
und Offenheit des Charakters nach. „Es ist vollkommen
unrichtig", sagt Brecher^), „von ihm zu behaupten, er habe
mit echt flacianischem Geiste die Zerwürfnisse in der Kirche
zu erhalten gesucht. Er hat, wie wenige, die Not der
Kirche im Zwiespalt und Kampfe gefühlt und wohl danach
gerungen, sie zu enden."
Wie er Flacius in jenen Jahren seine Stellung in Regens-
burg erleichterte, hat Preger ausführlich beschrieben ^). In
den Briefen an Gallus aus dieser Zeit wird auch oftmals
des Flacius ehrende Erwähnung gethan. Selbst mit den
evangelischen Ständen Österreichs wird durch Vermittlung
des Grafen Niklas von Salm wegen einer Anstellung des
Flacius in Verhandlung getreten. Der Pfarrer des Salm-
schen Gutes Orth, Zach. Prätorius, läßt Flacius am 1. Dez.
1565 grüßen und sich seinen wie des Gallus Gebeten em-
pfehlen. So thun auch J. F. Cölestin, damals in Lauingen,
Rorarius, Pica, Krell u. v. a.^). Von Regensburg aus machte
Flacius seine kleineren Reisen auf die Frankfurter Messe.
Auf der letzten (1566) passierte er Augsburg, wo der
Reichstag versammelt war, und hatte Audienz bei Kaiser
Maximilian, wobei er ihm ein Buch überreichte: De trans-
latione imperiiS). Der Kaiser versprach, seiner eingedenk zu
1) Vergl. Preger II, 250.
2) Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. VIII.
3) Bd. II, Abschnitt 5.
4) Eegensburger Akten, Ecclesiastica , Kasten D, Fach I,
XXXV, Z. 63. Krell redet einmal von „unserer lUyrikanischen Ge-
meinde" in einem Brief an Gallus.
5) Preger II, S. 281.
— 186 —
sein. Auch hier nahm sich Graf Salm auf's freundlichste seiner
an. Es verschlug freilich alles nicht gegen den Haß des
Kurfürsten August, der den Kaiser immer wieder stachelte,
seinen Todfeind auch im Süden Deutschlands zu verfolgen.
Er wäre wohl bald aus Regensburg verwiesen worden,
wäre er nicht gerade zu dieser Zeit durch die lutherische
Gemeinde zu Antwerpen behufs Ordnung ihrer kirchlichen
Verhältnisse berufen worden. So wurde Antwerpen die
einzige Stadt , in welcher Elacius sein Licht leuchten
lassen konnte, ungehindert durch Ehrabschneider und Feinde.
Der Prinz von Oranien, das Haupt der Opposition, war ihm
nicht abgeneigt, da derselbe mit der Unterzeichnung der
Augsburgischen Konfession sich der Hilfe der lutherischen
Fürsten versichern zu können meinte^). Schon im März
1567 entwich aber Flacius wieder nach Frankfurt und war
nun doppelt seinen alten Feinden unwillkommen, nachdem
er seine Hand in jenes Wespennest gesteckt. An eine
Rückkehr nach Regensburg war nicht mehr zu denken, und
so konnte er nur aus der Ferne mit Gallus die gleichen
Zwecke verfolgen.
Wie Melanchthon in öffentlichen Schriftstücken
Gallus behandelte, erhellt besonders aus dem „Bedenken
Herrn Philippi Melanchthonis auf das Weimarische Con-
futationsbucli, an Churfürst zu Sachsen, Augustum gesandt.
9. März 1559" 2). Er nennt Gallus hier (S. 771) „der großen
Clamanten einen" und bezichtigt ihn, unter Berufung auf
Matthesius' Urteil (S. 767), absurder und gottloser Meinungen
über den freien Willen. Unter Berufung darauf, daß er
(Melanchthon) die stoischen und manichäischen deliria vom
freien Willen schon früher verworfen, beschuldigt er nun
eine „neue unflätige Schrift" des Gallus des Rückfalles in
solche Ansichten. Er meint damit die Schrift „De libero
1) Preger II, S. 287.
2) Corp. Reform IX, 763—775. Ein sehr bedauerhches Schrift-
stück des in kränklicher Erbitterung ganz außer sich geratenen
alten Mannes.
— 187 —
arbitrio", welche Georg Necker ^) in einem Brief an Gallus
vom 20. Februar 1559 eine sehr orthodoxe nannte, die von
allen Gläubigen mit offenen Armen aufzunehmen sei 2).
Weiter führt Melanchthon den Satz, daß gute Werke
notwendig seien, in einer Weise aus, als ob Gallus diese
Proposition ausdrücklich verworfen habe, dagegen will
er sich berufen haben „auf alle gottesfürchtige Christen,
welches Urteil wir leiden mögen, und sollen die Weimarischen
Condemnationen nicht allein gehört werden"^). So eng
verwachsen war ihm Gallus mit den Verfassern des
Konfutationsbuches, daß er sie in einem Atemzuge nennt.
Wenn dem Gallus auch in diesem Schriftstück das starre
Festhalten an der Erwählungslehre vorgeworfen und da-
gegen von Melanchthon S. 768 auf den Trost der all-
gemeinen Gnade verwiesen wird, so ist solches ganz un-
gerechtfertigt. Gallus ging durchaus nicht über das Maß
der Gnadenlehre hinaus, wie sie damals in den streng
lutherischen Kreisen allgemein gelehrt wurde. Ja, an-
läßlich der Erklärungen, die 1566 auf dem Reichstage
von Augsburg gegen den Calvinismus des Pfälzer Kur-
fürsten auf die Tagesordnung kamen, steht er auf Seiten
der Gegner Friedrichs und des ihm zur Last gelegten
„Calvinismus". Er sagt in einem Konzept aus dieser Zeit:
„Das aber ist auch nicht recht vnd ein geferlich praeiudicium,
das sie^) den Caluinischen geben waren verstand der
Augsp. Confession inn den andern articuln 5), dan sie, die
Caluinischen, viel andere ihre irthume wider die Augsp.
Conf. haben: als von vrsach der sünde, von der ewigen
1) Eegensburger Stadtarchiv, No. XXIII, Ecclesiastica.
2) Dieselbe wird auch wohl in einem Briefe Melanchthons an
Matthesius vom 17. April 1557 eine rabiose scripta contentio genannt.
3) Corp. Eeform, IX. 771.
4) d. h. der Pfalzgraf und die Heidelberger Theologen.
5) d. h., daß sie in allen anderen Artikeln außer dem vom
Abendmahl die Calvinischen der Augsburgischen Konfession gemäß
hielten.
— 188 —
versehung 1), von der tauff, absolution, bildern, ja auch von
Vereinigung der naturen in Christo, seiner Himelfart vnd
sitzen zur rechten Gottes, vnd ist eben der articul der
rechtfertigung nicht gar rein bei ihnen" ^j.
Neben dieser Ablehnung der dem Calvinismus zu-
geschriebenen Sonderlehren, die um diese Zeit nur aus
großer Erbitterung zu erklären ist, steht zugleich die Forde-
rung : daß die wider die „wahre Augsburgische Confession"
unter deren Anhängern selbst eingerissenen Opinionen gleich-
zeitig abgestellt würden. Er vergißt über dem Calvinismus
nicht den Zunder im eigenen Hause. Das mußte auch
Brenz erfahren, der ihm seit den osiandrischen Streitigkeiten
verdächtig geworden war. Mit ihm geriet Gallus in Konflikt,
indem er seinen Katechismus und die Württembergische
Kirchenordnung einer — wohl nur handschriftlichen —
Censur unterzog. Kawerau, dem wir diese Nachricht ver-
danken, weiß auch von einer Verteidigung des Brenz, und
daß seitdem eine Verstimmung zwischen beiden Männern
bestanden hat. Wir können nur vermuten, daß dem Gallus
der Katechismus zu sehr von demjenigen Luthers abstach,
als daß er ihm hätte gefallen können. In der Lehre von
guten Werken mag er auch Anklänge an die Lehrweise
des Georg Major gefunden haben ^).
Viel weiter noch als Melanchthon gingen dessen Schüler
in der Verurteilung des Gallus, ja sie verhöhnten ihn gerade-
zu. In dem „Idyllion de philomela"^) ist Gallus die turba-
trix placidae nempe quietis avis ; noch viel giftiger wird
er behandelt in der „Summa und kurzer Auszug aus den
Actis synodicis 1560",
1) Auch BuUinger hat in einem Brief an den Engländer Barthol.
Trehernus (Zürich, 3. März 1553) über Calvins supralapsarische An-
sicht im Punkte der providentia Dei sich ablehnend geäußert, zu-
gleich aber Calvin das höchste Lob erteilt (S. Siniler Mscr. Nr. 79,
Stadtbibliothek in Zürich).
2) Regensburger Stadtarchiv, Ecclesiastica, XXXVI. St. 61.
3) Vgl. z. B. Katechismus Brentii S. 620 ff.
4) ö. die Scripta publica academiae Witeb., Tom. III, p. 10.
- 189 —
Es erübrigt uns noch, jenes Vorwurfes Melanchthons
zu gedenken, daß Gallus, anstatt seine ganze Aufmerksamkeit
auf die Übergriffe katbolischerseits zu richten, vielmehr
ihn (Melanchthon) verfolge^j. Ein ähnlicher Vorwurf kommt
noch später in einem Schreiben an Matthesius vor, daß
nämlich Gallus seine Klauen von der Donau aus bis nach
Wittenberg strecke, aber das benachbarte Bayern schone 2).
Wie unrecht Melanchthon mit dieser Behauptung bezüglich
Österreichs hatte, zeigen unsere Aktenstücke. Auch wenn
in Bayern die Grafen von Ortenburg und von Haag ^) schon
in den fünfziger Jahren ein geordnetes Kirchenwesen hatten,
das bis in die sechziger Jahre unangefochten bestand, so
ist dies keinesfalls ohne Gallus' Zuthun geschehen. Daß
er nicht direkt mit den Jesuiten in Wien und Ingolstadt
polemisiert hat, ist wohl verzeihlich; denn warum sollte er
sich in ein fremdes Amt mischen? Wie sehr er der
päpstlichen Partei ein Dorn im Auge war, zeigen die Gespräche
des Kardinal Hosius, Bischof von Ermeland, mit König
Maximilian. In einem derselben (Okt. 1560)4) rügt Hosius
die Verwegenheit des Gallus und anderer, welche Luthers
Wort das Wort Gottes nennten und jede Abweichung davon
1) C. E. VIII, S. 915 schreibt Melanchthon au Gallus: ,,Tu
contra cum in duabus Academiis ad Istnmi non procul a te
monstrosa deliramenta rcepl aproX^Tpeiac et alia edita sint, illis omissis
me insectaris, ut lenissime dicam." Geraeint ist wohl das lun diese
Zeit bemerklicher werdende Vordringen der Jesuiten.
2) C. E. IX, S. 804, (17. April 1559).
3) Vgl. für die wichtige Eeformationsbewegung in Bayern
Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. IV, S. 108, 388, 424ff.;
ferner Eaupach , Presbyterologia , Supplementum , S. 16. Wir
werden weiter unten den vertriebenen Ortenburgcr Grafen als in
engsten Beziehungen zu Gallus und Eeuter stehend kennen lernen.
Thomas Eorarius, welcher in den 50er Jahren Pfarrer in der Ober-
pfalz war und von dort aus seine Wirksamkeit nach Ortenburg er-
streckte, war ein Freund des Gallus, die Akten geben viel über
diesen Verkehr.
4) Vgl. Buchholtz, Geschichte der Eegierung Ferdinands I.,
Wien 1836, Bd. VII, Ö. 497.
- 190 —
gleichsam als eine große Lasterthat ansähen, während sie
ihrer Abweichungen von der Kirche in so vielen Stücken
sich als herrlicher That selbstrühmten. Er meint, es sei doch
besser, dem Papst zu gehorchen, als so vielen dem Irrtum
unterworfenen Menschen ^).
Doch blicken wir zunächst auf Osterreich. Lange
bevor durch die Agende, welche erst in seinem Todesjahr
erschien , ein mehr geordnetes Kirchenwesen zustande
kam, sorgte Grallus (nachweislich seit 1556) eingehend für
1) Es ist das der alte Wahn der Römischen, dem auch der
neuere Eomanismus und desgleichen Janssen in seiner Geschichte
des deutschen Volkes huldigt : es sei besser, von einem großen Tyrannen
regiert zu werden, als von vielen kleinen. Janssen wird nicht müde,
die Hoffnungen der Evangelischen zu verspotten, gleichsam durch
einen papiernen Papst (ein einheitliches Lehrcorpus) den wirklichen
Papst, der im Tridentinum mit Hilfe der Jesuiten triumphierte,
zu überbieten. Wir gönnen ihm das Vergnügen , durch eine in
Hohn und Geifer getauchte Feder die Kirchengeschichte des
XVI. Jahrhunderts, so weit sie die Protestanten betrifft, illustriert
zu haben. Wir sind die ersten, die von Luther an bis zum letzten
Prediger dieses Zeitalters 8ünden und Irrtümer zugeben und für
keinen Menschen Unfehlbarkeit beanspruchen. Es fragt sich aber
nur, was die Apostel für einen Ausblick in die Zukunft uns er-
öffnet haben, ob sie eine Papstkirche oder eine mühsam durch den
Widerstand dieser Welt einen Weg sich bahnende Kirche im Auge
hatten. Da wissen wir nun, daß sie in den letzten Zeiten viele
Antichristen aufstehen sahen (I. Tim. 4, ] — 6; 1. Joh. 2, 19;
4, 1—4; Apostelgesch. 20, 30; Rom. 16, 17, desgleichen die Offen-
barung Johannis in ihrem Urteil über die 7 Gemeinden). Wir
sehen da überall, daß das Evangelium nicht Frieden in äußerlicher
Weise , sondern weit eher Krieg , nicht Sieg , sondern zeitliches
Unterliegen, mit anderen Worten erst eine ecclesia militans und
dann hernachmals eine triumphans verkündet hat. Kurz, wir
meinen, das Bild, welches die evangelische Kirchen geschichte bietet,
entspricht wohl jenem, das die Apostel sich in Voraussicht mensch-
hcher Fehlbarkeit und Sünde entworfen haben. Keineswegs stimmt
mit letzterem jenes andere Bild überein, welches von jeher die
römischen Kirchenlehrer, obenan der Papst und die Jesuiten, in
ihrem Kopfe sich von der Kirche Christi gemacht haben. Selbiges
Bild steht vielmehr ganz außerhalb und neben der heiligen Schrift.
— 191 —
Österreich. David Chyträus, der ihn in den Briefen als
seinen verehrten Lehrer anredet, rühmt ihm nach\i, daß er ,.to-
tius viciniae, Austriae et Stiriae ecclesias emendavit, doctrina
et consiliis suis pie et fideliter erudiit et gubernavit". Grenzen-
los war das Vertrauen der Herren vom Adel, gewisser
Magistrate und vieler Prädikanten zu ihm; unter letzteren
ragt besonders Christoph Reuter, der treue Ausführer seiner
Ratschläge, hervor. Gallus war unermüdlich, allen an ihn
gerichteten Gesuchen um Prüfung und Ordination zu ent-
sprechen. Nur die von ihm Ordinierten seien gut, so lautete
das Votum eines Pfarrers aus Ober-Österreich, und diese
Überzeugung teilten viele der Herren und Patrone. Diese
angesehene Stellung des Gallus bewirkte, daß auch nach seinem
Tode dem Wolfgang Waldner und dem in Thüringen ent-
setzten Rosinus ein gleiches Zutrauen geschenkt wurde. Ja,
es wurde Regel, daß bis ins folgende Jahrhundert hinein
junge Leute auf Kosten der Stände behufs Prüfung und
Ordinierung am liebsten nach Regensburg gesandt wurden.
Die Ausweise hat das Regensburger Archiv uns hinterlassen.
Die Weite von Gallus' Interessensphäre zeigen folgende
Notizen aus den Regens burger Akten. Auf Reuters Mit-
teilung, daß Herr von Weispriach sich der Juden, deren
er viele auf seinen Gütern hatte, in der Weise anzunehmen
gedenke, daß er sie „zur Predigt zwinge", in der Hoffnung,
etliche zu gewinnen, antwortet Gallus ablehnend (Aug. 1568):
„Es Judentzt doch imer mit, do man gleich Religion fürwendt,
vnnd wenns also ist, so ist vmb souil grösser sünde, vnnd
mehr ergerlich" ^j.
Am Schlüsse des Tridentiner Konzils wagte er es im
Verein mit Flacius, in großem Stil dem Romanismus zu
opponieren (Aug. 1563;. Er übersandte mit einem Schreiben
dem römischen König Maximilian eine gedruckte Protesta-
tion ^j, von verschiedenen Predigern der reinen Lehre unter-
1) Saxonia, ed. 1599, S. 399.
2) R. A. Eccle.s. XXXVI, St. 13 u. 14.
3) Vgl. Präger II, S. 27.5.
- 192 —
schrieben, gegen das Konzil (contra Conventum Triden-
tinum). In dem Begleitschreiben wurde der König in be-
redten Worten aufgefordert, dem in die Welt einziehenden
Christus die Thüren zu öffnen und dem in größter Ehr-
furcht Aufgenommenen zu huldigen.
Von seinen Werken nennen wir zu den von Preger im
Anhang zu Flacius' Leben angeführten noch folgende : einen
Katechismus, ferner, mit W. Waldner zusammen, ein kurzes
„Bekenntnis" (Regensburg 1562), das Buch De libero arbi-
trio, dessen oben gedacht wurde, und folgende Predigten:
„Ad Romanos"!), ,Jn Epistolam Johannis" ; zwei Predigten
wider den Wucher, 1569 gehalten, aber erst 1572 erschienen,
„De feste Corporis Christi", dann: „Wider die Kalumnien
des Staphylus", endlich zahlreiche Gutachten und Schrift-
stücke im großen Stil an Fürsten und Städte.
Nur zu früh, erst 54 Jahre alt, starb Gallus, nachdem
er schon öfter von schwerer Krankheit heimgesucht worden
war 2). Um von Steinbeschwerden und Podagra Linderung
zu suchen, begab er sich im Jahre 1570 ins Zellerbad
(bei Liebenzell in Württemberg). Hier nahte ihm der
Tod. Der Geistliche, der dem Sterbenden am 14. Juni
1570 dort das Abendmahl reichte, nahm ihm ein förmliches
„letztes Bekenntnis" ab 3): daß er in der Lehre, die er
bisher in Amt und Schrift geführt, bleibe, daß er sein
Vertrauen allein auf Jesum Christum setze, und daß er
im Nachtmahl die wahrhaftige, wesentliche Gegenwärtig-
keit des Leibes und Blutes Christi glaube*). Auf dieses
1) Von Waldner in einem Briefe erwähnt.
2) Solches erhellt aus einem Brief des ihm befreundeten Arztes
Martin Stopius aus Linz vom Jahre 1558 {Eegensburger Stadtarchiv,
Ecclesiastica I, No. XVIII, Z. 54).
3) S. SerpiUus, Diptych. Reginsburg., S. 35 ff.
4) Also die apToXarpew, welche Melanchthon höchst unmotiviert
seinem Gegner (z. B. Corp. Ref. IX, 1080) vorwarf, traf den Gallus
gewiß nicht, und ebensowenig auch die Verfasser des Konfutations-
buches (Flacius cum suis; s. Corp. R. IX, 765). Er verwarf, wie
die Wittenberger, die Lutheraner der flacianischen Partei, und die
— 193 -
Bekenntnis, dessen Wortlaut hernach der Leichenprediger
seiner Regensburger Gemeinde als sein letztes Vermächtnis
übermittelte, starb er. Seine Gattin — es war die dritte
Frau — ließ die Leiche nach Regensburg überführen, wo
am 24. Juni die feierliche Beisetzung erfolgte.
Wir wenden uns jetzt zu der Hauptsache, zur Beur-
teilung des Verhältnisses des Gallus zu Melanchthon.
Dem Gallus ist keinesfalls Undank gegen diesen
seinen Lehrer und Förderer vorzuwerfen. Er nahm sich
in seinem Streit mit Melanchthon nur die Verteidigung der
Wahrheit zur Richtschnur, und man kann nicht sagen, daß
er oder seine Kampfgenossen in Briefen oder öffentlichen
Schriften den alten Lehrer geflissentlich beleidigt hätten.
Leider kann das Gleiche nicht von Melanchthon gesagt
werden in seinem Verhältnis zu Gallus, besonders um die
Zeit, als es sich handelte, den durch das Interim gestörten
Frieden auf Grund fester Bedingungen herzustellen (1556).
Die Einigungsversuche, besonders des Flacius' Schrift: „Von
der Einigkeit" i), hatten Melanchthon außer Fassung gebracht.
Er sah alles als böswillige Verleumdung und persönlichen
Ehrgeiz an ; und wie von Flacius dachte er von dem fernen
Gallus 2). Aber sein gewaltiger Unwille gegen letzteren
kann nicht lediglich durch eine oder die andere briefliche
Äußerung des Gallus hervorgeruien sein. Es war viel-
mehr der gewaltige Ärger darüber, daß ihn Gallus bezüg-
lich des freien Willens ^) wie zuvor bezüglich des heiligen
Eeformierte, die Theorie der Tübinger (Ubiquität), mit welcher diese
seit 1559 die lutherische Doctrin vom heiUgen Abendmahl zu stützen
suchten. Vgl. Sudhof: C. Olevianus u. Z, Orsinus, S. 198.
1) „Von der Einigkeit derer, so fiu- und wider die Adiaphora in
vergangenen Jahren gestritten haben, christlicher, einfältiger Bericht,
sehr nützlich zu lesen", Magdeburg 1556, 8". Flacius fordert,
Melanchthon und seine Freunde sollen Schuld bekennen.
2) C. E. VIII, S. 828.
3) C. R. VIII, S. 747; Brief Älelanchthons an Mathesius,
1. Mai 1556: GaUus in ripa Tstri de libero arbitrio dicitur mecum
pugnare.
13
— 194 -
Abendmahls ^) an den früheren Standpunkt erinnerte, den
er mit Kraft eingenommen, jetzt aber verlassen. Wenn
Gallus ihm vorwarf, daß er das Buch Luthers „De servo
arbitrio" nicht beibehalte 2), so antwortete er : „Also du ver-
theidigst die stoische Notwendigkeit (An tu defendis sto-
icam necessitatem) ?" Und als Gallus eine neue Schrift „De
libero arbitrio" herausgegeben, da nennt er ihn in einem
Briefe ^) an Georg Agricola in Amberg (vom 22. Sept. 1559)
einen Polyphem, der über die „Notwendigkeit" ein Lied an-
stimme. Ja, er bemerkt sogar, daß die stoischen Paradoxien
des Gallus dem König Maximilian, auf dessen Urteil er
Wert lege, mißfallen hätten (25. Sept. 1559)4).
Man kann mit Recht sagen, daß Regensburg von 1553
bis 1570 die Stadt des Gallus gewesen sei. Freilich werden
solche Verdienste, wie er sie hatte, nicht in ein goldenes
Buch geschrieben, sondern gar bald vergessen. Auf Grund
von Verzeichnissen der „im Stift Salzburg beschwerten
Personen" steht auch C. Fr. Arnold nicht an, Gallus
den Versorger und Berater der verfolgten salzburgischen,
österreichischen und ba3'rischen Gemeinden zu nennen, zu-
gleich aber auch einen Anhänger des Flacius, aus welchem
Umstand die Feinde bis ins achtzehnte Jahrhundert Kapital
geschlagen hätten ^).
Besonders steht fest, daß durch diesen Mann die
1) C. R. VIII, S.529. Gallus gab 1554 einen Neudruck einer
alten Schrift Melanchthons gegen Oekolampad : „Melanch. sententiae
vetermn aliquot scriptorum de coena domini, cum praefat. Nie. Galli'',
Eatisb. 1554, heraus. Hierauf nennt Melanchthon ihn Thersites
ßatisponensis.
2) Nach Melanchthons Schreiben an Gallus vom 1. Dez. 1556.
C. R. VIII, S. 916.
3) C. R. IX, S. 925.
4) Am Hofe kursierten also solche Bücher wie jenes des Gallus.
5) Vergl. Schriften des Vereins für Reformationsgesch. XVIII,
2 : Die Ausrottung des Protestantismus in Salzburg unter Erz-
bischof Firmian etc. S. 12. Von C. Fr. Arnold, Prof. in Breslau.
1
- 195 —
Reformationsbewegung in Bayern kräftigen Anstoß erhielt
und daß die um des Glaubens willen Vertriebenen bei ihm
Zuflucht und Rat fanden, wie nicht minder bei seinen
Kollegen.
Als im Jahre 1563 der Streit des Herzogs von Bayern
mit dem Grafen Joachim von Ortenburg wegen der evan-
gelischen Predigt, die von Ortenburg ausging und ,,halb
Niederbayern in seinem katholischen Glauben beunruhigte" i),
ausbrach, kam es zu Gewaltmaßregeln. Der Herzog nahm
die in Bayern gelegenen Güter des Grafen unter ungerechtem
Vorwand 2) in Beschlag, ließ Ortenburg besitzen und ver-
trieb am 25. Febr. 1564 die evangelischen Geistlichen J. F.
Cölestin und seinen Gehilfen Thomas Rechner, die er eid-
lich verpflichtete, nicht frei im Lande zu predigen. Aus
dieser Zeit finden sich interessante Briefe, die zwischen
Regensburg und den also gemaßregelten Geistlichen, besonders
Cölestin und seinem Nachfolger Rorarius , gewechselt
wurden. Auch mit dem Grafen von Ortenburg stand Gallus
in Korrespondenz.
Johann Friedrich Cölestin, 1562 aus Jena vertrieben,
fand zeitweise bei dem fürstlichen Gymnasium zu Lauingen
in Pfalz-Neuburg eine Anstellung. Sodann war er in der
Grafschaft Haag thätig. Hier hatte Kaspar Franck zuerst
reformiert, ein Meißner von Geburt, der durch besondere
Beredsamkeit die Religionsänderung zustande brachte. Nach
dem Tode des Grafen Ladislaus geriet die Grafschaft
in die Hände des Herzogs Albrecht, und dieser begann
1) Nach Aretin, Maximilian v. Bayern, I, 134.
2) Ungerecht war die Beschuldigung, daß Joachim und seine
Prediger Propaganda in Bayern geübt, da sie doch vielmehr den
Zulauf von Leuten aus fremdem Gebiet ernstlich zu verhüten suchten.
Ebenso unrichtig war, daß sie bei der Religionsänderung unordentlich
zu Werke gegangen wären, und endlich, daß sie durch einen unkonse-
crierten Prediger das Abendmahl hätten reichen lassen, wo doch
J. F. Cölestin gewiß ordiniert war. (Vergl. Mehrmann, Geschichte
Ortenburgs, S. 27.)
13*
- 196 -
alsbald mit der Contrareformation. Kaspar Franck hat,
nachdem er abgefallen, dabei als Werkzeug gedient i).
Von Haag aus hatte Cölestin Gelegenheit , auch dem
Grafen von Ortenburg gute Dienste zu leisten , ja zeit-
weilig sich ganz der Einführung des Evangeliums in
Ortenburg zu widmen. Als nun der Herzog von Bayern
den Grafen vertrieb, indem er Ortenburg besetzte (Ende
Dezember 1563), mußte auch Cölestin Urfehde schwören,
was ihm von vielen sehr verdacht wurde, und fand
Unterkunft hart an der bayrischen Grenze in Oberösterreich
bei Gundakar von Starhemberg. Von hier aus schreibt er
wiederholt Briefe an Gallus und Flacius, auch im Namen
des Ortenburger Grafen, um mit ihnen wichtige Nachrichten
auszutauschen. Man hatte die Korrespondenz des Grafen auf
Mattigkofen, einem seiner Schlösser gefunden, wie Cölestin,
Juni 1564, nach Regensburg 2) meldet, und der Herzog
von Bayern wollte ihm nun den Hochverratsprozeß machen.
Cölestin warnt die Regensburger, weil auch von ihnen Briefe
gefunden, und ermahnt sie zu Fürbitte für die verfolgte
Kirche und den Grafen. Man wolle sich über die Antwort
an den bayrischen Herzog verständigen, damit man nicht
in Widersprüche gerate. „Gott helfe uns, die Sache ist gut
und gerecht, wenn auch Menschliches mit unterlaufe. Gott
wolle, um seiner Kirche willen, der alles zum besten dienen
muß, diese schwerste Gefahr lindern, zu Ehren seines Namens
durch Christum unsern Herrn 3)". Zugleich unterstützte
1) S. Raupach, Presbyt. Suppl. S. 10, und Mehrmann, a. a. O.
S. 30, 32. J. Fr. Cölestin hat später gegen Mag. K. Franck, der Pro-
fessor der Theologie und Stadtpfarrer in Ingolstadt geworflen, eine
Widerlegung geschrieben (1568).
2) ß. A. Eccles. No. XXIII, Z. 115.
3) In einem Brief an GaUus aus dem Exil in Österreich (da-
tiert vom April 1563 vom Schlosse Gundakars von Starhemberg)
schreibt Cölestin, in Österreich leuchte das Licht des Evangeliums,
aber die Parteinahme der Adiaphoristen (Adiaphoristarum prosopo-
lepsia) halte die meisten, sowohl von den Herren und Baronen, als
auch von den pastores wie mit einem Bann gefesselt. „Dominum
misereat nostri" (R. A. Eccles. No. XXIII, Z. 115).
— 197 —
Cölestin die Sache des Grafen durch Schriften, in welchen
er zum Teil auch seinen eigenen theologischen Standpunkt
verteidigt, nachdem die Gegner ihn, wie sie auch sonst
zu thun liebten, als sektisch bei dem katholischen Fürsten
verleumdet hatten. Er schrieb unter anderem eine Trost-
schrift an die geplagte Kirche von Ortenburg, Haag und
Neuburg (1564), auch eine Rechtfertigung seines an Baj'ern
geschworenen Eides, und die Regensburger beförderten
solches zum Di'uck und zur Weiterverbreitung ^j. Überdies
stützten sie den Ortenburger Grafen, der wegen Majestäts-
beleidigung und Meuterei verfolgt wurde und dessen Güter
ihm bis 1566 vorenthalten wurden, mit Rat und That. In-
zwischen stärkten Cölestin und Rorarius die verlassene
Gemeinde. Letzterer wagte es sogar, mit Erlaubnis seines
Fürsten, des Herzog Wolfgang von Pfalz-Neuburg, vom
April bis August 1564 sich in Ortenburg im Dienste der
Gläubigen aufzuhalten 2). So schreibt er am 13. April ^)
an seine Hausfrau, es hätten 450 Personen am 11. bei ihm
kommuniziert. Auf seiner Rückkehr nach Pfalz-Neviburg
wurde er gefangen genommen und mußte Urfehde schwören.
Dieser Thomas Rorer oder Rörer, Prediger zu Renhartz-
hofen ^) in Pfalz-Neuburg , nahm überhaupt werkthätigen
Anteil daran, Bayern von der Finsternis des Papsttums zu
befreien. Schon an 26. Februar 1563 bittet er Gallus, er
möge den Druck seiner Erwiderung auf Eisengreins Predigt
1) Noch 1567 ist Cölestin iu lebhaftem Schriftenkamjjf und
bietet von Lauingen aus den Regensburger Freunden Manuskripte
an (1. Oktober), und zwar im Dienste der eigenen Partei unter dem
Titel: „Prüfung des sakramentirischen Geistes" und „Anatomia des
Papsttums", zur Abwehr eines jesuitischen Schriftstückes. Herzog
Wolfgang steht ganz zu seiner Partei (R. A. Eccles. No. XXXV,
Z. 45).
2) Mehrmann, a. a. O. S. 109.
3) R. A. Eccles. No. XXIII, Z. 119.
4) Jetzt Rennerzhofen, wohl in der Nähe von Cham gelegen.
An die Pfleger dieser Stadt schreibt er 1563 eine geistliche Er-
mahnung, welche Raupach (Presbyt., S. 153 Anra.) noch gekannt hat.
— 198 -
bei Geisler befürworten. Dabei urteilt er über die damalige
Lage folgendermaßen 1) : „In unserm fürstenthumb ist wol,
gott sei lob, nicht sonders schwermerey, aber nicht mehr
so ein eifer.'' Mit diesem Fürstentum ist Pfalz-Neuburg
gemeint, welches Kurfürst Ottheinrich 1557 dem Herzog
Wolfgang von Zweibrücken nebst Sulzbach überließ. Das
Lob des vormaligen Eifers trifft also die Zeit des Ott-
heinrich, des für die Reformation ohne Nebenabsichten be-
geisterten Fürsten. Von solcher Unbefangenheit hatte
freilich Herzog Wolfgang nichts mehr, der vielmehr nach
den heute vorliegenden Quellen ein ländergieriger und eifer-
süchtiger Mann gewesen sein muß 2). Unter ihm kam die
Schule zu Lauingen in Blüte, an welcher als Professoren
Cölestin und Melissander wirkten, wo Pfauser Hofprediger
war, und die lange Zeit gegenüber den jesuitischen, in
Bayern überhand nehmenden Schulen das protestantische
Interesse vertrat. In Neuburg selber wirkten Heshusius und
auch andere Eiferer, welche der neue Kurfürst, Friedrich III.,
des Friedens wegen aus Heidelberg entlassen hatte.
Wir werden nun wahrnehmen, wie zwischen Lauingen,
Neuburg und Regensburg fort und fort ein reger Verkehr auf
der Donau stattfand, welcher sich dann bis Linz und Wien
erstreckte und auch im Norden seine Verzweigungen hatte
(besonders in Mansfeld, wo Cj^r. Spangenberg die Freunde
mit Nachrichten und Rat bediente, und alles aufgeboten wurde,
um den bayrischen Maßregeln zur Rekatholisierung des
ganzen Landes entgegenzuwirken) ^). Durch Pfauser wirkte
man dabei gelegentlich auch auf Maximilian, was aber kaum
1) E. A. Eccles. No. XXIII, Z. 36.
2) Vgl. Kluckhohn, Briefe Friedrichs, I. S. 563.
3) Aus Thüringen erhoffte der Ortenburger Graf Prediger für
seine Gemeinden ; z. ß. Martin Wolf in Helfta war berufen. Dieser
schreibt am 12. Mai 1565 an Gallus und lUyricus, daß er sich für
seiae Entschließungen noch Aufschub beim Grafen erbitte, da seine
Frau dem Umzug so sehr widerstrebe, obwohl er selbst gern „seinen
alten Schelm" an den Antichrist in Bayern wagen wolle.
— 199 -
viel praktischen Nutzen hatte. Nach Lauingen schickten
die Regensburger und auch österreichische Adelige ihre
Söhne, auch Gallus und "Waldner selbst, wodurch ein reger
schriftlicher Verkehr und Gedankenaustausch entstand. So
bildete denn hier im Süden die Donau mit jenen Städten
einen Cordon, der in dem ausgebrochenen Kampfe wichtige
Dienste that gegen die Römischen und zur Stärkung des
evangelischen Standpunktes, besonders auch in Osterreich,
diente. Von Tübingen aus half Melissander, der auch
vorübergehend in Österreich bei Gundakar v. Starhemberg
war und gern eine bleibende Anstellung dort gefunden
hätte. In Öttingen wieder war Alexander Bresnicerus, der
aus Jena Vertriebene , Superintendent geworden , dessen
Tochter am 30. Januar 1565 den Cölestin heiratete. Zu
dieser Hochzeit war auch Rorer geladen. Dieses innige
Zusammenhalten der evangelischen Prediger war ein großes
Glück, denn zufolge der gewaltthätigen Politik des Herzogs
Albrecht, der den Widerstand der Stände zugleich mit der
durch sie geforderten Religionsfreiheit brach (1563 auf dem
Landtage von Ingolstadt), stand für die Protestanten alles
auf dem Spiel. Damals war es auch, daß Graf Joachim
von Ortenburg, der für die Freigabe der Augsburger
Konfession mit 43 anderen vom Grafen-, Herren- und Jlitter-
stande sich einsetzte, den Zorn des Herzogs sich zuzog und,
wie gesagt, Ende 1563 in die Verbannung ziehen mußte.
Ohne den Schutz jener beständig gebliebenen Vororte des
Protestantismus wäre Ortenburg wohl nicht dem evan-
gelischen Glauben erhalten geblieben und hätte das Los
der Grafschaft Haag geteilt, die nach dem Aussterben
der gräflichen Familie schutzlos dem Herzog und seinen
Jesuiten preisgegeben war. Zur Ausführung ihrer Pläne
erbot sich Kaspar Francus, der selbst anfänglich hier
das Evangelium verbreitet hatte ^).
1) S. Raupach, Presbyt., Suppl. S. 16. Ihn nennt Cölestin mit
Anspielung auf Psalm 80, 14 gelegentlich das Haagsche Schwein
(Reg. St. Eccl. I, No. XXIII, Z. 71).
— 200 —
Zu Ortenburg aber blieb das Evangelium in Kraft
bis auf den heutigen Tag; ja im 17. Jahrhundert, als
auch die Habsburger den Witteisbachern mit der Nieder-
werfung des Protestantismus es gleich thaten, fanden ver-
triebene Österreicher in Ortenburg gastliche Aufnahme, wie
nicht minder in den anderen großen protestantischen Städten
des Südens, Nürnberg, Regensburg etc. Wir nennen hier
nur die Familie des Erasmus von Starhemberg, die in Orten-
burg ein Asil fand, wo dann 1631 seine Gattin starb i).
Auch Barthelmae Khevenhüller fand auf seiner Rückfahrt
aus Wien nach Nürnberg am 28. Juni 1678 in Ortenburg
sein Grab 2).
Der nächste Nachfolger des Gallus als Superintendent
war Josua Opitz (geb. 1542). Er war in Gera als Diakon
angestellt und hat die bekannte Konfession, die nach dieser
Stadt den Namen trägt, mitunterschrieben. 1571, also erst
29 Jahre alt, wurde er nach Gallus' Tode zum Oberpfarrer
oder Superintendenten erwählt. An seiner Seite wirkten
Hieronymus Peristerius und Wolfgang Viereckel. Alle drei
wurden 1574, weil sie an der fiacianischen Definition
der Erbsünde festhielten und sie von der Kanzel ver-
teidigten, ihrer Ämter entsetzt. Opitz fand, seiner besonderen
Gaben" wegen, Anstellung als Landschaftsprediger in Wien.
Von dort 1578 vertrieben, fand er nach langem Umher-
wandern ein Pfarramt in Büdingen im Isenburgschen, wo
er segensreich wirkte und 1585 starb. Der zweite Nach-
folger des Gallus war der bekannte Barthol. Rosinus. Dieser,
geboren zu Pößneck im Vogtland 1520, hatte unter Luther
und Melanchthon in Wittenberg studiert und war daselbst
Magister geworden; dann wurde er Rektor und später
Diakon zu Eisenach, 1559 Superintendent zu Weimar und
fürstlich sächsischer Beichtvater. Er wurde 1562 mit den
40 strenglutherischen Geistlichen vertrieben, wovon ein
1) Vgl. Schwerdling, Geschichte des Hauses Starhemberg.
2) Vgl. Czerwenka, Die Khevenhüller, S. 546.
— 201 —
eigener Brief handelt ^ i. Er erhielt 1 565 im fürstlich schön-
burgischen Waidenburg eine Anstellung und hielt bei Er-
öffnung der Landesschule in Geringswalde am 4. Juli 1566
die Festrede.
Als Johann Wilhelm Herr von Thüringen geworden ^),
wurde neben Bresnicer und Wolf auch Rosinus wieder an
seine alte Stelle berufen. Auf dem zur Wiederherstellung
des Friedens zwischen den kursächsischen und thüringischen
Landen gehaltenen Kolloquium zu Altenburg (1568), wo sich
der ganze Haß Augusts auf Flacius konzentrierte, war er neben
J. Fr. Cölestin und Irenäus Hauptteilnehmer Er wünscht,
daß, falls Wigand ausbleibe, entweder Gallus oder Heshusius
als Kollokutoren berufen würden, „damit die Wahrheit
keinen Schaden leide". Überhaupt dringt er mit seinen
Freunden auf gänzliche Umwandlung im Weimarischen (Visi-
tation und Rückberufung der Vertriebenen). Noch in Alteu-
1) Dieser Brief (vom 11. Jänner 15(33, R. A. Ecc. I, No. XXIil,
Z. 34) ist an seinen Verwandten, den Protonotar Johann Linde in
Regensburg, gerichtet und zeigt uns das ganze Elend jener Jahre in
Thüringeü. Vom Hofe aus wurde 4 ganze Tage lang durch vier
Theologen auf Rosinus eingewirkt, daß er den „synergistischen Sauer-
teig der Viktorinischen Deklaration" annehme, dann die Superinten-
dentur, endlich das Pfarramt ihm abgenommen, worauf er über die
Winterszeit auf eigene Kosten in Erfurt samt seiner Familie leben
mußte. Sein Schicksal teilten andere Geistliche. Von den übrigen
sagt er, daß sie des Bauches wegen der Kirche Heil imd die Er-
haltung der Wahrheit hintansetzten. Er sieht die schlimmsten
Folgen für Thüringen daraus hervorgehen. Den Hochmut gewisser
Höflinge und die allgemeine Sicherheit der Menge giebt er als Ur-
sache dieses Verfalles an.
2) Schon als derselbe im Februar 1565 durch einen Teilungs-
vertrag Gotha erhielt, schrieb er dem Rosinus: „So Ir auch ver-
traueter Weise mit M. WoLfio, den von Saltzungen vnd andern
reden kuntet, das sie sich nicht one vußern wilen in andere voca-
tiones einließen, were gar gut das es geschehen kunte, denn wir
leute haben müssen. So Ir nun solches kunt zuwege bringen, thet
Ir vns zu gnedigem gefallen." (Aus einem Briefe Älartin Wolfs an
Gallus aus Helfta, 12. Mai 1565; R. A. Eccles., Kasten D, Fach I,
No. XXXV, Z. 61.)
— 202 —
bürg aber trennt er sich, ohne darum seinen alten Gegnern
in Leipzig und Wittenberg nachzugeben, von Flacius, der
bald allein seinen Weg ziehen muß ^).
Unter der vormundschaftlichen Regierung des Kur-
fürsten August wurde er aber definitiv in die Verbannung
getrieben (1574). Er ging zunächst nach Stolberg und über-
siedelte von dort aus nach Regensburg am 26. April 1574 -),
wo ihn der Magistrat zum Superintendenten ernannt hatte ^).
In Regensburg entfaltete er eine sehr eingreifende
Thätigkeit und wirkte besonders für Herstellung des durch
die Ausweisung der Flacius ergebenen Prediger gestörten
Friedens, wobei ihn Wolfgang Waldner unterstützte. Rosinus
bereitete ferner den Übergang zum Friedensstand des Kon-
kordienzeitalters vor und hielt zu Wigand gegen Flacius.
Ersterer bezeichnet ihn in einem Briefe an Waldner (Juni
1574) als „pius doctus exercitatus integer et mihi coniunc-
tissimus" ; Wigand wäre selber gern gekommen, falls ihn
der Regensburger Senat während seines Exils berufen hätte.
Von Rosinus' umfangreicher Thätigkeit zeugen Hunderte
von Ordinationszeugnissen, die im Regensburger Stadtarchiv
noch vorhanden sind. Er starb am 17. September 1586.
Rosinus ist, wie viele anfänglich zu Flacius Haltende,
später von der Meinung desselben zurückgetreten, ist
aber trotzdem ein strenger Bekämpfer des Synergismus
und also im Grunde mit Flacius einig geblieben. Selbst
Andrea '^j äußert sich gegen Melissander in Tübingen rund
1) Vgl. Preger II, 338.
2) Brief an Wolfgang Waldner, R. A. Eccles. I, No. XXVI,
Z. 114.
3) Anno 1574 den 1. November findet sich ein erster Ordinations-
akt von Eosinus' Hand und zwar für einen Mährer (Regensb. Akten,
Kasten D, Fach I, No. XXX, Z. 5). Von da an folgen dann sehr
viele andere Zeugnisse.
4) Propst und Kanzler der Universität Tübingen ; er befand sich
1562 in Jena, um nach der Vertreibung des Flacius Frieden zwischen
Strigel und der Landesgeistlichkeit zu stiften (s. über ihn Henke in
A. D. B., Bd. I).
— 203 -
heraus (zwischen 1565 und 1567): daß Illyricus rein und
wohl lehre und er ihn „für einen gelehrten und reinen
Lehrer" halte. Was seine Privathändel anlangt, hätte er
linder handeln mögen, doch nehme das der Lehre gar
nichts. Den jungen Flacius empfing Andrea freundlichst
und pries ihm gegenüber seinen Vater i). Auch Cölestin
erwähnt solche versöhnliche Haltung Andreas in einem
Briefe an Gallus und übermittelt dessen Grüße an Flacius
(27. Sept. 1565)2).
Gleichwohl aber warfen Heshus, Rosinus, Andrea u. a. m.
den riacius über Bord, um das Schiff zu retten. Daß sie
darin treu gehandelt, wird heutzutage niemand mehr be-
haupten wollen. Aber sie erleichterten sich dadurch die Er-
reichung des Hafens. Dieser Hafen war das Koukordienbuch.
Das servum arbitrium Luthers, die Lehre vom un-
freien Willen, ist in jenem Buche gewahrt, und somit des
Flacius und Gallus Lebenskampf nicht vergeblich gewesen.
Die dem Flacius treu Gebliebenen sind uns teils bekannt (wir
finden sie unter den aus Thüringen Vertriebenen), teils werden
wir sie noch näher kennen lernen.
Auf Rosinus folgte als Superintendent in Regensburg
Hagenloch, 1591 — 1608; diesem folgte der zuvor auch in
Österreich thätige Württemberger Cämentarius, 1608 bis
1620 3).
Ein letzter kraftvoller Vertreter und Kämpfer für das
„Depositum" Luthers, der auch im Verkehr mit Gallus
stand, ist Christoph Irenäus^). Dieser war geboren zu
Schweidnitz 1522 und wurde Schüler Trotzendorfs in Gold-
berg. Von Melanchthon empfohlen, übernahm er das Rek-
torat der Schule in Aschersleben, nachdem er in Witten-
berg 1549 magistriert. 1562 ward er Pfarrer zu Eisleben und
1) E. A. Eccles. I, No. XXIII, Z. 81.
2) R. A. Eccles., Kasten D, Fach I, No. XXXV, Z. 141.
3) S. Eaupach Presb., I, S. 18, Suppl. S. 10.
4) Vgl. Raupach, Presbyterol., S. 69—73, und neuerdings
G. Bessert in der Prot. Real-Enkyclop., III.
— 204 —
schloß sich den Anhängern des Flacius an. 1566 giug er
in den thüringischen Kirchendienst über i) und wohnte dem
Altenburger Gespräch bei. Er ließ sich nicht von Flacius
abwendig machen, sondern ist bis zuletzt Gegner auch der
Konkordienformel geblieben. Er mußte aus Neustadt a. d.
Orla weichen, kam nach Mansfeld und stand in dem letzten
friedlichen Gespräch, das 1572 mit Flacius dort abgehalten
wurde, auf des letzteren Seite. Er griff auch im Verein
mit Cyr. Spangenberg die Wittenberger heftig an, die ihm
mit gleicher Münze begegneten ^). Im Streit über die Lehre
von der Erbsünde, ob dieselbe die verderbte Natur selber
oder nur ein Accidens sei, hat er wohl das umfangreichste
Werk in drei Teilen verfaßt 3). Zur Widerlegung dieser
Schrift hat sich niemand verstiegen, sie ist niederschmetternd
für den Synergismus. Auch sonst erschien Irenäus als so
gefährlich, daß er im Index unter die Autores damnati
primae classis gesetzt wurde.
Endlich, nach längeren Irrfahrten, finden wir ihn 1581
in Österreich, woselbst er die repetitio der zu Flacius halten-
den Prediger unterschrieben hat, und zwar als „exul". 1582
steht Irenäus in dem „Christlichen Bekenntnis etc." unter
den Unterschriften obenan als Senior, Prediger und Inspektor
zu Hörn. Obwohl er, wie wir später hören werden, der
besonderen Lehre des Magdeburgius, wonach auch die
Leichname Anteil an der Erbsünde hätten, nicht beifiel,
1) Er nahm hier sofort eine maßgebende Stellung ein and be-
reitete mit Rosinus das Altenburger Gespräch und die Neuordnung
der Dinge vor, wie solches aus einem Briefe des Rosinus an Gallus,
Weimar, 17. August 1568, ersichtlich ist (R. A. Eccles. Kasten D,
Fach I, No. XXXVI, St. 87).
2) In der Schrift: „Vom Flickwerk M. Irenäi", 1572.
3) „Censuren und Urteil der heiligen Propheten, Christi und
der Aposteln, mit Erklärung Lutheri (Pomerani, Philippi, ßrentii,
Regii und viel anderer Theologen) vom Streit über der Lehre von
der Erbsünde. Erstlich gedruckt zu Mansfeld 1574, 4, und Anno
1579 wiederum übersehen und nachgedruckt." Die Vorrede zum
ersten Teil ist von Cyriacus Spangenberg.
- 205 —
wurde er dennoch 1584 mit andern Predikanten durch
Dietrich von Puchaim aus seiner Stelle entlassen. Er ging
ins Ausland; 1595 ersieht man aus einer gedruckten Schrift,
daß er noch damals im Exil gelebt haben muß ; wahr-
scheinlich ist er im Frühjahr dieses Jahres gestorben i).
Sein Sohn hatte eine Tochter des Elacius zur Frau 2),
Irenäus ist trotz aller Anfeindungen seiner Gegner ein
Charakter, wie ihn die folgenden Jahrhunderte nicht oft
aufzuweisen haben.
Noch andere überze'ugungstreue Männer, die an Luther
sich herangebildet, sehen wir in diesem Kreise, und zwar
nicht immer Theologen, sondern auch Pädagogen, die durch
ihre Lehre und ihr Beispiel auf ihre Schüler wirkten.
Th. Distel hat in seiner mehrerwähnten Schrift 3) den Mag.
Hieron. Haubold aus Frankenberg wieder zu Ehren ge-
bracht'i). Dieser, aus Deutschland vertrieben, ward in
Villach und Eferding angestellt, und hier hat man ihm
Avegen seines rücksichtslosen Auftretens für den Flacianis-
mus nur Böses nachgesagt. Wir werden unser Urteil über
ihn nach Distels Schrift notwendig korrigieren müssen, die
Haubolds Lehrweise aktenmäßig darlegt, während Döllinger
ihn nur verspottet 5).
Das Gleiche gilt von Haubolds Kollegen, dem Kantor
Jakob Meibom ^), und wohl noch von manchem treuen An-
hänger Luthers, bezw. Flacius', welche nie Anerkennung
gefunden.
IL Wolfgang Waldner.
Wolfgang Waldner ist ein andrer unser Interesse
fesselnder Mann aus der Zeit der Reformation in Österreich.
1) Vgl. Bessert, a, a. O.
2) S. Präger, a. a. O. II, 527, Note.
3) „Der Flacianismus zu Geringswalde."
4) Er widmet ihm eine kurze Lebensbeschreibung in der
D. Biographie.
5) Döllinger, Die Eeformation, S. 427, 432.
6) Vgl. Distel, a. a. O. S. 8, 65.
— 206 —
Vor allen anderen schien er berufen, als geborener Öster-
reicher, für seine Heimat Großes zu leisten. Er war der
Sohn eines Weinbauern in Tulln bei Wien, etwas jünger
als Gallus, etwa 1520 geboren, dann Mönch im Benediktiner-
stift zu Garsten^), seit 1545 Geistlicher in Steyr und als
solcher, wie Viele zu jener Zeit, im Konkubinat lebend ^).
Dieses Konkubinat verwandelte er in eine Ehe, auf Rat
Veit Dietrichs , des Freundes Luthers , damals in Nürn-
berg. Bereits der evangelische Annalist Val. Preuen-
huber ^) sagt von ihm: „Waldner fing an, in seinen
Predigten die in den Römischen Kirchen eingerissenen
Misbräuche in der Lehr und Ceremonien .... zu strafen
und auf das Wort Gottes und heilige Schrift zu weisen.
Solche Predigten waren der Anfang hernach gefolgter
Religions-Mutation bey dieser Stadt."
Waldner war aber in Steyr, wo er zuerst und allein
in Österreich evangelisch wirkte, durch seinen Freimut,
sowie durch seine Ehe unmöglich geworden. Der Bischof
von Passau citierte ihn zu Beginn 1548 vor sein geistliches
Gericht, und er mußte, um sein Leben in Sicherheit zu
bringen (wie er selbst an den Steyrer Bürgermeister Winkler
schreibt), fliehen. Er ging zunächst nach Augsburg und
von da nach Nürnberg, wo er einen Sohn des Freiherrn
Adam Hofmann aus Steyr erzogt).
La Nürnberg durchlebte Waldner, nachdem er gewiß
viel unter den durchs Interim erforderten Änderungen des
1) Nach Val. Preuenhuber, Annales Styrenses (Denkwürdig-
keiten der Stadt Steyr), p. 264.
2) Ferdinand wie Maximilian bestanden inständigst beim Papst
auf Abschaffung des Cölibats.
3) 1. c. p. 264, 267. Preuenhuber studierte mit anderen Steyrern
in Wittenberg ca. 1572.
4) Die Familie der Hofmann war seit Kaiser Friedrich III. zu
hohen Würden erhoben. Adam Hofmann, der Schützer Waldners
war Erb-Land-Hofmarschall (vgl. Preuenhuber, a. a. O.). Sie war
besonders in Innerösterreich begütert und werden wir noch von
ihr reden.
— 207 -
evangelischen Gottesdienstes gelitten, auch die späteren
Lehrkämpfe. Er nahm au den adiaphoristischen, majoristi-
schen und osiandristischen Streitigkeiten regen Anteil; er
stand auf Seiten der strengen Lutheraner und trug das
Seinige zur Klärung bei. Er stand entschieden zu der
Partei, die von Melanchthon und den Wittenbergern
Buße ob des Geschehenen forderte, und kam darüber in
Kollision mit der von den Wittenbergern inspirierten Gegen-
partei, indem er mit etlichen anderen die Irrtümer öffentlich
strafte und auch besonders auf öffentliches und privates
Sündenbekenntnis, kurz auf Zucht, drang. Die Philippisten
waren auch hier geneigt, alles zu vertuschen, und be-
schuldigten die anderen : „sie seien zu heftig, sie wollten es
dem Luther nachthun und seien doch nicht die Leute
danach" i). Wenn es nach jenen, von Camerarius angeführten
Theologen gegangen wäre, so wäre schon damals eine
Richtung die alleinherrschende geworden , die statt des
treuen Festhaltens an Luther, unter Melanchthous Namen
eine „Entwickelung" befördert hätte, welche die Zeit der
Aufklärung um zwei Jahrhunderte früher über die pro-
testantische Welt herbeigeführt haben würde — und das wäre
ein wahres Unglück gewesen. So redete damals der junge
Mauritius Heling offen dem freien Willen das Wort und
verteidigte den Major. Im erwähnten Briefe vom 7. Januar
schildert Waldner einen Zusammenstoß zwischen Michael
Rotingius und Josias Menius, „dem neuen Praeceptor im
spital", der den Unterricht zu reformieren trachtete. „Darüber
ist der Handl an Philippum (Melanchthon) durch Josiam
schriftlich gelanget, aber Philipp, wie sein weis ist, hat nichts
richtigs geantwortet, vnd gleichwol hat Josias die Antwort
auf sich gezogen." Als aber Rotingius auf diesen Handel
mit Mauritius Heling bei einem Mahl, wo auch Waldner
nebst Besold zugegen, zu reden gekommen und Mauritius
Philippum stets entschuldigen wollte, fährt Rotingius flugs
1) Brief Waklners an Gallus vom 7. Januar 1557 (K. A.
Eccles. I, No. XXVI, Z. 49).
— 208 —
heraus : „Philippus der hab schelmisch gehandelt." Die
Gründe für dieses Urteil des ßotingius werden wir im
Anhang geben. Kurz, die sich anbahnende „neue Theologie"
fand in Waldner ihren eifrigen Bekämpfen
Waldner schrieb einen markigen Stil, war nicht un-
bewandert in den Wissenschaften, er hielt z. B. Predigten
auf den Propheten Hosea, und schrieb anderes (1559, Manu-
skript) ; er verfolgte auch die wichtigeren die Reformation
in Österreich betreffenden Ereignisse, wovon ein Fascikel
im Münchener Staatsarchiv Zeugnis ablegt ^). Ferner lieh
er Bücher an Chr. Reuter, wie aus einem Briefe (aus
Regensburg) a,n denselben, der damals in Rosenberg bei
Leopold Grabner war, zu ersehen ist, nämlich : Calvin in
Jeremiam, Calvins Kommentar zu den vier Büchern Mosis
und endlich des Hamburger Aepinus de justificatione. In
Nürnberg schreibt er gegen Oslander 2), der ihn einen Nürn-
berger Uhu schilt. Er kommt hier bei Gelegenheit des
Cullmannschen Streites (1555) mit Melanchthon in Verkehr,
dessen den Osiandrismus Cullmanns widerlegende Formel
er mitunterschreibt ^). Später übersetzte er Joachim West-
phals Schrift gegen Calvin ins Deutsche (mit einer Vorrede
des Gallus), obgleich ihn das in Schwierigkeiten mit den
Wittenbergern bringen mußte, wobei ihn aber doch die alte
Verehrung gegen Melanchthon stets in gewissen Schranken
hielt*). Die Wittenberger waren besonders vertreten durch
1) Unter dem Titel : Notizen zur Reformationsgeschichte von
W. Waldner. v. J. 1558; das Stück gehörte der Eegensburger Kreis-
bibliothek an, ist aber von dort nach München abgefordert worden.
Das Gleiche ist der I'all mit jenen Predigten, wie auch mit Werken
von Gallus, von dem sich Predigten über Johannes, 2 Bände, 4°, und
über die Epistel des heiligen Johannes daselbst finden.
2) S. Planck, a. a. O. I, Bd. II, S. 373 Note.
3) Vgl. Camerarius' Vita Melanchthons, § CHI, der besonders
ausführlich ist, und mein Werk : Von der Rechtfertigung durch den
Glauben, Leipzig 1890.
4) Vgl. im allgemeinen den langen Brief Waldners an Gallus
über diese Streitigkeiten, 7. Jan. 1557.
— 209 —
M. Besold 1), Josias Menius , Dr. Mauritius Heling , Pre-
diger daselbst. Für Waldner dagegen war der alte
Dr. Rotingius ^) , der ein Buch de libero arbitrio gegen
Melanchthon geschrieben. Natürlich nahm Waldner Partei
für des Gallus Censur des Frankfurter Abschiedes und
suchte dafür in Nürnberg Anhänger zu gewinnen. Auf
eine Anfrage des Nürnberger Rates wurde, laut eines
Briefes Waldners vom 28. April 1558 an Gallus^j, folgendes
einmütig in einer vom Ministerium gestellten Schrift er-
widert : Es sei der Frankfurter Abschied (v. 18. März 1558)
keineswegs anzunehmen, noch die Amnestie ".u leiden, „das
man die offenlicheu Irthumb *) nicht straffen oder nennen
sol". Auf die weitere Frage, ob Nürnberg den von Johann
Friedrich dem Mittleren ausgeschriebenen Konvent zu
Magdeburg beschicken solle ^), erklärt sich das Ministerium
mit solcher Beschickung einverstanden. Grleichwohl sieht
Waldner voraus, daß der Rat dem nicht Folge geben werde,
weil er einen Zusammenstoß der streitenden Parteien (Jena
einerseits, Wittenberg-Leipzig andererseits) befürchtete. Für
ein solches Zusammentreten der Parteien aber erklärt sich
Waldner im Interesse der Unparteilichkeit; und dann erst,
wenn jenes erfolglos geblieben, solle man mit der Konfatation
und Verdammung aller Irrtümer, die wider die Konfession
(A. C.) und Gottes Wort seien, vorgehen. Auch Illyricus
habe in der „Apologia wider Menium" solche öffentliche
Verhandlung gefordert. Der Brief ist interessant, weil er
1) Als Freund Melanchthons, und demnach mehr vermittelnd,
trat damals Hieronymus Besold auf, an den 1549 Oslander, auf
seiner Reise nach Königsberg, einen Brief richtete (vgl. Dr. Ambr.
Moibanus in Schriften des V. f. Ref.-Gesch., IX, I, S. 40).
2) Denselben finden wir bereits 1526 zugleich mit Camerarius
als Lehrer in Nürnberg (De Vita Ph. Melanchthonis von Camerarius,
p. 103).
3) Eegensb. Akten Eccles. I, No. XXIII, Z. 66.
4) Genannt sind in der Schrift: des Calvini Irrthum, die Wirten-
berger Theologen mit den Osiandro, Eißleben mit seinem Interim.
5) Preger II, 77.
14
— 210 —
Waldners echt protestantische Gesinnung zeigt, welche auf
ein offenes Sichaussprechen besteht und jede voreilige Ver-
tuschung (Amnestie), aber auch einseitige Konfutation ver-
wirft. Die Gegner zeigten eine unprotestantische Furcht-
samkeit. Gleichwohl wahrt Waldner sich sein kritisches
Urteil und äußert von des Straßburger Marbach christo-
logischen Auseinandersetzungen, sie klängen fremd, setzt
aber hinzu, er wolle weiter lesen.
Um diese Zeit, als Waldner Prediger am Dominikaner-
kloster zu Nürnberg war, 1558, kam auch ein neues An-
suchen aus Steyr an ihn heran. Freiherr Adam von Hofmann
will ihn wieder ins Land ziehen und schreibt einen beweg-
lichen Brief nach Nürnberg. Waldner aber schwankt, und
in einem längeren Schreiben an den Stadtrichter Benedikt
Attl zu Steyr, vom 10. Febr. 1558 1), giebt er seine Bedenken
kund, dahin gehend, daß er Freiheit haben müsse im Predigt-
amt, „um alle Abgötterei, Mißbräuche, Sünde und Heuchelei
zu strafen", ferner eine feste Besoldung vom Rat und dem
Herrn Adam Hofmann; sodann widerstrebe es ihm auch,
die sichere Stelle in Nürnberg mit den Gefahren in Oster-
reich zu vertauschen. Er ist offenbar nicht mehr an die
kleinen Verhältnisse in Österreich gewöhnt, und so geht er für
sein Vaterland verloren ; er hilft nur mit Rat und That aus
der Ferne und verfolgt die weiteren Schicksale der Kirche
mit liebenden Augen ^). Für Osterreich paßte er nicht ; hier
paßte nur einer, der es verstand, sich an die Wand drücken
zu lassen und Gottes Zeit abzuwarten, da die gute Sache
zu Ehren kommen werde ; wobei man freilich nicht Menschen-
tage suchen darf, sondern allein Gottes Gebot vor Augen
und im Herzen haben muß. In Osterreich fielen manche
durch, die draußen schön liefen, und von durchschlagender
Wirksamkeit erwiesen sich nur die, welche allein die Ehre
1) E. A. Eccles. No. XVIII, Z. 52.
2) Vgl. ein Schreiben Waldners bei Eaupach, Presb., S. 149,
Note N, in welchem er Reuter und Leopold Grabner ehrenvoll nennt.
— 211 -
Gottes suchten und nicht Ehre bei den Menschen und ein
ruhiges Leben. Und derer sind allerwege wenige, und
unter ihnen gewöhnlich nicht viel Edle nach dem Fleisch.
Osterreich aber macht hier eine Ausnahme ; hier sind Männer
vom höchsten Adel, die Blüte ihres Landes, die alles für
Schaden achteten, auf daß sie Christum gewönnen.
Inzwischen lief Waldners Zeit in Nürnberg auch zu
Ende; der Rat zu ßegensburg berief ihn im Jahre 1558 an
Schallings ^) Stelle, der als Melanchthouianer sich als un-
geeignet erwies. In Nürnberg ließ man ihn, wie sich aus
den Regensburger Akten ergiebt, nicht ung'>rn ziehen, weil
er sich mit der im Rat vorherrschenden (philippistischen)
Richtung nicht in Einklang zu setzen wußte. Hier nun in
Regensburg eröffnete sich ihm ein neuer Wirkungskreis
neben seinem Freunde und Kollegen Gallus. Obwohl Waldner
der am meisten Empfangende war, spricht er dem Gallus
gelegentlich auch Mut ein, wenn derselbe aus Müdigkeit
vom Predigen abzulassen willens war, und ermahnt ihn, die
gottselige Disciplin in der Kirche trotz des Undanks der
Leute fortzusetzen 2). Seine Autorität stieg; sehr wirksam war
auch sein „Nohtwendiger Bericht für die verfolgten Christen,
so an andern Orten die Predigt des göttlichen Worts und
die Sacrament nothalben suchen müssen", welcher 1566 in
Eisleben gedruckt wurde mit einer Vorrede von Gallus und
einer Beschlußrede von Cyr. Spangenberg.
An Waldner richteten die Österreicher ihre Anfragen
sowohl wie an Gallus; an ihn sandte man Ordinationsgesuche;
Reuter ließ sich durch ihn beraten, schickte ihm eine Apologie
seiner Agende (1573) und wurde auch von Waldner stets als
alter Freund geschätzt. An ihn schreiben die auswärtigen
Theologen, z. B. Flacius, der schon aus Jena am 9. Juli
1561 3) einen herzlichen eingehenden Brief über Waldners Sohu
1) Über diesen trefflichen Liederdichter ist manches in den
Eegensb. Akten zu finden. Er korrespondierte mit Calvin.
2) ? im Jahre 1562; Regensb. Akten, Eccles. I, No. XXVI, Z. 72.
3) R. A. Eccles., No. XXVI, Z. 183.
I4*
— 212 —
Martin sandte, den er dem G. Cölestin (später Professor in
Frankfurt a. 0.) übergeben, nachdem er dem C. Liipulus
weggelaufen ^). Flacius tadelt die weichliche Elternliebe
auch bei sich und seiner Frau und findet schöne Worte
zum Trost und zur Bestrafung der Mutter des jungen
Waldner. Es ist eins der Zeugnisse, daß auch in diesem
Manne ein warmes Herz schlug, das aber die widrigen
Beo-egDungen mit Menschen, die nicht seiner Richtung waren,
zuletzt verbittert hatten. Auch stand Waldner im Brief-
wechsel mit Wigand und mit Cyr. Spangenberg in Mansfeld,
der seine Klagen über die Unbeständigkeit des kaiserlichen
Hofes äußert (26. Juli 1565). Am 9. Mai 1573 schreibt
Waldner 2) an Chr. Reuter über den Erbsündestreit und ist
gegen beide Ausdrücke (Substanz und Accidenz), wo man
sie als Schlagwörter gebrauchen will. Im übrigen ist er für
biblische Einfachheit und beklagt den schrecklichen Sturm,
den Flacius erregte und besonders solche Schriften des-
selben, welche zur Verhetzung von Obrigkeit und Unter-
thanen dienten. Schon bei Gallus Lebzeiten hat Waldner
gemahnt, sich nicht von Flacius so impoüieren zu lassen und
zwar warnte er Gallus besonders vor gemeinschaftlicher
Herausgabe von Streitschriften. Er tadelt Flacius wegen
der Unruhe, die er gestiftet von Land zu Land, und ver-
weist (wahrscheinlich i. J. 1565, zur Zeit der Magdeburger
Streitigkeiten mit Heshusius) den Theologen hauptsächlich
4 Stücke, die er nicht gut heißen kann : „L den offenlichen
Bann, damit sie nit allein Zerstörung sonder vil vnrat in
den gewissen anrichten. IL Das sie auf der Oberkeit
beuelch (Befehl) nicht weichen wolten; unangesehen was
sie dagegen fürwenden können, selten sie doch gewalt ge-
litten, aber nicht gebillicht haben ^). IIL Das sie so greu-
liche Invective schreiben, die keiner christlichen Defension
sonder Rachgier gleich sehen und mit fluchs alle Menschen
1) Ein solcher Lehrer kostete daziunal 8 flor.
2) R. A., Eccles., No. XXVI, Z. 84.
3) d. h. ohne es im Gewissen darum zu billigen.
— 213 —
verbannen vnd verdammen so ir Jawort darzu nicht geben.
IV. Das sie nu eine gemeine Regel daraus machen, vnd
ein solch Dominium vber die kirch statuirn, das aufrur vnd
vil Zerrüttung anrichten wird, davor Gott gnediglich sein
wol. Die Magdeburger haben auch grobe sunde, aber sie
waren wol änderst abzulainen (zu widerlegen) gewest^)."
Gallus war in der Beurteilung der Magdeburger Verhält-
nisse anders berichtet. In einem Briefe vom 12. September
1565 2) hatte Johann Aurif'aber ihm mitgeteilt, daß Magdeburg
den göttlichen Zorn erfahren wegen der Behandlung des Hes-
husius und Bartholomäus Strele. Die Gegner seien durch Pest
und Epilepsie eines der beteiligten Prediger, die demselben
am Altar widerfahren, gestraft worden. Vv'enn nun Heshu-
sius dem Gallus vorwirft, daß er nicht entschieden für die
Vertriebenen Partei ergriifen i'Brief vom Jahre 1568/, so
geschah dies deshalb, weil er durch Siegfried Saccus
(4. April 1565) ^) gebeten war, jenen Beschuldigungen nicht
Glauben zu schenken, welche Heshusius gegen die Magde-
burger Schule erhoben und die ihm seine Ausweisung aus
der Stadt zuzogen.
Waldner scheint ein etwas schnell urteilender Cha-
rakter gewesen zu sein ; er hatte nicht die Charakterstärke
eines Gallus und geriet oft in Streitigkeiten. Jedoch lobte
Joh. Praxinius aus Gotha, Professor in Lauingen, seine
antike Sitteneinfalt in einem langen lateinischen Gedicht
aus dem Jahre 1569. Immerhin hat er andere manchmal
schief beurteilt; auch den Placius, wie Preger tadelnd be-
merkt. Er nahm auch aktiven Anteil an der Vertreibung
der flacianischen Prediger aus Regensburg (1574) und ver-
ursachte dadurch, daß die Gegner derselben in Steiermark,
wie wir unten sehen werden, sich auf seinen Namen be-
zogen und ihn um Rat angingen. Solche Inkonsequenz
1) Brief aus Nürnberg an Gallus — wie immer ohne Datum
und Jahreszahll
2) K. A. Eccles., No. XXXV, Z. 137.
3j R. A. Eccles., No. XXXV, Z. 137.
— 214 —
können wir nicht gutheißen. Er starb 1582 als armer Mann.
Seinem Sohne Martin kam in Österreich das Ansehen des
Vaters zu gute, ohne daß er nur entfernt an ihn heran-
reichte, wie solches die Briefe ausweisen.
Tief in die intimen Gesinnungen der österreichischen
Landbevölkerung läßt uns das Verhältnis zwischen Hans
Waldner und seinem berühmten Sohn Wolfgang blicken. Der
alte Waldner, 1481 geboren, also fast ein Altersgenosse
Luthers, war ein einfacher Bürger zu Tulln bei Wien, in guten
Verhältnissen lebend und mit offenen Augen für die Dinge
um ihn her. So hatte er denn zeitig das Evangelium lieb-
gewonnen, vielleicht durch Schriften, die ihm sein Sohn
mitteilte, oder auch durch das Beispiel desselben. An der
Bibel hat sich sein Stil gebildet, aus dem Evangelium
seine Gredankenwelt sich bereichert. Als echt evangelischer
Christ tadelte er streng im Kreis seiner Eamilie alle Aus-
schreitungen in Handel und Wandel. Er hat bereits eine
für jene Zeit und für seinen Kreis ganz ansehnliche Schrift-
kenntnis, bemüht sich, immer mehr zu lernen, bittet auch
seinen Sohn, den er aufs höchste verehrt, um Predigten
oder ein Buch über das Abendmahl. Als ihm solches ge-
schickt worden, vergleicht er es mit einem bereits im Hause
befindlichen und merkt den Unterschied. Seine Briefe sind
zwar stereotyp, aber in gutem Deutsch geschrieben — die
beständige Anrede ist: „Mein hertzlieber Sun". Wir geben
einige dieser Briefe zur Probe.
Im Jahre 1554 schreibt der 73-jährige Vater i):
„Gottes gnadt vnd parmhertzikhait Sey mit vns allen
Amen, mein hertzlieber Sun Ich hab ain Schreyben von
dir ausgangen enpfangen am mitichen ^j Nach Martini Das
datum ist gestanden den 27 July vnd hab auch dj andern
zben^) brieff deinen bruedern vberandtbuert^j Sunst Ist
1) R. A. Eccles., No. XXVI, Z. 91.
2) Mittwoch.
3) zwei (b = w).
4) überantwortet.
— 215 —
mir khaiu brieff von dir In zbeyn Jaren Nit zuekhumen
Hertzlieber Sun wiß das ich dir nun zu dem vierttn mall
Schreyb hab nit anders gedacht sy wern dier zuekhome
Mein hertzlieber Sun Ich sag dier warlich das ich so gern
pey dier weit sein als ich leb aber schwachait halben
khaii ich nit So get es mir auch narung halben gantz
spöri) dan ich der weingarttn In zbain Jar nichs hab
genossen hab auch vor dem lesen ain hyn muessen gebin
vnd mueß noch wol ain hingebin dan dy wein gar wenig
gelten vnd mir auch heur wenig ist worden So khan vnd
mag ich nichs arbaittn wan dein Mueter nit treulicher an
mir thet Ich wer langst gestorben Nun got schicks wye
er well Hertz enlieber Sun wiß das mir zben Sun dy ich pey
der mutter hab gehabt gestorben sein vnd hab nuer ain
töchterl noch haist Katerina ist anderthalb Jar alt vnd der
wölfl ist zu ainem Schneider khomen hab In nimer In dy
schuel khunen pringen Auch wiß mein hertzlieber Sun das
wir mit gottes wort zum tail yetz versehen sein Aber alle
ceremonia mit vigili Seilmeß weichpron-j Saltzweichen etc.
helt man Noch Steiff dan dy hoch obrikhait wils also
habm auch reicht vnd gibt man das hochwirdig Sacrament
Nuer In ainer gestalt wie vor vnd weliche briester oder
prediger anders thuen vnd recht wellen lernnen dj ver-
jauckt^) man vnd wils nit leyden Hertzenlieber Sun wier
sein gleich wol mitten In babiloin '^j got der himlisch vater
well vns durch cristum vnsern erloser vnd Seligmacher
heraus fueren zu dem ich all mein vertrauen vnd glauben
Setz wel mir di gnadt des heyligen geist verleichen vnd
den warhafftigen glauben Mern ^j Hertzenlieber Sun dein
Muetter last dich dein hausfrau vnd khinder von Hertzen
1) spärUch.
2) Seelmessen, Weihbrunnen.
8) verjagt.
4) Babylon.
5) mehren.
— 216 —
treulichen gruesen Ich hab eylundti) geschribm Jetz nit
mer ^) Sunder got fuer vns dasselbig wellen wier auch thuen
datum Tulln den 10 Decembris Im 54 Jar
Hans Waldner dein vater burger daselbs.
Adresse: Dem Erwirdigen geistlichen Herren Wolf-
gangen Waldner predicant zu Nuernberg Meinem hertzlieben
Sun zu Händen."
(„21 Januarij empfangen". Schrift des Sohnes Wolfgang.)
Am 27. April 1555 schreibt derselbe Hans Waldner
nach einer Einleitung, die seine tiefe Frömmigkeit zeigt ^):
„Mein hertzlieber Sun das ist am aller gnätigisten ^) vnd
mein hertzlichs begern das vns got erhalten well In ainem
rechten cristlichen glauben wir haben wohl yetz ainen zim-
lichen prediger aber darneben hangt er dem bastischen 5)
wesen vnd Zeremonien an vnd Schneidt auff zbo Seytten
wil auch das hochwirdig Sacrament wie es Cristus hat ein-
gesetzt vns nit raichen Nachdem Im das dy obrikhait hat
verpotten vnd Sagt es doch selber auff der khantzl es sey
recht Ich pin auch selbs noch nit communitziret ß) worden
vnd auch dy muetter Ich gleich nit wol wais wie ich Im
thuen sol vnd pit dich wellest mir ain vntterricht gebn
vnd schreiben pit dich hertzlich wellest mir ain clains
puechl oder zbay schickhen zu ainer geistlichen freidt vnd
leer dan das gotlich wort gibt Je vnd Je mer freidt Je
mer vnd öffter man das hört pessern verstandt."
In einem anderen Briefe vom 3. Dezember 1555
heißt es''):
„Herzlieber Sun, du Solt wissen das es yetz pey vns
gar geferlich Stet Mit dem Wortt gottes vnd rayner 1er
1) eilend.
2) „Jetzt nit mehr" ist ein damals gewöhnlicher Abschluß in
Briefen.
3) R. A. Eccles., No. XXVI, Z. 88.
4) nötigsten.
5) päpstlichen.
6) bin nicht zum Abendmahl gegangen.
7) R. A. Eccles., No. XXVI, Z. 87.
- 217 -
des ewangelion dan dy Jesuiter die new seckt welche zu
Wien das closter am hoff gelegen zu den weyssen bruedern
Innen haben vnd Innen der khunig hat eingeben ^) dy lassen
ain Neuen cathecismon ausgen wie du villeicht wol dar-
von hast gehört wie wol ich noch nit gelesen han, dan
nuer so vil ich daruon gehört hab; es wil mich auch
nit vil bekhumern. Wir haben yetz ain ziemlichen Jungen
prediger bleybt fein pey dem ewangelio Aber er hat dem
pfarrer hye auffgesagt. Der pfarrer wer auch wol zimlich
mit seiner predig aber er helt noch alle bastische cere-
monia vnd Schneidt auf zbo Seytten Mein hertzlieber Sun
des Turckhen halben khan ich dir nichs gbisses Schreybn
wir haben vns vor dem lesen ^) besorgt Er wurdt ainen
Straiff auff vns thuen got hat es genedicklich verhuettert
Aber aufi" das Jar wais got woll wie es geen wirt Man
sagt grosse forcht vnd Schreckhen got wol vns gnedickh-
lich behuetten Es wer mein hertzlich verlangen das
ich solt Oder khunt pey euch allen sein So khan es nit
wol sein dan ich nun schier alt vnd schwach pin dan wie
du lieber Sun auch begert hast zu wissen mein alter wie
vil Jar ich alt sey Soltu wissen das ich vber 74 Jar nit
alt pin Ich hab aber wie du waist vor zeittn hart gearbait
das mir dan Jetz alles haymher khumbt. Nun der almachtig
got schick es nach seinem willen vnd verleich vns sein
gotliche gnadt durch Jesum cristum vnsern Erloser vnd
Säligmacher den ich wol wais vnd vestiklich glaub das wir
allain durch In muessen Sälig werden. Dan er hat ye die
khelter allain getrettn als der prophet betzeugt vnd auch
der heylig paulus sagt vnd betzeugt das vns khain ander
namen ist geben dar Innen wir Sälig werden dan allain
Im namen Jesu cristi welcher allain fuer vnser sundt hatt
genueg gethan vnd sein hymlischen vater versuent das
1) Ferdinand räumte den Jesuiten damals das „am Hof" (noch
heute ein Platz in Wien) gelegene Kloster ein. Der Katechismus ist
der des Canisius.
2) vor der Weinlese.
— 218 —
sey Im In ewikhait lob er i) preyß vnd danck gesagt das er
vns Erlost hat von dem Ewigen todt teuffl vnd hell alle
dy solchs vestiklich glauben vnd vertrauen vnd byß an das
Ende verharren darumb wellen wir got den hymlischen
vatter pitten In dem namen seynes aynigen geliebten Sun
Jesu cristi vnsern lieben haylmacher vnd erloser der well
vns verleichen dy gnadt des heyligen geist vnd vns
Sterckhen vnd meren vnsern cristlichen glauben byß an
vnser endt zu beharren dan on In wir doch nichs khunnen
fruchbars thuen noch aufrichten zu vnser Seel Salikhait
Mein hertz lieber Sun ich pit dich So es khan sein vnd
geschechen das du mir ain predig woltest Schickhen wie
du sy predigst es sey von was Suntag ewangelion oder
predig dyweil ich dich nit khan persolich hörn es wer mir
ye ain sunderliche freidt vnd wolgefalln."
Im Jahre 1556 ^j, welches ein Notjahr war, entschuldigt
sich der alte Waldner, daß er seinem Sohne das von ihm
gewünschte Faß Wein nicht schicken könne. „Ich laß dich
wissen das ich selbs khain wein diser zeit Im kheller hab
vnd nuer khaufien muess so ich aynnen will trinckhen . . .
Ich mueß oflft ain spare Suppen essen wil ich mich anders
on meines nagsten^; Schaden vnd nachtail erneren Der
almachtig vatter well vns allen sein gnadt verleichen vnd
vns erhalten in leibtlicher vnd geistlicher Narung durch
cristum Jesum Amen."
Den schlichten Worten des Kleinbürgers lassen wir
den Brief Veit Dietrichs, des berühmten Freundes Luthers,
folgen '^) :
„Veit Dieterich prediger zu Nürnberg an Hn Wolfgang
Waldner pfarhern zu Steyr^).
1) Ehre.
2) E. A. Eccies., No. XXVI, Z. 89.
8) Nächsten.
4) K. A. Eccies. I, No. XXIII. Z. 86.
5) Obige Aufschrift muß gemäß dem Schluß des Briefes von
späterer Hand hinzugefügt worden sein.
— 219 —
Grottes gnad zuuor, sambt erbietung meiner dienst,
wirdiger vnd lieber Herr, das ir mir durch einen vertrauten
freund schreibt, vnd bittet euch zu radten der zween feile
halb, eures ambts, vnd, des ehestands, fuge ich euch drauff
zu wissen, weil Gott euch an den ortt ^) beruffen vnd, Ir
solchen beruff so vil müglich dahin wendet, das Ir gottes
wort dem armen volklin treulich furtragt, kan ich euch nit
radten, den beruff zu endern, sonder, vermane, das ir dabei
bleibt. In dem wort Gottes mit lesen euch vleissig vbet,
vnd die bucher für euch nehmbt, die euch zum predig
ambt dienstlich. Als die postilleu D. Luthers, Seinen
Catechismum, locos comunes philippi, epistolam ad Romanos,
Brencium in evangelion lucae et lohannis, Confessionem
Augustanam et Apologiam vnd dergleichen. Des Sacra-
ments halb, ist diß mein radt, auft dise Zeit, das Ir im
predigen die leut dahin solt weisen, das sie auff' die Ordnung
vnd einsetzung Christi sehen, vnd der nachkommen sollen,
weyl aber gewis, wo Ir solche Ordnung, das gantze Sacra-
ment zu reichen, werdet furnhemen, das man euch diß orts
(in Steyr) nit leiden, vnd einen argen wolff an die statt
werde setzen, vnd ferner das arme volklin, werde on einen
treuen Hirten, wie die Irrenden schafe, bleiben müssen.
1) nach Steyr. Die Stadt Steyr war damals größer und be-
deutender als Linz. Sie hat zwei Annalisten gefunden: 1) Valentin
Preuenhuber, dessen Annales aber nur bis zum Jahre 1618 reichen.
Dieser war Protestant und floh später nach Eegensburg. Als sein
Fortsetzer ist 2) Jakob Zetl zu betrachten, dessen Annalen vom Jahre
1612—1635 gehen. Dieser war Katholik. Er redet in der ersten
Person und war also Augenzeuge. Trotz seiner Konfession ver-
Uert sein Werk nichts von seinem hohen Werte. Der Lmzer
Professor Ludw. Edlbacher hat im Jahre 1874 die Chronik der Stadt
Steyr neu herausgegeben. Steyr war so gründlich reformiert, daß
nach S. 38 jener Chronik im Jahre 1625 nur noch 16 kathohsche
Bürger, und zwar meist Handwerker von geringem Vermögen, ge-
zählt wurden. Die Stadt nahm au dem Aufstande der Stände teil
und wurde hart behandelt. Wer nicht konvertieren wollte, mußte
auswandern. Dies geschah, und die einst blühende Stadt lag bis in
die neueste Zeit fast gänzlich danieder.
- 220 —
das Ir ein lose geduld mit traget, vnd die, so nach
altem brauch zum Sacrament gehn, ein Zeitlang duldet,
und mit Inen schwach seyd, bis got sie sterket, Niemand
aber weder zur beicht, noch solchem ierlichen i) brauch
des Sacraments zwinget , wie bisweilen pfarrherrn aus
befelh irer obern thun. Aber mit den , so am todbet^
ligen, vnd des Sacraments nach der einsetzung christi
begern, das Irs denselben frey hinreichet, nach Christi
Ordnung, denn wo es zu schulden käme, das Ir darumb an-
gesprochen wurdet, köndt Ir euch mit dem schützen, das
Irs an Irem letzten ^) inen nit habt können versagen, wenn
aber etliche gesunde des Sacraments also nach christi gebott
begerten, kondt Ir sie an die ort weisen, da sies haben
können, ob irs Inen gleich nit reichet, aus der vrsach, wo
Irs thettet, das dadurch die gantze kirch mochte nit 2)
leiden, wenn man euch veriagte, vnd, ein argen wolff an
die stad stellete. So kondt ir den schwachen blöden ge-
wissen immer dar in dem fall wol dienen, das Irs vom
brauch des Nachtmals recht vnterrichtet denn also können
sie, ob sie gleich das Sacrament nit empfahen, sich mit dem
sterben christi trösten wie Augustinus sagt crede et man-
ducasti'^). So vil eures ambts halb, welches ich doch nur
aufif ein Zeitlang radte, denn Hoffnung ist, es könne sich
endern entweder mit euch, oder, eurer gantzen landes-
ordnung ^). Eur person aber vnd den ehestand betreffend,
ist das gentzlich mein radt, das Ir euch der hurerey gantz
vnd gar abthut, denn sine castitate Deo placere, aut carte
1) jährlichen.
2) letzten Ende.
3) nicht möchte leiden. Man sieht, daß zu der Zeit in Öster-
reich bereits in verschiedener Weise das Sakrament gereicht wurde.
Etliche Obrigkeiten waren furchtsam, andere traten ein für die
biblische Austeilung unter beiderlei Gestalt.
4) Eine merkwürdige, an Luther erinnernde Toleranz.
5) entweder daß Ihr an einen anderen Ort kommt, oder daß
es im ganzen Lande anders wird.
— 221 -
orare, non est possibile ^). Derhalb so ir schon mit leibes
fruchten von eurer concubin begäbet, so feren das sie
gottfurchtig sey, vnd sich eur allein halte -), radte ich das
Ir einen oder zwen fromme Christen zu euch nembt, den
zu trauen ist, vnd in derselben gegenwertigkeit, eur concubin
ehlichet, mit ein herzlichen gebet eur aller zu Gott, das
er gluck zu solchem furnhemen geben wolte. Vnd in disem
Fall solt ir kein fahr scheuhen, denn euch an eurem ge-
wissen billich am meisten sol gelegen sein vnd ob schon
ein fahr drauff erfolgete; so habt ir doch den trost Gott
will die seinen nit lassen. So vil habe ich euch in eyl
wollen auff euren brief antwortten. Kan es dise Zeit besser
in radt, bey mir, beder rell halb ^) nit finden. Der gnedige
barmherzige Gott sterke euch vnd leite euch mit seinem
Geist zu seines nhamens ehr vnd der armen leutlin sei
Seligkeit Amen.
Ich hab meinen Namen nit wollen vnterschreiben, das
es euch nit zu nachteil komm. Auch einen nhamen nit
melden wollen. Datum N. am abendt Mathie^j 1546. Bittet
got auch für mich, denn tegliche schwacheit des leibes
hindert mich ser an meinem ambt, hab dise zeit gen regens-
bure: nit können schwacheit halb kommen, ob ich gleich
dazu bin erfordert worden vnd noch drauff stehet das ich
hin müsse."
in. Christoph Reuter.
Unter den in Österreich selbst wirkenden Prädikanten
war der wichtigsten einer Christoph Eeuter oder, wie er
1) denn ohne Keuschheit ist es unmögüch, Gott zu gefallen
oder doch beten zu können.
2) wenn sie nur mit Euch eines Sinnes ist und sich allein zu
Euch hält. — Die Ehe ist eine recht glückliche geworden ; der Vater
Waldners schätzte die Schwiegertochter sehr.
3j beider Fälle halber.
4) Luthers Tod war Uim also noch unbekannt; der Mathias-
tag ist am 24. Februar.
— 222 —
sich schreibt, Eeitter. Derselbe war geboren in der Ober-
pfalz, etwa im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts, und
wird, wie Waldner in einem Briefe vom 15. Mai 15731) dem
Reuter ins Angesicht sagt, „vom Kloster her sein". Er war
also Mönch gewesen, und seine Gegner leiteten aus diesem
Umstände die vielen Ceremonien in der Agende ab, was
Waldner in ebendemselben Briefe erwähnt. Reuter wurde
etwa 1543 von dem durch Luther nach Regensburg em-
pfohlenen Superintendenten D. Nopp „zuerst treulich auf-
genommen und unterrichtet", an dessen gute Lehren er sich
noch 1559 in einem Briefe an Gallus erinnert 2). Darauf
muß Reuter in seiner Heimat irgendwo im Kirchendienste
gestanden haben, weil er selbst erzählt, er habe dort
1548 eine Agende verfaßt, welche ihm später allerlei
üble Nachrede eintrug, z. B. daß er ein „Brotbrecher" sei,
was auf süddeutsche Abendmahlslehre deuten würde.
Dieses mochte unter dem Pfalzgrafen Otto Heinrich in der
Oberpfalz wohl vorkommen, insofern als dieser auch solche
duldete, die der Schweizer Lehrweise nicht abhold waren
[z. ß. Wolfgang Musculus, 1548 ^)]. Er selbst legte keinen
Wert auf dieses Jugendwerk (s. sein Bekenntnis Art. XVII).
1555 kam er nach Österreich und wurde als ein vom
Herzog von Pfalz -Neuburg und von Gallus Empfohlener
bald von verschiedenen Herren in Dienst genommen und
für geistliche Verrichtungen verwendet. Er selbst klagt
damals, daß er über die Maßen beschäftigt sei und sich
bald hier, bald dort aufhalten müsse. Sein vertrauter
Freund und Berater war von Anfang an Gallus. Reuters
definitive Vokation datiert erst vom 9. Oktober 1557;
sie ist unterzeichnet von Leopold Grabner zu Rosenberg,
welcher bei Gallus darum anhält, daß er Reuter länger
I
1) R. A. Eccles., No. XXIII, Z. 84.
2) E. A. Eccles., No. XXII l, Z. 7. „Er solle nicht bald
traurig sein und seufzen über sein Pfarrvolk."
3) Vergl. Musculus, Comm. in Ev. Johannis, in der Vorrede.
— 223 —
in Österreich zu bleiben veranlasse, unter Bezeigung großer
Zufriedenheit mit des letzteren Dienste i).
Anfangs lebte Reuter zu Spitz in Niederösterreich, dann
ward er als Schloßprediger nach Rosenberg versetzt, wo
ihm ein Haus gebaut wurde ; obwohl nicht öffentlich an-
erkannt, hat er doch in der Stille im Dienste verschiedener
adeliger Herren, und zwar „wohl in 16 Edelmannshäusern
ausser der gemein" gewirkt oder, wie er im eben genannten
Briefe schreibt, „die Seelen versehen".
Über die ersten Anfänge seines Wirkens, und wie es
dazumal in Österreich stand, vernehmen wir Wichtiges aus
den Briefen an Grallus. Einiges von den Anfechtungen und
Verfolgungen um des Wortes Grottes willen, denen die Evan-
gelischen ausgesetzt waren, hat auch Wolfgang Waldner in
seinem 1566 gedruckten „Bericht für verfolgte Christen" in
der Dedikation an die österreichischen Herren mitgeteilt 2).
Am 15. März 1557 schreibt Reuter an Gallus aus Nußdorf -^j:
„Wie es herund im Lande stehet in unserer Religion
ist erbärmlich zu hören. St. Paulus het bluttige Zähren
gewaint. Denn die heuchlerischen zweyzungischen pfaffen
am maisten vnd mer den die papisten selber thun, vnd
zuefugen, Iber welche S. paul. schier in allen seinen Episteln
nicht wenig ja auch mit Weinen klagt Es stehet
jämmerlich, gott erbarms, niemant last im zu Hertzen
gehen, es ist ein wildes, grobes, tolles volckh vnd wirtt
gleich das andere Sodoma werden. Die besten sind heuchler
vnd Schmeichler, man predigt an etlichn orttern gleichwol
zimblich, auch der königliche wirde May: predicant, aber
vil gehet ab, mich sihet aber an, es gehe gleich zu, ich
trag sorge, wol erger, wie zu zeitt pauli, philip. 1 : Etliche
zv/ar predigen christum, auch umb Haß und Haders willen,
.... 2<^ Clage E. E. dz ich zu Rosenberg einen bösen
i) R. A. Eccles., No. XV, Z, 79.
2) Raupach, Presb., S. 149. Besonders wird Leop. Grabuer
gelobt.
3) R. A. Eccles., No. XV, Z. 9.
— 224 —
nachtparn hab erkriegt; der jung Herr von puechhain, ein
freyiierr, hat ein Schloßprediger aufgenommen ; läßt sie vom
Sacrament nichts guetts hören ; nur ein halbe meil wegs
von mir, haist das Schloß vnd stättl Hörn, daselbst ^) on dz
auch ein Öcolampadischer, der Spittelmeister, der etwan
zu Vlm ein Diener ist gewesen, wonet ; hab wol mit Ime
geredet, aber nichts ausgericht, redt schmehlich vom Luther
vnd Augspurgerischen Confession. Wie es den zuegehet
wo kein öffentliche kirichen, vnd auf diese neuzeittung vom
Reichstage noch keine zu hoffen ist. Ich glaub vnser kunig
induratus est sicut pharaon ^).
Wie es aber umb mich stehet, gibe ich E. E. in christ-
licher gehorsam vnd lieb zu erinnern, dz ich samb weib vnd
kind inn zimblich zeittlich wolfartt stehe, wie ein armer
diener, doch one Verfolgung, predige feiertage iezt im schloß
Nusdorff bey Herr Achatzen Enenkhl, der grabner Vater,
kombt zusamen ein grosse suma Volckhs, vnd wir alhie
die Ostern begehen vnd haltn, hoffe nicht one frucht, der
Herr gebe dz gedeien Amen."
Am 24. Juni 1557 3) schreibt Eeuter aus Spitz, dem
Besitztum des Herrn Kirichperger^), an Gallus interessante
Bemerkungen über den jämmerlichen Zustand der Evan-
gelischen, die nicht wie er, den Schutz eines adeligen Herrn
genössen. Der Prediger von Mautteren sei kaum den
Schergen des Bischofs zu Passau entronnen, aber der Herr
habe ihn aus der Hand Herodis errettet. Zu der Predigt
des Bischofs von Gurk strömten etliche Tausend, wie man
sagt, hinzu, auch seien Psalmen gesungen, und einmal habe
1) daselbst ist ohnedies auch ein Öcolampadischgesinnter S.,
der zu Ulm vormals gewesen. Diese beiden machen Eeuter auch
nach einem Briefe vom 22. Jxmi 1558 viel Kummer, so daß er über
sie und ihre Lehre eine Schrift aufstellte (E. A. Eccles., No. XVIII,
Z. 82).
2) ist verstockt wie Pharao.
3) E. A. Eccles., No. XV, Z. 83.
4) d. i. Kirchperger.
- 225 —
König Ferdinand selber „gepumpelt Im stuel troender weiß
Stil zu schweigen i). Hernacher die psalm 2) verpotten zu
singen, anstatt derselben, in versamblung großes volckhs
welches lang auf die Predig mues wartten, vnd Hauffen-
weiß zusam lauift, mitten darunter verordnete Meßknecht,
die teufelische Meß zu halten, vnd welch gern aus der
kirichen wolt gehen, kan nicht herauß vor dem volckh.
Sehet lieber gott, das kan der Sathan; da wirtt auch wol
Caro crucifixi et Venus vereintt" ^).
Am 11. Oktober 1557 berichtet Reuter, daß der Bischof von
Gurk aus Wien fortgezogen sei und Sidonius an seiner Stelle
erwartet werde; „so es geschieht wirtt der armen kirichen
nichts guetts volgen". Dieser bekannte Mann, Michael
Heiding, Bischof von Sidon, war wirklich am Ende seines
Lebens in Wien angestellt.
In dem schon erwähnten Briefe Leopold Grabners an
Gallus vom 9. Oktober 1557 dringt derselbe auf definitive
Berufung Eeuters nach Österreich. Er sagt unter anderem :
„Ich pit aber E. E. wolle sambt der ganzen kirchen
mit ernst für vnß pithen Auf daß er Herr Christofif pej vnß
durch das wort vill khunde Ausrichten wier auch dem-
selben gern volgen, Auf das wir In Zuekhunfft des herlichen
und großen tags des Herrn, dem Herrn mit freiden khunden
entgegen khumen fwelches dann das Ende vnsers heiligen
glaubens ist) zu welcher freid vnd herlikhait wolle vns alle
der parmherzig Vatter durch das Verdienst vnsers ainigen
erlösers vnd hailandts seines ainigen geliebten sohns pringen
vnd führen. Amen."
Am 22. Juni 1558 schreibt Eeuter an Gallus ^j: „Wir
haben bisher aines Schreibens von E. E. sonderlich die
1) Wie es scheint, hat der König dem Redner mit einer Geberde
befohlen, still zu schweigen, weil ihm derselbe zu weit zu gehen
schien.
2) Wohl lutherische Lieder.
3) d. h. Fleisch und Geist.
4) E. A. Eccles., No. XVIII, Z. 82.
^ 15
- 226 —
Herreu immer mit freiden gewartt vnd syn nun betrübt
weil vns eur schwachhaitt wol bewust, in dem wir auch
ia in all euren creutz ein treulichs mittleiden tragen vnd
haben: Es werde etwan ärger vnd gefärlicher vmb euch
stehen, das wir warlich von wegen der kirichen nicht gerne
suchen, Sintemal dieselbige eur noch lenger notturftig ist,
ia auch vns in diesem lande sehr dienstlich künnet sein,
trag aber gleichwol sorg, weil nindert^) keine besserung
wil volgen, gott were (werde) euch vnd andere Heilige
Gottes Numer (nunmehr) zu sich Nemen vor dem vnglükh
wie Esaias sagt, wolt gott, wolt gott der Herr Zebaoth
käme mit seinem herrlichen grossen tage Amen. Es gehet
ie ie Jamerlich allenthalben zue."
Nachdem er um nähere Nachrichten über Gallus selbst,
und was zu Jena, Wittenberg oder anderswo über das 1557
zu Worms gehaltene Kolloquium etwa gedruckt wäre, ge-
beten, fährt Reuter fort: „Meine Herrn lassen euch sonder-
lich bitten, nachdem sie von Eurentwegen vnd Math. Flac.
Illiricus vilmals in stritt komen, euch bede lobende, Ist
nun herunden einrede erschollen, E. E. solle das Mesgewandt
gebrauchen. Item Illiricus soll sagen: Logos no(n) sit filius
dei^), Ja sol ein ganzer Schwermer sein worden, solches
ist vns vnglaublich, darumb wartten wir eures berichts.
Umb uns hatts dise gestalt. Neulich ist wider ein kayser-
licher befelh wider mich ausgangen, wir wissen aber nicht,
was auf den bericht wirtt volgen. Etliche Landleutt aus
der Ritterschaft haben vns erschreckht vnd böse neuzeittung
gesagt: zu Wien hatt man die buechfuerer (Buchhändler)
visitirtt, Item khay. Majestät sol zu kö. W. (Ferdinand zu
Maximilian) gesagt haben. Er solle seinen prediger hinwekh
thain, oder er welle in verprennen. Die antwortt ist zu
1) nirgend.
2) Diese Beschuldigung ist falsch. Auch Heshus in einem
Briefe vom 7. JuH 1568 an Gallus sagt, daß dem Flacius dariu
Unrecht geschehe, und erwähnt, daß man sage, er sei nach Jena
zurückberufen.
— 227 —
köstlich, darumb vnterlasse ichs zu schreiben. Meine Herren
sind iez zu baiden (Fürsten gegangen), werdens grundtlich
bei dem predicanten (Pfauser) erfahren. Sonst hatts zimb-
liche diener Im lande, weis aber nicht wie sie sicher bleiben
vor dem OfficiaP), auch wie sie sich in babstischen Cere-
monien halten. Vulgus ist roch, schreiet nur nach der Meß."
Ferner meldet Reuter: „Die Ro. Khay. Mt. Ist widerurab
In die krankhaitt des Fieber gefallen. Die pfaffen trauern,
hergegen Schelten sie die Kö. W." (d. i. Maximilian).
Zuguterletzt klagt Reuter noch seine Not, die er mit
dem einen Hofprädikanten des Herrn von Pv.echhaim habe,
der bei ihm zu Rosenberg in seiner Kirche öffentlich die
leibliche Gegenwärtigkeit Leibes und Blutes (Christi) ver-
neint habe. Er, Reuter, habe an seine Herren eine Schrift
wider den Mann erlassen und werde weiter darüber an
Gallus berichten. Also auch Prediger, die es mit den
sog. „Sakramentierern-' hielten, gab es vereinzelt im Lande.
Darauf bezieht sich wohl die Meldung Reuters an Gallus
in einem Briefe vom Jahre 1557, daß seine Herren am
28. Oktober den ganzen Handel von den Schwärmern duich
einen eigenen Boten gen Wittenberg oder an Philippum
geschickt und von ihnen ein Judicium begehrt hätten; die
Antwort gab Melanchthon 1560 (s. u.).
Die österreichischen Herren hatten zu Reuter ein
solches Vertrauen, daß sie von ihm sogar ein Bekenntnis
forderten, welches er in aller Einfalt nach längeren Vorberei-
tungen 1562 im Druck heraus gab, nebst einer stattlichen
Vorrede seiner Herren Leopold Grabner und der Brüder
Achaz und Leonhard Enickel 2). Diese Schrift ist wichtig'.für
die Erkenntnis der Zustände zu jener Zeit. Im 14. Kap.
klagt er über die Prädikanten, so zugleich päpstisch und
evangelisch sein wollen, Messe lesen und daneben unter
beiden Gestalten das Abendmahl austeilen. Im 15. Kap.
1) d. i. der Vertreter des Passauer Bischofs.
2) Sonst Enenkel.
15*
- 228 —
verwirft er jene, die es allen recht machen wollen und „um
des Bauches willen mit den Papisten und Rotten heulen".
Er trennt sich von den Wittenberger Theologen, unter Ver-
werfung des Interims, und klagt, daß ihrer etliche im Lande
wohnen, die ,,alle Sache mit Gewalt verteidigen und uns,
wie unsere Präceptoren Schelme und Aufrührer schelten"
(Kap. 16). Er klagt auch über die Adiaphoristen, die beim
Volk in großem Ansehen ständen, denn die Heuchelei sei
ein angenehmes Ding. Sie kommen von Wittenberg und
nehmen abgöttische Konditionen an, werden Pfaffen und
wollen doch evangelisch sein etc. i). Reuter mußte 1563,
nachdem diese Konfession hohen Ortes sehr übel vermerkt
worden war, aus Osterreich weichen. Sechs Herren gaben
ihm am 27. April 1563 einen Empfehlungsbrief an Gallus
mit und baten um gastliche Aufnahme für ihn, bis sich der
Zorn des Kaisers gelegt haben werde 2). In seiner Be-
gleitung waren etliche adelige Knaben, wahrscheinlich um
in der lateinischen Schule (Poetenschule) erzogen zu werden.
Wir wissen nicht, womit Reuter sich beschäftigte; nur so
viel ist sicher, daß seine Freundschaftsbande mit Gallus
noch mehr befestigt wurden, und er viel in Regensburg
gelernt haben wird. Auch mit Wolfgang Waldner trat er
hier in enge Beziehungen, was aus verschiedenen zwischen
ihnen später gewechselten Briefen hervorgeht.
Am 18. Dezember 1564 endlich wird Pfauser (damals
in Lauingen) von Gallus,. Waldner und Oberndorffer, den
Pfarrern der Kirche zu Regensburg, feierlich angegangen,
für die Rückkehr des in Osterreich so unentbehrlichen
Reuter bei Maximilian Fürsprache einzulegen, unter Hervor-
hebung seiner Verdienste und seiner Bekenntnistreue ^). Wie
weit dies von Nutzen gewesen, ist uns unbekannt; jeden-
falls hat Reiiter nach einem Briefe an Gallus vom 28. April
1565 jenen Brief Pfausers nebst einem Zeugnis seines
1) Raupach II, S. 144—148.
2) R. A. Eccies., No. XXX, Z. 1.
3) E. A. Eccles., No. XXIII, Z. 110.
I
— 229 -
früheren Landesherrn, des Pfalzgrafen Wolfgang, dem Kaiser
Maximilian überreichen lassen. Sein Wiedererscheinen in
Wien erregte großes Aufsehen und kam alsbald dem Kaiser
.zu Ohren, der nach mehrwöchentlichem Zaudern sich der
Rehabilitation Reuters nicht widersetzte. Die neuen Ver-
hältnisse nach Ferdinands Tode machten ihn seinem alten
Herrn Leopold Grabner und den anderen ihn sehnlichst
erwartenden Freunden dringend nötig.
Es stand Ende 1564, als Reuter zuerst wieder ins Land
Österreich kam, recht übel. Er schreibt darüber d. d. 13. No-
vember 1564^): „In unsern Landen steht es gantz still — da
regiert Epicurus als obrister Feldhauptmann; da ist kein
Frag von Chx'isto und seinem AVort. — Die Unsern werden
auch still, aber damit wirt die Sach nicht besser." Nachdem
er etwas spöttisch bemerkt, wie wohl es dem Magdeburgius
in Raab ergehe, meldet er: „Ein Diener bey vnser kirichen
ist zu einem schelm worden .... vnd hat doch ein Adeliche
fraue 0 ein grosse sicherhait volget ; wie war wie die
Vater schreiben. Wo die kirchen Verfolgung leidet stehet es
besser, den wo sie fridt hat." Sodann meldet er, der Erz-
bischof von Prag habe einen sehr gelehrten Gottesmann ver-
klagt bei Ihrer Majestät: „er sey ein Schwenkfelder vnd habe
die alte Kai. M. gelestert Den hat ir K. M. selber verhöret,
vnd sich trefflich wol verhalten In der Verantworttung, vnd
durchaus rein befunden, daran ir M. wol zufriden. Aber In dem
einen stuckh, daß er die alte K. M. einen Verfolger gehaissen,
hat er vberhupft, vnd als ein christlicher Heldt nicht ge-
laugnet. vnd solches ist Ime zum besten von irer M. selber
gedeutet Warlich mit tapfer bekantnus rieht man mer
aus, dan mit heichlen." Als die Bischöfe von Maximilian
begehrt hätten, er solle den Salzburger Synodum -) rati-
fizieren, habe er solches geweigert. „Aber", fährt Reuter
fort, „gleich wol gehet man taglich zur Meß vnd Vesper.
1) R. A. Eccles., No. XXII 1, Z. 81
2) S. über diese Synode Hopfen, a. a. O. S. 215 ff.
— 230 —
Doch sagt man er (Maximilian) sey der Aug. Confes. genaigt.
Man meinet aber, wie die Meißner. Das vbrige verstehet
man." Letzteres Urteil zeigt, daß Maximilian für einen
Anhänger der kurfürstlich- sächsischen Theologen in der
Öffentlichkeit galt.
Reuter ist in der That einer der durch die Vorsehung
gesandten Männer, die nicht bahnbrechend sind, aber doch
durch stilles, nachhaltiges, treues Wirken Bedeutendes leisten,
wie er denn selbst von sich am 26. Oktober 1568 an Gallus
schreibt: „Für mich ist das ein Trost, daß Gott durch viel
einfältige und bestendige leutlein auch etwas gethan hat,
wie viel Kirchenhistorien zeugen".
Chyträus (1569) und Backmeister (1580) sind ein-
stimmig im Lobe dieses Mannes. Chyträus wünscht unserem
Reuter in einem Schreiben aus Spitz vom 14. Februar 1569
Glück, daß er schon seit 24 (soll heißen 14) Jahren den
Samen des Evangelii in den österreichischen Landen aus-
gestreuet habe^). Derselbe sagt in seiner „Oratio de statu
eccles." (p. 391) von Reuter: „Inter primos semina purioris
evangelii doctrinae in Austria sparsit, et propter pietatem,
prudentiam, fidem, vitae integritatem et facundiam Nobilitati
Austriacae merito carus est." — Auch Backmeister be-
kennt, daß Reuter ihn am meisten während seiner An-
wesenheit in Österreich unterstützt habe^j.
Er muß eine besondere Art gehabt haben, mit den
Hohen und Höchsten dieser Erde umzugehen. Selbst Kaiser
Maximilian beriet sich mit ihm, und er hat die letzte Hand
an die Agende gelegt. Nachgiebig [weshalb ihn auch
Waldner in einem Briefe an Gallus der knechtischen Ge-
sinnung gegen die Herren zeiht ^)], aber nicht auf Kosten
der Wahrheit, immer bereit, dem Zank aus dem Wege zu
gehen, war er auch in dem späteren flaciauischen Streite,
1) Eaupach, Presbyt., S. 149, aus Chyträi Briefen, S. 637.
2) Raupach, Presb., S. 151.
3) Regensb. Akten, Eccles. I, No. XXIII, Z. 119.
— 231 —
der nach 1574 entbrannte, zur Vermittelung geneigt, wes-
halb er sich von beiden Seiten verlästert sah. Auch bei
der ihm aufgedrungenen Befehdung des Magdeburgius klagt
ihn Waldner an, daß er „Hahn im Korbe" sein wolle und
den „Herren" die Religionssache gänzlich in die Hand
spiele. Das aber war in jenen Zeiten das einzig Zulässige,
weshalb auch Reuter deswegen zu loben ist.
Er war ein ernster Lutheraner nach Luthers Katechis-
mus, ein Mann der Praxis, dem es auf die Seelsorge und
nicht auf dogmatische Distinktionen ankam. In seiner Be-
scheidenheit kann er es kaum begreifen, daß ihn die Stände
der Kaiser und seine ausländischen Freunde als eine Art
Mittelpunkt und Beirat in allen kirchlichen Fragen be-
handeln, daß er dem Kaiser, Camerarius und Carlowitz,
diesen Männern ersten Ranges, die Stirn bieten soll — er,
„der arme Esel Reiter", wie er sich wohl einmal in seinen
Briefen nennt. Und doch korrespondiert Nicolaus Grallus,
am liebsten mit ihm und läßt durch ihn seine Weisungen
an die Männer vom Herren- und Ritterstande gelangen,
denen man wie Befehlen von oben nachlebt. — Reuter ge-
hört also zu den Männern der Vorsehung, und wir erinnern
uns bei ihm insbesondere der Dichterworte :
„Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt."
Bei der Werkheiligkeit, die in der damaligen Christen-
heit alles durchzog und das rechte Sündenbekenntnis lähmte,
war es ein gutes Zeichen für die Herren des niederöster-
reichischen Adels, daß sie überhaupt solche Speise ver-
tragen konnten , wie sie Reuter bot vor hoch und niedrig,
und solches Zeugnis, wie es das obige Bekenntnis enthält, als
öffentliche Rechtfertigung hinausgehen ließen. Es waren
keine geringen Leute, sondern ihre Familien reichten zum
Teil in die vorhabsburgischen Zeiten zurück. Sie hatten
eigene Grerichtsbarkeit, und doch mußten sie sich unter das
Wort der Predigt beugen, wie es aus dem schlichten Munde
eines Reuter an sie erging.
— 232 —
Reuter hatte die besondere Gabe, dasjenige, was für
den Augenblick notwendig war, zu erkennen und vermochte
wie Gallus zwischen den widerstrebenden Geistern zu ver-
mitteln. Auch dem Joach. Magdeburgius wußte er auszuweichen
als dieser ihn wütend wegen der Zurückziehung seiner Unter-
schrift von der später zu erwähnenden „Confession etlicher
österreichischer Prediger" verfolgte. Bei diesem Handel tritt
seine furchtsame, aber zugleich vorsichtige Art ins hellste
Licht. Daß aber Reuter den Magdeburgius beim Kaiser
verleumdet hätte, so daß diesem nicht die erste Rolle in
der Agendensache zuerteilt wurde, lag gewiß nicht in
seinem Charakter. Er schob gern andere vor, wo er
konnte. So z. B. wußte er bei der Kirchenvisitation sich
wohlweislich im Hintergrunde zu halten , um zwischen den
Flacianern und ihren Gegnern nicht dadurch den Streit
zu steiffern, daß er sich offen auf eine Seite stellte. Er
gab dem Lukas Backmeister bei dessen Abschied aus Öster-
reich in einer Zuschrift i) alle Ehre und erkannte seine
eigene Mitwirkung als gering an , entschuldigte sich aber
zugleich mit seiner damaligen Leibesschwachheit. So wenig
er Pfauser leiden mochte, der keinen guten Einfluß auf
Reuters Sohn hatte , tadelte er doch J. F. Cölestin , daß
er nach dem Primat in Lauingen strebe. Er klagt in einem
Briefe an Gallus, Mitte Mai 1566 2), unter Hindeutung auf
den Gegensatz zwischen Pfauser und allen Lauinger Pro-
fessoren: „Wolt gott Ich hette meinen Son nicht dortthin
geschickht, der souil geergertt, daß er nicht allein zum
Ministerio nicht gewolt Sondern bald zu freien vnd poli-
tischen Sachen sein Herz gestellet, Sich an Herrn phauser
gehalten, volgents von D. Celestinus geurlaubet." Daß
Reuter wegen seines großen Einflusses in Österreich selbst
von einem Waldner wohl einmal beneidet wurde, läßt sich
denken. Er hat aber diesen Einfluß nicht gesucht. Seine
1) Raupach, III, S. 363.
2) R. A. Eccles. No. XIV, Z. 8.
— 233 —
liebsten Freunde waren Leute, wie der fromme Jonas Prancus
und Philipp Barbatus. Vor der Heftigkeit des Magdeburgius
fürchtete er sich. — Er hätte am liebsten mit allen Leuten
soviel als möglich in Frieden gelebt.
Auch in weltlichen Dingen wurde Reuter als Richter
angerufen und dieser ging dann wieder Gallus als „seinen
geliebten Herrn vnd Vater mit demütiger bitt vmb ratte
vnd kleinen kuertzen bericht" an. Seine Lage beschreibt
er selbst in der Antwort auf Gallus' Bemerkung, daß er ein
„Edelmanusprediger" geworden sei, folgendermaßen: Er
hoffe, es werde ohne Frucht nicht abgehen, „aber mer hab
ich zu leiden als andere. Suma hab al Hende vol, geitz,
pracht, hoflfart, faulkeitt, sicherhaitt, Schinderey. Ich hab
nur zu thain mit der verfluchten Rowolt, frondiensten, ach
du lieber gott wir wollen Christen sein, aber dem Lazaro
nicht winckhlein lassen. wil Imer in vnsern schönen
Schlössern wachsen vnd zuenemen, dem ich were vnd
steure. Wo kein volge wirtt sein wil ich zuletzt den
Herrntisch noch fallen lassen, den es haist. Mache dich fremb-
der sinden nicht teilhafftigi)." Interessant ist auch der oben
citierte Brief vom 24. Juni 1557. Der Herr Lienhart
Kirichperger, der Besitzer von Spitz, begehrt, „von seinen
Unterthanen nach dem Landtsbrauch rowolt oder frondienst
Im iar 12 tage von ieden, welcher frondienst bei seinen
Eltern nicht ist gewesen. Darüber ich Ime solches baldt,
mit gewaltiger anzegung 2) wie gott ie vnd alwegen die
schinderisch Obrigkeit habe gestrafft, auch wie dem Evangelio
dardurch grosser schaden, weil er ein christlich herr wel
sein, zugefuertt wurde, gar gentzlich abgeschlagen. Her-
gegen hatt er mich bericht was (er) für grosse Steuer, kriegs-
lüstung vnd anders dem könige mues geben , das seine
eitern nicht gethan ; darzue alles theurer täglich wirtt, waz
er kauffen wil, aber sein Järlich Einkumen kune noch möge
1) Brief vom 11. Oktober 1557, R. A. Eccles, No. XV, Z. 12.
2) Anzeigung.
— 234 —
er nicht steigern. Er wiß sich sonst nicht zu erweren,
sein meistes einkumen seie Wein , den küne er nicht ver-
kauffen. Vor etlichen Jaren haben sie Ime geholffen den
Wein aufzugeben , das wellen sie auch nun nimer thain.
Er beger auch nicht mer von seinen vnterthanen, denn waz
andre landtleitt^j von iren vnterthanen , Ja noch wol weni-
ger, allein 2) das, das Im der Landtsfürst zuelast vnd erlaubt.
Waz Ime derhalben der könig erlaubt vnd mit recht er-
helt, da neme er im kein gewissen darüber. Auch So ime
der Landsfürst solche frondienst, die Im gantzen landt ge-
breuchlich vnd doch nur ein gantz Jar 12 tage meniglichen
ein recht ist worden, abschafft, wel er sein lebenlang solche
von seinen vnterthanen nicht begern noch fordern. Oder
so ich oder ein ander Diener mit heiliger gschriflft solches
recht, das im lande ein recht ist worden, abieine, ^) vnrecht
vnd verdamblich kan machen, wil er nicht allein das vnter-
lassen, Ja er wolt ehe gantz vnd gar von Allen seinen
guett gehen, den seinen gott belaidigen vnd verdambt werden.
Den er beger nicht vil gelts zu samblen, von schwaiß vnd
Bluett armer leutt, so verspiel er noch verpanckhetier er
nicht sein guett. — —
In diser Sachen bin ich zu gering , wie die Sachen
aber zu thain sein, wie oben gemelt, Ist mein hochfleyssig
bitt wellet one Verdruß Eur kurtz Judicium in einem
sendtbrieffel noch vor Jacobi herab mir zuesenden, vmb
Jacobi wil er den frondienst begern."
Daß Gallus auf diesen Brief geantwortet, sehen wir aus
Reuters Schreiben vom 11. Oktober 1557 -^j wo er sagt:
„Vnd bedanckhe mich zum höchsten des treuen vnd christ-
lichen bedenckhens, Herrn Kirichperger angehet ; one Zweifel
er wirtt E. E. vnd mir hierinnen volgen, es ist ein feiner?
verstendiger, gottseliger vnd bestendiger Herr ; er hatt offt
1") = Herren.
2) ■= und nur.
3) ablehne, widerlege.
4) R. A. Eccles., No. XV, Z. 12,
— 235 —
zu mir gesagt, Er wolt lieber todt sein vnd von allem seinen
guett gehen, den verdamblich leben, vnd sich vor seinem
gott versündigen."
Der Adel hatte in Osterreich wie überall von den
Landesfürsten Rechte über Dörfer und ganze Bezirke er-
halten , die natürlich oft als ein schwerer Druck auf dem
Volke lasteten und vielfach zu Aufständen geführt haben,
in Deutschland sowohl als auch in Österreich und in der
Schweiz. Aber dieser Adel mußte ja auf der anderen Seite
von seinem Landesherrn Lasten geduldig übernehmen, die
oft ganz unerträglich waren , besonders in der Zeit der
Türkenkriege, und woher sollte er das Geld wohl nehmen,
wo nicht von seinen Unterthanen? Denn Bürger, die Kredit
gegeben hätten, gab es nur wenige, und ihre Zahl verringerte
sich in dem Maße, als man den Städten die Religions-
freiheit schmälerte. Der österreichische Adel aber, der,
natürlich mit Ausnahmen, mit Würde und Einsicht regierte,
hat seinen Unterthanen , zumal als das Evangelium die
Herzen erwärmte, schwerlich Überlast auferlegt oder durch
ein schändliches und ärgerliches Leben sein Ansehen er-
schüttert. Wir sehen vielmehr bis zuletzt, wie seine Unter-
thanen ihm anhangen, und haben an dem Beispiel von Kaum-
berg (in Niederösterreich) zu lernen, wie man sich gewehrt
für seinen Herrn, auch nachdem er verjagt worden ^j. Man
wollte lieber türkisch als papistisch werden, — aber Gewalt
ging vor Recht. Wir denken, daß Gallus in der oben-
erwähnten Antwort, die wir, wie gewöhnlich, nicht besitzen,
den Herrn Kirchperger von allem Geiz und Härte ab-
gemahnt, aber doch wahrhaft konservativ geurteilt, und
nicht wie Schwärmer, sondern wie einst Luther (im Bauern-
krieg) Recht und Unrecht weise abgewogen haben wird.
In die gleiche Kategorie gehört der Zank wegen des
Wuchers ^'). Auch hier gingen die Ansichten stark aus-
1) Wiedemann, a. a. O. IV, S. 171 ff.
2) Wegen desselben wandte Reuter sich bereits 1560 an
Melanchthon. Dieser antwortet ihm unter dem 4. Februar als „Vene-
— 236 -
einander. Magdeburgius verwarf in seinem 1566 verfaßten
Bekenntnis den Wucher bei den Evangelischen überhaupt
und meinte, die frühere Zulassung stehe gleich mit der
Zulassung der Vielweiberei bei Mose, sei aber jetzt unter
dem Evangelium nicht mehr erlaubt. Als nun die Land-
herren den Artikel vom Wucher in jenem Bekenntnis fanden^
wollte er ihnen nicht gefallen, und dasselbe wurde über-
haupt verworfen. Von da an begann ein längerer Disput
über den Wucher. Auch hier wurde Gallus' Rat eingeholt.
Es drohte ein Zwist unter den Pfarrern selber. Philipp
Barbatus und Eccius, beide aus dem Reiche, ereiferten sich
sehr darüber. Gegen Magdeburgius wandte sich dann Gallus
und verweist Reuter betreffs des Wuchers auf Luther ^) und
warnt zugleich vor Disputation. Auch Reuter weist des
Flacius Zank wegen des Zinskaufes ab und will ungeschoren
bleiben bezüglich solcher Fragen 2). Barbatus selbst soll
aber später, laut eines Schreibens des Eggerdes an Waldner
in Regensburg (1571). dies Zinsennehmen erlaubt haben,
nachdem Gallus scharf sich gegen „seine Unarten" erklärt,
die an ihm keine Unterstützung finden würden. Überhaupt
hat sich damals Gallus gegen Magdeburgius ausgesprochen :
seine Konfession streite mit der Augsburger Konfession
und nehme Luthers Autorität weg. Gallus' kräftiges Wort
stellte sich der Erörterung solcher Fragen entgegen, die eine
völlige Änderung des wirtschaftlichen Zustandes zur Folge
gehabt und die Landherren aufs gewaltigste vor den Kopf
gestoßen haben würden. Auch die zwei Eiferer Eccius und
rando viro eruditione et virtute praestanti Christophoro Reutter"
und mahnt, Unterschied zu machen zwischen ,, Interesse" und
„Wucher" ; er schickt zugleich sein Examen ordinandorum. Unter
demselben Datum schreibt Melanchthon ziemlich kühl an L, Grabner
imd andere Herren wegen der Form des Abendmahls und übersendet
ihnen dasselbe Buch (siehe Corp. Ref. IX, 1037).
1) Vom Zinskauff an Dr. Brück, Tom II, 275.
2) Siehe Reuters Brief an GaUus vom 8. Juli 1564 aus Dürren-
khrut. R. A. XXIII, Z. 76.
— 237 —
Eggerdes, die nebst Barth. Strele aus Magdeburg unverhört ab-
geschafft worden waren, in Österreich eine Zuflucht gefunden
hatten und hier nun eine neue Ordnung der Dinge einzuführen
trachteten (1565), wurden von Gallus, der sich dabei Reuters
bediente, in Zaum gehalten. Und nicht mit Unrecht thut
Reuter die Äußerung, daß er wohl in Österreich nicht weit
gekommen wäre, wenn er im Anfange so rücksichtslos mit
dem Alten aufzuräumen begonnen hätte. Jonas Francus
war dagegen ganz im Sinne des Gallus thätig, dem er am 6.
Mai (1565?) schreibt: erst müßten die gottlosen Meinungen
aus den Herzen hinweg, dann könne mau die Bilder und
anderes Unnütze ihnen nehmen. Dabei berührt er, daß die
durchs AntiChristentum verführten Österreicher ohne diese
Vorsicht die aus der Fremde kommenden Prediger als zu
kühn und von ihnen allzu verschieden in Verdacht ziehen
möchten, welcher Verdacht dann schwer zu tilgen sei. In
diesem Zusammenhang giebt er zugleich Reuter das Zeugnis,
daß er bei den meisten Herren in größtem Ansehen stünde,
und bedauert, ihn so selten sehen zu können. Petrus
Eggerdes, der in Reuters Nachbarschaft angestellt war, fing
an die Kirchen zu reinigen und zu reformieren ^), alle Bilder
und Altäre hinwegzuthun und die Wände zu vertünchen.
Er führte strenge Zucht ein, z. B. daß man am Sonntag
keine Hochzeit halten solle, worüber er schon mit Ver-
schiedenen in Wien disputiert und es für eine Todsünde
erklärt hatte. Das war selbst Reuter und dem frommen Fran-
cus zu viel, die sich durch solchen Zwang nicht binden
lassen wollten, weshalb es zu Uneinigkeit zwischen ihnen
kam. Meßgewand und Lichter wollten beide, Eccius und
Eggerdes, nicht annehmen. Eggerdes hatte überdies sehr
strenge Ansichten betreffs der ungetauft im Mutterleibe
sterbenden Kinder und brachte den Satz, daß solche
verdammt seien, unter die Gemeinde. Als solches Frau
1) In Eferding ließ Rüdiger Starhemberg die Altcäre aus der
Kirche herausbrechen (nach Oberleitner, Die evangeUschen Stände
im Lande ob der Enns S. 31).
— 238 —
von Zintzendorff dem Reuter anzeigte, erbittet sich dieser,
der einer milderen Ansicht anhing, den Rat des Gallus
und erwähnt die Historie Johannis, der im Mutterleibe ge-
heiligt sei, welche Eggerdes dahin erkläre, es sei dies amts-
halben geschehen und das Hüpfen nur aus der Freude der
Mutter zu erklären. Was Gallus ihm antworten werde,
werde Reuter jener Edelfrau aufs eheste schreiben. Gallus
hatte auch hier durch Reuter die oft hochgehenden "Wellen
zu glätten und der gehorsame Mann half ihm , manches
Ärgernis in Osterreich aus dem Wege zu nehmen.
Reuter berührt auch in einem Brief an Gallus, „montag
nach pankratius" 15661) die Kirchengüter, indem er sagt:
„Ist alles vmb die pfarguetter zu thun." Damit deutet
er auf einen wunden Punkt in der österreichischen Be-
wegung dieser Zeit; wie Wiedemann auch wohl behauptet,
daß die Stände nur auf Befestigung ihrer Macht bedacht
gewesen seien 2). Ein Mann, wie Eccius, klagt sogar 1570
in einem Schreiben aus Göllersdorf an Gallus über seinen
Patron Michael Freiherrn zu Puechheim und zwar über
dessen „sacrilege" Aneignung des Pfarrgutes. Der generosus
patronus erkenne es zwar an, meine aber, es sei der Kirche
damit besser geholfen, als wenn sie einen papistischen Ver-
führer gehabt, d. h. also, wenn alles beim Alten geblieben
wäre. Es trifft sich, daß gerade bei diesem Patron der junge
Polykarp Leyser zwei Jahre diente (1572 — 74) und von ihm
in höchsten Ehren entlassen, ja auch später zurückbegehrt
wurde. Herrn von Puechheim dürfen wir keine über-
triebene Habsucht zumuten, sondern es spricht sich in seiner
obigen Meinung ein Prinzip aus. Die Landherren konnten
mit Recht erwarten, daß man nach der langen Sklaverei sich
das Regiment der Herren gefallen lassen würde, wenn
nur das Evangelium gepredigt werde; aber gewisse Leute,
wie Eccius und Eggerdes, hätten gern schon damals eine
1) R. A. Eccles., No. XIV, Z. 8.
2) Wiedemann I, 328.
- 239 —
freie Kirche aufgerichtet, in welcher sie die Herren und Ver-
walter der Kirchengüter waren. Dazu kam es nicht in der
damaligen Zeit. Das der alten Kirche entzogene Pfarrgut
wurde in den Dienst der Predigt des Wortes gestellt, und
wo man das Geld, das man unwürdigen Leuten bis dahin
gegeben, an würdige austeilte, so war dies wohlgethan, und
verlor das Gemeinwesen dabei nichts. Die Kirchengüter er-
reichten um so mehr ihren Zweck, für den sie die Vorväter
bestimmt hatten, eine je bessere Anwendung dieselben
fanden. Eine wahrhaft fürstliche Gabe bot Chr. Jörger zu
Tollet am 28. Oktober 1564 aus Kreuspach dem Nie. Gallus
an, 1) um sie der Stadt Regensburg ad pios usus, also zur
Förderung des Evangeliums, zu übergeben und bittet um
wohlmeinenden Rat betreffs der Verwendung dieser Summe
von „6000 fl. Reinisch". So hat Österreich eine Menge
Stipendien ^) zu verzeichnen, welche einst adelige Herren ge-
stiftet, die aber dann zu anderen Zwecken verwendet wurden.
Zur Errichtung einer „Christlichen, ordentlichen und ade-
lichen Landtschuell" gab das im Jahre 1543 errichtete
Vermächtnis der Brüder Georg und Wolf von Perckhaim
Anlaß. Dieselben hatten alle ihre Güter den Ständen für
solche Zwecke vermacht ^j.
Daß es auch geizige Patrone gab, welche zu gerechten
Klagen Anlaß gaben, läßt sich denken ^j; aber wo das Wort
1) R. A. Eccies., No. XXIII, Z, 162.
2) Bis heute verwaltet die Wiener evangelisch - theologische
Fakultät das Praunfalcksche Stipendium, bestimmt für einen Juristen
und einen Theologen.
3) S. darüber : Evang. Vereinsblatt aus Oberösterreich 1901,
No. 11 u. 13.
4) So klagt beispielsweise Wolfgang Wegerich aus Plauen,
Pfarrer zu Weierburg, am 29. Februar 1570, in einem Briefe an Gallus
über gewisse Herren, die die Kirchengüter an sich zögen, aber sie
behielten; in seiner Parochie seien innerhalb 2 Jahren 6 Pfarrer
gewesen, die einander abgewechselt, aber, ohne ordentlich dotiert
worden zu sein, wieder fortgeschickt wären. Solche Herren ertrügen
— 240 -
Gottes verkündigt wurde und man den Herren unerschrocken
entgegentrat, ging es auch den Predigern relativ wohl.
Magdeburgius hatte es sogar zum Staunen gut in Raab und
Grafwerd; auch Reuter durfte sich nicht beklagen, Chr.
Plättinger 1564 hatte es bei Georg Jörger ebenso gut als
Phil. Barbatus bei Karl von Zelking. Frau Barbara von
Zintzendorff war unter vielem Kreuz das Muster einer
Edelfrau jenes Jahrhunderts. Ihr Hofprediger war Jonas
Prancus. Zur Bescheidenheit hielt eben das Evange-
lium seine Lehrer an , und verwöhnt sind sie nie wor-
den bis auf die heutige Zeit. Wunderliche Verhältnisse
gab es noch lange, aber als Ausnahmen. Dahin wollen wir
rechnen, daß der Geistliche, wie die Leute von Warttberg
sich beschwerten, ihnen nur einmal im Jahr „einen meß-
pfaffen hinaußschickht, meß zu halten, welchen sy mit
sondrem vnkosten vnd beschwehren müssen außhalten, vnder
solchem offt die Kranckhen ohn das Sacrament, ia auch
Kinder ohne Tauff bleiben vnd sterben müßen. Wan sy
den pfaffen anreden, er sol auch den gottesdienst bei ihnen
verrichten, andtwortt ehr, die pfahrkirch sy zu Egenburg;
wehr dahin nicht komen wol, dem wolle er nicht nachghen ;
aber nach dem Zehendt kan er wol mit roß vnd
wagen komen.'' Die Warttberger Gemeinde möchte des-
halb einen Prediger augsburgischer Konfession haben, und
der Schreiber des Briefes i) bittet Rosinus, seinen bisherigen
Schulmeister zu ordinieren.
Es ist selbstverständlich , daß sich in Österreich die
evangelische Kirche langsam aus den zerstreuten Gläubigen
keine Kirchenzucht, und-wenn der Pfarrer solches Verfahren strafe,
machten sie ilm beim Volke verhaßt und hielten es so mit den
Feinden^ der Wahrheit. Wegerich nennt Oswald und Andreas von
Eyzing, letzterer Rat des Kaisers, die sich solcher Handlungsweise
schuldig machten (R. A. Eccles., No. XL, Z. 36).
1) INIichael Grinberger, Pfarrer zu Egenburg, an Eosinus unter
dem 26. Februar 1577 (Eegensburger Stadtarchiv, Eccles., Kasten D,
Fach I, No. XXX).
— 241 —
sammelte. Bei einem Mitte Mai 1566, anberaumten Examen
aller Pfarrer des Pasaauer Kirchendistrikts unter der Enns,
von dem auch Reuter unter Klagen berichtet ^j, bekannten
sich, soweit das Examen reichte, 113 noch zu der katho-
lischen Religion ; deren, so sich zu der Augsburgischen Kon-
fession bekannten, waren in die 34; 25 waren zweifelhaft.
Von diesen wurden 10 als von Prädikanten der Augb. Conf.
ordiniert befunden. Dazu bemerkt der katholische Bericht 2)
daß die ganze Masse verdorben sei. Der Messe
und anderer Ceremonien bedienten sie sich noch, aber
die Lehre sei vermengt und ungleich und wüßten wenig
Unterschied zwischen reiner und unreiner Lehre; tauften
bald deutsch, bald lateinisch, im Beichthören sei keine
Ordnung , die öfientliche Beichte fände sich vielfach ;
von ihren eigenen Patronen und Pfarrleuten würden sie ge-
drungen, in den Ceremonien und Reichung der Sakramente
Änderungen vorzunehmen. Wo sie solches nicht thun,
würden sie von den benachbarten Pfarrern der A. C. auf
offener Kanzel geschmäht und als papistische Meßpfaffen
gelästert, an etlichen Orten auch der Unterhalt geweigert.
„Was dann die belangt, so sich zu der A. C. bekhennen,
da befindt sich das deren ain thail nit dann von der A. C.
verwanndten Superintendenten (ordiniert sei), ein thail vom
Gallus zu regennspurg, ein thail aber ordentlich ordiniert."
Unter diesen befände sich : erstlich, was die Lehre betrifft,
Verschiedenheit des Lehrausdruckes und Unbekanntschaft
mit der Konfession selber und den daselbst vorgeschriebenen,
freilich nur wenigen Ceremonien. Und zeige man ihnen
aus der A. C, daß sie offenbar von ihr abweichen im Punkt
der Ceremonien, so geben sie vor, es sei wider ihr Ge-
wissen, darin nachzugeben. Ferner befindet sich, daß sie
die Messe teils gar nicht, oder dann mit Beseitigung des
Opfers halten ; ebenso verfahren sie mit der Taufe. Manche
1) R. A. Eccles., No. XIV, Z. 8.
2) s. Hopfen, a. a. O. S. 248 f.
16
- 242 -
lassen auch Lichter und Chorrock beiseite. Und ob sie
schon mit dem Munde sich der geistlichen Jurisdiktion
unterwürfig bekennen, so thun sie mit dem Werk das
Widerspiel, und wird ihnen von den Ordinarien Gehorsam
befohlen, so sagen sie, es sei das wider ihr Gewissen. Die
dritte Sorte, die Unentschlossenen und Zaudernden, besteht
zum größeren Teil aus entlaufenen Mönchen, die im Wider-
spruch mit der Ordensregel beweibt sind , dazu auch ge-
meiniglich ungelehrt. Die, welche nicht durch bischöfliche
Gewalt ordiniert sind, widerständen jeder Widerholung der
Ordination. Der katholische Bericht giebt hier neun Orte
an, meint aber, daß der Nichtordinierten noch mehr seien
und bricht dann ab mit der Bemerkung, das Examen sei
durch die Türkennot und andere Hindernisse unterbrochen
und bis auf weiteres eingestellt worden i).
Gleich einem Rekonvalescenten mußte die Kirche an
Haupt und Gliedern erst wieder gehen und sich frei be-
wegen lernen. Man gewöhnt sich schwer an die Freiheit.
Insbesondere jener „heilige" Ausschuß der Menschheit, der
für die anderen fromm sein und durch Gebet und Opfer das
Heil verdienen mußte, forderte nun sein Recht zurück. Ein
Beispiel dafür giebt Goethe in Bruder Martins Worten
im Götz von Berlichingen, die ganz zeitgemäß klingen, wenn
sie auch nicht im pietistischen und mönchischen Geiste
gehalten sind. Daher kommt es, daß bei solchen, die in
Regensburg ordiniert werden sollten, wohl einmal zuerst
die Ehe legalisiert werden mußte 2), wie solches auch bei
Wolfgang Waldner uns entgegengetreten ist. Wer will auf
solche Leute den ersten Stein werfen, wo doch die Übel-
stände, welche das Cölibat hervorrief, gen Himmel schrieen !
1) Dieses Aktenstück befindet sich im Archiv des Kultus-
ministeriums Akten No. 67 Gen. Die Ortsnamen sind unwichtig.
2) Vgl. ein in den E. A. vorhandenes Schreiben des Mich.
Grinperger zur Empfehlung des Crispinus Schnitzer. Derselbe war
im Coenobium Haymerense. Eosinus bemerkt zu dem Akt: hie
duxit uxorem, mediocriter satis in examine respondit.
— 243 —
Es ist diese Zeit voll von Ausbrüchen nicht so sehr
des alten Menschen, wie der Pietismus zu sagen Itebt,
sondern des Menschen, wie er eben nach so langer Ver-
nachlässigung von Seiten einer entarteten Kirche sein konnte.
Die Gestalt und das Ansehen, welches damals die Völker
darboten, war mehr antinomistiscb, nicht aber pharisäisch wie
einstmal. Man war aufrichtiger ; man schimpfte und schalt,
daß es eine Art hatte ; Verwandte schalten über die eigenen
Familienglieder. Barbara v. Zintzendorff klagt aus Dienen-
thal am 2. Januar 1567 in einem Brief an Gallus über ihre
Stiefkinder, mit denen sie im Streite war, unter Beifügung
von Zeugnissen Reuters (den sie „unsern frommen christ-
lichen Lehrer, ja Vatter" nennt) und Leop. Grabners, um
Gallus Urteil zu empfangen. Das eine der Stiefkinder näm-
lich wollte nicht mit und neben ihr das hochwürdige
Sakrament empfangen, „welches", wie sie sagt, „mich gantz
pillich (billig) betrübt" i). Man erging sich nicht in reli-
giösen Gefühlen, und „Bekenntnisse einer schönen Seele"
waren unbekannt. Ebensowenig haschte man nach religiösen
Stimmungen und schwelgte in Bewunderung des Heiligen
(^Gefühlsschwärmerei), sondern alles verlief platt; in der
rauhen Wirklichkeit bewegt sich der Mensch, ohne sich die-
selbe zu verblümen oder sich über sein Elend durch fromme
Phrasen hinwegzutäuschen. Es war ein hartes Geschlecht,
aber von Herzen gut oder von Herzen gottlos, je nachdem
der Einzelne inwendig ein Christ oder nur auswendig ein
solcher war. Die Rechtfertigung durch den Glauben machte
den Unterschied, nicht aber äußere Erkennungszeichen des
heiligen Lebens.
Was nun den weiteren Vorwurf anlangt', daß Pro-
testantismus und Opposition gegen den Kaiser ein und das-
selbe gewesen sei, so ist er vollkommen unbegründet '-').
Wiederholt tritt in den Briefen hervor, daß Reuter und
1) E, A. Eccles., No. XIV, Z. 142.
2) Gegen Wiedemann I, S. 387.
16^
— 244 —
seine Herren zwar in aller Gotteslurch.t entschlossen waren,
zu protestieren, z. B. bei der Agende, aber daß sie nie an
Aufruhr o-edacht, sondern höchstens das Exil als letztes
Schicksal sich vor Augen stellten. So war denn auch den
französischen Religionskriegen gegenüber eine reservierte
Haltung bemerkbar. Zwar äußern die Briefe Mitleid z. B.
mit der gänzlichen Niederlage der Condeschen i), und man
hofft, daß es nicht so schlimm sein werde; aber Gallus
fürchtet doch das böse Beispiel des Bürgerkrieges, und
daß Tunken davon herüberfliegen würden; ja ein Mann wie
Sigmund Herr zu Polhaim schreibt am 10. Februar 1570 an
Gallus :
„Wenn sich die Condeschen in Frankreich nur mehr
auf Gott, als ihre Macht verliessen, zweifelt mir nicht, Sy
würden denselben Bannerherrn Jesu Christ bei Inen haben;
so Er dann bey vnd mit Inen ist, wer khan wider sie sein.
Aber ich hab sorg, die groben Landsknecht nehmen diesen
Fenndrich nicht an, sondern Sy vertreiben denselben mit
ihrem Scheltten, fressen und sauffen. Es solle fürwar am
Evangelischer Veldtherr ain Evangelisch Regiment halten."
Als Beispiel giebt er an, was freilich leichter gesagt als
gethan ist, es sollten solche, die Gott und sein heiliges
Sakrament lästern, an einem Baume aufgeknüpft werden.
Daneben war freilich auch die Furcht vorhanden,
woran wir beiläufig erinnern wollen, daß, wenn die Huge-
notten triumphierten, sie gegen die Lutheraner der strengeren
Tonart sich wenden und die Partei der Gemäßigten in
1) Vgl. einen Brief Khuns aus Graz an Gallus vom 8. November
1569. Khun war 1558 Prediger zu Heidelberg und mußte 1560 nebst
anderen Lehrern sein Amt aufgeben, weil er sich der Änderung im
reformierten Sinne widersetzte. Wir werden ihm später in Steiermark
wieder begegnen. Die Hugenotten hatten am 13. Okt. 1569 die
mörderische Schlacht von Montcontour verloren. Pfalzgraf Wolf-
gang, der die deutschen Hilfstruppen der Hugenotten führte, war
gestorben, Cond^ bereits im März gefallen ; so war die damalige Lage
möglichst ungünstig.
— 245 -
Wittenberg verstärken würden i). Der Haß also gegen die
Gegner im eigenen Lager machte sie wohl einmal erbittert
oder doch gleichgiltig gegen die Hugenotten.
Im eigenen Lande sind unsere Österreicher eminent kon-
servativ. Für sie ist Protestantismus und Opposition nicht
ein und dasselbe. Sie haben vielmehr unglaubliche Geduld
gezeigt ; sie treten nicht an den Kaiser fordernd heran, ohne
zugleich ihre Gewissensnöte der Lehre wegen ihm zu offen-
baren und auf ihren Knieen, wie J. von Perckhaim schreibt,
ihr Bekenntnis vor der königlichen Majestät abzulegen "■^j.
Trotz aller Versuchung zum Gegenteil hielten die Stände
in unerschütterlicher Treue zu ihrem Landesfürsten. Wenn
die Türkennot rief, so boten sie dem Kaiser Geld und'
Mannschaft. Feldhauptmann Ruber nennen wir vor Allen ;
in einem Briefe wird auch Heinrich von Khunsperg^) als
ein teurer ritterlicher Mann und Teilnehmer am Türken-
kriege genannt, und verschiedene andere Herren *j waren ab
und zu unten in Ungarn gegen die Türken thätig. Der
Kaiser konnte sich auf seine deutschen und böhmischen
Herren besser verlassen als auf die ungarischen ^j, die schon
damals forderten: „das ler kh. Mt. alle grenizn, vnd ort-
flegkh, als Rab, Gomorn, vnd allenthalben" auf beiden Seiten
1) Heshusius giebt 1568 in einem Briefe an Gallus dieser Furcht
Ausdruck, nachdem er freilich bereits böse Erfahrungen mit den Re-
formierten gemacht hatte in Heidelberg und in Wesel, und also nicht
unparteiisch war.
2) Brief an D, Hiltner in Regensburg, 5. April 1554. Das
Zeugniß hoher Loyalität stellt auch das Gegenreformationspatent
Ferdinand II. vom 1, Aug. 1628 den prot. Ständen Innerösterreichs
aus (s. Jb. f. Gesch. des Prot. XXII S. 172 ed. W. A. Schmidt).
3) Kunigsperg, aus einem evangelischen Geschlecht.
4) Wie Albrecht v. Rosenberg, der Herr von Krumau, mit dem
Perckhaim eng befreundet war, was ein Brief v. 18. Okt. 1557 an
Gallus zeigt ; die Familie war auch in Oberösterreich ansässig. Auch
V. d. Schulenburg wird genannt, der mit 1500 Pferden zu Tyrnau
liege, aber den Eingesessenen Schaden zufüge.
5) Brief J. v. Perckhaims an Gallus vom 22. Juli 1557.
- 246 —
der Donau, nicht mit Deutschen, Böhmen oder anderen
Nationen als Obersten, Hauptleuten oder anderen Befehls-
habern besetzen möge, sondern allein mit Ungarn als zu
ihrer Nation gehörig. Der Kaiser antwortete, er könne sich
die Hände nicht sperren (binden) lassen ; nachdem ihrer gar
viele von I. Majestät abgefallen und wider ihn schlecht
und rebellisch worden, wie dann vor Augen, so habe er
zur Erhaltung des übrigen Teiles der Krone Ungarns und
um der benachbarten Länder willen die Grenzen und Orts-
flecken mit Deutschen und anderen Nationen, so „I. kh. Mt.
für nutz- und tauglich und zum besten angesehen", besetzt.
Perckhaim fügt bei, die Ungarn seien an all ihrem Ver-
derben selbst schuld, denn sie seien in 40 oder 50 Jahren
nie selbst eins gewesen (haben kein Recht). Wo einer den
anderen kann vertreiben, der thut's, bis Wien und sie mit-
einander verderben. Die Ungarn, sagt P., hätten es dann
dabei bleiben lassen müssen. Loserth^) hat in dieser Be-
ziehung den Ruhm Inner-Osterreichs verkündet. Daß sie
sich bei den Landtagen, wo über die Türkenhilfe verhandelt
wurde, abgeneigt zeigen, ohne bestimmte Religionskonces-
sionen Kriegssteuern und Tilgung der fürstlichen Schulden
zu bewilligen, ist selbstverständlich. Sie hatten dazu das vom
Landesherrn verbriefte Recht. Mißbrauch|^haben sie dasselbe
nicht. Oft genug getäuscht in ihren Hoffnungen, besonders bei
statthabendem Regierungswechsel, warteten sie immer wieder
geduldig, ob der neue Herrscher ihre Forderungen erfüllen
würde. Sie folgten eher dem Beispiele eines Karl von
Zierotin, der bis zum Übermaß loyal genannt zu werden
verdient, als dem Beispiele der Böhmen und Ungarn. In
altdeutscher Treue umstanden sie als Mannen ihren Erz-
herzog in Leid und Freud und folgten ihm auch, wenn er
als Kaiser und König gebot — treu bis ins Exil. Ab-
weichungen von dieser Handlungsweise finden sich zwar in
1) Loserth beklagt es, daß die Österreicher nicht wie die Nieder-
länder sich ihre Gewissensfreiheit kräftiger gewahrt hätten.
— 247 -
der Zeit der Unruhen im Winter 1619. Da griff Karl von
Jörger zu den Waffen, hatte etliche hundert Mann unter sich
und gerierte sich als Herr im Garstenthal, wobei er den
Abt von Spital am Pj'rn gelegentlich brandschatzte. Aber
es half nicht viel : er mußte der Übermacht unterliegen.
Es war das letzte Ringen der ständischen Macht gegen die
landesfürstliche Übermacht : die letztere siegte ^).
Das letzte Lebenszeichen, das wir von Reuter haben,
ist ein Brief an Backmeister, in welchem er von demselben
Abschied nimmt und mit seiner Leibesschwachheit sich
entschuldigt, nicht persönlich kommen zu können. Er
bittet um Christi willen um Vergebung, wenn er ihn sollte
verletzt haben. „Unser lieber Herr Gott weiß, daß ichs
nicht arg gemeinet, sondern im Christlichen Vertrauen; Mein
Hertz schalcket fürwahr nicht. Mein Weib, 8ohn und
Tochter segnen E. E. im Namen Jesu und wir wollen E. E
bey unserm Gottes-Dienst treulich eiugedenck seyn."
Im folgenden Jahre berichtet M. Luzius in einem Briefe
an D. Leyser (Juli 1581): „Reuterus numen quorundam ad
superos abiit" (d. h. Reuter, der Gott etlicher, ist gestorben^.
Aus solchen Worten erhellt, daß man im gegnerischen
Lager, trotz seiner Nachgiebigkeit in den letzten Zeiten
seines Lebens, mit ihm nicht zufrieden war. Wenn anderer-
seits auch Irenäus in seinen „Censuren und Urtheyl, Oo."
ihn nicht mehr gänzlich zu seinen Gesinnungsgenossen
rechnet, so folgt, daß er durch seine Nachgiebigkeit keiner
der beiden Parteien Genüge that. Er hat sich eben, wie
so unzählig viele seiner Zeit, damit zufrieden gegeben, daß
andere die Pacificierung der Kirche in die Hand nahmen,
war aber zu alt und kränklich, um sich über das Für und
Wider auszusprechen. Wenn nur Friede und irgend ein
Stillstand in die Bewegung kam, die seit 1548 die Gemüter
1) Über diese Zeit sind die Berichte des Propstes zu Spital
Christoph Milieder bei aller Einseitigkeit wichtig. Vgl. Stülz, Gesch.
Wilherings, CXXVI, welcher Auszüge aus jenen Akten mitteilt.
— 248 -
erschütterte, so war ihm alles recht. Ob aber dieser Still-
stand auch zur dauernden Besserung führen werde, darüber
wird er gewiß seine besonderen Gedanken gehabt haben.
Mit der Partei, der er nach Luthers Tode angehörte und
die seit 1580 verschwand, traten immer doch Vertreter
alter berechtigter Lehren Luthers vom Schauplatz ab. Und
dieser Abgang ist auch dadurch nicht ersetzt worden, daß
nun nach 1580 mit der Konkordienformel Ordnung geschafft
wurde. Denn mit der bloßen Eintracht ist der Kirche nicht
geholfen. Im Gefolge jener Formel zog die Orthodoxie ein,
und als diese nicht mehr genügte, kam der Pietismus, so-
dann der Rationalismus, um den Schaden der Kirche zu
bessern, ohne daß jene Besserung erfolgte, die ein Reuter
vor Augen haben mochte.
IV. Joachim Magdeburgius^).
Dieser Mann, ein bekannter Mitkämpfer des Placius
und Gallus und eigentlich in Ungarn als Prediger der
„teutschen Reutter zu Raab" ansässig, greift doch nach
Österreich über, woselbst er auf dem Ruberschen Gut
Grafwerd seine bekannte Konfessionsschrift herausgiebt und
sich später als Pfarrer daselbst bezeichnet. Magdeburgius
ist geboren zu Gardeleben 2) in der Altmark, in Wittenberg
immatrikuliert (April 1544), ward im Braunschweigischen
Rektor und hier 1547 von dem katholischen Herzog Hein.
1) Vgl. für die ersten Lebensschicksale des Magdeburgius den
Artikel von C. Bertheau in der AUgem. deutsch. Biographie, Bd. XX.
2) Das heutige Gardelegen, woselbst auch ein Bruder von ihm)
der Theolog ward, geboren ist. Dieser war Prediger an der St.
Katharinenkirche zu Hamburg und brachte die Psalmen Davids ge-
sangsweise in Reime. Er starb 1565 (s. Koch, Gesch. des Kirchen-
liedes I, 449 über ihn). Gesänge aus den Psalmen waren überhaupt
in diesem Zeitalter gang und gebe auch in der luther. Kirche. Ein
Beispiel davon giebt auch der Kan tor Brassican in Linz (s. Schiff mann,
Das Schulwesen ob der Enns |bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts,
59. Jahresbericht des Museum Francisco -Oarolinum, Linz 1901,
S. 122).
— 249 ~
rieh verjagt. Er bekam eine Pfarre im Lüneburgisclien, zu
Dannenberg, welche er 1549 freiwillig mit einer Pfarre in
Salzwedel vertauschte. Hier traf ihn wegen seiner Reni-
tenz gegen das Interim die Verbannung (1552), bei Strafe
des Stranges wurde ihm die Rückkehr verboten. Er kam
hierauf nach Hamburg an die Petrikirche und nahm an
den durch den Superintendenten Aepinus geführten Kämpfen
gegen die Wittenberger Theologen teil, was ihn bei dem
Nachfolger Aepins, dem Superintendenten von Eitzen ^),
einem Freunde Melanchthons, in Ungunst brachte. Er griff
auch in den Kampf ein durch die Herausgabe einer sati-
rischen Schrift i. J. 1557, betitelt: „Dialogus oder ein Ge-
spräch eines Esels und Matthei Bergknechts", deren Spitze
gegen Melanchthon gerichtet war und den Superintendenten,
wie auch den Hamburger Rat verletzte -). Dazu kam ein
Buch wider die Sakramentierer unter dem Titel: „Von dem
alten und neuen Christo'', welches ihm seines gehässigen
Schreibens wegen Absetzung von selten des Rates zuzog
(25. Mai 1558). Darauf ging er erst nach Magdeburg, wo
er mit Flacius zusammentraf, blieb aber nicht dort,
sondern nahm einen Ruf nach Oßmannstedt in Thüringen
an, woselbst er nach 4 Jahren 1562 entsetzt wurde, weil er
1) Paulus V. Eitzen war übrigens einer der Gesandten in Cos-
wig (Preger, M. Flacius, II, 33). Obgleich strenger Lutheraner blieb
er doch mit seinem alten Lehrer Melanchthon in stetem Verkehr und
mißbilligte wenigstens Satiren gegen Melanchthon aufs höchste.
2) Der Verkauf dieser Schrift wurde vom Senat verboten, was
Melanchthon am l. Febr. 1558 dankbar anerkennt. Es erfolgten
zwei bitterböse Antworten auf jenes Spottgedicht, wovon die erste be-
titelt war: „Ein newes Lied von zweien Eseltreibern, Johan Ritzen-
bergen, vnd Joach. Magdeburgio. Gestellet auff das Gesprech Joach.
Magdeburgü, eines Esels vnd Matthei Bergknechts. Anno 1558" ;
Spottgedicht von 24 siebenzeiligen Strophen mit Musiknoten: „Ey
was solich euch singen, Zu diesem Fastnachtsspiel". Der zweite Titel
lautet: „Ein new Gedicht wider die Chammisten auff zwey newe
Liedlein eines Eseltreibers J. M. B. (d. h. Joach. Magdeburgü) ge-
macht im Thon Pertransiuit Clericus. Anno 1559". Es findet sich
im German. Museum in Nürnberg, Histor. Blätter No. 13839.
— 252 —
Von Raab aus trachtete Magdeburgius, auch die öster-
reichische Landschaft mit Rat und That zu unterstützen i).
Er trat mit großem Selbstvertrauen auf. In der Lehre war
er durchaus unanstößig, in den Ceremonien maßhaltend, un-
beugsam gegenüber allen Anforderungen des Adiaphorismus,
Majorismus und Synergismus. Die sehr bezeichnenden
Mottos seines Bekenntnisses v. J. 1566 sind:
„II Timoth. 1 : Scheme dich nicht des Zeugknus vnsers
Herrn | noch meiner | der ich gebunden bin | sondern leyde
dich mit dem Euangelio." — „Tito I. Ein Bischoff halte
ob dem Wort | das gewiß ist | vnd lehren kan | Auff das
er mächtig sey zu ermanen durch die heilsame Leere | vnd
zu straffen die Widersprecher."
Über Magdeburgius geben die Regensburger Akten
mehrfach, zumeist in Briefen an Gallus, neue Aufschlüsse.
Am 4. Oktober 1566, also kurz nach der Einnahme
von Szigeth, als die Türken alles überschwemmten, hatte
man auch ihm seine beiden Häuser verbrannt, worüber er,
nachdem er sein langes Schweigen in einem Briefe an Fla-
cius und Gallus entschuldigt, folgendermaßen klagt: 150C»
Gulden hätte er durch Brand verloren, worauf er nach
Grafwerd verzogen sei. Erst dann schreibt er über den
Tod seiner Gattin und die Krankheit seiner Kinder und
bemerkt, daß nach Ungarn nur „Halbverdammte" hinkämen,
welche andere Länder teils der Bosheit, teils des Bekennt-
nisses wegen nicht tragen können. Er schickt ihnen, außer
seiner Predigt von Johannes dem Täufer, seine Konfession
behufs Drucklegung in Regensburg, und dabei eine „ Ratio ,
cur Austria libertatem verae Religionis petere debeat",
also einen Entwurf für freie Religionsübung und Gleich-
stellung der Konfessionen in Österreich — 300 Jahre vor
deren Realisierung (1861). Im übrigen lobt er die Sicher-
1) 8ein Patron Ruber war auch Besitzer von Grafwerd und
Mitglied des Herrenstandes in Österreich. Dadurch war Magde-
burgius auch österreichischer Prediger und hielt sich häufig in Graf-
werd oder auch einmal Veltsbergk auf.
- 253 —
heit der evangelischen \/erkündigung in Ungarn trotz aller
Anfeindung der Gegner, und bemerkt, daß die Zahl der
Gläubigen daselbst wachse. Erbittet die Regensburger Kirche
um Fürbitte angesichts der kommenden schweren Zeitläufte
die eine babylonische Gefangenschaft drohen, und wünscht
sich und den Seinigen einen baldigen Übergang ins ewige
Leben. Wir begreifen die bitteren Klagen des Briefes aus
dem Munde eines Mannes, der innerhalb eines halben Jahres
dreimal den Wohnort ändern mußte und sich daher wohl
für einen Märtyrer Christi ansehen konnte.
Wir begreifen aber auch aus dem Munde eines solchen
Zeugen den rücksichtslosen, in Österreich bisher nicht ge-
hörten Ton der Vorrede an die drei Stände in Österreich,
die sein Bekenntnis einleitet. Er bittet dieselben, sie wollen
„zur errettung der warheit vnser Lere, der gerechtigkeit
vnser Gottesdiensten | vnd der vnschald vnsers Lebens, |
dis vnser Bekentnis der hochgedachten Key. M. demütiglich
überantworten", natürlich zu dem Zweck, um zur Ehren-
rettung der Evangelischen beim Kaiser zu dienen. Ja, er
scheut sich nicht , die Parallele zu ziehen zwischen diesem
seinem Unternehmen und der Überreichung der Augs-
burgischen Konfession (Ao. 1530), welche zur Zeit der
höchsten Gefahr die löbl. Kur- und Fürsten „zur Errettung
ihrer Prediger Unschuld" übergeben haben. Noch in seinem
zu Erfurt 1571 errichteten Testament bezieht er sich auf
diese Konfession. Die Überreichung derselben sollte auf dem
kommenden wichtigen Landtage, Weihnachten 1566, ge-
schehen. Wir können uns denken, was der Kaiser dazu
für eine Miene gemacht; aber auch die Stände waren zum
Teil wenig erbaut von solchem Freimut, wie uns die weiter
unten zu erwähnenden Aktenstücke zeigen werden. War
es doch an sich ein starkes Stück, daß Magdeburgius,
kaum daß er in Österreich warm geworden, eine solche
Konfession in solchem Ton an die Stände richtete, wenn
selbige auch iüm Anlaß dazu gegeben haben werden. Auch
das aber ist echt protestantisch; man war noch nicht in
— 254 —
dem Zeitalter angelangt, wo die Augustana als Lehrgesetz
galt. In ähnlicher Weise hat um die gleiche Zeit Flacius
selber für die Lutherischen in Antwerpen, wohin er 1566
behufs Ordnung der Religionsangelegenheiten von der Ge-
meinde berufen wurde, die Confessio Ministrorum J. C. in
Ecclesia Antverpiensi, quae Aug. Conf. adsentitur (1567)
verfaßt. Damit that er das Gleiche, was hier Magdeburgius
that, der übrigens auch schon 1555 den Antwerpner Christen
ein frommes Buch zur Stärkung und Ermahnung zugeeig-
net hattet). Und wie diese beiden hier gethan, so war es
die Gewohnheit vieler, ganz ohne Rücksicht auf das Be-
stehen bereits anerkannter Konfessionen, sowohl Katechismen
als auch Konfessionen zu publizieren (z. B. J. F. Cölestin
und Martin Gieringer, Pfarrer zu Baden in Niederösterreich,
1558 u. a. m.) Soweit entfernt war man noch von dem
sklavischen Verehren des Symbolbuchstabeus in den späteren
Zeiten der lutherischen Kirche.
Magdeburgius wurde nicht verfolgt, wie 1562 Christoph
Reuter, welcher zeitweilig zu seiner eigenen Sicherheit
das Land verlassen mußte. Die Zeiten waren andere ge-
worden ; Maximilian war tolerant, und Magdeburgius' Patron
Ruber war ein Mann von höchstem Einfluß, der ihn überall
schützte. Auch die 19 in der Konfession des Magdeburgius
Unterzeichneten, zum Teil bekannte Exulanten aus Thü-
ringen, jetzt in Niederösterreich, blieben unbelästigt, obwohl
auch sie Einfluß genommen auf die eilige Redaktion jener
Bekenntnisschrift und zum Theil sehr eifrig zu ihr hielten.
Nur unter seinen Glaubensgenossen fand, wie sich denken
läßt, Magdeburgius viel Widerspruch, was auch leider echt
protestantisch ist und überall da üblich, wo nicht der Macht-
spruch der kirchlichen Obrigkeit (z. B. des Summepiskopus)
die Geister im Zaum hält und demnach Kirchhofsruhe waltet.
Der Ton der ganzen Konfession ist ein echt protes-
tantischer, stellenweise äußerst kühner ; sie tritt auf mit dem
1) s. Raupach, Presbyt. S. 110.
— 255 —
ausgesprochenen Wunsche, ja Anspruch, „vnsern Benach-
barten in Mehern (Mähren), in Behmen | Vngarn | Zips |
vnd Siebenbürgen | ein gut Exempel'' fürzustellen. Sie kam
in Vieler Hände, nicht bloß in Österreich, sondern auch
im Reiche. F. W. Cölestin verlangt von Lauingen aus
(Ostern 1568) von Grallus ein Exemplar dieser Konfession
sammt dem Appendix. Auch Joh. Rex, Prediger in Qued-
linburg, billigt in einem Schreiben an Gallus (2. Nov. 1568)
diese Konfession und nennt sie Confessio Austriacorum.
In seinem Briefe vom 4. Okt. 1566 an Flacius und Gallus
spricht Magdeburgius sich über die Notwendigkeit einer
raschen Drucklegung der Konfession aus. Um Weihnachten
1566 nämlich stand ein wichtiger Landtag bevor, für den
er die Konfession fertig haben wollte, die er im Namen
der Brüder überreichen zu lassen beabsichtigte. Er hofft
eben, durch seinen gezwungenen Aufenthalt in Österreich
dazu besser imstande zu sein, als von Ungarn aus. Nur
19 Prediger unterschrieben definitiv; zwei, Christoph Reuter
und Christoph Plädting i), traten zurück, nachdem sie an-
fänglich unterschrieben, und zwar, weil sie das Verbot des
Wuchers im 25. Artikel als für die Umstände zu schroff
mißbilligten, ferner aber die Auslegung des dritten Glaubens-
artikels in jener Konfession beanstandeten. Die Konfession
hatte den Artikel von der Kirche abgesondert behandelt
und so auch die Gemeinschaft der Heiligen, was im Wider-
spruch mit Luthers großem Katechismus zu stehen schien.
Sofort entstand ein Zwiespalt. Die genannten zwei Dissi-
denten wurden hart mitgenommen 2). Vergebens suchte sich
Magdeburgius, der für eine Weile das Pfarramt zu Velsbergk
(in N.-Ö.) inne hatte, mit ihnen zu verständigen ; auch Jonas
Frankus und Conrad Lupulus suchten einen Weg der Ver-
1) Prediger in Wilhelmsbiirg bei Christoph Jörger von Kreus-
pach (Niederösterreich).
2) Im Punkte des Wuchers wohl nicht ohne ihre kSchuld. Mag-
deburgius konnte sich hier auf Luther berufen (s. Werke Erl.
Ausg. 20, 282 ff. und 23, 122).
- 256 —
mitteluQg einzuschlagen 2) — es war vergebens. Jenes Be-
kenntnis rief mehr Zwiespalt als Einigkeit hervor. Besonders
war der unruhige Petrus Eggerdes auf Philipp Barbatus erbost,
daß er sich zur Unterschrift herbeigelassen. Der öster-
reichische evangelische Adel verhielt sich ganz ablehnend, ja
feindlich gegen dieses Bekenntnis. Dasselbe war gewiß
nicht opportun, aber freilich hätten Reuter und Plädting i)
sich von Anfang an fernhalten und Magdeburgius nicht die
Gelegenheit verschaffen sollen, ihnen jahrelang aus ihrer
Unbeständigkeit in unziemlicher Weise einen Vorwurf zu
machen. Die Freunde in Regensburg hatten Mühe genug,
um diesen Brand, den beide Teile verschuldet hatten, ohne
ihre Schuld bekennen zu wollen, zu löschen.
Magdeburgius ging erst, nach einem Briefe des Phil.
Barbatus aus Syrendorf vom 2. Februar 1569, in diesem
Jahre wieder definitiv nach Ungarn zurück und trat den
österreichischen Angelegenheiten damit fern. Das war gut
für ihn und für den Frieden in der Kirche ; denn schon
war Kaiser Maximilian über ihn erzürnt, und an ein
Heranziehen dieses Mannes zur Abfassung der Agende war
nicht zu denken. Dies fiel Christoph Reuter allein zu. Nach
einer Andeutung in einem Briefe Waldners an Gallus muß
sogar ein „kaiserlicher Abschied" wider ihn ergangen sein.
1) Über Chr. Plädting oder Pläd tinger wissen wir durch einen
Brief von ihm an Gallus vom 31. März 1558 folgendes. Er war
gebürtig aus Landshut und kam nach Regensburg, wurde von Gallus
nach Amberg empfohlen, ging aber nach Mauttern in Niederösterreich
als Hofprediger des alten Jörger. Nachdem er dort wegen Ab-
schaffung der Messe sich viele Feinde gemacht, mußte er fort imd
kam nach Leuben bei Stein in Niederösterreich, wo seine Thätigkeit von
Dauer war, gleichwohl aber selbst von dem Namen nach Evangehscheu
behindert wurde, indem letztere Adiaphora zuließen, d. h. offenbaren
Aberglauben. Da er sich diesen widersetzte, erhielt er bald den Namen
Schismatiker und wünschte deshalb aus Österreich fortzukommen.
Plädting hatte viele Autoren gelesen und erbot sich auch, dem
Gallus ein Bekenntnis einzureichen, falls es erfordert würde (Regens-
burger Akten, Eccles. I, No. XVIII, Z. 8ö).
— 257 —
den die evangelischen Herren benutzten, um sich seiner zu
entledigen i). Das Schreiben neuer Konfessionen und das
Sammeln von Unterschriften war in der That eine Un-
ordnung und störte den Frieden der jungen Kirche.
Magdeburgius ist ein Gesinnungsgenosse des Flacius.
Beide verteidigen mit Energie echt protestantische Sätze,
z. B. den Satz vom allgemeinen Priestertum der Christen,
den zuerst Flacius verteidigte im Kampf gegen Menius ^).
Die flacianisch gesinnten Prediger wollten die christliche
Freiheit, als im gemeinen Beruf aller Christen gelegen, auch
auf die Weiber erstrecken ^j. Magdeburgius 'erklärte es als
"indifferent im Streite mit Christoph Reuter, ob das Symbolum
Apostolicum 12 oder 13 Artikel habe; er verwarf entschieden
die Apologie Melanchthons, die die Absolution unter die
Sakramente setzte ^j, was Reuter und der Regensburger
Katechismus annahmen, und weigerte sich, sie in seiner Kon-
fession ausdrücklich anzuführen. Desgleichen finden wir
in der Konfession des Magdeburgius keinen Exorcismus bei
der Taufe, auch war er gegen den Chorrock und überflüssige
Ceremonien. Überhaupt haben diese Theologen das hohe
Verdienst, daß sie die Centraldogmen des Protestantismus
immer wieder zur Verhandlung brachten und die Auslegung
des Römerbriefes Kap. 5—8, wie auch den Galaterbrief,
weiter die Schriften Luthers in die Debatte zogen : Schriften,
die später zum Schaden der Kirche mehr in den Hintergrund
traten. Das zeigt sich noch zum allerletzten Mal 1580 in
jenem Eferdinger Streit über die Leiber der verstorbenen
Gläubigen, welchen Magdeburgius anfing, und in welchem
Marcus Volmarius und Johann Hauser ihm mit Streitschriften
sekundierten.
1) Regensb. Akten, Eccles. I, No, XXVI, Z. 73.
2) Vgl. Preger, M. Flacius, I, S. 416.
3) Vgl. die Visitation in Schallaburg, Eaupach III, S. 272:
man soUe einem Weibe mehr glauben, wenn es die Schrift führte,
als einem ganzen Conzilio ohne Schrift".
4) Brief Reuters an Gallus vom 9. Februar 1568 (R. A. Eccles.,
No. XXXVI, St. 100).
17
— 258 —
Beachtenswert ist die Art und Weise, wie die einwandern-
den Pfarrer in Österreich aufgenommen wurden. Besonders
ragt hier eine edle Frau hervor, deren Namen verschiedene
Verteidiger des evangelischen Glaubens in Österreich tragen :
Frau Barbara von Zintzendorff. Wie sie die Prediger bei sich
empfing, also ließ sie ihnen auch weiter ihre Teilnahme
angedeihen. Als sie von Magdeburgius und von dem aus
Eisleben gekommenen Zacharias Prätorius i) vernimmt, daß
beide den Mut verlieren und das Land wieder verlassen
wollen, sagt sie dem Christoph Reuter (um Neujahr 1566
etwa): „So Magdeburgius vnd pretorius hinweckh ziehen,
dieweil sie nicht verfolget werden, So verlassen sie fraue
vnd kindt In höchster geburtt, theologice dauon zu reden."
Was sie gemeint, ist deutlich aus Apokalypse 12, 4, wo
das Weib in Kindesnöten die Kirche bedeutet, und wo der
Drache vor das Weib tritt, die gebären soll, „auf daß, wenn
sie geboren hätte, er ihr Kind verschlinge". Diesen Drachen
zu besiegen, gelingt nur, nach Vers 11, durch des Lammes
Blut und durch das Wort des Zeugnisses derer, die ihr
Leben nicht geliebet bis an den Tod.
Von Magdeburgius und Prätorius ging nur der letztere
fort, und zwar nach Regensburg, Anfang 1565, woselbst
er Diakon wurde. Auch hier aber erregte sein ansteter
Sinn bald Anstoß. Er machte sich nach unseren Akten ver-
dächtig in Bezug auf seine Sakramentslehre, kam mit Fla-
cius und Grallus darüber vorübergehend in Streit, ging schon
im Oktober 1566 mit einem guten Zeugnis des Rates nach
Tübingen und kehrte endlich wieder nach Eisleben zurück,
wo er, wieder orthodox geworden, an dem Streite gegen Fla-
cius 1574 teilnahm 2).
1) Z. Prätorius hatte bei dem Grafen Salm vorübergehend eine
Anstellung gefimden. Sein Charakter ist unzuverlässig. Martin
Wolf klagt über die Verdächtigungen, mit denen er seiner Berufung
nach Bayern entgegengetreten, in einem an den Grafen Ladislaus
von Haag gerichteten Briefe.
2) S. Eegensb. Stadtarchiv, verschiedene Akten, und Preger II,
S. 374.
— 259 —
Dieser Prätorius ist ein Typus damaliger Prediger in
Deutschland. Er beanstandet einerseits die Prädestinations-
lehre und macht sie Martin Wolf zum Vorwurf; anderer-
seits schwankt er hinüber zur reformierten Abendmahlslehre,
ähnlich wie die Wittenberger Theologen um diese Zeit.
Er gehört ferner zu jener sehr gewöhnlichen Sorte Theo-
logen, welche wohl genießen und herrschen möchten, aber
nicht mit den Aposteln leiden und die Geringsten sein
(1. Kor. 4, 9). Daher stammt das unstete Wesen und das
Trachten nach sicheren Ruheplätzen, überhaupt nach Er-
folg. Sie sind eitler Ehre geizig, lieben Geld und Gut und
wechseln leicht ihre Ansichten.
Magdeburgius blieb inzwischen bei seinen Reitern. Er
war abwechselnd in Raab und Grafwerd , aber nie bleibend
in Österreich.
Vor 1580 erhielt er an Leonhard Reuter einen gleich-
gesinnten Nachfolger in Raab und hielt sich in Grafwerd i)
und sodann bei seinem Gönner Rüdiger von Starhemberg in
Eferding auf, dem er schon 1567 seine Predigt von Johannes
dem Täufer handschriftlich zugeeignet hatte ^).
In Eferding werden wir ihm später wieder begegnen.
Von dort wich er 1583, und sein weiteres Schicksal ist
unbekannt.
Von persönlichen Nachrichten ist noch zu berichten,
daß er am 21. Mai 1571 zu Erfurt eine Art Testament an
seine Söhne unterschrieb, welches vor seinen „Christlichen
und tröstlichen Tischgesängen", die zu Erfurt 1572 mit
1) Daß er jemals von Hans Ruber seines Dienstes entlassen
worden sei, ist nirgends ersichtlich ; wohl aber giebt er als die erste
Ursache, daß er in seinem Predigtamt nicht länger zu verbleiben
hätte, dies an, daß man ihm seinen gebührenden Unterhalt vorent-
hielt. Sein Patron Hans Ruber war offenbar in großer Geldverlegen-
heit, wie solches aus der genannten Leichenrede des M. Luzius deut-
lich wird.
2) Dieses Exemplar befindet sich auf der Wiener Hofbibliothek.
17*
— 260 —
Smesi ets^etses^ sibgsämekt ist^j, Bier fisdee »d» als
Im all doi Jalsr^ m w^ldben db»s ETaagi^nim smoen
l^fiizog SD Oi«iStri»e]& g^sakm^ wsar im»«^ su^nak etwas
BeeM«sf!eidi«iieii;iiaiOrdini]ig2»sdia£5», Usd d««liwaxiei&
<is^ 0e9s4[^ sett lamgje ^^beaSä^ \aer im Sfidea d«s Beatodb»»
Bekisi«», E» »ad» I]Sfi«'®i«»i«ie]», äem Kfistenlaiid nud
Ms is$ beisaebtyait« Bsstoo» Scü^mxig; luiid]» »stredkt^s »d&
(ik r^üi» B^ensbcirg atHg?elii«DCI«m £3i^fia»& Im das KlSstetm
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tnsd im Wandel d@r Sdftrauil^Üed^r^' sond^n andi is d^'
L«|jifi&, I^ B^^eosbari^ Akt^s ^BtbalteiiL dineu Brief des
Kasfsu' JSjeasd^r at» Bade», des dbeinaligei& Sdrehadata»
der Kk«(«n^nile zu AdüKSfOt (1563^ an Galli» Tcnu 16, Febr.
1570^) der sehr bezeselmeiiid »t Diea&r Mann gebt mit
Eoü^^Islaisig de» Admtwir^ ÄJbkes f^der 1^45 sadi weäigente
atxf dem Trideiitiiser K&aai zu &r^hemeii)f oaebäem er im
Khs^er ber»lif saeh als täetOig &ar dn erangdisdies P&rr-
ämt erwies^ naeb B^jensbcng^ emp&a^ bier am 2^, Mai
1565 die Ofdinadcna dnreb GaEiis lEtod kdnt am 5, Juni
1 V^, Batapaeb, Trmbjt^ SoffL Br ^ w& am J, C. W^^ssa^
om ria« (M&die tseridbtet wiid,
^; Vgl. Wadseatagelf Da» Öeatsäts KndbeBfieä HI, ^ M^
so. 1213 ttrwl Kmk ä, a, O. I, 447, a». YHI, 373L Fadi ihm ii«
<^ erxte ütTo^be rmi MstgMmr^as; die watena «ud ^iSfeer tob
3) », Wi«5i^«ta»Kisi, L, Ö. 174.
4) K. A. T?:^«*»., No, XL, Z. 1&.
— 2*}\ -
wieder ins EJost«r Admont zurück. Mit Bewilligung seine«
Abte« Valeutiu Abel hat er augefangeD, den _Iiet>en Kate-
cbisma«*' <d. h. den Latherisclieo) alle Sonntage und Feier-
ta«;e in der beuachbarteu Pfarrkirche zu predigen vor
^eiueo Schülern uud anderen ZuhOrem. Am 13. Okt. 15Q5
hält er auf Befehl desselben Abtes im Frauenklosrer eine
Gedächttiisp redigt auf Kaiser Ferdinand und predigt auch
hier den Frauen den Katecbi^iuos. Darauf vermahnt er den
Abt in einem „scharptfeu Brief", er solle die noch im
Mönchskloster vorhandenen etlichen )[ifibräuche. .als die
Eleuation, doch sine Canoue' abschaffeu, wa« auch am
2<t. Januar 15(30 geschehen. Demgemäß hatte mau im
Kloster von der Messe nichts mehr beil>ehalten als die
Elevatiou • • Da al^er die zwei Stellungen — Schul- und
Kircheudienst — dem Xi«:ander zu viel wurden, bat er
deu Abt, iliu aus dem Schuldienst zu entlassen. Dieser
willigt ein ; indem er aber bereit« die Ungnade de« Bischofs zu
Salzburg und de« Landesfiirsten zu fürchten * - • • ' ' »«ucht
er Mittel uud Wege, den Nicander weiter zu b>. : ; . . ; u. und
derselbe geht, zunächst provisorisch, nach Oberösterreich,
wo er in Kirchdorf durch Christoph Jörger eine Stell«
erhält.
Xoch andere Fälle können wir uaniliaft machen,
wo die Lehrer direkt aus dem Klost«r nach Wittenberg
gehen oder behufs Übernahme eines Pfarramt«« sich
ordinieren lassen. Dahin gehOrt der ol>en genannte Magister
Johann Kicenius aus dem Kloster Kremsmüuster. der
unter dem Abt Ge<.'rg Lechner an dessen neueröffneter
Schule wirkt und von da direkt nach Wittei)l>erg geht, am
1) Über das CJf*agte vergL P. Jakob Wit-hner. CJew-'h. des
Benc<liktiuer-8tift«» Admont, IV, 6. 131 f. und Kloster .Vdmout,
S. 68 — 71; leruer '^ " 'aph. I^exikou
■i üher Admont und Abt ^ \ j, - / r
Bextätigwig dienen. Er kennt auch einen lutberiiicheu Pre«liger und
nennt ihn einen apot^ta^ierten Mönch au« deni K]o«>tef 3(oudii«e.
— 260 —
Noten erschienen, abgedruckt ist i). Hier findet sich als
Tischgebet für Sonnabend - Abend die erste Strophe des
Liedes: ,,Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut im Himmel
und auf Erden", für deren Dichter Magdeburgius deshalb
wohl mit Recht gehalten wird 2).
Die niederösterreicliische Agende.
A. Die Vorbereitungen.
In all den Jahren, in welchen das Evangelium seinen
Einzug in Osterreich gehalten, war noch niemals etwas
Rechtes geschehen, um Ordnung zu schaffen. Und doch waren
die Geister seit lange lebendig hier im Süden des Deutschen
Reiches. Bis nach Innerösterreich , dem Küstenland und
bis ins benachbarte Bistum Salzburg hinein erstreckten sich
die von Regensburg ausgehenden Einflüsse. In den Klöstern
Admont, Kremsniünster, Wilhering, Lambach u. a. m. ^) finden
wir deutliche Spuren der Reformation, nicht bloß im Leben
und im Wandel der Stiftsmitglieder,- sondern auch in der
Lehre. Die Regensburger Akten enthalten einen Brief des
Kaspar Nicander aus Baden, des ehemaligen Schulmeisters
der Klosterschule zu Admont (1563), an Gallus vom 16. Febr.
1570^) der sehr bezeichnend ist. Dieser Mann geht mit
Empfehlung des Admonter Abtes (der 1545 sich weigerte
auf dem Tridentiner Konzil zu erscheinen), nachdem er im
Kloster bereits sich als tüchtig für ein evangelisches Pfarr-
amt erwiesen, nach Regensburg, empfängt hier am 29. Mai
1565 die Ordination durch Gallus und kehrt am 5. Juni
1) Vgl. Eaupach, Presbyt., Suppl. S. 63, wo aus J. C. Wetzeis
Liederhistorie das Gleiche berichtet wird.
2j Vgl. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied III, S. 1042,
no. 1213 und Koch a. a. O. I, 447, ss. VIII, 373. Nach ihm ist
die erste Strophe von Magdeburgius; die weiteren sind später von
anderen hinzugefügt.
3) s. Wiedemann, I., S. 174.
4) R. A. Eccles., No. XL, Z. 19.
— 261 -
wieder ins Kloster Admont zurück. Mit Bewilligung seines
Abtes Valentin Abel hat er angefangen, den ,,lieben Kate-
chismus" (d. h. den Lutherischen) alle Sonntage und Feier-
tage in der benachbarten Pfarrkirche zu predigen vor
seinen Schülern und anderen Zuhörern. Am 13. Okt. 1565
hält er auf Befehl desselben Abtes im Frauenkloster eine
Gedächtnispredigt auf Kaiser Ferdinand und predigt auch
hier den Frauen den Katechismus. Darauf vermahnt er den
Abt in einem „scharpffen Brief", er solle die noch im
Mönchskloster vorhandenen etlichen Mißbräuche, „als die
Eleuation, doch sine Canone" abschaffen, was auch am
20. Januar 1566 geschehen. Demgemäß hatte man im
Kloster von der Messe nichts mehr beibehalten als die
Elevation i). Da aber die zwei Stellungen — Schul- und
Kirchendienst — dem Nicander zu viel wurden, bat er
den Abt, ihn aus dem Schuldienst zu entlassen. Dieser
willigt ein ; indem er aber bereits die Ungnade des Bischofs zu
Salzburg und des Landesfürsten zu fürchten beginnt, sucht
er Mittel und Wege, den Nicander weiter zu befördern, und
derselbe geht, zunächst provisorisch, nach Oberösterreich,
wo er in Kirchdorf durch Christoph Jörger eine Stelle
erhält.
Noch andere Fälle können wir namhaft machen,
wo die Lehrer direkt aus dem Kloster nach Wittenberg
gehen oder behufs Übernahme eines Pfarramtes sich
ordinieren lassen. Dahin gehört der oben genannte Magister
Johann Nicenius aus dem Kloster Kremsmünster, der
unter dem Abt Georg Lechner an dessen neueröffneter
Schule wirkt und von da direkt nach Wittenberg geht, am
1) Über das Gesagte vergl, P. Jakob Wichner, Gesch. des
Benediktiner-Stiftes Admont, IV, S. 131 f. und Kloster Admout,
S. 68 — 71 ; ferner Schmutz, Histor. topograph. Lexikon von Steier-
mark, I, S. 15 f. Dr. Schuster, Martin Brenner, S. 213 , dessen Mit-
teilungen über Admont und Abt Valentin obigen Angaben zur
Bestätigung dienen. Er kennt auch einen lutherischen Prediger und
nennt ihn einen apostasierten Mönch aus dem Kloster Mondsee.
— 262 -
22. März 1556 dort ordiniert wird, dann ein Pfarramt in
der Grafschaft Eisenberg bei Altenburg annimmt und als
Theologe auf den Frankfurter Konvent i) 1558 mitgenommen
wird 2). Besonders ließ die Visitation und Reform der
Klöster in den Jahren 1566 — 68 eine Aussonderung der
entschieden evangelischen Elemente aus der Spreu der beim
alten Glauben Verharrenden hervortreten. So berichtet
Nicander in dem oben erwähnten Briefe, daß auf Befehl
des Kaisers alle Prälaten zur Entgegennahme der neuen
Generalordnung nach Wien berufen wurden (22. Dez. 1567) ^).
Die sich nicht Fügenden wurden des Amtes entlassen.
Unter diesen wird Wolfgang Pruggner (Pontanus), Dechant
in Spital am Pyrn, genannt, dem Maximilian auf sein in-
ständiges Bitten eine reichliche Abfertigung bewilligte,
worauf ihm Christoph Jörger die Pfarrei Atzbach gegeben.
Dieser Pruggner wurde ein Beförderer des Evangeliums
und empfahl 2 Jahre später seinen Schulmeister Dürr in
Spital zur Ordination nach Regensburg ^). Während nämlich
die Prälaten dem Drucke von oben nachgaben 5), blieben,
wie Nicander berichtet, „die Pfarren, so unter den Klöstern
waren" und die evangelische Religion angenommen hatten,
bei ihrem Glauben. Sie wurden darin bestärkt, teils durch
den schlechten Ersatz, den die treu Gebliebenen erhielten.
1) S. Preger II, S. 63.
2) Vgl. den Brief des J. v. Perckhirchen an Gallus, Linz,
13. Okt. 1557 (R. A. Eccles. I, No. XV, Z. 18), den wir oben (S. 135 f.)
angeführt haben.
3) Wiedemann, a. a. O. I, S. 193.
4) R. A. Eccles., No. XL, Z. 19 u. 42.
5) Jedoch nicht alle; Propst Georg Freuter (1572—98) duldete
während seiner ganzen Regierungszeit die protestantischen Schul-
meister im Markt und auf den inkorporierten Pfarreien (Czerny, Die
BibUothek von St. Florian, S. 90; Klosterschule, S. 56). Der Dekan
von Klosterneuburg (bei Wien) soll 1568 als Häretiker, und zwar
erst auf Verlangen Commendones, abgeschafft werden (Hopfen,
K. Maximilian II, S. 313).
- 263 —
teils auch durch offenbare Gottesgerichte an solchen, die
sich feigerweise fügten. Das Gleiche erzählt Nicander
von Steiermark, wo ebenfalls im 68. uud 69. Jahre eine
solche Visitation wie in Oberösterreich durch landes-
fürstliche Kommissare und den Bischof von Gurk vorge-
nommen wurde. Von Admont berichtet er, daß „alle, so
nit widerumb zur meß welln tretten, vom Gl oster geschafft,
vnd dieselbige gegend gantz vnnd gar verbotten. Sie aber
sind alle, ausgenomen ein alter, so gleich ein Kind, be-
ständig bliben, vnnd schon im Land ober der Enß vnd
Österreich alle mit Dienst versehen , vnder welchen ich
dreien mit fürschrifften behilflich gewesen.' Den erwähn-
ten „alten Herrn" aber empfiehlt er Gallus, daß derselbe ihm
ein „kleines trostbrieflein stellen wolle" , welches er ihm
selbst überantworten werde.
Nicander selbst ging Michaeli 1568 nochmals vorüber-
gehend nach Admont , um seinen „lieben Bekannten" in
der Klosterkirche eine Predigt zu halten und sie zu er-
mahnen, was „bei vielen Nutzen geschafft" habe. Er erwähnt
hier abermals, was er droben von Österreich bemerkt:
„alle pfarrer und pfarrleute so dem Closter vnderworffen,
lassen sich von der reinen angenomenen relligion nit
treiben"; — freilich fügt er hinzu: „wiewol sie bisher
nichts angefochten worden."
Dem Stift Wilhering geben bereits im Mai 1566 die
Kirchenpröpste des Gotteshauses zu Alkoven(in Oberösterreich)
das unzweideutige Zeugnis: „daß dort, wie vns wol bewust,
das wäre Wort Gottes, nach Inhalt der Prophetischen vnd
apostolischen schrifften lauter vnd rain, on Vermischung
menschliches sauertaigs, gepredigt, vnd die hochwierdigen
Sacrament, nach den befeilen Christi, on Zuthuung der
Papistischen greul gereicht wurden". Aus diesem Stifte
ging der an Gallus zur Ordination empfohlene Schulmeister
Joseph Summereckher hervor, der am 26. Mai 1566 von
den eben genannten Kirchenpröpsten ein Empfehlungs-
— 264 —
schreiben erhielt ^). Also allüberall in den Klöstern wie in
den Schulen evangelische Einflüsse bis ins Mark hinein ! ^)
Aus dem Erwähnten entnehmen wir, daß es mit der
Reformation der Klöster mühselig genug zuging im Erz-
herzogtum sowohl wie in Steiermark. Erst der von Maxi-
milian eingesetzte Klosterrat schaffte eine Wandlung. Diese
neue Behörde ordnete die verworrenen katholischen Re-
ligionssachen, während die den evangelischen Ständen ge-
währte Religionsfreiheit das evangelische Kirchenwesen in
die rechte Bahn leitete. Beide Institutionen dienten dazu,
dem bisherigen Chaos ein Ende zu machen, in welchem
viel Reines mit Unreinem vermischt war. ,
Neben diesen Zeugnissen eines Nicander stehen die-
jenigen Reuters, die ganz unabhängig davon zeigen, daß in
den Schulen, auf den Pfarr- und Seelsorgstationen hin und her
Männer genug waren, die am neu aiifgegangenen Lichte des
Evangeliums Geschmack fanden, aber den völligen Bruch
mit der Vergangenheit scheuten. Solche Männer fand
Christoph Reuter bereits zu Ende der fünfziger Jahre vor.
In einem Schreiben an Gallus vom 11. Oktober 1557 3)
heißt es, neulich habe er nahe bei Rosenberg in Garsch
einen Pfarrherrn „bekehrt und eingesegnet" ; der sei aber
alsbald vertrieben worden ; gleichwohl lasse man andere
bisweilen bleiben. Viele wollten gern „der Meß abstehen",
aber sie würden durch die „verfluchten trunkenen Bauern"
daran gehindert. „Summa, mundus vult decipi, will Heuchler
haben.''
Ein Typus der nichts wagenden und den Mächtigen
stets nach dem Munde redenden Prediger, deren bis heute
die Welt voll ist, war der bekannte Hans Gugelmann (oder
Kugelmann), Pfarrer in Enns, mit welchem J. von Perckhaim
schon im Juli 1557 zu Enns ein Gespräch hat und den er
1) E. A. Eccles., No. XXXV, Z. 156.
2) Vgl. Dr. Schuster a. a. 0. S. 212—215.
3) R. A. Eccles. I, No. XV, Z. 12.
— 265 -
in einem an Gallus gerichteten Briefe ^j einen frommen
christlichen Pastor nennt, „der sein schefflein vil jar wol
vorgestanden". Der Pfarrer hatte Kenntnis von Gallus'
Katechismus und hätte gern , da ihm sonst alle Artikel
desselben wohl gefallen, sich mit Gallus eines Artikels
halber unterredet. Gallus schreibe nämlich in seinem
Katechismus: „Cristus hab In der Hollen, die pein der
Hellen gelitn, — das er (Gugelmanni nit Verste, seines
achtens hat er alle sachn am kreytz erfüldt." Perckhaim
gab zur Antwort, er solle dem Gallus „nuer fix" schreiben ;
derselbe werde ihm gute Antwort geben und nicht ver-
argen ; worauf Gugelmann erwidert, er dürfe es nicht wagen.
Das war nun jener Pfarrer Gugelmann, der hinterher
dem Kaiser Maximilian aufs höchste gefiel, so daß Reuter
ihn seiner Majestät Beichtvater nennen konnte, und der dem
Kaiser zulieb aufs heftigste wider die Flacianer und so auch
wider die Kirche zu Regensburg und deren Ordinanden agi-
tierte 2). Im Jahre 1569 wird er als Inspektor (Visitator)
der evangelischen, durch Perckhaim'sche Legate gestifteten
Landschaftsschule zu Enns, neben Johann von Tschernembl
als Superintendent, genannt ^ ).
Mitten unter der großen Masse der äußerlich noch
römisch Gesinnten gab es also ein reichliches Baumaterial
für die Errichtung einer großen protestantischen Kirche.
Damit aber ließ sich ein solider Bau nicht unternehmen ;
der erste Sturm hätte ihn umgestoßen. Mit geringeren
1) R. A. Eccles. I, No. XV, Z. 44.
2) S. 0. S. 152. Reuter an Gallus , Schwielenpach, Sonntag
nach Ostern 1568 (R. A. Eccles, N. XXXVI, St. 70).
3) Vgl. den 59. Jahresbericht des Museum Francisco-Carolinum,
Linz 1901 : Das Schulwesen ob der Enns bis zum Ende des 17. Jahr-
hunderts, von Dr. K. Schiffmann, S. 111 ff. In dieser wertvollen
Abhandlung wird uns ein Einblick gewährt in die weite Verbreitung
der protestantischen Ansichten. Es gab nur wenige Klöster, in denen
dieselben nicht Eingang gefunden, ebenso auch wenig Stadtschulen.
Ein eigener Abschnitt (IV) handelt von dem weltlichen Schulwesen
unter dem Einfluß des Protestantismus von 1517 — 1624.
— 266 —
Leuten ist der Sieg erfochten. Und solche eben finden wir
hin und her unter den Briefstellern , teils Laien , teils
Prediger, welche ihre Anliegen den Regensburgern vor-
tragen. So schreibt Sigmund Flaisch, ein einfacher Hand-
werker, dem nebst Anderen Gefangenschaft drohte, aus
Gastein an Gallus, Dienstag nach Lätare 1564 2) folgen-
dermaßen: „Es werden vnß vieler neuer secten valsche ler
zuegemesen vnd wiert vnß zuweilen von andern furgeworfen
als selten wier nit der rechten augspurgischen Confesion
oder lutrischen ler anhengig sein vnd wier klagens gleich-
wol selbs das wier alzuwenig euangelisch vnd ale zufil aigen-
wilisch sein, das macht vnser verderbte natur, das wier
nuer alain das wollen vnd nit auch das verpringen haben,
aber das waiß got vnd gibt vns das Zeugknus vnser
gewisen, das vns muest von Hertzen laidt sein das wier
vnwisendlich Ich geschweige den mit muetwilen solen in
ainem oder mer artikeln der augspurgischen Confesion oder
den artikeln schmalkaldi zuwider sein." Flaisch hat sich nun
eine Masse Bücher zusammengekauft: das antisynergistische
Bekenntnis der Prediger in der Grafschaft Mansfeld, item ein
Buch von Erasmus Alberus ; neben der A. C, der Apologie
und den schmalkaldischen Artikeln die Earchengeschichte
des Flacius, natürlich auch Luthers Werke. Er hat daraus
die Artikel des christlichen Glaubens sich zusammengestellt
und wünscht, dieselben Gallus und Flacius vorzulegen, um
zu beweisen, daß er weder mit Interimisten noch Adiapho-
risten zu schaffen habe, noch mit irgend einem Schwärmer.
Falls seine Artikel gut befunden würden, will er sie in
Regensburg drucken lassen und bittet, daß Gott treue
Arbeiter in seine Ernte senden möge; er klagt auch, daß
er sein Handwerk oftmals versäumen müsse über dieser
ihm von Gott auferlegten Arbeit.
„Was wir vor allem bedürfen", schreibt ein Jonas Francus,
Pfarrer in Ober-Hollabrunn in Niederösterreich, am 12. Mai
1) R. A. Eccles., No. XXIII, Z. 136.
— 267 —
1566 an Gallus, „ist ein Generalsuperintendent und ein Con-
sistorium, da wir von den Bischöfen die Ordination nicht
annehmen dürfen." In einem Briefe vom 6. Mai ^j äußert
Francus denselben Wunsch nach einem orthodoxen Superin-
tendenten und bittet Gallus, er möge den nach Österreich
zu berufenden Thomas Molitor zur Vorsicht in der Be-
seitigung der Ceremonien und Bilder ermahnen, damit er
nicht die Schwachen, durch das antichristliche Wesen Ver-
führten, vor den Kopf stoße. Er, Francus, rate solches aus
eigener Erfahrung. Das Wort Gottes war teuer im Lande,
und so nahmen es denn viele recht leicht mit der Befriedigung
ihrer geistlichen Bedürfnisse. So klagt Petrus Lasacher,
Prediger zu Krembs in Kärnthen, am 15. Dez. 1569 dem
Gallus 2) : es möchte einer schier in Todesnöten das Sacrament
von einem Meßpfaffen empfangen, was ihm nicht gefalle und
er auch nie gelehrt oder geraten. Ja, er berichtet : es seien
„jener Pfaffen gar viel, die die Sacramenta, wie wir, in teischer
(deutscher) Sprache reichen und dadurch die Leute mit Haufen
an sich bringen. Item predigen : die bösen Werkh machen
dz Sacrament Erger noch lezer nit, wie in grossen Cate-
chismus Spangenbergi stet." Also die Konsekration mache
das Sakrament und nicht erst die Verfassung des Predigers.
„Item: Unser Herr sei an den päpstlichen Örtern so gut als
da man Gottes Wort rein prediget und kein Meß hält." Zu-
gleich erwähnt er, daß unter den dortigen Predigern von
Gallus Ordinierte sich befänden.
Am 14. März 1565 schrieb ein gewisser Adam Ranacher
(Pfarrer „auf der purg") an Gallus und Flacius in Regens-
burg 3) und begehrte Unterricht: „ob man das pfarampt von
wegen mispreuch vnd daß die person darin vnchristlich gar
meiden sol?" Es war Gefahr vorhanden, einerseits, daß man
Papisten und Interimisten mied, die doch der Gemeinde im
1) R. A. Eccles. I, No. XIV, Z. 20 u. 70.
2) R. A. Ecclesiastica, Kasten D, Fach 1, No. XXXVI, St. 181.
3) R. A. Eccles. I, No. XXXV, Z. 145.
- 268 —
oi-dentlichen Wege vorgestellt waren, und sich auf eigene Faust
half, d. h. deutsch taufte, zum Sakrament griff, im Falle kein
evangelischer Kirchendiener in der Nähe wohnte, — also
gleichsam auf der rechten Seite zu weit ging. Andererseits
war Gefahr vorhanden, daß man zu der Predigt der Adia-
phoristen, ja, zu der Papisten Abendmahl sich wandte, um
nur nicht gänzlich ohne geistliche Speise bleiben zu müssen,
— also vom Teufel auf die linke Seite zu weit zu gehen
verführt würde. Der Briefschreiber möchte nun der epi-
kurischen Verachtung von Wort und Sakrament gesteuert
wissen und wünscht, daß man das Amt weit von der Person
scheiden möchte: „denn auch der pest (beste) Euangelisch
prediger seiner person halben gegen das amt zu uergleichen
schier wie der teuffl gegen gott ist. Darumb soll man von
wegen des pösen vnd mit den Vbl, das gute vnd was recht
ist nit wekthueni) .... piß (bis) got durch obrigkeit
oder landplagen verenderung macht, wie zu Jerusalem,
vnd das Ampt zu Apostolischen prauch ordenlich Reformiret
werde". Die Antwort des Gallus kennen wir nicht; nach
einer Andeutung im Texte des Bi-iefes von seiner Hand
schien er nicht abgeneigt, zur Vermeidung der Eigenhilfe,
das Sakrament in der Ortskirche benützen zu lassen, wenn
es nur „sub utraque" (unter beiderlei Gestalt) gereicht werde.
Es gab also neben den halben und ganzen Papisten
auch viele Adiaphoristen im Lande, welche, wie der Diakon
Wolfgang Wegerich (aus Plauen) in einem Briefe vom 29.
Febr. 1570 an Gallus klagt 2), es mit den Römischen hielten.
So wurde Wegerich von seinem Ortspfarrer in Eferding
gewarnt, daß er in der Predigt nicht den Papst nennen
solle, am allerwenigsten ihn als Antichrist bezeichnen dürfe,
obwohl der Text des Evangeliums (Joh. 15) es an die
Hand gäbe. Die frommen Prediger fühlten sich also sehr
beengt um jene Zeit, umgeben von falschen Brüdern und
Ij Mit anderen Worten : man solle das Kind nicht mit dem
Bade ausschütten.
2) R. A. Eccles. No. XL, Z. 36.
— 269 -
Papisten. Andere klagen wieder über Synergisten ito Lande ;
so der Steirer Pfarrer A. Gotterus in einem Schreiben an
W. Waldner in Regensburg vom 25. März 1567 ^). Er
sendet dem letzteren verschiedene Schriften von orthodoxer
iSeite und von selten der Synergisten, in deren Mitte er
ganz vereinsamt lebe; doch vertraue er auf den Herrn, mit
dessen Hilfe er all seine Feinde zu überwinden hoffe.
Gotterus bittet nun um ein Urteil zu Händen seines Barons
Adam Hofmann. Der- Magistrat stehe auf selten des
synergistischen Pfarrers, welcher nach der Gewohnheit dieser
Leute mehr im Wege der Verdächtigung der Gegner seine
giftige I/ehre bei den Mitbürgern ausbreite, als daß er offen
etwas zu behaupten wage. Man suche die Gemeine ihm
(dem Briefschreiber) zu entfremden, aber das gelänge nicht,
da die Leute haufenweise ihm zuströmten. Sodann be-
klagt Gotterus die thüringischen Wirren und sieht in dem
traurigen Ausgang Johann Friedrichs des Mittleren göttliche
Strafe wider die Verfolger der Knechte Gottes. Zugleich
bittet er um Nachricht bezüglich der nach Antwerpen be-
rufenen Theologen, ob sie dorthin abgegangen oder noch
nicht ; woraus man sieht, welch eine Interessengemeinschaft
alle diese Gegner der Adiaphoristen. Synergisten und Majo-
risten unter dem von Flacius vorangetragenen Banner an-
noch vereinigte.
Schon der alte Christoph Plädting aus Landshut klagte
in einem Briefe an Gallus. d. d. 1. April 1558 aus Leuben
bei Stein 2) über solche Evangelische, welche die doctrina
schädigten aus Leidensscheu ; diese ließen Adiaphora zu :
Ceremonien, die offenen Aberglauben in die Kirche einführten
Plädting wünscht deshalb aus Österreich fortzugehen.
Für Oberösterreich haben wir ein gleichlautendes
Zeugnis in dem Briefe des Pfarrers M. Hoffmendl aus Kirch-
1) E. A. Eccles., No. XXVI, Z. 120.
2) R. A. Eccles. I, No. XVIII, Z. 86.
— 270 —
dorf an Gallus, vom 11. Dez. 15701). Derselbe klagt einer-
seits über die papistischen Meßpriester, andererseits über
solche, die sich des Evangeliums zwar äußerlich rühmten,
aber denen der Bauch ihr Gott sei. Nur die durch Gallus
Ordinierten seien gut.
Darin brachte nun die Agende Veränderung. Die-
selbe steuerte ferner auch aller Ungewißheit im Punkte
der Lehre, sofern sie einen festen Katechismus als Richt-
schnur des Unterrichtes einführte. Derartiges gab es bis-
her nicht, wenn wir von der Augustana als dem selbst-
verständlichen Grundstein absehen. Mit Wiedemann von
eigenen Bekenntnisschriften der „neuen Lehre" zu reden,
ist verkehrt. Weder das Bekenntnis des Jörgerschen
Predigers Moseder ^) noch das von Reuter und Magde-
1) K. A, Eccles. I, No. XXVI, Z. 215. — In den vierziger
Jahren war Matth. Hofimendl Schulmeister in Spital am Pyrn ge-
wesen und war seit 1562 Pfarrer in Kirchdorf (vgl. den 59. Jahres-
bericht d. Mus. Franc.-Carol., Linz 1901, a. a. O. S. 35). Merk-
würdigerweise verschweigt Dr. Schiffmann, daß H. evangelischer
Pfarrer war.
2) Cristoff Jörger zue Tollet vnd Kreuspach schreibt an Gallus
am 18. August 1557 (R. A. Eccles. I, No. XV, Z. 132):
„Von Gott dem Herren Erwierdiger In gott geystlicher sunder
lieber Herr vnd patron Winsch Ich Euch mit Erpietung meiner
gantz Willigen dienst vyll hails Wans her Euch sambt deren gliebten
gemachel vnd kinder von gott gegewen woUferig Ergieng das wer
allen Christen zue guett vnd vröiich zu hören Ausser des Löwen tigen
Prinnens (lebendigen Brennens) des predygambts hab ich mit wejb
vnd Kind gott In Ewyckhait danckht byllycher wejs kaen klag
her Martin (Moseder) halt sich mit seinem priesterlichen ambt woll
darumb Ich Euch her vmb die christliche befiederuug (Beförderung)
byllich danckh sag. Wie woll Ich In alhie selten haben mag dan
seine pfar Neüchaws die Ich Ime verlassen Im land ob der Ens ist
17 meyl von dannen Aber so Ich In berieff Erscheint Er alhier
guetwihch der Hoffnung In der 14 tagen soll Er mit seinem christ-
lichen ambt alhie seyn goth woll das Er lang beharen mig dan die
trieben Wolken wollen grad herferprechen der heb gott woll obhand
halten amen."
Dieser Moseder hielt, wie von ihm in den Briefen bezeugt wird,
— 271 -
burgius 1 i erhielten den Charakter eines öffentlichen Bekennt-
nisses. Die beiden ersteren waren, wie schon bemerkt, im Auf-
trage gewisser Herren, die sich das Recht des evangelischen
Magistrats beilegten und gelegentlich sich auch um das
Bekenntnis kümmerten, verfaßt. Beide dienten zur Verant-
wortung ^j und Rechenschaftsablegung vom Glauben ein-
zelner evangelischer Grruppen, aber für die evangelische
Kirche selbst waren sie nur von vorübergehender Bedeutung.
Der Kaiser drang, seitdem er sich der Regelung des evan-
gelischen Kirchenwesens annehmen mußte, auf eine Kircheu-
ordnung oder eigene Agende. Was das Bekenntnis anlangt,
so stellte er sich mit der Augustana Confessio vom Jahre
1530 zufrieden und wünschte keinerlei von Privatpersonen
ausgehende Konfessionen.
Die Sachlage war eine schwierige, indem selbst in
Deutschland bis zur Annahme der Formula concordiae nur
Versuche gemacht worden waren, um zu einem festen Be-
kenntnis zu gelangen. Nur die starke Hand des Staats-
oberhauptes konnte Garantien bieten für dauerhafte Ver-
hältnisse, und Maximilian war nicht gesonnen, sich diese
Einflußnahme auf die Ordnung des Kirchenwesens verkürzen
zu lassen. Die Obrigkeit hat nach evangelischer Anschauung
Macht empfangen, den Kirchendienst unter ihren Schutz
zu nehmen 3), und in der Reformationszeit, wie auch noch
lange darüber hinaus, konnte nur die Staatskirche, nicht
sehr auf kirchliche Zucht und war ein stiller, feiner INIann ; ein Mann,
ganz wie ihn Österreich brauchte, ähnlich dem Eeuter, Jonas Francus
und ethchen anderen.
1) Vgl. den früheren Abschnitt: „Die Prädikanten" und Kau-
pach I u. II unter den Namen dieser Männer, wie auch Wiedemann,
I, 5. Buch, Kap. 1.
2) Vgl. Eder, bei Raupach 1, 149, welcher bemerkt, daß Reuter und
Magdeburgius ihre Bekenntnisse nur zu ihrer eigenen Verantwortung
geschrieben hätten, ohne daß es weitere Folgen gehabt.
3) So heißt es im niederländischen Bekenntnis, Art. 36; dasselbe
wurde 1562 dem Landesherm Philipp II. überreicht und kam 1566
auf dem Augsburger Reichstage auch Maximihan II. zur Kenntnis.
— 272 —
aber die freie Kirche eine gesicherte Existenz führen.
Maximilian handelte also als christliche Obrigkeit und
gewissermaßen als summus episcopus, wenn er sich um
die evangelischen Kirchenangelegenheiten bekümmerte, und
die Stände suchten auch bei ihm Anerkennung und Schutz,
wobei sie ganz treuherzig seine evangelische Gesinnung
voraussetzten, von der er ja mannigfaltige Beweise gegeben.
Verfolgen wir die Entwickelung der Reformation in Öster-
reich vom Regierungsantritt Maximilians an.
Bereits auf dem am 11. Dezember 1564 in Wien er-
öffneten Landtage kamen die Stände ordnungsmäßig um die
Beilegung des Zwiespaltes in der Religion und Belassung
bei der augsburgischen Konfession ein. Sie wiesen darauf
hin, daß durch die Gewährung freier Ausübung der Religion
die Wohlfahrt des kaiserlichen Hauses sowohl als auch
sämtlicher Erblande herbeigeführt werde, indem die Stände
ihre Abgaben weit williger entrichten würden, und mehr
Glück und Sieg gegen die Ungläubigen erfolgen werde.
Der Kaiser ließ noch während des Landtages den Ständen
eine gnädige Erklärung zukommen : Er werde in dem von
seinem Vater begonnenen Werke fortfahren und alles an-
wenden, damit — auch zur Zufriedenheit der Stände —
die Religion in einen guten, gottseligen, einhelligen Verstand
gebracht werde. Insonderheit werde er ihre Prediger und
Seelsorger, wenn sie in Lehre und Leben dem Worte Gottes
nachkommen, von niemand [auch nicht von den Officialen^)
der Bistümer Passau und Wien] wider Gebühr und Billig-
keit beschweren lassen^).
Da aber keine Abhilfe erfolgte, so überreichten die drei
Stände auf dem am 28. Juni 1565 eröffneten Landtage zu
Wien eine eindringliche Bittschrift, in welcher sie in zehn
Punkten ihre Beschwerden und Forderungen , besonders
auch die Anerkennung ihrer Prädikanten betreffend, fest-
1) d. i. den Vertretern des Bischofs beim Kaiser.
2) Niederösterr. Landesarchiv, Landtagshandlungen 1564, bei
Otto, Geschichte der Reformation unter Maximilian II., S. 8.
- 273 -
gestellt hatten. In derselben beschweren sie sich 1) über
den Passauer und Wiener Official und die übrige geistliche
Obrigkeit, welche fast alle Pfarrherren und Priester des
Landes vorfordern und zur Unterschreibung einer unge-
setzlichen („ wider wertigen "; Kirchenordnung verhalten, und
diejenigen, welche in Lehre und Wandel wissentlich anders
nicht als dem Worte Gottes und der Augsburgischen Kon-
fession gemäß sich verhalten, ohne genügsames Verhör von
ihren Kirchenämtern entfernen und aus dem Lande schaffen,
mit dem Vorgeben, daß dies auf Befehl der kaiserlichen
Majestät geschehe; 2) beklagen sie, daß Lierdurch viele
fromme, gottselige Christenmenschen der Verkündigung des
wahren Wortes Gottes und des rechten Gebrauches der
hochwürdigen Sakramente zur höchsten Beschwer ihrer
Gewissen und Verkürzung der Seelen Seligkeit entbehren
müssen ; 3) ersuchen sie, ihnen die Ausübung ihrer evan-
gelischen Religion in offenen Kirchen ungehindert zu
gestatten ; 4) begehren sie die Abschaffung aller Satzungen,
Ceremonien und Mißbräuche, so der Religion der Augs-
burgischen Konfession zuwider sind; 5) verlangen sie die
Einführung eines gleichmäßigen Gottesdienstes im Landet
6) betonen sie, daß die Augsburgische Konfession die einzig
wahrhafte, recht katholische und apostolische Re-
ligion enthalte, von der sie ohne Verletzung ihrer Gewissen
und ihrer Seelen Seligkeit nicht weichen können. Sie bitten
7) um Einstellung des bisherigen Verfahrens des Passauer
und Wiener Officials und der übrigen geistlichen Obrigkeit,
mit dem Beifügen , daß sie ihre Pfarrherren und Prädi-
kanten ohne ausdrücklichen Befehl Sr. Majestät vor diesen
Officialen und Obrigkeiten nicht mehr erscheinen lassen
werden; 8) erklären sie, sich zu keiner fremden, irrigen
Sekte (der Wiedertäufer, Schwenkfeldtischen, Zwinglischen,
Calvinischen) zu bekennen und keinen einer solchen Sekte
angehörigen Prädikanten zu dulden; 9) ersuchen sie Se.
Majestät um Anerkennung ihrer Prädikanten, obgleich diese
nicht von der römisch-katholischen Kirche ordiniert sind,
18
— 274 -
sondern ihre besonderen Formata haben. Schließlich 10)
bitten sie um die Erlaubnis zur Anstellung eines von ihnen
besoldeten, der A. C. (und keiner fremden Sekten verwandten
Predigers in der Hauptstadt Wien, wo möglichen Falls ein
oder mehrere Stäademitglieder während der Landtage oder
anderer Versammlungen in Todesnöten oder sonst eines
Kirchendieners bedürften ^).
Es folgten noch etliche flehentliche Vorstellungen, um
des Kaisers Herz zu bewegen.
Diese offene Darlegung der Wünsche der Landstände
stieß natürlich auf Widerstand beim Kaiser, und die An-
gelegenheit stockte. Um diese Zeit war es, daß Christoph
Jörger za Tollet"^) (1565) sich an Xik. Gallus in folgenden
Klagen erging:
„In jüngst gehaltenen Wiennerischen lantag ist Kha.
Maj. von allen stenden ausser der prelaten die sich zu den
gluncken (linken) Hand halten, abermals vnterthänigst Er-
mand worden, vns beider augspurgerschen Confession, so Im
30. Jahr Kaiser Karl von reicliständen mit angehenckter
apologie [überreicht worden], beruen zu lassen; auch Ihr
kha. Maj. starck vnsers vilfältigen anlangens korschamist
(gehorsamst) Ermand: aber Es stockt, des wier nit gehofft;
gott wol den stilstand vnd weissheit nit verkiertzen. Es
ist sorglich \vider den Stachel locken, wer sein hand ainmal
an den pflueg legt, siecht wider hinder sich ist mein nit
werd. gott Erparm sichvnser^)"
Maximilian suchte lange auszuweichen, zumal um die-
selbe Zeit die oberösterreichischen Stände sich auf dem
Landtage zu Linz um die Religionsfreiheit bemühten und er
also von zwei Seiten bedrängt wurde ^).
1) Miederösterr. Landesarch., Landtagshdlgn. 1565, bei Otto,
a. a. O. S. 9.
2) Über die Jörger siehe unter anderen Freiherr v, Hoheneck,
Genealog, u. bist. Werk, Bd. I, Fol. 446— 4S4.
3) Eegensb. Akten, Eccles., Xo. XXXV, Z. 87.
4) Vgl. die Petition um freie Eeligionsübung nach der Augs-
burg. Konfession u. Kirchenordnuns vom 1. Jan. 1566.
— 275 —
Anch in Oberösterreicli war in den Städten wie in
den Dörfern, auf den ScUössern wie in den Bauernhöfen
die reine Lehre siegreich geworden ; in den jetzt katho-
lischen Kirchen finden sich noch zahlreiche evangelische Grab-
steine eingemauert. Hunderte von evangelischen Pfarrern
nennt Raupach. In keinem der Erbländer hat sich der
evangelische Glaube so tief eingenistet und hat alle Stürme
der Gegenreformation so überdauert, wie gerade in Ober-
österreich, woselbst das Toleranz-Patent noch beinahe 13 000
Evangelische vorfand i). Bald nach seinem Regierungsantritt
sicherte Maximilian in einer Resolution vom 17. Oktober
1564 den Ständen den erbetenen Religionsschutz zu, und
am Ende des Jahres erfolgte die Huldigung in Linz. Die
evangelischen Stände brachten vor den Kaiser eine ernste
Supplik um Handhabung des Augsburger Glaubensbekennt-
nisses im Lande, wobei auch die Städte einbezogen waren.
Der Kaiser nahm diese Supplik nach längerem Hin- und
Herverhandeln gnädig an und gestattete am 7. Dez. 1568
dem Herren- und Ritterstande die Ausübung der Augs-
burgischen Konfession bis zur vollständigen Regelung der
konfessionellen Angelegenheit. Die Einwohner der Städte
und Märkte aber, die ebenfalls eine Petition um Religions-
freiheit überreicht hatten, wurden damit zunächst abge-
wiesen. Zugleich erhielten die Stände am 24. Eebr. 1570
einen kaiserlichen Brief über die Freiheiten des Land-
hauses in Linz, und wurde dasselbe ein Asyl auch für die
evangelischen Stände ^).
Von Linz heimgekehrt, bewilligte Maximilian den nieder-
österreichischen Ständen, daß das von den Jesuiten besetzte
Konvikt, errichtet für die Jugend jener beiden Stände, den
letzteren zurückgegeben werde. Wirklich mußten die
Jesuiten das Haus alsbald verlassen. Während der Ab-
1) Vgl. G. E. Waldau, Gesch. der Protestanten in Ostreich etc.
Ansbach 1784, Bd. II, S. 462.
2) Vgl. K. Oberleitner, Die evang. Stände im Lande ob der
Enns unter Maximilian II. n. Rudolph II, Wien 18G2, S. 7 — 13.
18*
- 276 —
Wesenheit Maximilians in Augsburg hatte sein Stellvertreter
Erzherzog Karl genug zu thun, sich der Forderungen der
4 Stände (auch der Städte) zu erwehren. Der Erzherzog
versprach nur, ihre Suppliken an den Kaiser zu senden,
worauf Maximilian eine Kommission errichten zu wollen
erklärte, welche die Unordnung im Allgemeinen abstellen
sollte. Höchst folgenreich war aber für den vierten Stand,
den Bürgerstand, seine von Maximilian veranlagte Trennung
von dem Herren- und Ritterstande. Zur Überraschung der
letzteren Stände erklärte der Bürgermeister von Wien,
Hans Übermann [wie es scheint, ohne Vorwissen der
Bürger ^)] im Namen des vierten Standes, daß diesem der
Kaiser auf Grund des Augsburger ßeligionsfriedens vom
Jahre 1555 strenge verboten habe, sich mit den zwei
oberen Ständen in eine Traktation einzulassen. Die Ab-
geordneten der anderen Städte und Märkte erklärten, daß
sie den gleichen Befehl erhalten, aber um den Schutz
der oberen Stände bäten, eine Fürsprache, die freilich nicht
erhört wurde-). Es ist wahrscheinlich, daß Maximilian
verhüten wollte, daß die Evangelischen das Übergewicht
erhielten, weil dies die gewünschte Vereinigung beider
Religionsparteien erschweren würde. Seit der Zeit hielt
Wien daran fest, mit den oberen Ständen in der Religions-
frage nicht gemeinsam vorzugehen, obgleich es sich seine
Freiheit gegenüber den Eingriffen der katholischen Greist-
lichkeit vorbehielt.
Der Kaiser nahm am 7. Dez. 1566 abermals eine
Supplik entgegen, auf welche er am 17. Dez. den Ständen
kundgab, er wolle sich in keine Diskussion über die Be-
schwerden einlassen; er verweise vielmehi' die Stände auf
1) S. Eaupach, I, S. 76.
2) Diese Trennung wurde aufs äußerste beklagt, auch noch
von Heshusius in einem Briefe an Gallus vom 5. Sept. 1568: „Quid
vero obtinuere Austriaci ? Nima ordini militari (Eitterstand) totum
patet coelum ? cur non et agricohs . quos Christus eodem redemit
pretio ? "
^ - 211 -
eine allgemeine Reformation, wie sie sein Vater bereits be-
absichtigt. Inzwischen ermahne er sie, sich der bischöflichen
Jurisdiktion zu fügen. Die Stände der Herren und Ritter-
schaft antworteten am 20. Dez. sanftmütig, gaben aber die
Hoffnung nicht auf, den Kaiser für ihre Anliegen zu ge-
winnen. Jene oben erwähnte vom Kaiser ernannte Kom-
mission richtete wenig aus ^). Das Evangelium gewann immer
neue Anhänger in den weitesten Kreisen. Aber freilich,
die feste Hand fehlte, welche die widerstrebenden Elemente
zusammenhielt. Selbst Reuter mußte klagen (29. Juli 1568) ^),
das Ministerium im Lande sei übel zerspalten. „0, die
Vnsern thun grossen schaden mit irem Zankhen ; stund war-
lichen sunsten Im Lande besser!" Dazu kamen falsche
Brüder, die das Ohr des Kaisers zu finden wußten, und von
Kursachsen aus wurde natürlich gegen die Flacianer Stim-
mung gemacht. Im Grunde konnte sich Reuter nur auf
die etlichen Herren in den zwei Ständen verlassen, die an
der durch die „beständigen Lutheraner" vorgetragenen und
speciell auch durch ihn vertretenen Lehre festhielten. Da-
gegen waren die anderen evangelischen Ständemitglieder
wider diese ihre frommen Kollegen zeitweise sehr gehässig.
Die Grewährung einer Konzession also und der damit
zusammenhängenden Assekuration war ein dringendes Be-
dürfnis. Alles war gespannt auf den am 18. August be-
rufenen Landtag, wo sich der Knoten lösen sollte.
B. Die Agende.
Nachdem alle Hoffnung auf eine friedliche Vereinbarung
der entgegenstehenden Kirchen, welche auch Maximilian
anfangs gehegt, verflogen war, entschied der Kaiser sich
für die Toleranz. Die politischen Verhältnisse drängten
1) Vgl. Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegen-
reformation und des dreißigjährigen Krieges. I, 1889, 8. 1 i
2) R. A. Eccles., No. XXXVI, St. 48.
— 278 —
auch dazu ; die Kriege mit den Türken i) hatten eine ge-
waltige Schuldenlast zur Folge, und der Kaiser mußte auf
dem Landtag, der vom 18. Aug. bis 14. Sept. 1568 zu
Wien tagte, die 4 Stände ersuchen, solche Last mit ihm
zu tragen , wozu sie sich bereit erklärten 2). Die beiden
Stände der Herren und Ritterschaft erwarteten, daß ihnen
nun endlich die freie Religionsübung nach der Vorschrift
der Augsb. Konfession gesetzlich erlaubt werde ^). Die Kon-
zession dafür ward höchst unerwarteterweise, am Tage der
Landtagseröffnung selbst, freilich auf neuerliches Anhalten
der Stände, am 18. August gegeben^). Und so konnte Reuter
an Gallus unter dem 2. Okt. 1568 aus Schwielenpach ^') gün-
stiges melden ^). Nachdem er über die Bewilligung der
2 500 000 Gulden geredet, fährt er fort : „In der Religion
haben ir Maj. die zwen Landtstände, von Herrn vnd Ritter-
1) Maximilian that hier also etwas, was er 1572 seinem Bruder
Karl in Steiermark entschieden abriet, nämlich daß er die Religion
mit der Finanznot vermischte (vgl. Loserth, a. a. O. S. 1801
2) Die Stände bewilligten ohne langes Zögern und ohne die
üblichen Abstriche die erbetenen 2 Millionen sammt den Interessen
von 500 000 Gulden, welche Summe sie auf unbestimmte Zeit zu
zahlen versprachen. S. V. Bibl, Die Organisation des evangelischen
Kirchenwesens iiu Erzherzogtum Österreich unter der Enns von der
Erteilung der Eeligionskonzession bis zu Kaiser Maximilians II.
Tode (1568—1576), Wien, Gerold, 1899, S. 11—14.
3) Von direkt bei der Agendensache beteiligten Personen, und
zwar milder katholischer Gesinnung, ist Georg Gienger von Rotten-
eck, Geheimer Rat, der von Maximilian wiederholt um sein Gut-
achten befragt ward, zu nennen. Wir haben eine eigenhändige IMit-
teilung von ihm, deren Darstellung ziemlich übereinstimmt mit
unseren Akten. Er verließ schon 1569 den Hof und erlebte also
nicht den Abschluß der Agende (siehe Buchholz, a. a. O. XIII,
S. 343).
4) Die Konzession ist in den Mitteilungen des Instituts für
Österreich. Geschichtsforschung, XX, S. 335 ff. von Bibl abgedruckt.
Verfasser war Dr. Joh. Ulrich Zasius.
5) Schw. in Niederösterreich im Viertel ob dem Mannharts-
berg, woselbst sich Reuter damals aufhielt.
6) R. A. Eccles., No. XXXVI, St. 13.
^ — 279 —
Schaft, beiseitts in die Camer berueffen, vnd lautterlich
one disputation den zweien stenden gnediglichen, als vil die
leer betrifft, die A. C. zuegelassen, doch mit dieser
Condition, wouer (wofern) man sich einer Agende In den
Ceremonien kan vergleichen. Vnd ir M. haben die ersten
kirchen, die der A. Confession vnterschriben, wie mans
dazumal in den Kirchen gehalten, die Agenda darnach an-
zurichten den Ständen für geschlagen vnd die Waal gelassen^;.
Dazu wollen ir. M. etliche personen verordnen ; das sollen auch
die zwen stende thun. In derDeliberation^j haben die
Stende ir. M. 3 Kirchen-Ordnungen In vnterthenigkeit ver-
meldt, die pfalzisch, wirttenbergerisch vnd ITtraßburgerisch.
Ist durchaus abgeschlagen, mit anzeig ir M. wollen ein
eigene haben."
Was die Erwählung der Personen anlangt, so hatte
der Kaiser (nach Reuter) ernannt „den Bischof von der
Neustatt" (Wiener-Neustadt), ferner den Landschreiber
Lorenz Saurer, Sigmund von Ödt, und von Protestanten
Joachim Camerarius von Leipzig und Christoph von Carlo-
witz 3). Zum Direktor wurde der Doktor Weber (Geheimer
Rat am Hofe) ernannt. Auf der Landschaft Seiten hätte man,
wie Reuter schreibt, „gegen Etlicher Fürnehmen", was die
theologischen Personen betrifft, Dr. Eber zu Wittenberg 3)
und Reuter selbst benannt. Man war auf selten der Land-
schaft für ein möglichst weites Entgegenkommen dem Kaiser
1) In Gallus' Schrift findet sich am Eand die ironische Be-
merkimg: „wer ein unitas", d. h. eine durch den Zurückgang auf
die alten Ceremonien hergestellte Einheit.
2) In der Verhandlung zwischen Kaiser und Ständen.
3) Letzteren rühmt wegen seiner edlen Geburt, vorzüglichen
Bildung und als erfahrenen Staatsmann J. Camerarius in der Vita
Ph. Melanchthonis (ed. Strobel, p. 310); ferner auch als Haupt-
beschützer Melanchthons und natürhch als Eatgeber von Herzog
Moritz (1552).
4) Damals Generalsuperintendent des Kmiürstentums Sachsen
imd Pfarrer zu Wittenberg, Freund und Genosse Melanchthou's.
— 280 —
gegenüber. „Die zwen stende aber (d. h. die Evangelischen
darunter) haben Mich armen Esel Reitter erwellet (erwählt),
aber den Eberum abgeschlagen; dafür Jacoben Andre(ä)
o-esetzt. Der ist von stundt an von ir M. verworffen,
aber mein person gar gnediglichen gefallen lassen, vnd In
öffentlichen schrifften i) Eberum vnd Ambrosium rot, der
bej dem gefangenen Fürsten 2) ein zeitt lang In der Neustat
gewest, fürgeschlagen. Das hat auch ein lanttschaft der
zwey stende geweigert, vnd vrsach angezeigt vnd Wigandum
erwellet." Die Stände behaupteten nämlich, Eber sei mit
dem calvinischen Irrtum befleckt, und Rot habe in Sachsen
allerlei „Unrat" angerichtet 3).
Darauf ließ der Kaiser, wie Reuter andeutet, den zwei
Ständen mitteilen, daß Dr. Eber kein Anhänger der Lehre
Calvins sei, vielmehr selbst gegen die calvinische Sekte
geschrieben habe; ebenso sei von irgend einer Unheilstiftnng
des Mag. Rot nichts bekannt.
Weiter meldet Reuter: „Und ist jetzt auf Rostock zu
David Chytraeo ein Legatus abgefertigt, und die Tractation
auf den zwölften Tag Novembris angestelt. Der Herr durch
Jesum Sende dazu seinen heiligen Geist, Amen."
„Politici auf der Landschaft Seiten sind Landmarschall
von Rogendorf, ein trefflicher Mann, Herr Riediger von
Starhemberg, Herr Leopold Grabner und Herr Wolff
Christoff von Enzesdorff. Die Kayserischen halten sich
zusammen, das müssen wir auch thun. Und begert (ist
begehrt worden) von den zwey Landstenden ein verfertigt
Instruction ^), darin folgende Artikel begriffen :
1) Ksds. Dekret vom 28. Aug. 1568.
2) Herzog Johann Friedrich der Mittlere von Sachsen.
'S) Ebers Behauptung vom Nichtgenuß des Leibes Christi
seitens der Ungläubigen nennt der Prediger J. Leutner (Schwertperg
in Oberösterreich, Brief an Gallus vom 2. Mai 1565) ein Delirium.
Eber retraktierte zwar (siehe den Artikel Eber von Kawerau in der
Prot. Realencyk.), aber machte sich dadurch nur beiden Parteien
verdächtig. Vgl. Wolters, Ref.-Geschichte der Stadt Wesel, S. 246.
4) Diese Instruktion war anfänglich für die sechs evangelischen
Deputierten als Richtschnur von dem Plenum der Landschaft an-
- 281 —
1) Freiheit zu reden und zu widersprechen.
2) Die Augsburg. Confession ungeteut (ungedeutet) zu
lassen 1).
3) Nicht alles für mittelding annemen.
4) Wer Mitteldinge anneme doch mit christlicher
Freyheit 2).
5) Zucht und Fleis bey den Ministris der Kirchen
befürdern.
6) Anzuhalten vmb ein Christliches nach laut des re-
ligion frids Consistoriu.m,
7) Die gefallenen vnnöttigen ^) Ceremonien nicht wider-
umb aufrichten.
8) Daß in dieser tractation nicht die meiste stim wie in
der politici fürziehe ^).
9) Schließlich Sol es In den Ceremonien bej dem
1. (?) vnd 15. artikhel der A. C. verbleiben.
10) Eine kürchen zu Wien für die zwey stende die
In dereinsten verhofft 5) oder zum wenigsten das Landthauss.
11) Einen Superintendenten verpflicht allein den 2
Stendten.
12) Den Religionsfridt auch auf die Nachkomen bringen.
13) Alles auf hinderbringen — der 2 Ständt oder der-
selben verordtneten ausschieß ^).
geordnet worden. Die Mehrzahl im Plenum war zu großen Zu-
geständnissen an den Kaiser bereit (zu Meßgewand und Lichtern,
wie Eeuter am 16. November an GaUus berichtet), ja man ging um
diese Zeit damit um, aus jedem Stande zwölf zu erwählen, damit
die Instruktion möglichst liberal gehandhabt werde.
1) Bei 2 findet sich die Anmerkung von GaUus „Luther
in t er p res", imd bei 3: „was von Gott nicht geboten oder ver-
boten, expresse."
2) GaUus macht ein NB. zu Mitteldinge.
3) GaUus hat darübergeschrieben „vnd ergerlichen".
4) Der Sinn ist wohl, daß nicht wie in politischen Dingen
abzustimmen sei, wodurch die Evangelischen majorisiert worden
wären.
5) d. i. auf die ihnen Hoffnung gemacht wurde.
6) Der von den beiden Ständen der Herren imd Ritterschaft
deputierte Ausschuß (Deputati religionis, Deputatio religionis).
- 282 —
In Aufrichtung diser Instruction, das schreibe ich
auch im großen Vertrauen, hat uns alter und junger Jörger
großen widerstandt thon (gethan) i) ; doch gottlob, wider Ir
Herz und willen (ist es) aufgericht und verfertiget. Eins
macht uns sorgliche gedanckhen. ir M. haben Im noch ein
unbenannte person fürbehalten, etliche meinen es sey der
Eisengrein 2).
Eisengrein, unter der Ägide des bayrischen Kanzlers
Eck, war um diese Zeit das Mundstück der streng katho-
lischen Partei. Er strengte sich an, die erteilte Kon-
zession, ohne Rücksicht auf die Staatsnotwendigkeit der-
selben, als Quelle des Unterganges der christlichen Kirche zu
verdächtigen und den Kaiser zu bestürmen, diesen Schritt
rückgängig zu machen. Als er unter anderem dem Kaiser
äußerte^ Gott möge den Griiedern jener Kommission den Geist
der Zwietracht schicken, erwiderte JMaximilian treffend: „Ich
aber vvolt, daß sie sich verglichen." Zasius hatte genug zu
thun, nach beiden Seiten hin zu beschwichtigen, was ihm
auch vortrefflich gelangt). Man führte die Römischen an
der Nase herum.
Im Zusammenhang mit diesen Zugeständnissen einer
Religionskonzession und Agende versprach der Kaiser den
zwei Ständen, unter dem 7. September, „sie und ihre Kirchen-
diener bis zur Erlassung der Kirchenagenda bei ihren
1) Die Freiherren von Jörger nahmen nach Reuters Brief vom
21. Oktober einen laxen Standpunkt ein und waren gegen jegüche
Schroffheit.
2) Sehr berühmter Prediger zu jeuer Zeit und Propst in Ingol-
stadt, der, geboren in Stuttgart, erst 1554 vom Protestantismus zum
KathoUzismus übergetreten war. Herzog Albrecht von Bayern be-
nutzte ihn zur Auskuudschaftung der kirchUchen Dinge in Wien'
von wo er giftige Briefe an den Herzog und den Kanzler san dte
(vgl, Hopfen, Kaiser MaximiUan IL, S. 268—320). Ueber Eiseu-
greins Charakter giebt ein Brief bei Hopfen Aufschluß, woraus sich
ergiebt, daß derselbe aus Furcht Ueber daheim in Ingolstadt verbliebe;
vgl. ferner Aretin, Gesch. Maximilians I., Bd. 1.
3) Hopfen, a. a. O. S. 270.
— 283 —
religiösen Gebräuchen nach der Augsb. Conf. von 1530
verbleiben zu lassen und sie gegen alle Obrigkeiten
geistlichen und weltlichen Standes zu schützen".
Reuter schreibt über seine Wahl noch folgendes
Nähere: „Wie ich aber gehen Hoff kome, weis unser lieber
Herr Gott. Ettliche tage vor dem landtage war ich be-
ruffen zu Herrn D. Zasio i), wir waren in angst, vnd da ich
durch meinen Herrn presentiert, wurde ich auf den andern
Tage beschieden, doch freundtlich empfangen, am andern
tage noch freundlicher • mit vermeldung, ich wäre Im vnd
der R. K. M. comendirt, — ob ich zuvor gleich der aller
Sectisch war beschrieen — -, fieng an, von den landtags-
handlung wie eben gehöret, zu reden vnd schwur heftig ir
M. suchet keine abgotterey noch falsch, die lere sey
richtig, doch das die Agenda mit Ceremonien werde
aufgericht nach der weis der ersten Kürchen der A. C,
Vnd da ich zum dritten mal erschiene, war auch gegen-
werttig Herr von Entzesdorff 2), wurde lautter (nur) begert,
Man solle den Thonau vnd Rheinstrom ^) in erwällung
der Theologen zu der tractation fahren lassen.
Ganz Intimes über seine Wahl enthält schließlich
folgende Anmerkung Reuters in demselben Briefe: „Meine
gedankhen darumben, daß ich mit den fürnembsten Landt-
leutten bekandt und Beichtvatter bin seind etwan In
solchen zu vber massen, da behuett Gotte." Worte des
bescheidenen Mannes, die der Meinung Ausdruck geben,
daß er wohl als die bei den Landleuten bekannteste
und beliebteste Person dem Kaiser genehm sei. „0
1) Über Dr. Zasius Gesinnung war man 1568 in Rom sich klarer
als in Wien; der Papst hielt ihn für sektisch, gerade so wie den
Kanzler in Frankreich, Michael de l'Hospital, auf dessen Rat die
Königin mildere Maßregeln gegen die Hugenotten 1560 — 63 ergriffen
hatte. Derselbe ward 1568 ebendeshalb zum Rücktritt gezwungen.
Vgl. Hopfen, a. a. O. S. 284, Note.
2) Religionsdeputierter.
3) Süddeutschland, d. i. Andrea und Gallus. Die oben ge-
sperrt gedruckten Worte sind von Gallus' Hand unterstrichen.
— 284 -
wie herzlich gern", fahrt er fort, „hetten wir E. E. (Euer
Ehrwürden) oder einen anderen der Vnsern gewellet. Vnsere
brueder Im lande machen aber vbel stinckhet vnsere prae-
ceptores, Illyricum (Flacius) vnd andere." Ganz entschieden
aber hatte sich Maximilian, wie Reuter April 1568 an trallus
schreibt, gegen alle „flacianische und Illyrische Geister"
erklärt und selbige alle zu entlassen geboten, was bei et-
lichen Herren Eindruck machte. Auch die von Regensburg
Ordinierten kamen in Verruf.
Eür die Agende standen also die anfänglichen Chancen
sehr schlimm. Die Stände waren schlaff; der Hof wollte
ihnen unter Ereigebung der Lehre und unter Berufung auf
die früheste protestantische Kirchenordnung, u. a. auf die
von Mansfeld i) ganz päpstliche Bräuche aufdringen (be-
sonders Meßgewand und Lichter). Und dazu sollten der
sächsische Staatsmann Carlowitz und Joachim Camerarius
dienen, die einen großen Ruf auch beim Kaiser hatten.
Es waren aber beide Männer den evangelischen Land-
ständen übel berüchtigt. Gallus nennt Camerarius in einem
gleich zu erwähnenden Briefe „der Adiaphoristen einigen
Patron, der in der Vita Philippi alle ihre Adiaphoristerei
verteidigt, aufs Beste schmückt und lobt, wie er jetzt auch
thun wird." Während aber die Evangelischen sich über
Camerarius ängstigten, lachte Eisengrein ihn aus als einen
guten alten Gecken, der zuletzt sich bei einer theologischen
Unterredung damit entschuldigt habe, er wäre kein Theo-
logus etc. 2). Seine neutrale Haltung war der Grund, wes-
halb Maximilian ihn berufen hatte s), die evangelischen
Stände aber ihn mißtrauisch betrachteten*).
1) Wo man schwarze Kreuze den Leichen vorantrug und Erde
ins Grab warf (Klage Reuters au Gallus vom 16. Nov. 1568; R. A.
Eccles., No. XXXVI, Z. 71).
2) s. Hopfen, a. a. O. S. 304 an den Herzog v. Bayern.
3) Vgl. auch Hopfen, K. Max. II, S. 292 (No. 90).
4) Chytraeus' Briefe, S. 1095 ff.
— 285 -
Noch übler stand es mit Christoph von Carlowitz.
Er war es, an den Melanchthon jenen schlimmen Brief
1548 geschrieben, in welchem er sich über Luther beklagte
und über das Interim sich aufs äußerste nachgiebig
aussprach , sowie über die alten kirchlichen Gebräuche,
die auf ihn in seiner Jugend so tiefen Eindruck ge-
macht hätten. Auch Gallus bringt das Interim mit diesem
Briefe in Zusammenhang, indem Carlowitz mit demselben
„bei khaiser, Khönigen,. fürsten, Herren geprangt vnd hofiert,
darauff die beide Interim ergangen, das Augspurgische vnd
Leiptzische". Auf dem Konceptbogen in .inem Schreiben
Galli vom 13. Okt. 1568 an Reuter heißt es^): „Wenn man
Carlowitz und Camerarii Herz aufschneiden sollte, steckt
ein Calvinus drinnen." Diese Bezeichnung der beiden als
calvinisch Gesinnter seitens des Gallus ist interessant. Beide
waren Vertreter jener einflußreichen Partei, die, auf Melanch-
thon sich stützend, über die Köpfe der durch Flacius ver-
tretenen strengen Lutheraner hinweg, den Reformierten, und
auch wohl Calvin, die Hand reichten. Es hat den Refor-
mierten nicht zum Vorteil gereicht, daß die liberale Partei
der Lutheraner sie als Reserve gleichsam gebrauchte, um
gegen den schroffen Lutheranismus ihre Partei zu ver-
stärken. Sie verpflichteten sich zwar za nichts, blieben aber
auch den lehrreichen Kämpfen der Lutheraner unter-
einander fern und versäumten also die Zeit, aus diesen
Kämpfen zu lernen. Calvin gab Melanchthon durch seine
Übersetzung noch der letzten Ausgabe der loci zuviel nach.
Beza aber mußte sich von Bullinger sagen lassen, er wandle
in seiner Abendmahlslehre auf den Wegen Oslanders ^).
Calvin wie Beza waren zu arglos und auch zu weit entfernt
vom Schauplatz der Kämpfe. Dank ernteten die Refor-
mierten nicht für ihre neutrale Haltung im häuslichen
Zwiste der Lutherischen. Als später Flacianer und Anti-
1) E. A. Eccies., No. XXXVI, 8. 14.
2) Siehe darüber meine Schrift, Von der Rechtfertigung durch
den Glauben, S. 279.
— 286 —
flacianer in die Lutheraner der Formula Concordiae auf-
gingen — da mußten sie allein die Verantwortlichkeit
für die schweren Lehrsätze de praedestinatione et gratia
(von der Gnadenwahl) übernehmen und wurden seit der
Dortrechter Synode (1618 — 19) weidlich dafür gescholten.
Ihnen war es genug, wenn sie nur Ruhe hatten im Punkte
des Sakramentes, und dazu half eben Melanchthon.
Natürlich ist es, daß Reuter ganz besonders gegen
jene beiden Männer eingenommen war. Er schreibt an
Gallus im obigen Briefe vom 2. Oktober 1568: „Unsere
Hertzen stehen nicht richtig gegen den Camerario und
Carlowitzer." Diese bestanden eben auf Nachgiebigkeit in den
Ceremonien, wenn nur die Lehre ihnen zugelassen werde.
,,Camerarius wil nur eilen mit der tractation, sagt imer,
der alte greis Nausea(?) vnd adversarii sunt potentissimi ;
periculum in mora. Wendet vil wortt für."
Carlowitz war der Meinung, die zu verfassende Kirchen-
ordnung an irgend ein Muster anzuschließen, und schlug
die 1545 von Fürst Georg von Anhalt verfaßte vor. Kur-
fürst August von Sachsen aber trug Bedenken, diese Kirchen-
ordnung nach Wien zu senden ; er war eben über die Ver-
leumdung seiner Theologen durch die österreichischen
Herren erzürnt. Zwar schrieb er an Carlowitz, es werde
aus dem Gelingen des Werkes unzweifelhaft der ganzen
Christenheit unaussprechlicher Nutzen erfolgen; daß aber
die flacianischen Schwärmer zur Verleumdung seiner Uni-
versitäten, Kirchen und Schulen bei dem österreichischen
Adel so tief eingewurzelt i), daß sie von ihnen sonderlich
gerühmt und anderen vornehmen christlichen Lehrern vor-
gezogen würden, solches sei ihm beschwerlich zu erfahren
und werde dem Werke nicht geringe Behinderung bringen;
es habe schon bisher den Lauf des Evangeliums nicht
wenig gestopft und zu großem Ärgernis Anlaß gegeben.
1) Das ist wahr; unsere Gewährsmänner klagen über Adia-
phoristen, Synergisten etc.;' dadurch fühlte August sich getroften.
— 287 —
Trotz solcher heuchlerischen Worte bleiben wir dabei,
datf niemand der ruhigen Entwickelung der evangelischen
Sache auch in Osterreich so viel geschadet hat, wie Kur-
fürst August, der es bekanntlich fertig brachte, jene auf
Melanchthon sich stützende und mit den Schweizern
Fühlung suchende Partei erst groß zu ziehen und sodann
grausam zu vernichten. Solches schwankende Verhalten
konnte nur dazu dienen, Maximilian den streng Lutherischen
im Reiche abwendig zu machen. Wie zur Rache für solches
Verhalten erzählte die spätere Fama von Versuchen Herzog
Wilhelms von Bayern und des Papstes, den Kurfürsten
August katholisch zu machen i). Bei seinem Tode beklagten
ihn, wie schon erwähnt, vornehmlich die Päpstlichen.
Die Interimisten und Adiaphoristen oder doch ihre
geistigen Nachkommen waren vorderhand noch die Mehr-
zahl auch in Österreich. Gegen diese Strömung miißten
Reuter und die Deputierten die Hilfe des Gallus anrufen
und haben sie auch reichlich erhalten. Dazu ließ ihnen die
Verzögerung der Beratungen im Schöße der zwölf für die
Agende Deputierten gute Zeit. Als nichts geschah, lang-
weilte sich Camerarius, und Carlowitz begab sich auf sein
Gut Rothenhaus in Böhmen ^). Dieser ganze erste Versuch,
zu einer gesetzlichen Ordnung der evangelischen Angelegen-
heiten zu kommen, verlief im Sande. Man mußte Chytraeus'
Ankunft abwarten, den der Kaiser selbst aus Mecklenburg
berufen hatte ^).
Gallus beantwortete am 13. Oktober 4) Reuters Brief vom
2. Oktober. Seine Aussichten in die Zukunft sind die
1) S. Aretin, Maximilian I. v. Bayern I, 209.
2) Wiedemann I., S. 369.
3) Vgl. Chytraei Epp. p. 661. Reuter bemerkt in einem
Schreiben an Gallus, daß der Berufsbrief Maximilians an den Herzog
von Mecklenburg energischer zu Gunsten der Evangelischen gelautet,
als irgend eine andere Äusserung dieser Art (R. A. Eccles. No.
XXXVI, St. 150, vgl. dazu Raupach, Presbyt. 2, Nachlese, S. 105).
4) R. A. Eccles., No. XXXVI, S. 14.
— 288 —
schwärzesten. Er sieht in der neuen Religionshandlung
nichts anderes als das alte Interim oder Adiaphorismus, —
mit „neuen etlichen Färblein angestrichen" ; selbiges wollten
sie jetzt durch Reuter und die zwei Stände ins Werk setzen.
Man wolle die Augsburgische Konfession („nemlich bäb-
stischer Meinung") aufrichten, wie sich aus einem Schreiben
des münchischen Kanzlers an Eisengrein ergebe; 2. stimme
damit die Verordnung der Person so von Kaiserl. Majestät
dazu deputiert worden. „Papisten, Juristen, Adiaphoristen
et quidem principes Adiaphoristarum, reliqui papae iurati,
vnnd das man auff dem Andern teil kheinen von
Theologen leiden wil, er sei dann vor den Adiaphoristen
teils oder das man sich nicht sonders widerstandts bei im
zuuersehen. qualis vero causa, talis effectus, vnnd wierdt
man itzt schwerlich in dieser weinerndten trauben von
diesteln in Österreich lesen." 3. stimmt damit, daß sie es
jetzt eben mit den Adiaphoris wieder anfangen, so ihnen
doch nicht Adiaphora noch von ihnen, sondern vom Papst
sind und für necessaria gehalten werden. Dazu kommt die
Kondition, die Lehre der augsb. Konfession zu geben, sofern
man sich der Agenda vergleicht. Durch diese Hinterthür,
meint Gallus, könne zuletzt das völlige Papsttum eingemengt
werden. Man wird ihnen, wie er deutlicher auf seinem
Konceptbogen zu diesem Briefe sagt, „die 7 Sakrament ein-
bringen, wie vor (vordem), obgleich nit den Titel der
Sakrament; die fasten als politische Ordnung, des gleichen
die Bäpstische Büß, Beichtbeten, Almosengeben als satis-
faction, obgleich nicht mit dem Namen. Item die Syn-
ergiam, necessitatem operum ad salutem, gantzen Adiaphoris-
mum, Calvinismum, Item primatum papae et lurisdictionem
Episcoporum propter ordinem (was wirklich Maximilians
Absicht war nach seinen Resolutionen vom Juli 1565 und
17. Dez. 1566), ob nicht aperte, doch verdeckt, und das
man gewislich nicht wird dawider reden dürfifen, wie Pala-
tinusi) et August itzt auch thun vnd drüber persequirn."
1) Friedrich III. von der Pfalz in Amberg.
- 289 —
„Villeicht", so fährt er im Briefe fort, „khumpt wol die
gantze Meissniscbe große Agenda, zu Hertzog Moritz Zeiten
geschmidt, da Camerarius eben beigewesen vnd das feine
dabei getban, doch Gott durch widersprechen etlicher seiner
armen diener der Zeit sie geschreckht, das sie damit müsen
dahinten bleiben."
4) beklagt Gallus und sieht es als ein nicht geringes
Anzeichen des Betruges, den man mit der Augsburgischen
Konfession vorhat, an, daß sie allein den Herren und der
Ritterschaft zugelassen werden sollte, „als gehörten die
Pawren (Bauern) oder Bürger nicht auch ia Himel. Des-
gleichen ist, daß man sich khain ander Ordnung wil gefallen
lassen" i).
„5) So bekhent Camerarius vnd Carlwitz selb, was
die Khay. Majt. zuuil wider den Bapst mit der Lehre ge-
than, müsse sie in Ceremonien wider zurecht bringen, Ist
dann das nicht auch genug bekhanndt, wie es mit den
Adiaphoris hie gemeint, vnd wem damit solle gedient
werden, nicht schlecht dem Khayser, sonder dem aller-
hellischen Vatter, dem Bapst. Nicht weniger zeigt einen
gewissen Betrug die zweierlei Agenda, große und khleinere,
starckhe und geringere, die geringere für Herren und Ritter-
schafft, das sie nur ehe willigen (sich überhaupt dazu
verstehen). (Es) khumb ihnen die starckhe noch wol, ja,
der gantze Bapst vnd hellisch Feuer dazu, wie sie es zum
Theil meinen vnd mit dem Handel umgehen."
Gallus warnt entschieden vor Annahme oder „Schmie-
dung" der neuen Agende, da Reuter Gott zuvörderst
davon Rechenschaft geben müsse „vnd auff euch laden alles
was Schadens geistlich und leiblich darauß volgen möchte,
wovor vns alle der Ifebe Gott behüte". — Im weiteren,
ermahnt er Reuter, sein Gewissen zu retten ; übrigens habe
er ja die Instruktion göttlichen Wortes.
1) d. h. fremde Agenden verweigert. Vgl. Otto, a. a. O. S. 24.
19
— 290 —
„Wer weiß, was der liebe Gott noch für hat, daß sein
Beruf und wortt bei euch nicht ohne Frucht abgehe."
Wenn es nun dazu käme, daß man eine solche Ordnung
(Agende) selbst bedenken solle, „wäre abermals mein Be-
denken, das man die Ceremonien auffs engste einzöge, nach
dem Exempel der Ersten apostolischen Khirchen ; Hesse
gleich etwas der ihren Ceremonien, in vnseren Khirchen
der Augsb. Confession nicht gar uubreuchlich , mit
vnderlauffeu ^), so khöntten sie souil weniger daran straffen.
Als zum Exempel: Bey der Predigt sünge man vor vnd
nach etwa ein Psalmen, hielte vorbitte vnd nachbitte. Bei
der Tauff ein guet Gebet neben dem Vatter vnser, Be-
khentnis des glaubens vnd gleich den Exorcismum, wie er
bei Vielen der vnsern gebreuchlich. Item die Beicht 2)
vnd exploration, sampt der Privat-Absolution.
Bei der Communion zu den wortten der einsatzung
orationem dominicam cum gratiarum actione, vnd convenientes
cantilenas 3), alß „Jesus Christus" oder „Gott sey gelobt",
Alles in bekhanter sprach vnd gleich *) mit dem Chorrock ^),
so auch viel bei den vnsern geblieben."
Inzwischen rät Gallus nicht zu absolutem Widerstand,
wenn der Kaiser auf die Form der ersten Kirchen dringen
sollte ; aber da werde sich's, wie zu besorgen, allermeist
stoßen. Die K. Maj. werde einen völligen Adiaphorismus,
wo nicht in forma, doch in materia et fine, haben wollen,
was dem Papst gefalle und ihm diene : „Dann könnt Ihr
und die Stände es im wenigsten nicht thun, und ist besser
dergestalt khein öffentliche Khirche oder Religion der
Augsb. Conf. dann dieselben verfelscht haben." Dann
1) d. h. sei es auch immer, daß man dabei — conzessions weise
etwas von ihren Ceremonien mit unterlaufen ließe.
2) d. i. öffentliche Beichte
3) Im Konzept steht „psalmis convenientibus".
4) d. b. wenn auch immer.
5) Im Konzept: „zur Unterscheidung der Minister.
— 291 —
möge es nur lieber bleiben , wie es bisher i; auch
schon gewesen und wie es die Bürger auch noch werden
thun müssen : wobei sie ihre reinen guten Gewissen hätten
haben können, wenn sie gewollt, „wie man itzt auch noch
khan, obs gleich dem Fleisch nach etwas schwerer zugehet".
Das Gleiche wiederholt im wesentlichen ein Brief des
Gallus vom 5. Nov. 1568 an Reuter, den wir im Anhang
geben werden.
Interessant ist eine Notiz Reuters an Gallus vom
26. Oktober 2) wonach „Yr Maj. zum G.^) gesagt habe:
Nur was recht vnd der geschrifft gemäß für^unemen. Item
zum gebett vermanet." Wir sehen also, wie der Kaiser
sehr gut gestimmt war.
Unterdessen waren der Papst und sein Anhang nicht
unthätig. Durch den Herzog von Bayern war Pius V. von
den Vorgängen in Österreich in Kenntnis gesetzt*). Pius V.,
der einzige seit vielen Jahrhunderten heilig gesprochene
Papst (1712), ein großer Asket und Eiferer für die
Glaubensinquisition, erließ ein Breve an Maximilian und
sandte den gewandten Kardinal Commendone in größter
Eile nach Wien, um die den Ständen zugesagte Bewilligung
zu hintertreiben. Der Kaiser wollte diese Sendung ablehnen ;
nur auf die kräftigsten Vorstellungen seines Schwagers, des
bayrischen Herzogs, hin ließ er sie zu. Am 24. Oktober
traf Commendone ein ; er wurde auf der Straße verspottet.
1) In den Zeiten der Verfolgung, wo die Herren keine eigenen
Prediger und Kirchen gehabt.
2) R. A. Eccles., No. XXXVI, St. 72.
3) Celking; d. i. Carl Ludwig v. Zelking.
4) Ein Brief des Kanzlers Simon Eck vom 30. Juli 1568 an
den Propst Eisengrein zu Ingolstadt (R. A. Eccles., No. XXXVI,
St. 33) enthält bereits den Notschrei : „Es steet vbel In Össterreich ;
sy wollen die Augspurgische Confession nit allein per (manum?)
fortem, sondern auch die Catholicos gar nit mer haben." Derselbe
Brief erwähnt die Abordnung Eisengreins nach Wien, um gegen die
Zulassung der A. C. zu intrigieren.
19*
— 292 -
wie uns Reuter erzählt ^) , und konnte an Maximilians
Entschlüssen wenig oder nichts ändern. Der Kaiser ging ihm
möglichst aus dem Wege und reiste zuletzt nach Linz. Das
einzige Zugeständnis, von dem wir bereis oben gesprochen,
war dieses, der Kaiser wolle rücksichtlich der Augsburgischen
Konfession nichts Neues bewilligen, d. h. kein Konsistorium
errichten, an dessen Spitze, wie geplant, er selbst stehen
sollte 2). Dies war schließlich kein so großes Übel, wenn
doch im Dezember 1569 Aurifaber aus Mansf'eld klagen
mußte: „Auch wir bedürften etlicher Superintendenten, aber
werden sie kaum finden ; solch großer Mangel ist an frommen
und klugen Lehrern uud Predigern." Wenn dies von
Thüringen gilt, wie viel mehr dann von Osterreich. Man
mußte noch froh sein, wenn die Religionsdeputierten mit
kräftiger Hand einschritten und schließlich der Kaiser
gelegentlich den Knoten zerhaute. Gott lenkt das Herz der
Könige wie Wasserbäche.
Gerade Commendones Drängen scheint den Wider-
spruch Maximilians geweckt und bis dahin gesteigert zu
haben, daß er nun zu Konzessionen williger wurde. In
einem Briefe vom 7. Dezember 1568^) kann Reuter an
seinen Freund Gallus bessere Zeitung berichten. Der An-
schlag der Feinde war abgewendet. Er beginnt mit einem
Dank auch namens seiner Herren für alle treue brüderliche
Liebe und Mühe des Gallus und mit der Andeutung: „die
1) Am 16. Nov. schreibt Eeuter als „neue Zeitung" (E. A.
Eccles., No. XXXVI, Z. 71) : „Des Cardinais ist man alhie nicht
for, ir Maj. haben Ime 3 Curier entgegen geschickht, vnd ab-
geschlagen die ankunfft, er ist aber fortt gezogen, wirt nicht herrlich
gehalten. Da er zu erst mit seinem Creutz gehen hoff kam, pfiffen
in die pueben öffentlich an, ist gleichwol abgestellt.
Ir Maj. ist Ime nur auf halbe stuben entgegen gangen, vor
wenigen tagen hat er audienz gehabt, bin ich auch In ir M. Zimmer
gewest."
2) Wiedemann, I, S. 360.
3) E. A. Eccles., No. XXXVl, Öt. 3.
- 293 —
Herren werdens in Gnaden, wie ich heimblich verstehe, von
einer landtschafft [wegen] vergelten, wie es auch billich
ist ^j. Vnd gib hinwider in vertrauen zu wissen. Wir vnsers
teils seind gott lob entschlossen ; seind damit etliche vber
14 Tage damit umbgangen, gedenckhen mit gottes gnaden,
nach vnserm höchsten vermögen der kirchen nur zu dienen
und die nicht zu betriben ^). Was sind aber wir, wenn
die 24 personen nicht wellen 3) ? Weilen (währenddessen]
wir wollen vnsere Seelen erretten, das sol gott und die
kirchen sehen. Der heilige geist leere vnd salbe, Amen. —
Die R. kayserliche Majestät haben meine Herrn in vnsern
mittel beruelfen vnd den tage verschoben bis Chyträus
kombt. In höchster gehaim einem aus den vnsern In die
obren vertraut vnd diese wortt geredt: Maius faveo vestris
quam nostris^). Ach daß das Herz darbey wäre. . . .
Camerarius ist auch hinweckh, doch verhaissen, wan ir Majestät
in beruefft, widerumb zu komen. (Er) hatt unter Ime eine
guette lezte tehsen ^), die wir uns erlicher massen (?) lassen
gefallen, Nemlich was man lang vmb Mesgewandt und liechter
welle zanckhen, man lasse es frey, wer es wil brauchen, der
brauchs, doch daß kein teil verdambt werde ^). Carlewitz
1) Gallus hatte 6 Söhne und mußte gelegentlich den Eat um
ein Stipendium für einen derselben bitten (R. A. Eccles., No. XXXVI,
St. 57). Er war also wohl unterstützungsbedürftig.
2) Eeuter meint, daß er und seine Partei mit festem Mut in
die auf den 11. November ausgeschriebene Rehgionstraktation einge-
treten seien.
B) Das zielt auf den oben berührten Plan der Landschaft, die
Zahl der Deputierten zu verdoppeln, um den streng Evangelischen
Schwierigkeiten zu bereiten, wovon Eeuter an anderen Orten spricht,
4) d. h. : Ich bin den Eiuren mehr gut, denn den Unsern. Es
steht in der sehr unleserlichen Schrift Reuters maius, was korrekter
magis heißen müßte.
5) d. h. er hat eine letzte These hinterlassen; das Folgende
ist nur teilweise lesbar.
6) Camerarius kam nicht wieder, hinterließ aber den Rat, man
solle es alles in die Freiheit der einzelnen Kirchen stellen (NB.);
ganz in seiner leichtsinnigen Weise. In Adami Vitae German.
— 294 -
ist lengst hinweckh. Item Camerarius hatt sich auf hoch
beschwertt, daß er von der landtschafft gar nicht, angesprochen
noch besuecht ist worden. Ich armer Esel Reitter thue
dennoch Im lande was ich vermag, vnd gehet one frucht
nicht abe ; gott lob, viel ehrliche vnd hohe personen fragen
wenig nach solchen Gesellen. — Der lose tropf Andreas
Cupitsch wolt gern schaden thun, thuets zwar bey etlichen
vngelerten Landleutten, leufit hin vnd her mit des losen
Interimisten Lasii ^) schmachbuechel wider Illyricum. Wir
thun Ime aber ziemblichen widerstandt, hat In Vngern bey
grafi'en Julio von Salm Dienst. Die vnsern haben sich
entschlossen, wan er wider kombt, einer hartten antwortt.
Öffentlich erklärt er .«ich wider Illyricum, wie wider den
babst, ein vnverschambter muet 2). Also haben wir da und
dort zu wehren, gott hellfe seiner kirchen, Amen. Ire
Majestät seind auch mit dem Cardinal nicht gar wol
zufriden, daß er so lang alhie verharrt. Der sage ist vil
vnd derzeitt der feder nicht alles zu vertrauen."
Bei aller scheinbaren Schroffheit, die er dem Kardinal
Commendone gegenüber bewies, muß Maximilian doch auch
vor ihm seine Handlungsweise gerechtfertigt haben. Er
sagte in einer Unterredung: „Wer wird mich verteidigen?
Habe ich vielleicht Spanier oder andere von andern Nationen,
um diesen Landständen zu widerstehen? . . . Nuntius, ich
Philosoph. S. 264 wird erzählt, daß er nach wohlverichteter Sache
non sine favoris argumento vom Kaiser entlassen worden wäre.
1) Vgl. S. 78, Note 3.
2) Reuter schreibt am 29. Juli über diesen Cupitsch an Gallus
(E. A., St. 48) : „Herr Andre Cupitsch von . . . grueblet, hat sich
gegen der Rom. kais. Maj. wider uns armen Flacianer zu einen
Feind vnd Streitter erklärt vnd erpotten; thuett In der statt Wien
grossen schaden ; rhümbt sich entweder gehen hoff zu komen oder
In der statt Wien pfarherr zu S. Michel zu werden. Gott wäre Ime,
Amen." Unter dem 26. Oktober nennt er ihn ,, einen gottlosen
Adiaphoristen". Vergleiche auch über ihn Raupach, Presb., der
erzählt, daß er aus Krain sei, lange gefangen gewesen, aber zuletzt
entflohen und nach Ungarn gegangen sei.
— 295 —
habe sechs Söhne und habe ihnen kein anderes Erbe zu
hinterlassen, als die paar Erbländer. Wenn diese verloren
gehen, wovon sollen sie denn leben? "i) Ähnlich lautete die
dem Gesandten in Rom, Grafen Arco, erteilte Instruktion :
er habe keinen anderen Ausweg gewußt, um noch größere
Religionsspaltungen, das Einreißen der Sekten und einen
Aufstand der Stände zu verhüten. Desgleichen rechtfertigte
er sein Verhalten als ein ihm abgedrungenes in einem
Schreiben an seinen Bruder Erzherzog Ferdinand ^).
Die Angelegenheiten der Evangelischen stockten ; alles
wartete auf Chyträus, einen einflußreichen Mann in jener
Zeit durch seine Verbindung mit allen hervorragenden
Persönlichkeiten. Er nennt sich selbst in einem seiner
Briefe an Richard Strein vom August 1569 einen Schüler
Luthers und Melanchthons ^). Uns interessiert von ihm am
meisten seine Briefsammlung (ed. 1614); seine zahl- und
umfangreichen Kommentare sind minder bedeutend. Sein
Charakter ist irenisch, doch wechselt er wohl einmal
seine Anschauung, je nachdem seine Umgebung war. Gallus
schildert ihn folgendermaßen '^) : „Chytraeus ist ein gelerter
vnd fromer Man, der den handel zimlich wol verstehet, vnd
weil (während) er nicht bei inen (d. h. Gleichgestimmten)
ist, sich wol erclert (nachgiebig zeigt) gegen andere der
vnsern; wil doch mit öffentlicher bekhantnis nicht heraus.
Trüge sorge, er wurde den Fuchs auch nit baissen vnd die
Herrn nicht erzürnen wollen. Das sage ich in geheim.
1) Vgl. Bibl, Die Organisation etc., S. 29, nach den Venetia-
nischen Depeschen, III, 460.
2) Vgl. Hopfen, a. a. O. S. 274.
'S) Gh. wurde geboren am 26. Februar 1531 zu Ingelfingen bei
Schwäbisch-Hall und studierte in Tübingen unter Camerarius. Er
starb zu Eostock am 25. Februar 1600. (Vgl. über ihn Loesche in
Prot. Realencykl., der ihn sogar zu einem Vermittelimgstheologen
macht, wo er dann freilich nicht „der letzte der Väter der lutheri-
schen Kirche" sein kann.) Chyträus ist nicht einmal ein Charakter,
geschweige ein Reformator.
4) In dem Brief vom 13. Okt. 1568 an Reuter.
— 296 -
So er khumpt, werdet ir's sehen, was er thut. Gf-ott gebe
ihm neben euch auch bestendigen mut , andere gaben
dazue hat er genug, wolte ers aber nicht thun, so gedenckht
ir abermals an der Athenienser Jurament : Pugnabo, aut con-
tradicam, et solus et cum aliis. — Doch mueß ich eins
fragen: weil den Herren souiel orth eines Theologen
halben oder mehrer fürgeschlagen und inen die waal ge-
geben, warumb sie nicht etwa Joachimum Westphalum zu
Hamburg ' fürgeschlagen, Mencelium oder Spangenbergium
zu Mansfeldt, Mörlinum in Preussen oder Chemnicium
zu Braunschweig. Es würde ihnen aber gleichwol der
Schwäbin antwort worden sein, „welchen ir wolt, ohne
(nur) den nicht" 3). Denn man doch kheinen dabei haben
wil, bei dem man sich ernstlichs widersprechens zu ver-
sehen habe, und habt ir euch des umb souil mehr vorzu-
sehen vnd den Lieben Gott zu bitten, was ir thut." Gallus
schließt mit der Warnung vor Vertrauensseligkeit, da Reuter
doch hauptsächlich mit „Bapisten und Adiaphoristen" zu
thun haben werde. Und im unmittelbaren Anschluß daran
gedenkt er des in Thüringen auf den 20. Oktober be-
rufenen Kolloquiums zwischen den kurfürstlich- und herzog-
lich sächsischen Theologen, auf dem es auch gefährlich zu-
gehen werde. Reuter zeigt sich durch diesen Brief sehr
ermutigt und will alles getrost Gott befehlen. Er über-
sendet die „Instruction'^ welche Herr Grabner und der
Widerspruch der Herren Jörger zwar gemildert habe, aber
dennoch durch die Stände also formuliert worden, daß die
beiden Jörger sich noch lange widersetzt hätten.
Nunmehr verstehen wir auch den Seufzer Reuters:
„Ach, daß Chyträus den Stich hielte!" und seine Klage,
daß sie nur „gezwungen" ihn angenommen hätten. Es
zittert eben in diesem großen Mißtrauen und äußerster Be-
denklichkeit auch gegen Chyträus der alte Hader nach, und
das verwundete Herz will sich nicht beruhigen. Man hatte
1) Wohl ein damals bekanntes Witzwort aus einem der Volks-
bücher.
- 297 -
die Bruderliebe verletzt, und eine Sühne war dafür nicht ge-
schehen. Der Dissensus seit den Tagen des Interims war nicht
zur Ruhe gebracht, sondern von beiden Seiten unterhalten
worden. Die Erregung ließ sich nur schwer verbergen,
wenn gewisse Namen genannt wurden, deren Träger nichts
gethan, um das in der Person des Flacius der guten
Lehre geschehene Unrecht zu begleichen. Beim Adia-
phorismus, Majorismus, Synergismus, setzen wir hinzu
Osiandrismus, handelte es sich um schwerste Irrtümer, und
diese nahm eben ein Teil der Evangelischen leichter, der
andere furchtbar ernst. Dieser Ernst trat ne^i.erdings zu Tage
auf dem mit der Agende gleichzeitigen Gespräch zu Alten-
burg (25. Oktober 1568 bis März 1569) , wo zwischen
den kursächsischen und herzoglichen Theologen verhandelt
wurde i). Von herzoglicher Seite nahmen daran teil die
strenglutherischen, bis dahin Flacius verbündeten Theo-
logen Wigand, Irenäus, Rosinus, Bressnitzer, Kirchner und
Joh. Friedr. Cölestin, alles Leute bedeutenden Namens ^).
Auf kursächsischer Seite waren außer dem alten Eber nur
junge streitsüchtige Professoren, wie Salmuth und Frej^hub
aus Leipzig, Peter Prätorius, der jüngere Kaspar Cruciger,
Christian Schütz und Heinrich Moller, beteiligt. Leider
1) Planck, a. a. O. III. IX. Buch, S. 324 ff.
2) Bis zu diesem Zeitpunkt war Heshus noch Flacius' Freund,
freute sich seiner Aufnahme in Straßburg und nannte ilin exul et
minister Christi. (K. A., Kasten D, No. XXXVI, St. 53). Aber
auf diesem Kolloquium ging durch Heshus' Streitschrift („Ana-
lysis") die Einheit der Strenglutherischen verloren, indem Wigand
sich von Flacius absonderte (vgl. Preger II, S. 337 ff.) und so unter
seiner Führung eine antiflacianische Partei entstand, die den Flacius
später sogar wegen des Ausdruckes „Substanz" bekämpfte. Hes-
husius schrieb am 7. Juli und 11. Okt. 1568 an Gallus , und
zwar Absagebriefe an die Adresse des Flacius, und schickte Ende
1568 die ,,Analysis" im Manuskript nach Altenburg, die den Riß
anbahnte. Heshus' eigene Briefe über die Erbsünde an Gallus, der 1568
noch auf Flacius' vSeite stand, sind höchst interessant (s. den An-
hang). Später war auch Gallus geneigt, mit dem Ausdruck „Sub-
stanz" ziurückzuhalten.
— 298 -
diente dieses langdauernde Gespräch nur, die gegenseitige
Annäherung statt zu erleichtern zu erschweren. Auch
Gallus sah in diesem Kolloquium nichts als einen politisch
gefärbten Religionshandel des Kurfürsten August, um einen
Kompromiß mit den Katholiken und Reformierten auf dem
künftigen Reichstag anzubahnen i). Auch der Straßburger
Philologe Valentin Erythraeus schreibt an Gallus d. d.
22. Oktober 1568 ^j: „Den Ausgang unserer Religionsver-
handlungen in Thüringen sowie in Osterreich empfehle ich
dem Sohne Gottes, daß er durch seinen heiligen Geist
gänzlich die Beschlüsse lenke, so zwar, daß sie allein die
Regel des Wortes Gottes befolgen und nicht Räthsel (sphyn-
gas) aus Liebe zur Welt ersinnen, noch weniger etwas mit
dem Antichrist gemeinsam haben."
Es standen ferner bei diesen Debatten außer der Lehre
des sogenannten Philippismus auch noch calvinische Sym-
pathien ^j im Hintergrunde. So schreibt Heshus an Gallus
(13. Mai 1568): Scribunt aulam Misnicam palam ad Cal-
vinismum inclinare^l Und daraus erklärt sich Gallus' und
der Seinen gewaltige Besorgnis, die sich noch steigerte, als
die kryptocalvinische Richtung in immer weiteren Kreisen
ihre Anhänger fand und allerlei Geister an sich zog^). Viele
jüngere Elemente drängten sich herzu, welche in hitzigen
Reden und Predigten nur Verbitterung statt Frieden her-
vorriefen **).
1) Vgl. Brief an Eeuter, Eegensburg, 5. Nov. 1568.
2) R. A. Eccles., No. XXXVI, St. 77.
3) Kurfürst Friedrichs Entgegenkommen zeigen seine Briefe,
ed. KliTckhohn ; über den Sturz der Kryptocalvinisten in Sachsen vgl.
Sybels bist. Zeitschrift B. 18, 91 ff. Die Gehässigkeit dieser Witten-
berger Theologen gegen die strengen Lutheraner, die unter dem
Namen Flacianer vernichtet werden soUten, verrät uns sodann be-
sonders ihre berüchtigte Schrift : „Grundfest", geschrieben zur Ver-
teidigung ihres ,, Katechismus" v. J. 1571.
4) R. A. Eccles., No. XXXVI, St. 55.
5) Vgl. Loofs, Dogmengeschichte, § 75.
6) Für die Jahre 1572 und 1573 vgl. die gleiche Bemerkung
bei Kluckhohn, Friedrichs Briefe, II, S. 572, Note.
— 299 —
Endlich ist nochmals zum besseren Verständnis der
österreichischen Agendensache zu betonen, daß Gallus und
die Seinen einer damals schon abnehmenden Schar alter
Lutheraner angehörten, die bald verdrängt wurde von einem
andersartigen Luthertum, welches aus Württemberg beson-
deren Zuzug erhielt (Brenz, Andrea) und verstärkt wurde durch
Leute, wie M. Chemnitz, Nicolaus Seinecker, David Chyträus,
u. a. die über dem Streit mit den alten Philippisten und
Kryptocalvinisten ihres lutherischen Erbes sich mehr
und mehr bewußt wurden und endlich bei Abfassung der
Konkordienformel sich die Hände reichten. Flacius und
Grallus aber haben durch ihr Eintreten für die Autorität
Luthers der Zurückdrängung des freien Willens und der
Geltendmachung des servum arbitrium die bedeutendsten
Dienste geleistet. Sie sind eigentlich die letzten der echten
Lutheraner in diesem Jahrhundert zu nennen.
Nach dem Absterben der Alten folgt eine neue Zeit.
Vormals ging die Menge großer Männer Hand in Hand mit
einer reichen Zahl heißhtingriger Gemüter bei hoch und
niedrig. Solch glückliches Zusammentrefifen bot die Folge-
zeit nicht mehr, sondern die Klage über den Undank
Deutschlands, die Luther bereits angestimmt, behält immer
mehr recht. Dem konnte auch die bestgemeinte Zusammen-
fassung der orthodoxen Lehre, wie sie seit 1576 von Andrea,
Chemnitz u. a. in die Hand genommen wurde, nicht ab-
helfen. Zwar wurden die bekannten Streitigkeiten (Adia-
phorismus , Synergismus , Majorismus , Osiandrismus) in
Luthers Sinne geschlichtet, aber freilich neben anderen auch
die Prädestinationslehre abgeschwächt. Die lebendige Lehre
ließ sich eben nicht in eine Formel einfangen, und schon
der bloße Versuch, so berechtigt er war, öffnete neuen Ab-
weichungen Thür und Thor.
Die Abfassung der österreichischen Agende fand
aber noch im Bannkreise der alten Zeit statt ^), und zwar
1) Ein schlagender Beweis für diese Thatsache ist die Nach-
schrift eines Briefes des lUyricus vom 4. Mai 1569 au Gallus (R-
— 300 —
unter vielem ernsten Aufsehen zu Gott seitens der dabei
Beteiligten, besonders seitens G-allus und Reuters. Vom
Adel waren aaßer den oft zu nennenden Religionsdeputierten,
mit Rogen dorf an der Spitze, nur wenige warm für die Agende
interessiert, sondern erhoben vielmehr Schwierigkeiten, als
nun endlich die Agende fertig war, z. B. C. L. Zelking,
Mich. Lud. von Puchhaim, Sigmund und Heinrich Graf zu
Hardegg, Xiclas Graf zu Salm, Erasmus von Scherffenberg,
Hartmann von Lichtenstein, Wilh. von Hochkirchen, Veit
Albrecht und Dietrich von Puchheim, Christof und Helm-
hardt Jörger u. a. ^\
Die Agendenarbeit zerfällt in zwei Teile. Der Anfang
wurde von Chyträus gemacht, den im Auftrag des Kaisers
und der Stände Chi-, v. Memming aus Rostock herbeiholte. Er
reiste erst Anfangs Dezember ab, nachdem er zuvor gezögert
und lieber schriftlich über die beabsichtigte Kirchenverbesse-
iTing sich ätißern zu wollen erklärt hatte. Begleitet von seinem
Amanuensis Joachim Edeling und dem Professor der gi'ie-
cldschen Sprache Johann Possei aus Rostock, kam Chyträus»
nachdem er unterwegs zu Wolfenbüttel mit dem Braun-
schweiger Superintendenten Martin Chemnitz - 1 und dem
A. Eccles., Xo. XXX^T:, Z. 179), worin er erstens beklagt, daß
Chemnitz, wie Spangenberg ihm schreibe, offen den Majorismus m
Schutz nehme. Er fügt hinzu: _ld üli qm apud eum fmt tribuo."
Gemeint ist Andrea, der damals für sein Einigungswerk herunn-eiste
(Preger 11, S. 300 ff.). Sodann sagt« er: ^ Bitte, schicke diesen Brief
[von dem wir nur die Nachschrift haben] unserm Superinten-
denten, „recte ad Chyträum-' tmd erbitte Antwort durch zuver-
lässige Boten.- Auf so freundlichem Fuße stand also Flacius um
diese Zeit selbst noch mit Chyträus.
1) Tgl. Bibl, a. a. O. S." 1S5 (73).
2) Dem berühmten Martin Chemnitz wurde die Superinten-
dentenstelle in Österreich offiziell am 27. September 1569 durch jene
Adehgen, die Chyträus nach Rostock zurückgeführt hatten, angeboten.
Er erbat sich eine Bedenkzeit, indem er schwerüch in Braunschweig
seine Entlassung erhalten würde und auch nicht gern auswandern
möchte. Er frug inzwischen Gallus tun Bat. um seine Entschließung
demgemäß treffen zu können (27. Sept. 1569: E. A. Eccles., No.
XXi^^. Z. 176).
— 301 —
Tübinger Kanzler Jakob Andrea einige Tage vereint ge-
wesen, sowie zu Leipzig (21. Dezember; bei Camerarius
der unlängst von Wien heimgekehrt war, sich Rats erholt
hatte , über Dresden , Außig , Prag , Czaslau , Iglau am
10. Januar 1569 in Krems an i). Von Krems richtete
er schon am 12. d. M. ein Schreiben an den Kaiser Maxi-
milian, welches der Vicekanzler überreichte ^). Als Schüler
Melanchthons mußte er sich zu einer Erklärung über Ar-
tikel XV und XVni der Augustana i De ritibus ecclesiasticis
und De libero arbitrioj verstehen '^j. Die sechs ständischen
Deputierten : Landmarschall Hanns Freihf^rr von Rogen-
dorff, Rüdiger Freiherr von Starhemberg, Leopold von
Grabner, Wolf Christoph von Enzersdorf, Chyträus und
Reuter begannen nun die Aufstellung der „Kirchenagenda",
über welche dann nach ihrer Vollenduns: mit den sechs
kaiserlichen Deputierten verhandelt werden sollte. Es sollte
in folgender Art vorgegangen werden. Chyträus übernahm die
Ausarbeitung, und sobald er ein Stück vollendet hatte, er-
hielt es sein mit den kirchlichen Verhältnissen Österreichs
vertrauter Beirat Reuter zur Durchsicht und zur Verhand-
lung darüber mit den andern 4 Deputierten der beiden
Stände, als Vermittler der Verbindung mit denselben. Letztere
erachteten es für ratsam, daß Chyträus in einem von Wien ab-
gelegenen Orte die Arbeit vornehme, weil der Kaiser die ganze
Angelegenheit bis zur demnächstigen Abreise des päpstlichen
Legaten Commendone geheim gehalten wissen wollte, und
daß er deshalb von Krems nach dem Flecken Spitz über-
siedle. Hier verweilte er auf dem Schlosse des Ritters Leon-
hard von Kirchberg beinahe drei Monate (seit 19. Januar
1569; in stiller Thätigkeit i>
1) Epp. Chytraei, p. 1092; Eaupach II, S. 180-190.
2) Epp., p. 39—42, 1100.
3) Epp., p. 638.
4) Epp., p. 446, 1093. Vgl. auch Otto, a. a. O. S. 31—33.
- 302 —
Gallus rät am 9. März 1569 i) dem Chyträus Vorsicht,
um weder in die Irrlehren des Antichristen zu verfallen,
noch auch die gute Gelegenheit zu versäumen. Sein Rat,
den er auch Reuter wiederholt erteilt, ist: „Schreibt ihr
Ceremonien (forma) , wie ihr sie convenientes der Augs-
burgischen Konfession findet — der Kaiser soll dann ur-
teilen."
Die Thätigkeit des Chyträus liegt freilich sehr im
Dunkel ; es ist uns selbst unbekannt, welche Agenden ihm
vorgelegen. Wir haben ja auch nicht einmal Chyträus'
Elaborat vor uns in der österreichischen Agende, die viel-
mehr von Reuter erst über Auftrag des Kaisers fertigge-
stellt wurde. Er hat dann später, im Jahre 1578, sein
Elaborat zu Rostock im Druck herausgegeben. Dasselbe
ist ein viel größeres Werk als die Agende, die nachmals
bei Kaiser Maximilian Anerkennung fand. Es enthält näm-
lich auch die Lehrschriften. Und zwar konnte sich Chy-
träus darauf berufen, daß er von dem Ausschuß der Stände
zu 4 Schriftstücken veranlaßt worden sei, zu denen frei-
lich die Instruktion der Landschaft ^) ihn kaum in diesem
Umfange berechtigt hatte. Auch Gallus hatte zu einem
geringsten Maß von Ceremonien geraten und durchaus
kein Doctrinale gewünscht.
Das erste dieser Schriftstücke sollte , wie Chyträus
schreibt, eine Agende (Agendorum liber) für den öffent-
lichen Gottesdienst in den gesamten evangelischen Ge-
meinden des Landes sein; sie war dem Kaiser vorzulegen.
Das zweite sollte eine Instruktion für den Superintendenten
und das Konsistorium aufstellen, denn die Stände hofften '"'•),
daß ihnen vom Kaiser die Bestellung eines Superintendenten
und die Errichtung eines Konsistoriums werde gestattet
1) E. A. Eccles., No. XXXVI, Z. 151.
2) S. oben S. 281.
3) So fragt Jörger von Tollet den Gallus, was geschehen soUe
wenn der Kaiser dies nicht bestätigen wolle (1568).
— 303 —
werden. Das dritte sollte eine Erklärung aller Artikel der
Augsburgiscben Konfession (später das „Doctrinale" genannt)
enthalten, worin „die fürnembsten Hauptstücke christlicher
Lehre , so in der Augsburg. Confession auf das Kür-
zeste zusammengefaßt, aus Gottes Wort ausführlich erklärt
waren", zugleich mit Berücksichtigung aller damals unter
den Evangelischen herrschenden Streitigkeiten. Dieses
Schriftstück wollten sie, wie später erst ersichtlich ward,
dem Kaiser nicht überreichen, sondern als Ausdruck der
reinen Lehre für sich und ihre Nachkommen aufbewahren.
Das vierte sollte ein Auszug aus jener Erklärung der Augs-
burgiscben Konfession sein, eine Summe der christlichen
Lehre zur Benutzung bei der Prüfung der Ordinanden ^ ).
Ueber den Verkehr des Chyträus mit Gallus und seine
Hoffnungen haben wir nichts als folgenden Brief vom
25. Juni 1569 2j ; ßeverende et clarissime vir amice colende
De felici exitu praesentium actionum non desinunt bene
sperare Domini mei, Ordinum delecti. Ego, ut antea aliquoties
scripsi, de tuo et tot aliorum sapientum et piorum iudiciis,
aliisque causis motus, nihil de humana Imp. voluntate mihi
vel aliis certi pollicens, spem omnem in solo DEO repositam
habeo et eventum exspecto. Tribus iam vicibus Dies
Responsionis categoricae, a Caesare dicta, ulterius prorogata
et nunc in mensem Julium reiecta est, Exspectamus
igitur Dominum, qui, etsi moram facit, ut pietatem et
coustantiam nostram exploret et invocationem acuat, tamen
veniens veniet^), cum ipsi visum fuerit et gloriae suae vindex
et Ecclesiae instaurator et custos ipse futurus est. D. Jacobi
Andreae conciliationes, quas sub praelo esse ex filio Pfauseri
intellexi, si excusae sunt, exemplum ad nos mitti velim.
Geislero Typographo vestro prodesse nihil potui, cum
Christophorus Reuter noster sumptus in eas conditiones fieri
1) Epp„ p. 648.
2) R. A. Eccles., No. XL, Z. 39.
3) Hebr. 10, 37.
— 304 —
dissuaderet, et ipsi Ordinum delecti impressione Confessionis
Magdeburgii offensi essent i).
Colloquium AldeburgeDse ingentia certamina et maiora
iis, quae hactenus usque fuerunt, secutura sunt. De horum
initiis, siquid habes certi, nobis significabis. Deum oro, ut
nos doceat et gubernet. Bene vale. Die 25. Junii, qua
ante 39 annos Confessio Augustana, quam nunc passim in
aulis Confusionem uominant, Imp. Carole V. primum exbibita
est. Viennae Austriae David Chytraeus.
Adresse : Reverendo et clarissimo viro D. Nicoiao Gallo
Superintendenti Ratisbonensi, domino suo colendo.
Wie sehr auch die Stände in Steiermark des Chyträus
Begabung für ein solches wichtiges Werk schätzten, dafür
zeugt, daß sie ihn aufforderten, herüberzukommen, und auch
ihnen eine Agende anzufertigen : was aber erst 5 Jahre
später geschah 2).
Wir verfolgen jetzt das weitere Geschick der Agende.
Chyträus sandte das Werk am 26. Februar an den Vor-
sitzenden der Deputierten, den Freiherrn von Rogendorff,
unter gleichzeitigem Bericht an den Vicekanzler Zasius.
Jenes Werk enthielt zunächst die Agende — die anderen
drei oben genannten Nummern, nämlich die Instruktion des
Consistorii, das Doktrinal und Examen, wurden nach Reuters
Brief vom 24. März 1569 erst zu Ostern fertig. Rogendorff,
dem nach Chyträus 3) der freieste Zugang zum Kaiser offen
stand, vermittelte die Kenntnisnahme der Agende und
besprach auch die anderen Punkte mit ihm. Der Kaiser,
der die Agende mit den beiden geheimen Räten, Richard
1) Dies scheint auf den bei Geisler beabsichtigten Druck der
Agende zu gehen, wozu die Stände keine Einwilligung gaben, weil
sie über die Drucklegung der Konfession des Magdeburgius noch
immer unzufrieden waren (s. o.).
2) S. Loserth, a. a. O. S. 149.
3) Epp. S. 673.
— 305 -
von Strein i) und den Kanzler Zasius geprüft hatte, sagte, daß
ihm dieselbe nicht mißfalle, aber die Abfassung eines Lehr-
buches der Hauptstücke christlicher Lehre habe er nicht
verlangt 2). — Chyträus war, wie Reuter schreibt, die ganze
Zeit kränklich und kam infolge der Aufforderung Rogen-
dorffs erst gegen Ende März von Spitz nach Wien, um den
Deputierten der Stände mit seinem Rate beizustehen.
Kurz vor Ostern wurde die Agende zum ersten Male
von den ständischen Deputierten den 24 Herren und Rittern
zur Censur mitgeteilt und von ihnen, mit kleinen Ände-
rungen versehen, am 29. April in einer öffentlichen Audienz
dem Kaiser, gleich als ob er noch nichts davon gesehen
hätte, überreicht 3). Man lebte der Hoffnung, daß die Be-
stätigung dieser Kirchen-Agenda alsbald erfolgen werde.
Diese Hoffnung war vergeblich '^) ; vom Tage der Über-
reichung bis zum 31. Juli blieb die Agende im Kabinet des
Kaisers, der nach Zasius „die gantze action gern in der
band behalten wollte" ^'). Wohl aber verhieß der Kaiser
neuerdings durch Rogendorff, er werde der evangelischen
Stände mit der Augustana übereinstimmende Lehre und
gottesdienstliche Gebräuche dulden, sowie wider alle geist-
lichen und weltlichen Gegner schützen. So wertvoll nun
ihnen dieses Versprechen war, so baten sie doch in einer
Eingabe um baldige definitive Bestätigung der über-
reichten Kirchen-Agenda und um die Erlaubnis, ein eigenes
Konsistorium einsetzen, einen Superintendenten berufen, in
1) Strein war adiaphoristisch gesinnt imd stand mehr über den
Parteien, war jedoch seinen Glaubensgenossen ein guter Helfer. Er
soll viel bei Maximilian gegolten haben, wie auch seine von Bibl,
a. a. O. S. 32, benutzte „Relation in Religionssachen de anno 68
bis in das 76. Jahr" beweist.
2) ßaupach II, S. 183.
3) Raupach I, S. 103.
4) Auch Gallus teilte dieselbe nicht in einem Briefe vom
25. April 1569 (R. A. Eccles., No. XXXVI).
5) Siehe Zasius an Albrecht von Bayern am 10. und 31. Juli
1568, bei Hopfen, S. 324.
20
— 306 —
Wien ein offenes Gotteshaus besitzen und eine theologische
Schule errichten zu dürfen. Es scheint auch nach Chyträi
Bericht 1), daß zu gleicher Zeit die Gegenpartei recht böse
Forderungen an die Evangelischen stellte, welche Chyträus
nur andeutet, die aber des Gallus Vermutungen vollauf be-
stätigten.
Der Kaiser erklärte ihnen endlich in einem Erlaß vom
26. Juli 1569, er müsse wegen der Wichtigkeit der An-
gelegenheit zunächst das Gutachten seiner Räte vernehmen,
wobei er sie zugleich ermahnte , bis zur endlichen Ent-
scheidung sich aller Neuerungen und Sekten zu enthalten
keinen Prädikanten in Wien aufzustellen, sich mit allen
geistlichen und weltlichen Ständen und Unterthanen friedlich
zu verhalten, dieselben ob ihres Glaubens nicht zu lästern
oder zu verdammen, sondern mit ihnen in christlicher Geduld
und Eintracht zu leben ^).
So war denn die Verhandlung auf die lange Bahn ge-
schoben und zum Teil in feindliche Hände geraten. Was
Gallus vorausgesehen, geschah : man verlangte unter anderem
es müsse in die Kirchen-Agenda, bevor sie die landes-
fürstliche Bestätigung erhalten könne , noch manches
Ceremoniel beim öffentlichen Gottesdienst eingerückt
werden, insbesondere sei bei der Abendmahlsfeier die An-
zündung von Kerzen, das Tragen des Meßgewandes und
die Elevation nicht zu unterlassen. Und ferner müsse in
ihr über die (darin mit keinem Worte angedeutete) Juris-
diktion der römisch-katholischen Bischöfe und die durch
diese zu erteilende Ordination gehandelt werden. Denn
die evangelischen Prediger beider Stände hätten sich von
den Landesbischöfen „nach einer gewissen Formel, je-
doch ohne sündliche Verbindlichkeiten" ordinieren zu lassen
und, wenn diese sie nicht verfolgten oder das Evangelium
1) Epp., p. 363 und 661.
2) Chytr. Epp., p. 661, 673. Vgl. Otto, a. a. O. S. 35, 36, der
hier aus den recht unklaren Berichten des Chyträus seine Mit-
teilungen schöpft.
- 307 —
nicht hinderten, deren Jurisdiction anzuerkennen i). Beiden
Forderungen, über die keine Akten vorliegen, sind die
Evangelischen, wie es scheint, durch Temporisieren aus dem
Wege gegangen; in welcher Weise — das ist unbekannt.
Der Kaiser selbst gab dem Chyträus zu verstehen, daß er
wohl nur der Stände wegen so weit von den ältesten und
ersten Gebräuchen der A. C. abgewichen sei. Was man
verlangte und was sich eben nicht fand, war nur dasselbe,
was im . Interim einst schon von den Protestanten zu-
gestanden war: erweiterte Anwendung der Ceremonien und
bischöfliche Jurisdiktion. Im Grunde aber gv.schah das wohl
nur, um das Zustandekommen der Agende und die davon
abhängig gemachte Assekuration hinauszuschieben.
Am 13. August 1569 erfolgte die kaiserliche Resolution
an die zwei Stände : es könne ihnen ein Konsistoiium und
ein Superintendent, sowie evangelischer Gottesdienst in einer
eigenen Kirche zu Wien nicht bewilligt werden; jedoch
solle ihnen die Berufung eines gelehrten Predigers
gemäßigter Richtung gestattet sein, welcher die Predigtamts-
kandidaten prüfen, aber nicht ordinieren dürfe. Ziigleich
erneuerte der Kaiser die Zusage der Toleranz des Gottes-
dienstes vom 18. August 1568 2).
Es war eigentlich ein Glück, daß jener erste Teil des
Entwurfes Chyträi ^), die vornehmsten Hauptstücke christ-
licher Lehre enthaltend, vom Kaiser schroff abgewiesen
wurde. Damit wäre der theologischen Diskussion wieder
1) Chytr. Epp., p. 363, 483, 529, 661, 674, und Chytraei Histor.
sec. XVI, Suppl. p. 281, 293. Vgl. auch Hopfen, a. a. O. S. 149.
2) Chytr. Epp., p. 363, 483; Chyträus äußert sich p. 364 zu-
frieden mit dem nunmehr erreichten Resultate seines Aufenthaltes
in Österreich.
3) Er erschien zu Rostock 1578 in Octav, während die sog.
Deklaration der Artikel Augsb. Konfession, welche Chyträus zum
Nutzen der Stände gleichfalls verfaßte, niemals gedruckt wurde.
Auch dieser vierte Theil des Entwurfes stieß auf den Widerstand
des Kaisers.
2ü*
— 308 —
ein weiter Zugang eröffnet worden. So aber blieb es
lediglich bei Herstellung der Agende im engeren Sinne,
in welcher nur an gehörigem Orte das Doktrinäre
(Katechismus) eingeschaltet wurde. Diese Arbeit nun kam
über Auftrag des Kaisers ^) in die Hände Reuters, der sie in
möglichster Stille zu Ende geführt. Er schüttet seine Klagen
über diese Arbeit in einem Briefe vom 30. November
1569 in Gallus' Busen aus 2).
„Vnser Agenda ist abermal gehen hoff geantwortt,
haben ein sehr guette gewisse Vertröstung; meine Herrn
werden nach Weinachten auf präg (verreisen) vnd allen
bescheid widerumb zu Hauß bringen, vnd seind allein zwo
vrsachen , das man vns nicht iezt völlig vnserm begern
statt gethan. Erstlichen das man so ein groß libell
nicht ablesen hat können, dann zuvor In der Agenda
alle ding nicht so pro forma gesetz wie an diser. Zum
andern begert man, man solle das Cantional auch stellen
vnd (über)antwortten^). Wen das beschieht, so sollen die lob-
lichen Stände nicht weitter aufgehalten werden. Nun habe
ich ein 4 Wochen darmit zu schaffen, das ich die gesang
hin und wider zusammen trage, lateinische, deudsche, vnd
bitte vmb Christi wellet mein In eurer Kirchen mit dem
heiligen gebett nicht vergessen. Es ligt die schwere bürde
auf mir, vnd ich bin so einfeltig, gering vnd vngelertt.
0 Jesu', du Son gottes, kom meiner einfalt zu hilff Amen."
ßeuter hat sich also zu dieser Arbeit nicht gedrängt
und bewegte sich bei ihr auf einem heißen Boden. Er hat
1) Vgl. Chytr. Epp., p. 225 der verblümterweise davon redet.
2) E. A., No. XXXVI, St. 169.
3) Die Einwürfe waren offenbar aus dem Wunsche entstanden,
den ganzen Agendenhandel noch weiter hinzuhalten. Thatsächlich
war die Agende Reuters noch umfangreicher als die bisherige. Inter-
essant ist, daß diese korrigierte Kirchenordnung noch in ihrer letzten
Fassung eine Korrektur im Kabinet des Kaisers erhielt. Es wurde
nämlich das bekannte Luthersche Lied : „Erhalt ims, Herr, bei Deinem
Wort und steur' des Papsts und Türken Mord" gestrichen (vgl. Bibl,
a. a, O. S. 38). In Graz wurde es noch 1592 gesungen.
— 309 —
möglichst wenig Menschen dabei um Rat gefragt, und gerade
dieses vorsichtige Verhalten scheint dem Kaiser gefallen zu
haben, der regen Anteil an der Sache nahm. Mit der Revision
seines Werkes, die natürlich vorgenommen werden mußte, da
der erste Entwurf dem Kaiser nicht gefallen, war Chyträus
unzufrieden. Er beklagt sich^j (wie uns aber scheint allzu
kritisch) über unpassende Stilveränderungen und mangel-
haften Zusammenhang der Worte und Sachen, auch über
Zusätze und Auslassungen. Zu den Zusätzen rechnet er
den von der Taufe Erwachsener, ferner den Exorcismus,
den erweiterten Konfirmationsritus und die Menge der
Kollekten 2). Auch Luthers kleinen Katechismus hat Reuter
der Agende einverleibt mit einigen Änderungen und Zu-
sätzen. Wenn man aber das Ganze der Agende übersieht,
so muß man gestehen, daß sie für eine maßvolle Arbeit
und eine der besseren Kirchenordnungen jener Zeit gelten
darf, und das um so mehr, weil ja wirklich das Meiste
von Chyträus' erfahrener Hand selbst herstammt. Im Inte-
resse der Sache wäre es besser gewesen, wenn alle Aus-
stellungen unterblieben wären, zumal auch die Akademien,
welchen die österreichischen Stände die Agende behufs
Censur vorlegten, sie nicht beanstandet hatten. Und
so hat Chyträus selber in einem Briefe vom 6. März
1570 seinen Freund und Bruder Reuter aufs neue seiner
Freundschaft versichert und um Nachrichten gebeten, nach-
dem er von der Errichtung einer Druckerei in der Nähe
von Stein vernommen. Er wünscht, etwa neu erschienene
Bücher von Reuter zu erhalten, und möchte an der Vor-
bereitung solcher Bücher teilnehmen. Ja, er äußert den
Wunsch, daß er nötigen Falls, wenn er in der Wachau irgend-
wo verborgen leben könnte und zum Drucke helfen, gern
dorthin zurückkehren würde und das angefangene Werk
»
1) Kaupach I, S. 120.
2) Gerade diese verlangte Maximilian nach dem oben erwähnten
Briefe Reuters.
— 310 -
mit Gottes Beistand vollenden helfen wolle ^). Gehen wir
nun auf nähere Einzelheiten ein.
Bei der im Jahre 1580 gehaltenen Kirchenvisitation
der beiden Stände erzählte Reuter, daß der ritus confir-
mationis in der Agende aus dem Sartorius genommen sei;
was darin stehe von der Kindertaufe und den dabei vor-
kommenden Fragen, sei anderen Eeformationsordnungen
entlehnt, nämlich der kölnischen (1543). Er habe dies
„wie ein frey Ding gesetzt", ohne daß man damit den
Katechismus Lutheri habe verdammen wollen, welchen be-
kanntlich die Agende fol. XXXIX enthält. Die Formel
von der Taufe Erwachsener sei aus der hessischen Kirchen-
ordnung (1566) entnommen, dagegen habe er, während ihm
befohlen worden, den wittenbergischen Katechismus 2), der
in philippistischem Sinne verfaßt war, aufzunehmen, Stücke
aus dem nürnbergisch-brandenburgischen Katechismus ein-
gesetzt.
Die übrigen Erweiterungen beim Konfirmationsritus,
sowie bei den Lektionen und Kollekten waren gänzlich
harmlos, verletzten in keinem Punkte den evangelischen
Sinn und imponierten etwa noch dem Kaiser, der offenbar
persönlich an der ganzen Sache beteiligt war.
Über die Zulassung des Exorcismus und der Absolution,
sowie des Chorrockes und ähnlicher Dinge bemerken wir
folgendes :
Den Exorcismus ^), von dem Chyträus urteilte , daß
er lieber sollte weggelassen sein, als daß er auf solche
Weise und an solchem Ort eingeschoben worden*), nahm
1) Epp., p. 530 u. 500, wonach ihm die Agende gefiel.
2) Dieser Katechismus hat im Sinne Melanchthons beim Abend-
mahl „credentibus" statt „vescentibus". Er lehrt über das Abend-
mahl und die Person Christi in calvinistischem Sinne.
3) Agende, S. VI: „Exorcismus zu gebrauchen oder nicht zu
gebrauchen, soll frei sein"; ferner Agende IX.
4) Vgl. Eaupach I, S. 120. Chytr. Epp. p. 665, 967. Er fehlt
in der oberösterreichischen Agende v. J. 1617.
— 311 —
Eeuter nach Gallus' Eat in die Agende auf, stellte ihn
aber der Freiheit der Einzelnen anheim. Er blieb ja über-
haupt noch lange unangefochten in der lutherischen Kirche ^),
obwohl bedeutende Theologen, obenan Luther, kein großes
Gewicht auf ihn legten oder nur für seine Zulässigkeit
stimmten, während Joachim Westphal, Spangenberg, Men-
zelius u. a. m. für die Beibehaltung waren.
Die Beichte und Absolution =») ist ein herkömmlicher
lutherischer Brauch. Die deutsche Reformation hat die
Beichte behufs würdiger Begehung der Abendmahlsfeier
festgehalten und zwar als Privatbeichte ^). Dies geschah
besonders seit dem sächsischen „Unterricht der Visitatoren"
(1528) aus der Feder Melanchthons, in welchem um des
gemeinen Volkes willen vor dem Abendmahl ein Examen
stattfand ^). Die Absolution fand in der Agende in zwie-
facher Form — in der bloß ankündigenden und unmittel-
bar vergebenden — ihren Platz ^).
Den Chorrock ließ Reuter wenigstens zu % obgleich
widerstrebend, weil ,.solch Narrenwerk" abgethan sei und die
1) In der dänischen Kirche ist er bis heute vorgeschrieben ; in
der unierten preußischen Agende ist er ebenfalls der Freiheit der
Einzelnen anheimgestellt.
2) Agende, S. LXVI ff.
3) In der Nürnberger Kirchenordnung und nach ihrem Beispiel
in der Siebenbürger Konters stand die gemeinsame Beichte und ge-
meinsame Absolution in Übung (vgl. den Artikel Köhlers in Studien
und Kritiken, 1900, Heft I, über die Reformation in Siebenbürgen).
4) Erlang. Ausgabe XXIII, S, 40 ff. Auch hier aber ist die
Beichte kein Zwang (S. 35, 41).
5) Der Kirchendiener wird als des Herrn Christi Statthalter
bezeichnet (Agende, S. LXVII), gleichwohl kennt die Agende auch
die bloß ankündigende Form der Absolution. Und diese ist auch nach
a Lascos Forma ac ratio p. 86 und der Pfälzer Kirchenordnung
V, J. 1563 bei Reformierten im Brauch.
6) Je nach dem Brauche der Ortsgemeinde; cf. Chytraei Epp.
p. 446. Dieser ganze Brief v. J. 1571 an Camerarius ist wichtig für
den Usus in den österr. Kirchen. Die meißnischen (!) Prädikanten,
deren einer in Spitz amtierte, behielten nach diesem Briefe mehr eine
adiaphoristische Form bei, die von der des Chyträus abstach.
— 312 —
Herren sehr dagegen waren. Die Lichter blieben der Frei-
heit einer jeden Gemeinde überlassen. Übrigens scheint
ersteres ein Zugeständnis an den Kaiser gewesen zu sein,
während Gallus (und auch sonst die Flacianer) schwierig in
diesem Stücke war und den Chorrock nur zur Unterscheidung
der Prädikanten, und weil er auch sonst in den Kirchen
des Auslandes verblieben i), zugestehen wollte.
Andere Gebräuche, die man auf der Gegenseite für
wünschenswert und selbst nach der Augsburgischen Kon-
fession für zulässig erachtete, z. B. die Elevation beim
Abendmahl oder das Gebet für die Abgestorbenen, sowie
die Einführung der Mütter nach der Geburt eines Kindes,
wurden nach Chyträus' Vorgang gänzlich abgewiesen.
Was die Konfirmation ^) anlangt, so hat auch Chyträus
bereits im vierten Abschnitt seiner Agende dieselbe ange-
priesen und das Verfahren dabei angegeben. Reuter hat dies
sehr erweitert 3), ohne aber über die Schranken der „Ablegung
des Glaubensbekenntnisses" hinauszugehen. Der Parrer hat
den Katechismus abzufragen und darin zu examinieren,
wozu noch eine Reihe anderer Prägen kommt ^). Von der
Abnahme eines Gelübdes, womit in neueren Zeiten die
Konfirmation leider überladen wurde, ist keine Rede, Die
Verfasser dieses Ritus sind demnach evangelischer als die
gegenwärtigen Theologen.
Beim Abschnitt von der Kirchenzucht ist das Vorbild
des Kölner Reformationsentwurfes befolgt, in welchem zu-
erst (1543) Bucer und Melanchthon ernstlich die Kirchen-
zucht sich zur Aufgabe machten, nachdem es deutlich ge-
1) In Dänemark ist der Chorrock bis heute als Meßhemd mit
rotem Überwurf beim Altardienst üblich.
2) Der Konfirmationsritus ist dem hessischen nachgebildet, wo
man zuerst im 16. Jahrhundert denselben wiederfindet.
3) Darüber beschwert sich Chyträus (Epp. p. 858): er habe
dieses Stück, sowie das von der Taufe Erwachsener u. a. m. bis
dahin nicht gesehen.
4) Agende, S. LIX— LXII.
— 313 —
worden, daß besonders die Zuchtlosigkeit, mit der man sich
des Sakramentes bediente, der Reform Schaden brachte i).
Übertrafen doch die Schweizer die Lutherischen in der
Kirchenzucht weit, wie solches Luther 1538 bekannte.
Unser Urteil über die Agende geht dahin, daß die
österreichische Kirche nicht verantwortlich zu machen ist
für die ceremonielle oder sogenannte konservative Haltung
der lutherischen Kirche überhaupt und noch weniger für
das Drängen des Landesfürsten auf möglichst viele Ceremo-
nien. Es ist aber andererseits zu Gunsten solcher reicheren
Liturgie zu bemerken, daß, nachdem die Predigt in den
folgenden Jahrhunderten so wenig auf der Höhe ihrer Auf-
gabe geblieben, nämlich zur Buße zu mahnen, ein wenn-
gleich kümmerlicher Ersatz in der Liturgie geleistet ward.
Wo die Predigt versagte und die hungrigen Seelen durch
dieselbe nicht mehr mit dem Evangelium Christi aufgerichtet
wurden, da hat die Liturgie in und außerhalb des luthe-
rischen Deutschland (besonders auch in Dänemark) wichtige
evangelische Elemente bewahrt und eine, wenn auch immer
sich wiederholende Predigt von Christo und der Sünden-
vergebung in seinem Blute geboten.
Zu Anfang des Jahres 1570 ward die Verhandlung
über die Agende abgeschlossen, an welche der Kaiser die
Ausführung der Religionskonzession oder die Gestattung
freier Religionsübung geknüpft hatte (18. August 1568;.
Sie wurde von den Deputierten dem am Hofe weilenden
Strein nebst einer Präfation übersandt, behufs endlicher
Erlangung der Assekuration. Strein überreichte sie, nach-
dem noch etliche Änderungen vorgenommen, dem Kaiser
zu Prag „in dem Oratorio" am Ostersonntag des Jahres
1570. Noch einmal wurde die Agende durch einen eigenen
Courier an Georg Gienger nach Enns zur abermaligen Begut-
achtung gesandt. Als dessen Bericht eingelangt war, wurde
1) Vgl. Varrentrapp, Hermann, von Wied, Z. K. G. XX, 1.
Heft, S. 41.
— 314 —
sie approbiert. Gallus erlebte noch die Freude, die nalie
bevorstehende Ausfertigung der Asseknration aus einem
Schreiben des Sigmund Herrn zu Polhaim (d. d. Prag,
17. April 1570)^) zu erfahren. Dieser Bericht erwähnt,
daß die Agende für beide Erzherzogtümer bewilligt und
„kais. Majestät dieselbe gewiß noch vor seiner Abreise nach
Speyer den getreuen Ständen werde zuschicken lassen.
Ist nun dieselb der heiligen götlichen schrifft vnnd der
Augspurgerischen Confession gemäß gesteldt, so wer (wäre)
dem fromen Khaiser darumben zu dannckhen vnd auch
wer die zeitlich Auflag ^) desto Leichter zu gedulden. Wenn
Ich der [Agende] bekhomb, solle solche dem Herrn vnuer-
zogentlich (unverzüglich) zugeschickt werden."
Die Asseknration wurde wirklich noch im Mai vor der
Abreise des Kaisers von Prag den Ständen zuteil, aber
vorerst „ungefertigt", und erst hernach gemäß dem Wortlaut
des ersten Orginals und nur mit verändertem Datum pub-
liziert^). Somit giebt es eigentlich zwei Daten für diese
wichtige Schrift: 30. Mai 1570 und 14. Januar 1571. Der
Revers der beiden Stände ist auch erst viel später erfolgt,
und bleibt das Datum der Fertigung zweifelhaft. In dem-
selben verpflichten sie sich, keine andere Lehre noch Cere-
monien, als in der A, C. und der Agende enthalten sind,
in ihre Kirchen einzuführen oder zu dulden, gegen die
Römisch-Katholischen wegen ihres Glaubens nichts zu unter-
nehmen, sie in ihren Kirchenübungen nicht zu stören und
ihren Geistlichen am Einkommen nichts zu entziehen ^).
1) E. A. Eccles., No. XL, Z. 20.
2) Die dem Kaiser bewilligte Geldsumme (vgl. L. J. Fitzinger,
Versuch einer Geschichte des alten niederösterr. Landhauses, Wien
1869, S. 16).
3) Vgl. Kaupach II, S. 294, und Bibl, Die Organisation des
evangelischen Kirchen wesens, S. 48 ^160).
4) Die Kopie des Eeverses im ß. A. I, 26, Z. 250 hat das Datum
Wien, 14. Juni 1571, nebst einer spitzen Bemerkung.
— 315 -
Beide Dokumente haben Raupach und Otto gegeben ;
die Varianten der Regensburger Abschrift sind unerheblich;
ein Original besteht nicht mehr.
Der Aufschub lag in allerlei Gründen. Vor allem
hatten die Stände noch ihr Bedenken wegen des Inhaltes
der Assekuration, was weitere Verhandlungen zur Folge
hatte. Erstlich urgierten sie, „daß gemeldet wurde, daß aller-
lei Sekten im Lande eingerissen, deren sie sich ihresteils
nicht teilhaftig wissen ; zum andern : dieweil ihnen allein
in ihren eignen Häusern und Gütern der Religionsgebrauch
zugelassen, daß dadurch die Pfandschafter und ßestand-
leut ausgeschlossen würden ; zum dritten, daß sie sich der
Religion in ihren Schlössern, Häusern und Gütern, doch außer
I. M. Stadt und Markt, gebrauchen sollen, welches darum
beschwerlich, dieweil ihnen in ihren Häusern zu Wien zu
predigen hievor zugelassen und hiedurch wieder eingestellt
würde; zum vierten, daß in der Assecuration weder der
Agenda noch des Doctrinals Meldung beschehn".
Während die Verhandlungen zwischen dem Hofe und
den Ständen noch schwebten, zur Zeit der Abwesenheit
des Kaisers in Speier (Juli 1570), erschreckte die Stände
ein brüskes Eingreifen des Statthalters Erzherzog Karl,
von welchem die Stände dem Chyträus Meldung machen i).
Derselbe hatte ohne Vorwissen von dem den Evange-
lischen gemachten kaiserlichen Zugeständnis einer Druckerei
ein Patent unter dem 7. September erlassen, mit welchem
1) Vgl. Eaupach, Presbyteriologie, II. Nachlese, S. 112. Sie
schreiben, daß u. a. vielen Anfechtungen, wodurch die Frucht seiner
Arbeit gehindert worden, auch diese sei, daß „vns auch die Druckerey
bei ainem halben Jar gespert gewest. Dann der Sattan hat sich
hoch bemüet, aber Michel wardt stärckher, also daß mit Verleichung
Göttlicher Gnaden die Agenda gleich sub prelo gefertiget ist."
Über die Vorgänge, welche um diese Zeit den Druck der
Agende und das Erscheinen der Assekuration verhinderten, hat zu-
erst Dr. V. Bibl, Die Organisation des evangelischen Kirchenwesens
im Erzherzogtum Österreich unter der Enns etc., Wien 1899, S. 40 f.
nach dem Cod. No. 8314 der k. k. Hofbibliothek berichtet.
— 316 -
die neu eröffnete Druckerei in der Nähe von Stein auf-
gehoben und das Druckerpersonal in festes Gewahrsam
gebracht wurde. Die ständischen Deputierten erhoben
sofort Protest gegen diese Maßnahmen und schickten
sogar einen der Ihrigen nach Speyer auf den Reichstag,
um beim Kaiser die Wiedereröffnung der Druckerei zu
bewirken, damit der Druck der Agende keinen Aufschub
leide. Hier leistete ihnen nun Richard Strein wesentliche
Dienste. Trotz der bevorstehenden Abreise des Kaisers
gelang es ihm auf sein „unaufhörlich und schier etwas un-
gestümes Anhalten" ^), die Zustimmung des Kaisers zur
Fortsetzung des Druckes und zur Abänderung der Assekura-
tion in gewissen Punkten zu erhalten. Ausgenommen war
der Punkt der Religionsfreiheit in den Städten und das
Doctrinal (ein protestantisches Lehrbuch). Strein reiste
nun dem Kaiser nach, indem er ihn an den verschiedenen
Rastorten immer wieder aufs neue über die Angelegen-
heit unterhielt. Er empfing gnädige Antworten und erfuhr,
wie gut es der Kaiser meinte. Als er wieder über die
zwei noch der Erledigung harrenden Punkte zu Nürnberg
mit dem Kaiser ins Gespräch kam, sagte dieser wörtlich
folgendes: „Strein, ich wüßte der Sachen wohl recht zu thun,
wann ich euer, meiner getreuen Unterthanen, das ihr ohne
das erschöpft seid, nit verschonet, dann wir uns kaum vor
dem einen feind aufhalten können ; um mein Person, glaubt
mir, darum war es mir nit zu thun." In diesen denk-
würdigen Worten zeigt sich der Kaiser ganz so, wie wir
ihn oben kennen gelernt ; er würde wohl leicht die Be-
schwerden der Stände zu heben wissen, wenn man nicht
ohnedies genug mit dem einen Peind (dem Türken) zu thun
hätte; was würde es nun sein, wenn noch andere (der
Papst und die katholischen Fürsten) dazukämen ? Auf seine
Person solle es ihm dabei nicht ankommen. Schon Strein
fügt zu diesen Worten hinzu, sie seien wichtig, „damit auch
1) Schreiben Streins vom 14. Januar 1571, Cod. 8314, p. 1 ff.
— 317 —
etwa unsere Nachkommen sehen, wie gutherzig es I. M.
mit uns Österreichern gemeint hat, gleichwol der Allmächtig-
keit Gottes in dergleichen Fällen mehr und billicher ge-
traut, als auf alle menschliche Macht gesehen werden
soll, aber Fleisch ist rieisch". Er meint, der Kaiser wolle
damit den Ständen die Lehre geben, doch auch ihrerseits
in solchen Angelegenheiten mehr auf Gottes Allmacht als
auf alle menschliche Macht zu sehen. Alles fernere An-
dringen Streins führte zu nichts, weil Maximilian sich sehr
klar bewußt war, was er in der Konzession vom Jahre 1568
bewilligt hatte. Die Klausel von der Zulassun:; der Religions-
übung in den Städten wollte er nun einmal nicht zugeben,
besonders für Wien nicht; so sehr er auch in der Praxis
durch die Finger sah, wenn gleichwohl evangelischer Gottes-
dienst daselbst gehalten wurde ^). Soviel aber das Doctri-
nal betraf, so konnte, wie Strein an die Deputierten be-
richtet 2), der Kaiser dasselbe derzeit nicht in den Text
der Assekuration aufnehmen, sondern erwarte erst, daß es
den Universitäten Wittenberg, Rostock, Tübingen zur Be-
gutachtung zugesandt und ihm dann vorgelegt werde.
Schließlich mußte Strein froh sein, kleine Änderungen in
der Assekuration erreicht zu haben, denn schon bald er-
hoben sich neue Wolken am Horizonte. In Linz hatte ein
Losensteinscher Prediger den Hofprediger der Königin von
Polen gröblich insultiert, was viel Aufsehen erregte ^k Im
übrigen hoffte Strein auf die Zukunft, nämlich auf die
1) Alles spätere Zurückgreifen der Stände auf angebliche Zu-
geständnisse Maximilians, welche über das in der Assekuration
Gewährleistete hinausgingen, mußte notwendig scheitern; wo eben
nur der Buchstabe galt, nicht aber der Geist bei der Auslegung der
Assekuration, — da zogen die Stände notwendig den kürzeren, es
sei denn, daß sie Gewalt angewendet hätten. Solches hat Bibl in
seinem Werke. „Die Einführung der katholischen Gegenreformation
in Niederösterreich durch Kaiser Rudolf II. (1576—1580)", Kap. 6
klar bewiesen
2) 1. c. vgl. Bibl, Die Organ, d. ev. Kirchenwesens etc., S. 45.
3) S. Bibl, a. a. O. S. 46.
— 318 —
Neigung des Kaisers, eine andere Assekuration mit günstiger
Erledigung obiger zwei Punkte zu bewilligen. Der Grund
des Zauderns lag übrigens, wie Strein den Ständen offen
sagte, am Kaiser selbst. Derselbe habe sie „in einer Sorg
erhalten" wollen, in der Hoffnung, sie dadurch seinen weiteren
Forderungen gefügig zu machen und etwaigen Übergriffen
bei der nunmehrigen Ordnung ihrer Religionsangelegenheiten
einigermaßen zu steuern ^).
Diese Politik des Zauderns, ein altes Übel bei Maxi-
milian, tritt auch hier hervor. Durch solches Anstreben einer
Mittelstellung zwischen den streitenden Glaubensbekennt-
nissen geschah nichts Ganzes und Entscheidendes, ohne daß
man sagen darf, Maximilian habe mit welscher Schlauheit und
diplomatischer Kälte gehandelt. In einer Zeit aber, wo ent-
schiedene Parteinahme und energisches Handeln am Platze
war, brachte solche Zauderpolitik nur Verwirrung mit sich
und verletzte beide Glaubensparteien. Zwar ist er niemals,
wie seine Verwandten in Erankreich. oder in den Nieder-
landen um diese Zeit, gewaltthätig vorgegangen. Es ehrt
ihn vielmehr, daß er die Gewaltthat in Religionssachen
höchst verwerflich fand und sich als Gott verantwortlich
für seine Thaten fühlte. Dennoch aber hätte er in den
eigenen Ländern unmittelbar, in den Ländern seiner Brüder
mittelbar, wohl der Wucht der protestantischen Strömung
nachgeben dürfen, um, falls er nur um seine eigene Person
1) Dieses gleiche Motiv wird Maximilian auch zugeschrieben
in einem Briefe Urbans von Passau an J. J. von Salzburg vom
23. Nov. 1671. Derselbe berichtet von zwei Audienzen bei Maxi-
milian und hebt die Einschränkungen hervor, welche der Kaiser in
der Unterredung gemacht, u. a. die Jurisdiktion der Bischöfe werde
er nie antasten lassen, die Agende sei hauptsächlich gegen die sek-
tischen Prediger zu benutzen, damit solche abgeschafft werden könn-
ten. Maximilian sähe — und das glaubte er ihm — in dem ganzen
Handel eine Machtfrage ; ähnlich wie 1566 in dem Handel mit dem
Kurfürsten (Friedrich IH. von der Pfalz), so hier gegenüber den
Ständen (Hopfen, a. a. O. S. 358).
- 319 —
und Familie weniger besorgt gewesen, sich den ewigen
Dank der Mitlebenden wie der Nachwelt zu erwerben ^j.
Die offizielle Ausfertigung mit des Kaisers Unterschrift
und Siegel haben wir auf den 14. Januar 1571, und zwar
von Prag aus, zu stellen. Strein nahm die Urkunde ent-
gegen, zugleich mit einem Dekret, in welchem ihm mitgeteilt
wurde, daß dem Ansuchen wegen Abfassung eines Doctrinal
unter obigen Beschränkungen willfahrt werden würde. Diese
hochwichtige Angelegenheit verlief in aller Stille. Nur die
Stände erfuhren davon.
1) Eins der interessantesten Zeugnisse für Maximilians hohe
Denkungsweise bietet ein Schreiben desselben an Lazarus Schwendi ;
s. Janko, Lazarus Schwendi, 1871, S. 94:
„Leider (daß es) auf dieser Welt dermaßen zugeht, daß einer
dabei wenig Lust und Ruhe hat ; aber Widerwärtigkeit, Untreu, Unehr-
barkeit ist überall vollauf. Ja es wäre kein Wunder, daß einer bei
diesem Wesen gar blitzblau und toll würde, davon viel zu schreiben
wäre. So viel die unredliche That, so die Franzosen mit dem
Admiral und den Seinigen tyrannischer Weise erzeigt haben, be-
rührt, die kann ich gar nicht loben und hab es mit herzlichem
Leid vernommen, daß sich mein Tochtermann zu
einem solchen schändlichen Blutbad hat bereden
lassen. Doch weiß ich so viel, daß mehr andere Leute
als Er Selber regieren .... Wollte Gott, er hätte mich um
Eat gefragt, und Gott verzeihe denen, so daran schuldig . . . Und
ist in der Wahrheit nichts anderes, als wie Ihr vernünftig
schreibt, daß Religionssachen nicht mit dem Schwerte
gerichtet sein wollen und behandelt werden. Kein Ehr-
barer, Gottesfürchtiger und Friedliebender wird es anders sagen . . .
Was aber das niederländische Werk betrifft, das kann ich
gleich so wenig loben. Ich hätte es gern gesehen, daß diese Länder
nicht so jämmerlich wären verderbt worden ... In Summa, Spa-
nien und Frankreich machen es, wie sie wollen, so werden sie
es gegen Gott, den gerechten Richter, verantworten müssen. Ich
will, ob Gott will, für meine Person ehrbar, christlich, treu und
aufrichtig handeln. Und wenn ich das thue, bekümmere ich mich
um diese böse heillose Welt gar nichts." Nach Cratos Oratio fune-
bris de Divo Maxaemiliano IL p. 16 erklärte er dem Bischof von
Olmütz : er halte es für eine der größten Sünden, über die Gewissen
herrschen zu wollen.
— 320 —
Freilich erging die Bewilligung, entgegen den Hoff-
nungen des Herrn von Polhaim, nur an das Erzherzogtum
unter der Enns. Die armen oberösterreichisclien Stände
gingen leer aus. Sie erhielten trotz aller Bemühungen
keine Religionskonzession, und alle Zugeständnisse waren
nur kraft mündlicher Zusage, und nicht verbrieft und
versiegelt. Neben dem Adel freilich wurden hier auch
die sieben Städte der Zugeständnisse stillschweigend teil-
haftig 1). Der Adel verfaßte zwar selbständig eine Petition
um eine besondere Konzession des evangelischen Gottes-
dienstes, aber die Städte waren nicht für ein gemeinsames
Vorgehen zu haben. Der Adel ließ nun an Maximilian
eine eigene Agende gelangen, aber noch in seinem Todes-
jahr am 9. März 1576 ward den oberösterreichischen Ständen
der Gebrauch einer aparten Agende abgeschlagen und ihre
Vereinigung mit den niederösterreichischen empfohlen. Sie
weigerten sich dessen, weil ihnen die niederösterreichische
Agende zu viel Ceremonien enthielt. Noch ein zweiter
Versuch in dieser Richtung blieb ebenso fruchtlos. Auf
dem Landtage, im April 1576, wurde die Beratung einer
Kirchenordnung nochmals zur Hand genommen, welche der
Prediger Georg Khun entworfen hatte ^j. Nachdem Sig-
mund von Polhaim dieselbe einer besonderen Revision
unterzogen hatte, wurde sie nach Wien gesandt. Den An-
tragstellern wurde aber darüber keine Antwort erteilt. Die
endgiltige Publikation einer Kirchenordnung, und zwar
namens der drei evangelischen Stände (Herren, Ritterschaft
und Städte), datiert vom 5. September 1578 ^). Eine ober-
österreichische Agende wurde erst 1617 in Tübingen ge-
druckt, ist aber nie genehmigt oder Gemeingut geworden
1) Oberleitner, a. a. O. S. 22 und ausführlicher Otto, a. a. O.
S. 25 ff., 55 ff.
2) Vgl. Oberleitner, S. 31.
3) S. Oberleitner, S. 80 f.; vgl. Chyträi Epp. 1183; Eaupach
II, S. 312 f. Sie enthält nur kurze Normen für das Notwendigste.
- 321 ~
und überaus selten; keinesfalls ist sie von Khun verfaßt^).
Im Landhaus galt die Agende von Veit Dietrich, in den
anderen Gemeinden die bisher üblichen.
Die niederösterreichischen Stände richteten sich nun
auf Grund ihrer Agende häuslich ein und reinigten ihre
Besitztümer auf dem Lande und in den Märkten von
katholischen Gebräuchen. Die Pfarrer, wenn sie sich nicht
zur Augsburgischen Konfession bekennen wollten, wurden
durch evangelische ersetzt, und die Herren selber nahmen
nun das Kirchenregimeut in die Hand als magistratus und
dazu vom Kaiser bevollmächtigte oberste kirchliche Be-
hörde. Die Agende erkennt besonders im Artikel von der
Kirchenzucht die „Religionsdeputierten" als oberste Instanz
in Kirchensachen an. Von den zwei Ständen der Herren
und Ritterschaft wurde auch die Vorrede zur Agende er-
lassen. Für diese zwei Stände wurde auch im Kirchen-
gebet (Agende No. X) gebetet.
Der Lärm seitens der Katholischen nach der Aus-
fertigung war ein gewaltiger. Der Passauer Offizial Halden-
berger hatte rasch davon Kenntnis erhalten und bat am
13. Februar, man möge der Agende nicht die Kraft bei-
legen, Superintendenten und Konsistorien errichten zu
dürfen, vielmehr diese Agende abschaffen ^). Schon am
26. Oktober 1569 hatte Philipp IL von Spanien über An-
1) Eaupach IV, S. 393 ff. Da M. Georg Khun, erster Landhaus-
prediger in Linz, einen Haupteinfluß hatte, der Graz wegen seiner
Opposition gegen Chylräi Kirchenordnung verlassen mußte, so ist
offenbar, daß der Einfluß der flacianischen Richtung in Ober-
österreich nicht unbedeutend war, wie denn auch Haubold und zeit-
weise J. F. Cölestin zu jener Zeit in Eferding waren. An der Spitze
dieser Richtung standen Rüdiger von Starhemberg und Sigmund
von Polhaim, welche, wie Oberleitner mitteilt, ihre Geistlichen gegen
jeden Verdacht des Manichäismus d. h. des Flacianismus schützten.
2) Klosterratsakten bei Wiedemann, I, 367. Bischof Urban
von Passau (Hopfen, a. a. O., S. 358) giebt schon im November 1571
die damalige Zahl der evangelischen Pfarrer auf 125 an, die der
kathoUschen auf 500. So rapid hatte sich die Zahl der Pfarrer gehoben.
21
— 322 —
reeuno; seines Gresanclten ein scharfes Schreiben an Maxi-
milian gerichtet, doch seine Bemühungen waren vergebens.
Der Kaiser antwortete höflich, ließ sich aber nicht von
seinem Vorsatz abbringen. Philipp selbst hätte besser ge-
than, Maximilians Beispiel den Niederländern gegenüber zu
folgen, als in Osterreich abzumahnen. Dann hätte er dem
Aufstand (1572) vorgebeugt und die reichen Provinzen des
Nordens behalten.
Eine Wohlthat für die österreichische evangelische
Kirche war, daß die Aufnahme der Agende auf geringeren
Widerstand stieß, als zu erwarten war. Abgesehen von
dem S. 300 angegebenen Widerstand gewisser Adeliger,
opponierten hauptsächlich Theologen.
Magdeburgius mit seinem Anhang verhielt sich ruhig,
obschon er sich fünf Jahre früher übel genug gegen Reuter
ausgelassen i) und denselben überhaupt in Briefen an Gallus
verklagt und geschmäht hatte, — worüber Reuter noch
1568 sich bitter ausläßt. Auch Waldner lehnt in einem
Brief an Reuter vom 9. Mai 1573 ^) alle Gemeinschaft mit
jenen ab, welche sich verwerfend über die Agende geäußert
hätten. Die zwei Stände, 82 Mitglieder an der Zahl, er-
klärten am 3. Febr. 1572 feierlich, daß sie die Agende un-
geachtet aller Mängel, die jetzo dawider von etlichen
eingekommen, nach wohlbedächtiger Beratschlagung an-
genommen, bei ihren Kirchen ins Werk richten und dabei
bleiben wollten^).
1) Vgl. „die notdürftige Erinnerung an den christlichen Leser"
hinter seinem Bekenntnis v. J. 1566, woselbst Magdeburgius besonders
Reuter vorwirft, er habe wegen des Wuchers seine Unterschrift zu-
rückgezogen, um seinen Patronen hierin zu Willen zu sein.
2) R. A. Eccles., No. XXVI, Z. 84.
3) Bibl, a. a. O. S. 73. Am 19. November 1571 war bereits
eine dringende Zuschrift der Deputierten an die Stände ergangen
mit dem Ersuchen, falls sie oder ihre Prädikanten in der Agende
„einige Irrung oder Mängel" fänden, dieselben „inner vier Wochen
rückhaltslos und vertraulich zu vermelden" und auf ihre Prädikanten
— 323 -
Insbesondere zwei aus Magdeburg Vertriebene aber,
Wilhelm Eccius und M. Peter Eggerdes ^) widersetzten sich
der Agende überhaupt, die ihnen ein Rückfall zu sein
schien, im Widerspruch mit Galater 2 Vers 18, — eine
Stelle die auch Gallus öfters citierte, um vor unnötigen
Ceremonien zu warnen. Reuter klagte bereits am 21. Okt.
1568 über sie an Gallus und erwähnte, daß auch 5 — 6 von
seinen Herren ^) gegen die Agende wegen der zu erwarten-
den Ceremonien seien. Auch die Evangelischen von St.
Polten wollten, wie er bemerkt, „Meßgewandt vnd lichter
nimmer annehmen".
Eggerdes, der ehemalige Gothaer Superintendent, und
Eccius verbanden sich mit Philipp Barbatus ^j, von ihren
bisherigen kirchlichen Gebräuchen nicht zu weichen. Sie
richteten eine ausführliche Streitschrift gegen die Agende,
wurden jedoch mit Spott zurückgewiesen. Es erging eine
Gegenschrift unter dem Titel : „An die hocherleuchten
Mennern vnd Ausbund aller Frösche, so wider die Öster-
dahin zu wirken, daß sie sich inzwischen aller Disputation und i^n-
griffe auf dieselbe enthalten möchten. Die Antworten der Herren
und Prediger hat der Kopist in diesem Zusammenhange mitzuteilen
unterlassen. Daß Eeuter allein zu Rate gezogen war, verstimmte
wohl am meisten, wie auch Chyträus meint.
1) S. Preger II, S. 246. Beide wollten sich nicht zur Befolg-
ung des „Lüneburger Mandats", das der Hat angekündigt verstehen
und agitierten mit Heshus dagegen, weshalb sie ausgewiesen wurden.
2) Mach dem Cod. 8314 der k. k. Hofbibliothek Fol. 22 wurde
an 37 Herren die erwähnte Zuschrift gerichtet.
3) Diesen Philipp Barbatus brachte Thomas Molitor mit nach
Augsburg und empfahl Ihn an Jonas Frankus, der ihn dem Herrn von
Celting (Zelking) zuführte, von dem er „zur Versorgung der Kirchen
und seiner Unterthanen" nach iSyrendorf berufen und behufs Examens
und Ordination nach Eegensburg gesandt wurde, versehen mit einem
Schreiben des genannten Frankus vom 7. Juli 1566 (R. A. Eccles.,
No. III, Z. 12). Er wurde später des letzteren Schwiegersohn und
schrieb auch eine Auslegung des lutherischen Katechismus, die ins
Slovenische übersetzt wurde (Jb. der Ges. f. Gesch. des Prot., 1901.
I u. II, S. 54). Eccius schrieb eine Confutation des Koran.
21*
— 324 -
reichische Agenda das neheste Jar geköket haben (Egger-
des, Eck und Barbatus). Anno MDLXXIL"
Der Inhalt der Streitschrift, welche jene drei tüchtigen
Prediger — vielleicht auch mehrere — verfaßten, ist nur
indirekt aus dem Briefe Chyträi i) „an die Prediger in
Österreich" zu entnehmen. Jenen Kritikern war schon
obenan mißfällig, daß die Deputierten die Agende mit dem
Kaiser, der kein Glied, sondern ein Gegner der wahren
Religion sei, vereinbart hätten und daß Gebete für ihn vor-
geschrieben seien. Ferner tadelten sie, daß in dieser Agende
die sonst in solchen Kirchenordnungen übliche Antithese
gegen den Papst oder andere Irrlehren (sectae) fehle.
Auf letzteren Einwand konnte Chyträus mit Recht erwidern,
daß es sich hier um eine Agende , also um Riten und
Ceremonien, nicht aber um ein Lehrbuch oder Doctrinale
handle. Er verwies darauf, er habe selbst gewünscht 2),
daß ein solches Buch, in welchem Bezug auf die Apologie,
die Loci theologici (Melanchthons), die schmalkaldischen
Artikel genommen wäre, unter Widerlegung des Papstes
und anderer Sekten, publiziert würde, was aber auf spätere
Zeiten vertagt worden sei, und, wie wir hinzufügen, glück-
licherweise nie ins Leben getreten ist. Eerner bemängeln
jene Kritiker der Agende in dem Stück von der Beichte, daß
hier in den gestellten Prägen auf den guten Vorsatz,
sich zu bessern, Nachdruck gelegt werde, was auf die nova
obedientia (den neuen Gehorsam) führe und mit Luther und
der A. C. streite. Hierauf erwidert Chyträus, daß Melan-
chthon in der Apologie vom neuen Gehorsam rede, womit
freilich die Sache nicht abgethan war. Dieser „neue Ge-
horsam" hat höchst verwirrend in der Kirche gewirkt.
1) Epp. p. 964 ff.
2) Diesen Wunsch äußert er auch Epp. p. 448 dem Camerarius
gegenüber und •wiedermn 1574 vor seiner Rückreise aus Steiermark.
Daß sein Lehrbuch nicht angenommen ward, machte ihm bleibenden
Kummer.
- 325 -
Weiter behaupten sie , die Agende lehre, daß gute
Werke nötig seien, das Heil zu erhalten ( majoristisch), was
Chyträns verneint. In der Handauflegung bei der Kon-
firmation sehen sie einen römischen Usus ; auch wird über
die Beibehaltung des Namens Messe sowie der Lichter und
des Chorrockes geklagt , was Chyträus in jenem Briefe
richtig zu stellen oder zu erklären sich bemüht. Endlich
klagt (Epp. p. 973) ein Kritiker darüber, daß die potestas ex-
communicandi in letzter Instanz den evangelischen Religions-
verordneten zur Cognition vorgelegt werden solle — womit
also ein fremdes Element in diesen rein L.irchlichen Akt
hineinkäme. Damit ist die alte These des Flacius und
seiner Genossen, die bereits in den Thüringer Wirren auf-
gestellt ward — daß nämlich die Zucht rein Sache der
Kirche sei, wieder erneuert. Chyträus vertritt dem gegen-
über das Staatskirchentum.
Wir sehen, daß jene Gegner recht schwerwiegende Be-
denken gegen die Agende hatten. Sie waren in ihren Zielen
durchaus klar; sie wollten die reine Lehre bis ins Einzelne
auch in der Agende durchgeführt wissen, und da das Doc-
trinale noch fehlte, hielten sie sich an die Agende, um ihren
Widerspruch auch bei diesem x4.nlaß zur Kenntnis zu bringen.
Es war derselbe Standpunkt, welchen Gallus und Reuter
bei den Vorbereitungen der Agende eingenommen hatten ;
und es bewog sie der alte Gegensatz gegen den nicht un-
verdächtigen Chyträus zu solcher Kritik. Immer aber
waren solche Angriffe für die Zeit inopportun und hinderten
ein Werk, das für Österreich unerläßlich war und vom
Kaiser und der Majorität bereits gutgeheißen worden. Da
nun Eccius sogar, der Agende wegen, seine Gemeinde in
den Bann that, Eggerdes aber dem Landmarschall Rogen-
dorff samt seiner Familie und Dienstleuten aus demselben
Grunde das Sakrament verweigerte, so wurden beide ihres
Amtes entlassen. Eggerdes ward 1578 Prediger in Ant-
werpen und blieb bis ans Ende seines Lebens Andreas
Feind. Später mußte nochmals ein Prediger wegen der-
— 326 —
selben Renitenz gegen die Agende entlassen werden und
drei andere widerriefen, worüber der Cod. 8314 berichtet ^).
Ungern aber sehen wir diese Männer aus dem Lande
scheiden. Sie sind die Nachfolger des Flacius und Gallus,
die keine Konzessionen aus Opportunismus machten. Sie per-
horrescieren einen Mann wie Andrea, und Wilh. Eccius warf
dessen Buch, welches der Schlichtung der Gegensätze dienen
sollte, von sich, worüber Lucas Osiander aus Tübingen in
einem Briefe an Polycarp Leyser sich beklagt ^j.
Solche Leute also verwerfen wir nicht ; bei ihrer Kritik
der Agende hatten sie recht. Und Begeisterung für die
Agende hat sich in der That niemals in Österreich gezeigt.
Noch um 1600 finden sich Ortschaften, wo sie nicht an-
genommen war^).
Die Agende wurde sodann dem eigens dazu nach
Wien aus Eferding berufenen Johann Friedrich Cölestin
vorgelegt, der im Auftrag der Religionsdeputierten unter
Mitwirkung Reuters eine Apologie verfaßte, mit Zustimmung
der kaiserlichen Räte'^). Glücklicherweise wurde aber
diese Apologie auf Chyträi Wunsch, obwohl er sie billigte,
nicht veröffentlicht und damit Streit vermieden ^). In seinem
1) Vgl. Bibl, Die Organisation des evang. Kirchenwesens in
Österreich, S. 79.
2) Raupach, Presbyteriologie, S. 29 Note.
3) S. Eaupach 1, 122 f.; Chyträi Epp., p. 46; Otto, a. a. O. S. 51.
Den gleichen Protest, der sich sogar auf die Assekuration Maximilians
erstreckte, äußert der Übersender derselben, und zwar noch mn die
nämliche Zeit, als die Assekuration den Ständen ziun ersten Male
zuteil wurde (1570). Er begleitet den Text mit bitteren Bemerkungen,
die dem Verständnis des Gallus und seiner Freunde dienen sollen.
Unter Berufung auf Luther wird abgelehnt, daß für die christliche
Kirche in Österreich ein „Assecurator", wie es der König von Eng-
land (defensor fidei) sei, zuträgUch sein könne. Er tröstet sich dagegen
mit Ps. 93, 4 u. 2, 10 (E. A. Eccles. I, No. 26 Z. 251).
4) Über diese Apologie s. Brief Reuters an Waldner, d. d.
Stein, 20. Juni 1573 (R. A, Eccles., No. XXVI, Z. 96).
5) Vgl. Chyträi Epp., p. 224 u. Otto, a. a. O. S. 50. Pfarrer
Kühne kritisiert in seiner Schrift : „Die Häuser Schaunberg und
— 327 —
Brief an Cölestin finden sich scharfe Worte gegen die
"Wittenberger und Tübinger Akademie ^).
So kam denn der Kampf wider die Agende gegen
Ende des Jahres 1574 aus Mangel an Brandstoff zur Ruhe,
und Chj'träus konnte einem Greistlichen in Wittenberg mit-
teilen: Der Streit sei zum großen Teil beruhigt, wie er
vernommen habe ^). Das Gleiche bestätigt ein Brief der
Herren Leopold Grabner und Wolf Christoph von Enzersdorf
an Chyträus folgenden Inhaltes ^j :
Seine Nachrichten, daß man seine „Kirchenordnung"
hierorts in einen beschwerlichen Mißverstand gezogen habe,
was ihm zur Verkleinerung gereiche, seien falsch. Die
Agende sei vielmehr von der Majorität der beiden Stände
angenommen und wird „in der beiden Stände Kirchen,
Schlössern, Häusern und Gebieten wirklich gebraucht,
wie sie denn auch Sr. Majestät einen Revers ausgestellt
haben, daß sie diese Agende wirklich benutzen. Wenn
auch einer oder der andere Adelige aus Anreizung der
Starhemberg", S. 23 den hervorragenden Gelehrten J. F. Cölestin,
welchen auch Chyträus in dem oben erwähnten Brief höchst günstig
beurteilt, ungerecht und flüchtig. Nachdem er Deutschland 1573 ver-
lassen, stand Cölestin im Dienste Rüdigers von Starhemberg in Efer-
ding. Von dort ging er mit kaiserlicher Bewilligung (s. Bibl, S. 96)
nach Wien, woselbst er in den Dienst der evangeUschen Stände
trat und im Frühjahr 1578 im kräftigsten Mannesalter starb. Von
Leyser und dessen Anhang ist er natürlich verleumdet worden
(Leyser, Sylloge epp. Leipzig 1706, S. 238—240); auch Raupachs
Nachrichten über ihn in der Presbyterologie (S. 18) sind teils irrig,
teils parteiisch.
Sein Bruder Georg war Professor in Frankfurt a. d. Oder, den
Chyträus auf seiner Reise nach Österreich besuchte und der auch
später als Superintendent von den Ständen in Aussicht genommen,
dann aber doch wieder fallen gelassen wurde.
1) Von den Wittenbergern sagt er : es gefiele ihnen nichts, was
von ihm und Cölestin ausgehe. Die Tübinger verspottet er ob ihrer
Abendm ahlslehre.
2) Epp. p. 150.
3) Loserth, Die Beziehungen der steiermärkischen Landschaft
etc., S. 38.
— 328 -
zänkischen Prädikanten einige Mängel darin findet, so
hoffe man auch sie auf guten Weg zu bringen "
(Wien 1574, Jan. 16.)
Nachdem am 12. Oktober 1576 für den Protestantis-
mus durch Maximilians Tod die Hoffnung auf endlichen
Sieg abgeschnitten, so galt es jetzt nur noch, die Reste zu
sammeln. Und das geschah unter Gottes Beistand. Das
Kirchenschiff hatte gegen den Wind zu segeln. Der neue
Kaiser stand gänzlich auf Seiten des alten Glaubens, hielt
sich aber bei seiner Jugend vornehmlich an die alten Rat-
geber Maximilians, die den Vermittlungs- und Toleranzideen
zugethan waren. Weit entschiedener katholisch war sein
Bruder Erzherzog Ernst.
Die Hoffnungen, die man protestantischerseits allgemein
auf Rudolf setzte, waren groß, und die Lage der Dinge
war nicht ungünstig. Georg Eder schreibt am 1. Januar
1577 an den Oberhofmeister Adam von Dietrichstein: „Das
religionwesen ist alhie in 20 jaren übler nie gestanden
alls eben jetzo. Außer des hauffleins so die frummen
heiligen vatter der societas Jesu bis an hero auffgehalten,
ist es alles gefallen. Die sacramenta werden nicht mehr
bei der haupt und pfarrkirchen, sondern alle im ]andhaus
gesuecht und prophaniert. Also das bei S. Steffan etwa ain
gantz monat über zwai kinder nit zur tauff gebracht worden.
Unserer lieben voreitern stiften gehe alle zueboden, die
einkhummen ziehen die burger an sich und fachen allge-
mach an, was zue dem catholischen gotzdienst gewidmet,
auf die neue religion zue wenden. Darunder wirt der
clerus auch verfiert, das auch die hauptkirch in kurz zue
ainer wuesten werde, et haec nemo considerat^)".
Bei der Erbhuldigung am 1. Okt. 1577 versuchten die
zwei Stände ihre Bedingungen zu stellen und besonders
die Assekuration Maximilians auf Städte und Märkte zu
erstrecken, was aber, wie oben nachgewiesen worden, nicht
1) S. Hopfen, Maximilian II, S. 375.
- 329 —
bewilligt wurde. Es zeigten sich jetzt die Folgen jener
Halbheit Maximilians. In den Städten, die eben nicht in
die Assekuration Maximilians einbegriffen waren, ward die
Predigt des Evangeliums verboten. Was in Wien geschah, ge-
schah auch an anderen Orten; so in Brück a.d.Leitha, worüber
wir eine ausführliche, geradezu typische Darstellung in dem
Werke des Stadtschreibers Georg Khirmair ^) besitzen. Die
Kräfte des Protestantismus, so bedeutend sie auch waren, zer-
splitterten sich. Geteilt konnte man nicht siegen. Und
doch war noch 1575 der Wiener Stadtrat mit Ausnahme
von zwei oder drei Mitgliedern ganz protestantisch ^).
An der Hochschule herrschte die protestantische Partei,
welcher erst im Jahre 1579 ein energischer Gegner in der
Person des Kanzlers Kiesel ^) erstand. So konnten die
Protestanten in Wien es versuchen, beim Erzherzog Ernst
sich einen neuen Predikanten zu erzwingen. Am 19. Juli
des Jahres, als der Erzherzog aus der Kirche zurückkehrte,
wurde er von etlichen kniefällig um einen Prediger an-
gegangen. Die angesammelten Massen vor der Burg schrieen :
„Wir bitten ums Evangelium, ums Evangelium!" *) Und zur
Beruhigung mußte der Erzherzog die Mitteilung der Petition
an den Kaiser versprechen. Um so eifriger nahm sich nun
1) Die GegenreformatioD in der Landesfürstlichen Stadt Brück
a. d. Leitha, 1597 ; herausgegeben von Laurenz Pröll. Die Deutsch-öst.
Lit.-Gesch. von Nagl u. Zeidler lobt dieses Buch S. 502 folgender-
maßen : „Es liegt ein biblischer Hauch über dem Schriftchen, eine
Stimmung, wie sie damals die gesammte protestantische Literatur der
österreichischen Länder durchzittert." Im gleichen Werk findet sich
ein poetischer Nachruf aus jener Zeit auf die drei aus Brück ver-
triebenen evangelischen Bürger Scholz, Englhör und Khirmair.
2) Wiedemann II, S. 214 Note 1.
3) Ein Bäckerssohn aus Wien, erst protestantisch, dann, beein-
flußt durch den Jesuiten Georg Scherer, übergetreten und als Eene-
gat doppelt eifrig. Zuletzt war er aber unter Matthias den jungen
Erzherzögen doch nicht eifrig genug und wurde mit Gewalt entfernt.
4) Wiedemann, II, 213. ßibl, Einführung der Gegenreformation
etc. S. 140.
- 330 —
Kiesel der Gegenreformation an, und es wurde vor allem den
Städten das Verbot des „Auslaufens" zu den evangelischen
Predigern aufs neue eingeschärft. Daß eben Kiesel das
staatliche Gesetz für sich hatte, war der Anfang alles Un-
glücks für die wahren Christen, wie Khirmair bemerkt. Bei
einer so gutartigen Bevölkerung machten die Mandate und
die Überredungskünste eines Kiesel, wie uns das Wiede-
mann auf das eingehendste gezeigt hat, gi'oßen Eindruck,
Nur wo die Herren und Ritter zu sagen hatten, blieb die
kostbare Reformation in altem Ansehen.
Die Kirclienoi'duung in Innerösterreich.
Erzherzog Karl hatte bei der Erbteilung seines Vaters
Ferdinand I. Innerösterreich erhalten. Er trat anfangs
tolerant auf und machte seinen evangelischen Untertbanen
Zugeständnisse, die er nach der Lage der Dinge im Erz-
herzogtum innen nicht verweigern konnte. Gedrängt durch
die Türkennot und eigene Schuldenlast machte er von
1569 — 72 immer weitergehende Konzessionen, die ihn später
freilich gereuten ^). Für seine Person blieb er streng
katholisch und führte eine musterhafte Hofhaltung. Seine
Gesinnung nahm jedoch einen merklichen Umschwung durch
den Einfluß der Jesuiten und seiner Gemahlin, einer bay-
rischen Prinzessin. Zwar band die Pacification (1572) ihm die
Hände, aber durch die Berufung der Jesuiten nach Graz,
wobei er sich des Hofrates Dr. Georg Eder in Wien
bediente, wußte er dem immer gewaltiger vordringenden
Protestantismus einen Damm entgegenzusetzen. Am 12.
November 1573 wurde die Jesuitenschule in Graz eröffnet,
die bis 1566 zum vollständigen Gymnasium sich erweiterte
1) Vgl. Dr. Schuster, Fürstbischof Martin Brenner, S. 180,
Anm, 2 : der Brief aa den Papst, in welcheua er wegen seines Ver-
haltens gegen die Evangelischen um Entschuldigung bittet.
- 331 —
und 1578 bereits den Charakter einer Universität annahm,
die bald mit tüchtigen Lehrkräften versorgt wurde. Auch
der Eifer der Jesuiten in der Seelsorge übte Einfluß aus
auf die Katholiken in Graz und dann im ganzen Lande.
Fast mehr noch hat die am 26. August 1571 erfolgte Heirat
mit Anna von Bayern ihn beeinflußt, indem hiermit den
verhängnisvollen bayrischen Ratschlägen der Zugang ge-
öffnet wurde. Die Pacifikation hatte den Erfolg gehabt,
daß fast ganz Steiermark protestantisch geworden. Karl
versuchte nun seit 1578 den Ständen gegenüber einen
strengeren Ton anzuschlagen. Konnte er anch das einmal
Gewährte nicht zurücknehmen , wie es der Landtag von
1580 — 81 bewies, so lehnte er doch jede Erweiterung der
Konzessionen ab. Seine katholische Umgebung wußte die
bereits gemachten Zugeständnisse ihm zur Sünde zu machen,
und dazu halfen der Papst, Ferdinand von Tirol und die
Herzöge von Bayern. Er begann nun selbst die Auslegung
der Pacifikation in die Hand zu nehmen und verwies im
Oktober 1582 den Grazer Bürgern den Besuch des evan-
gelischen Gottesdienstes in der Stiftskirche. Damit war
der letztere auf die zwei Stände der Herren und Ritter-
schaft beschränkt. Es folgten nun immer strengere Ver-
ordnungen, um die Evangelischen zurückzudrängen, und
die Gewalt trat an Stelle der Toleranz. Besonders ein-
schneidend war der Befehl Karls, daß die ihm untergebenen
Städte und Märkte die Jugend auf keine andere als die
Jesuitenschule schicken sollten, und endlich trat dem Landes-
fürsten der bekannte Bischof Martin Brenner mit seiner
nie ermattenden Thätigkeit und Begeisterung zur Seite. So
hatte die Gegenreformation ihr Haupt bekommen, and man
lernte durch Brenners Thätigkeit die Tragweite des später
üblich gewordenen Ausdruckes kennen : jemand katholisch zu
machen, d. h. ihn zur Botmäßigkeit zwingen. Brenner
wirkte bis 1615 , seit 1589 auch unter Karls Sohn, Ferdi-
nand. Ihm hat Dr. Schuster ein Denkmal gesetzt, um das
wir die Katholiken nicht beneiden. Wir beschränken uns
darauf, aus unseren Akten etliche Streiflichter, die auf die
— 332 -
evangelische Kirche in Innerösterreich fallen, mitzuteilen.
Sie mögen zur Ergänzung von Loserths trefflichen For-
schungen dienen, für die wir Protestanten dem Grazer
Professor nie genug dankbar sein können.
In einem Briefe an Johann Friedrich Hofmann, einem
Führer des Protestantismus in Innerösterreich vom 21. Juli
1581 1) gedenkt Chj^träus des Umstandes, daß im verflossenen
Winter unter Hofmanns Auspizien eine Kirchenordnung
solle zu Stande gekommen sein, wie ähnlich vor drei Jahren
(1578) in Oberösterreich. Er habe den Sekretär Amman
gebeten, ihm die ganze Serie der Verhandlungen und alle
Schriften zu übersenden.
Erst 1581 also war die Kunde von der bereits am
20. Februar 1578 genehmigten Kirchenordnung, die doch,
im wesentlichen auf Chyträus zurückging, brieflich nach
Rostock gedrungen. Es ist das von vornherein ein deut-
liches Anzeichen, daß Chyträus auch in Steiermark um den
eigentlichen Ruhm seiner Bemühungen gekommen ist, indem
andere Männer, besonders Jeremias Homberger, die Sache
in die Hand genommen und zu Ende geführt haben.
Die Regensburger Akten befassen sich besonders mit
den ersten Regierungsjahren des Erzherzogs Karl , in
welchen Leute wie Bartholomäus Pica und Georg Khun das
des Wort führten, und wo, wie die Melissandersche Be-
rufung zeigt ( s. 0. S. 97 f.), oftmals Rat bei Gallus eingeholt
wurde. Man darf nicht behaupten, daß nur das Erzherzog-
tum Österreich, nicht aber die übrigen Erbländer an der
strengeren Richtung des Gallus und Flacius Anteil genommen.
Krain hatte vorlängst seinen Matthias Klombner, wie Steier-
mark seinen Pica, welche den Mittelpunkt der streng luthe-
rischen Richtung in ihren Ländern bildeten. Pica (latinisiert
für Elster) war ^) voll Eifers für Luthers Lehre ; er lebte seit
1) Chytraei Epp., p. 1183.
2) Loserth, Keformation und Gegenreformation in Inneröster-
reich, S. 49 führt außerdem das Faktum an, daß der alte Schul-
meister" früh den Samen des Evangeliums in Graz ausgestreut.
Dr. Schuster, Martin Brenner, nennt S. 227 den Namen Pica; es ist
^ — 333 —
1529 verheiratet in Graz, wie es scheint zuerst als Lehrer.
Gegen ihn schritt Ferdinand I. ein (1553) und zwang ihn,
Graz zu verlassen, worunter seine Gattin und er schwer
litten. 1558 kam er wieder ins Land und fand eine An-
stellung bei der landschaftlichen Buchhaltung, endlich als
Sekretär der Landschaft. 1559 verlor er seine Gattin. Er
widmete sich der Kirche und Schule in ausgezeichneter
Weise. Schon 1530 hatte er zu Graz eine Postille heraus-
gegeben unter dem Titel „Evangelischer Unterricht", welche
der damalige evangelisch gesinnte Landeshauptmann ver-
breitete 1). Von seinem späteren Einfluß auf die Kirche geben
die S. 103 f. angeführten Briefe an Gallus xiuskunft. Wir
lassen an dieser Stelle ein Schreiben des Freiherrn Maximilian
Rupp von Pfeilberg folgen, der fast in jedem Briefe Picas an
Gallus erwähnt wird und der die ihm zukommenden Briefe
aus Regensburg seinem Schwager, einem angesehenen Richter
Namens Schneberger, mitteilt. Überhaupt haben Rupp und
Pica den brieflichen Verkehr mit Gallus am frühesten unter-
halten. 1569 ist der Sohn Rupps in Regensburg, dessen
Erziehung den dortigen Freunden durch Pica im Auftrage
des Vaters und der Mutter ans Herz gelegt wird.
Unter dem 16. April 1565 schreibt Rupp an Gallus 2)
und bezieht sich auf frühere Briefe, denen er nach langer
Pause diesen folgen lasse. Er meint auch, daß Gallus ge-
nugsam wisse, wie es zu Graz stehe; „wir sein Gotlob in
vnser chlainen Cristlichen Kirchen .... vnangefochten."
Er erwähnt des Begräbnisses ihres alten Geistlichen (Bal-
aber nach Peinlich M. Hueter gemeint. Für die Schulverhältnisse
in Graz überhaupt vgl. das verdienstUche Werk von Peinlich, Die
evangelische Stiftsschule zu Graz (Programmschrift des Gymnasiums,
1866).
1) Vgl. Eosolenz, Gründlicher Gegenbericht auf den falschen
Bericht und vermainte Erinnerung Davidis Rungii von der Tyran-
nischen Bäpstischen Verfolgung des h. Evangelii in Steyermark,
Kärndten und Crayn, Graz 1606, Blatt I22b. Diesem Rosolenz wird
solches Werk vom Fürstbischof D. Schuster als Hauptverdienst an-
gerechnet S. 606.
2) R. A. Eccles., No. XXIII, Z. 46.
— 334 -
thasar Schelchinus) i), der gottselig aus dieser Welt ge-
schieden und letzten Freitag in seiner Kirche unter dem
Predigtstuhl, in Anwesenheit etlicher Regenten und der
Ansehnlichsten des Landes, unter großem Trauergeleite, be-
stattet worden sei. „Sonst ist noch neben seiner Ain Crisst-
licher gueter Predicant" (jedenfalls Georg Khun). Rupp
erwähnt ferner, daß die Landschaft Krain den Befehl er-
halten, „den Gesalbten, frumen Herrn Primusn (Trüber) aus
dem Land zu thun", weshalb die Landschaft sechs Gesandte
(je zwei aus jedem Stande) nach Wien und Graz gesandt
wozu Gott Gnade geben möge, auf daß „Ir Kirchen, welches
Gottes Kirchen ist, erhalten bleibe". Am Sonntag vor Pal-
marum, fährt er fort, sei in Steiermark das Sakrament
unter beiderlei Gestalt publiziert worden 2). „Aber Ihr
khundt gedenken, waz die Babstlich Meß schafft". Auch
hier tritt der Widerwille gegen diese halbe Maßregel hervor.
Gern hätte er darüber „ain Tractätl" von Gallus' Hand
gesehen und wai'te noch, ob dasselbe erfolgen werde. Der
Brief endet mit der Bitte, den Herrn Hlyricus treulich zu
grüßen, und übermittelt seinerseits die Grüße von M. Barthol.
Pica, „vnd thue vnß alle dem lieben Got vnd noch daneben
In Eur Crisstlich gepett beuelhen".
Wir stehen hier noch inmitten jener guten Zeit, da
die Kirche sich auferbaute ohne Ärgernis und Streit, einer
1) Über Schelchinus vgl., was bereits Pica über ihn gemeldet,
S. 103 f. Von ihm, der seit 1525 verheiratet war, berichtet Dr.
Schuster, a. a. O. S. 140, daß er dem Bischof von Seckau, Petrus
Persicus 1555 ins Gesicht sagte, daß er sich um ihn und sein Inter-
dikt bezüglich der Kommunion unter beiderlei Gestalt nicht kümmere.
Als dem Schelchinus vom Stadtpfarrer Andreas Gigler die Bitte, in
der Pfarrkirche zu predigen, abgeschlagen wurde, lieh Jakob von
Eggenberg die ihm gehörige Kapelle an der Murbrücke nebst der
ganzen kirchlichen Einrichtung. Für ihn suchte die Landschaft in
Wittenberg um einen Nachfolger an ; die Antwort ist : sie hätten
nur junge (Loserth, Briefe und Aktenstücke, II. Teil No. 1). Vgl.
Peinlich, Programm v. J. 1869, S. 2, Note 4.
2) D. h. das päpstliche Breve vom 16. April 1564, was erst jetzt
Geltimg erhielt. Vgl. Dr. Schuster, a. a. 0. S. 141.
— 335 —
Zeit, da man Primus Trüber und Illyricus nebst Gallus in
Liebe umfaßte. Erst die von den Ständen verhinderte An-
kunft Melissanders, sowie die mangelhafte Rechtfertigung
dieses Schrittes hatten eine dauernde Entfremdung zur Eolge.
Von der Weise, wie diese Kirche schon zu Kaiser
Ferdinands Zeiten durch viele Hindernisse hindurch gedieh,
zeugen die Briefe Picas. Der früheste derselben ist vom
2. August 1559 ^) und zeigt, wie das Evangelium von der
Kanzel in Graz offen verkündigt und die Gemeinde auf
wunderbare Weise gesammelt wurde, während die Feinde
mit Gefängnis und Feuertod (carcerem et ignem) drohten.
Pica meldet, daß die Evangelischen fürchteten, die Rück-
kehr Ferdinands vom Reichstag werde für sie wieder böse
Folgen haben. „Sed vivit Galileus ille, nos oremus." Kaplan
der Landschaft war der schon genannte Schelchinus, den
Delegierte der Landschaft, unter ihnen der Landeshauptmann
Pankraz von Windischgrätz, mit großem Nachdruck vor dem
Bischof verteidigten 2j. Neben diesem waren Andreas Lilko
aus Mähren und David Dullinger angestellt, zwei frühere
katholische Priester; Prediger an der Eggenberger Stifts-
kirche war Matthias Feldpacher. Mit dem Herrn Galler,
einem steirischen Adeligen, liest Pica eifrig die jenaischen
Schriften 3)j und mit großer Begier wird von den Herren
die Kirchengeschichte des Flacius erwartet, weshalb Pica
um sechs Exemplare, lateinische und deutsche, bittet. Er
redet auch von einem sehr sittigen Mündel des Herrn
Galler, Tochter eines Ratsherrn, die er in zweiter Ehe zum
Weibe nehmen wolle. Ein späterer Brief vom 6. Januar
löGS"*) schildert in frommen Worten das viele Elend,
welches auch diese Ehe infolge von Krankheit und Pest
mit sich brachte. 1564 verlor er zwei Söhne und eine
1) R A. Eccles., No. XVIII, Z. 77.
2) Loserth, a. a. O. S. 115.
3) Gemeint ist besonders das Konfutationsbuch der Fürsten
von Weimar vom Jahre 1559, welche Schrift auch als Lehrnorm in
der steirischen Kirchenordnung vom Jahre 1578 angeführt wird.
4j R. A. Eccles., No. XV, Z. 4L
— 336 -
Tochter Judith, von denen er gehofft, sie würden nützliche
Werkzeuge in der respublica christiana werden. Von seinen
sechs Kindern blieb ihm nur eine Tochter Elisabeth. Er
bittet Grott um Linderung seiner und des Landes Plagen
(Brief vom 3. April 1564) i).
Bei den Ständen stand Pica in solchem Ansehen, daß
er (nach einem Briefe vom Juli 1566)2) j^i Abwesenheit des
Quästors der Landschaft dessen Amt vertrat. Er hilft
Glaubensgenossen zur Verbesserung ihres Einkommens;
z. B einem gewissen Prunner (Putreus), der Gallus grüßen
läßt. In einem Briefe vom 16. September 1568 3) erwähnt
Pica, daß er des Gallus' Brief zugleich mit etlichen Schriften
dem „edlen Baron von Windischgrätz" überreicht, der in
aller Namen, besonders auch seiner Kollegen, der übrigen
Septemvirn, aufs angelegentlichste Dank sagen lasse. Es
werde dankbar aufgenommen werden, wenn Gallus sich das
Wachstum der kleinen Kirche auch weiter wolle angelegen
sein lassen. Wegen des Zustandes der Grazer Kirche
beruft er sich auf M. Georg Khun, den er gebeten, über
alle Einzelheiten zu berichten, woraus Gallus die Lehre und
die gegenwärtigen Ceremonien entnehmen könne. „Cunius
lehrt treu und fleißig (seit 1564), er bedarf eines Ratgebers;
möeest du ihn nach deiner Autorität ermahnen, er wird
sich gern deinem Urteil und Ausspruch unterwerfen.
Möchten wir doch einen dritten Geistlichen, und zwar einen
geschickten erhalten, denket darüber nach! Daß du
schreibst, lieber Gallus, euer Name sei bei etlichen verhaßt,
das muß euch wenig kümmern. Es lebe die Wahrheit,
wenn auch die ganze Welt untergeht. Unsere Hofleute
pflegen allerlei gehässige Dinge auszustreuen , besonders
die österreichischen. Wir aber wollen uns in aller Be-
scheidenheit vertheidigen." Er hofft, daß das Altenburger
Gespräch (1568—69) zur Förderung der Einigkeit der ver-
1) R. A. Eccles., No. XXIII, Z. 107.
2) E. A. Eccles., No. XIV, Z. 81.
3) E. A. Eccles., No. XXXVI, St. 51.
— 337 -
wundeten Kirchen dienen möge; die Uneinigkeit betrübe
viele Herzen. Er bittet die Regensburger, daß sie un-
parteiisch raten möchten; sie selbst wollten inzwischen
beten. Auch wird die mehr als türkische Grausamkeit
Albas, des bösen Instrumentes (organi), das Gott strafen
möge, erwähnt. Was darüber am Hofe erzählt werde, könne
man nicht brieflich mitteilen. Am 20. April 1569^) berichtet
Pica, daß man täglich die Rückkehr Erzherzog Karls aus
Spanien, woselbst er ein Jahr verweilt, erwarte. Anspielend
auf Terentii Andria Vers 73 befürchtet er sehr, daß diese
Andria (er meint Spanien) Übles mit siel bringen werde.
Gott aber vermöge den Rat der Gottlosen zu vernichten.
In seinem letzten Briefe an Gallus vom 25. Januar 1570''*)
deutet Pica sein Urteil über den Novembei'landtag von 1569
nur an, indem er auf des Buchführers Grünmeister münd-
lichen Bericht verweist. Er seufzt über die unglaublichen
Lasten, welche durch Übernahme der Schulden des Erzherzogs
auf die Landschaft kommen würden ^j. „Die Unsrigen haben
eine gewaltige Geldsumme zur Abzahlung verheißen. Der
Erzherzog hat dafür in Nachahmung seines Bruders in
Religionssachen Milderung, nicht aber völlige Änderung
versprochen (mitigacionem, non mutacionem Religionis). Das
allgemeine Klagen ist groß, aber sehr wenige bedenken den
Grund der Schwierigkeiten. Wenn wenigstens der evan-
gelischen Predigt eine Besserung des Lebens folgen würde
und die nötige Ordnung in Kirche und Staat, so würde
Gott zur Linderung der Not leicht bewogen werden. Aber
da man dies vernachlässigt und auch sonst die Verkehrt-
heit, der Undank und die Sicherheit in diesem zur Neige
gehenden Weltalter groß ist, so fürchte ich, daß binnen
kurzem ein bejammernswerter Zustand in diesen Gegenden
die Folge ist. Während wir zögern, wacht ein grau-
samer Eeind in unserer Nähe. Die Nachkommen mögen
1) E. A. Eccles., No. XXXVI, St. 145.
2) ß. A. Eccles., No. XL, Z. 27.
3) Loserth, a. a. O. S. 15(i.
22
— 338 -
sich hüten; wir Greise eilen freudig dem Hafen zu. Viel
und mannigfaltig sind die Pläne der Unsrigen, um aus den
Schwierigkeiten herauszukommen, aber da jene Hauptquellen
der Schwierigkeiten nicht beachtet werden, so kommen die
meisten Beratschlagungen zu keinem guten Ende. Sed piscis
ut scis a Capite foetet" ^).
Pica und Klombner waren Gönner der aus Jena Ver-
triebenen : Placius, Krell, Melissander und J. F. Cölestin.
Wir haben bereits oben (S. 97 — 105) gesehen, welchen
Widerstand sie dabei fanden. Die gewiegtesten Kenner der
Lage prophezeiten schon damals, daß Melissanders Ab-
weisung böse Folgen für die Landschaft haben werde. Der
Jubel der Gegner, die Dekrete des Erzherzogs hätten die
krainischen Verordneten warnen sollen; das geschah nicht,
man folgte den Eatschlägen aus Württemberg.
Neben Pica sind in Steiermark als namhafte Protestan-
ten noch Erasmus und Pankraz von Windischgrätz zu nennen.
Ersterer wird von Khun in einem Briefe an Gallus (Graz,
8. November 1569)2) ^Is größter Förderer der reinen Reli-
gion bezeichnet, der aber leider, durch Krankheit bewogen,
in Kärnten wiederum seinen bleibenden Aufenthalt nehmen
wollte, wodurch, wie Khun bemerkt, der steirischen Kirche
eine große Säule entfallen würde. „Es wil nit alles apud
omnes zamen klingen wie es sei, lest sich nit alles schreiben."
Mit diesen Worten berührt Khun den seit lange offenbaren
Antagonismus zwischen der strengen und milderen luthe-
rischen Richtung 3), welcher in der Melissanderschen Be-
rufungsangelegenheit grell hervortrat. Je mehr draußen im
Reich der Flacianismus an Boden verlor, desto gehässiger
verhielt man sich auch in Innerösterreich gegen seine Partei-
gänger, ohne zu begreifen, daß man auf diese Weise die
so nötigen wirklich begeisterten Männer aus der Kirche
entfernte oder ihren Zutritt verhinderte, die allein den
1) d. h. das Verderben fängt am Haupte an.
2) R. A. Eccles., No. XXXVI, St. 187.
3) Vgl. oben S. 99.
— 339 —
schlagfertigen Jesuiten hätten Widerstand leisten können.
Georg Khun wollte es nicht gelingen, trotz mehrfacher
Aufforderung seitens der evangelischen Landesverordneten
(septemvirij, geeignete Lexite „voll Ernstes und Gelehrsam-
keit" ins Land zu ziehen, nachdem er selbst mit seinem
Diakon nicht mehr der Last der Arbeit gewachsen war.
Solange Pica und Gallus mit seinen Briefen ihn mit ent-
sprechenden Ratschlägen unterstützten, hatte er einen festen
Halt^); dann aber traf er auf heimlichen oder offenen
Widerstand. Je günstiger die äußeren Verhältnisse sich
gestalteten, desto mehr accommodierte man sich den
Zeitverhältnissen und hielt die draußen ihres Eifers
wegen Vertriebenen aus Innerösterreich möglichst fern
Während also in Ober- und Niederösterreich die Elacianer
zunahmen, verhielt man sich hier gegen dieses für die
Kirche so notwendige Salz abwehrend. Der Zeitpunkt war
sehr ernst. Es begannen gerade die Einleitungen zu jeuer
schon erwähnten Pazifikation (1572), welche Dimitz^) die
„Grundlage für den rechtlichen Bestand der Kirche Inner-
österreichs" nennt, die Papst Gregor XIII. aber für un-
giltig erklärte. Am 11. November 1569 hielt Erasmus von
Windischgrätz im Namen und in Gegenwart aller evan-
gelischen Stände (auch angesichts zweier Eischöfe und vieler
Prälaten) vor dem Erzherzog jene berühmte, fast einstündige
Rede, in welcher er mit großer Beredsamkeit die Freigebung
1) Im Frühjahr 1570 hatte Gallus den Georg Autumnus, welcher
damals in Greiz (Thüringen) arg bedroht war wegen seiner flacia-
nischen Gesinnung, (vgl, S. 85) den innerösterreichisehen Ständen
dringend empfohlen. Er hatte sowohl Josua Opitz als auch Hau-
bold, beide damals in Eegensburg, zur Unterhandlung mit Autum-
nus benützt. Letzterer wäre gern gekommen, aber die Sache zer-
schlug sich (RA, Eccles., Ko. XL, Z. 18). Wohl aber kam Thomas
Mylius als Pfarrer nach Fürstenfeld, der Schwiegervater des M. Joh.
Holder und Freund des Lupulus in N.Ö. (vgl. S. 185). Mylius beruft
sich in seinem Briefe an Gallus auf seine Freundschaft mit Khun
(Z. 33) und klagt über die geringe Empfänglichkeit seiner Gemeine.
2) Dimitz, Kurzgefaßte Geschichte Krains, S. 71.
22^
— 340 —
der Religion beantragte. Khun berichtet in einem gleich-
zeitigen Briefe an Martin Waldner, Prediger in Öblarn i),
daß der Erzherzog nur mit mäßiger Aufmerksamkeit zu-
hörte, und vermutet, daß alles auf die lange Bank werde
geschoben werden ; er hofft aber auf Gott, der die Herzen
der Fürsten lenket.
Georg Khun, aus Nürnberg gebürtig, war zu jener
Zeit etwa 29 Jahre alt und ein großer, langer, starker,
braunbärtiger Mann ^). Er war der Schwiegersohn des be-
rühmten griechischen Lehrers Jakob Micyllus ^) in Heidelberg.
Aus seiner Vergangenheit wissen wir nur dies , daß er
durch Friedrich III. von der Pfalz nach einjähriger Wirk-
samkeit in Heidelberg seines Dienstes entlassen ward
(August 1560), und zwar als einer jener eifrig lutherischen
Geistlichen, die sich dem Mandat des Fürsten nicht beugen
wollten*). Er wandte sich hierauf nach Eßlingen. 1564 er-
hielt er auf Gallus' Empfehlung die Stelle eines Oberpfarrers
in Graz und war hier (wie er an Martin Waldner schreibt)
bald Zielpunkt des Hasses der Prälaten, während Pica (an
Gallus) des Lobes voll über ihn ist 5). Er zeigt sich durch-
aus bescheiden und wünscht in Anbetracht seiner Jugend
einen tüchtigen Gehilfen, den Gallus ihm aussuchen soll.
Sein theologischer Standpunkt wird dadurch gekennzeichnet,
daß, offenbar unter seinem Einfluß, die 1569 erschienenen
fünf Pacificationsartikel von der Rechtfertigung, von guten
Werken, vom freien Willen, von Adiaphoris und vom Nacht-
mal, welche Andrea auch nach Graz geschickt, die Zustim-
mung der evangelischen Stände nicht erhielten ^). Die
1) E. A. Eccles., No. XXVI, Z. 194.
2) So wird er bei Raupach, Presbyt., S. 78 beschrieben, nach
der Schilderung eines Gegners , des Propstes Jakob Rosolenz zu
Stainz, in dessen Schrift: „Gründlicher Gegenbericht etc.", Blatt 122.
3) Vgl. Adami, Vitae germ, philosophorum, p. 179.
4) Kluckhohn, Friedrich der Fromme, S. 74.
5) Vgl. über diese Zeit Loserth, Eef. u. Gegenref. in Inuer-
österreich, S. 137 ff,
6) E. A. Eccles., No. XXXVI, St. 187 und No. XXVI, Z. 194:
Briefe an Gallus und Waldner.
— 341 —
Hungersnot de.s Jahres 1569 schreibt Khun der Feindschaft
gegen Gottes Wort zu. Er hat eine Sammlung von Unter-
schriften unter die Augustana Confessio ins Werk gesetzt
und erwartet, daß Martin Waldner ihm mitteile, wo sich
jenes Exemplar jetzt befinde. Er beklagt die Haltung der
Schladminger, daß sie ihrem gelehrten Pfarrer — es war
der als Flacianer später vielgenannte Hasler — einen
Herumtreiber vorzögen ; sie würden dadurch nur der W^ahr-
heit Abbruch thun, den Feinden Freude machen und durch
ihren Undank die Predigt des Evangeliums verlieren. Es
handelte sich um einen aus Salzburg des Gefängnisses
entlassenen, wie es scheint, adiaphoristischen ehemaligen
Prädikanten. Khun wolle mit dem Herrn Johann Fried-
rich Hofmann darüber reden, damit derselbe zeitig ein
Einsehen habe ^). Er wünscht sich Verkehr mit Gleich-
gesinnten. Interessant ist auch seine Notiz über den
Bischof von Gurk, der ziemlich geschwätzig sei und an
etlichen Sonntagen vor einer nicht zahlreichen Zuhörer-
schaft predige, zu der auch der Erzherzog, einige Höf-
linge und gezwungenerweise einige Bauern gehörten.
Der Erzherzog, soweit er urteilen könne, sei nicht übel,
wenn nur die wenigen Räte besser von der wahren Religion
dächten. „Meine auditores", schreibt er an Gallus, „hoch
1) Dieser ältere Hofmann, Sohn des uns bekannten Adam, aus
der einfhißreichsteu Familie des Landes, wurde nach dem Zurück-
tritt Erasmus' von Windischgrätz vom öffentlichen Leben der Führer
der Protestanten in Steiermark. Mit ihm hatte Chyträus 1574 allein
zu thun; ihn preist derselbe in dem erwähnten Briefe vom 21. Juli
1581 als denjenigen, durch den die Religionssachen fast ausschließ-
lich geregelt worden seien. Hofmann gehörte der vermittelnden
Richtung an und hielt die strengen Lutheraner fern. Er unterstützte
schon 1564 die Sache der Gegner , indem er zu Steyr den Veit
Nuber, einen Hauptverleumder des Flacius, als Pfarrer hielt. Was
anfangs mehr ohne Kritik geschah, wurde allmählich zur Richt-
schnur der Kirchenpolitik in Steiermark; diese Schwenkung machten
die Pfarrer, z, B, Martin Waldner, mit, und die Flacianer wurden
verfolgt oder, wie in Kärnten, zur Ruhe verwiesen.
— 342 —
und niders stand, sein noch zimlich (Got sei die Ehr) be-
stendig, utinam eam constantiam semper retineant. Meine
gnedige Herrn urgiern, das man die Augsp. Confession im
gantzen Land frei predigen laß, sed laterem lavabunt" ^).
Khun wie auch Pica rühmen zwar die Stände, vermissen
aber bei denselben den nötigen Glaubensmut. Wie in
Krain bei der Melissanderschen Berufung, so nahm man
auch in Steiermark zu viel Rücksicht auf den Landesfürsten.
Zwar hatten (wie Pica am 13. März 1568 an Gallus schreibt) *)
die evangelischen Herren die Absicht, fünf gelehrte Leute
zu berufen und auf die fünf Distrikte des Landes zu ver-
teilen, um das Wort Gottes zu verbreiten, aber, wie er
meint, würden sie es kaum wagen. Gar sehr hatte Pica
für Dr. J. F. Cölestin sich verwendet 3), und Gallus hatte
dessen Schriften den Ständen übersandt, aber die Herren
witterten dahinter etwas Schreckliches, und so unterblieb
die Berufung, obgleich Gallus für seine Bemühungen eine
Gratifikation von 40 fl. und Cölestin 20 il. zur Abfertigung
erhielten ^). Zugleich drücken die Verordneten ihre volle Zu-
friedenheit mit „Magister Georgio Cunio, derselben an-
genumenen Pastoren" aus, mit welchem, wie nicht minder
mit seinem Diakon Veit (Mangk), sie und die ganze christ-
liche Gemeinde „gänzlich wohl zufrieden" seien. Es blieb
aber dabei, daß die Verordneten den von Pica angeratenen
Weg, sich gänzlich dem Rate des Gallus unterzuordnen,
nicht betraten, sondern, sobald sich die Gelegenheit bot,
eine Verbindung mit der mehr vermittelnden Richtung des
Chyträus suchten. Als Chyträus im Januar 1569 in Wien
1) Soviel wie: sie bemühen sich vergeblich.
2) E. A. Eccles., No. XXXVI, St. 7.
3) Er beruft sich dafür auf die Berichte, die der Buchführer
Grüenmeister dem GaUus mitteilen werde. Derselbe verkaufte seine
Schriften im Landhause.
4) Das hierauf bezügliche Schreiben der steirischen Landschafts-
verordneten an Gallus aus Graz vom 13. März 1568 findet sich in
den E. A. (Eccles., No. XXXVI, St. 12).
— 343 —
eingetroflfen , sandten sie Khun am 28. Mai zu ihm mit
der Bitte, er möge den Anschluß der innerösterreichischen
Länder an Xiederösterreich in Sachen der Kirchenordnung
erwirken — ein Wunsch, der erst 1574 in ganz anderer
Weise erfüllt wurde ^). Ob Khun solche Mission gern über-
nommen, ist nicht ersichtlich. In einem Briefe an Grallus
vom 26. Januar 1570 ^j äußert er sich schon geradezu lebens-
müde und möchte sich mit seiner Trau in ein Spital zu
Regensburg einkaufen, um sein Leben dort zu beschließen.
„ . . . Den vergangenen landtag ist, was die Religion
anlangt , souil ervolgt : I. F. Durchlaucht woll in illa
causa keineß gewissen beschwern. Sein Ir F. Durch-
laucht auf 15 jar neben den ierlichen (jährlichen) großen
ausgaben 10 tonnen gold zu abledigung deß Schuldenlast
bewilligt worden. Es hat der Adl auch die stedt vnd
flecken zu sich in die Confeßion zogen, aber ir F. D. nit
gewolt, ist doch in allen Schriften noch darauf drungen
worden, vnd also stecken bliben.
Osterreich hat meines erachtens vil mehr erhalten,
welchs gewis oder vileicht auch hie hett geschehen
mögen, was aber die vrsach der verhindernuß wird Grüen-
meister viva voce anzeigen, lest sich nit also schreiben. Ist
ein starcke occasion vbersehen worden, die man vileicht
in 15 Jaren nit mehr bekumen möcht. Vnser kirch steht
sunst Got hab lob noch aufrecht, nimbt durchaus nichts
ab, sunder eh zu ... . Warlich in der zeit, als ich hier
gewest (bin) sein manicherley practic auf der pan (Bahn)
gewest, die alein Grot, vnd nit vigilantia oder industria
Procerum et ordinum (der Herren und Stände; verhindert,
was furthin gschieht erklert die Zeit ..." Grüenmeister
soll weiter dem Gallus berichten, daß vor 14 Tagen der
interimistische Pfarrherr allhier, der kein harter Papist oder
Jesuitischer gewesen, schnell und schrecklich und ganz ohne
Trost gestorben. An dessen Stelle die Papisten „einen ge-
1) Loserth, a. a. O. S. 140.
2) R. A. Eccies., No. XL, Z. 4.
— 344 —
lerten und verkerten Jesuiter" werden hereini'ufen wollen.
Khun selbst fühlt sich krank und will abdanken , und
bittet Gallus um einen Nachfolger, aber nur ja keinen
Neuigkeitsbeflissenen oder Heimtückischen (vertumnus oder
ecebolus), „der vil schadn kunfftig thun möcht".
Als nun Chyträus 1574 nach Graz kam, hat er Pica
nicht mehr unter den Lebenden getroffen ; an seine Stelle
war der aus Siebenbürgen gebürtige Matthäus Amman als
Landessekretär gekommen, der sich gegen die flacianische
Richtung abwehrend verhielt ^). Khun hatte, nachdem er
von Picas und Gallus' Rat verlassen war, in den letzten
Jahren allerlei Zank und Mißhelligkeiten mit den evan-
gelischen Verordneten gehabt; er vermochte keine geeig-
neten Gehilfen heranzuziehen (wenn er auch etliche Prä-
dikanten aus dem Reich hereingebracht) und war auch mit
der Berufung des Chyträus nicht einverstanden. Er legte
derselben vielmehr allerhand Schwierigkeiten in den Weg.
Ob es der prinzipielle Gegensatz gegen Chyträus war, der
Khun zu solcher Opposition gegen seine Oberen reizte,
oder ob auch Herrschsucht dabei im Spiele war, ist dahin
1) Chytr. Epp., p. 531, 175, 164, 165, 879, 1090. Chyträus korre-
spondiert hier allein mit Amman und (nach seiner Rückkehr aus
Steiermark) noch mit Joh. Fr. Hofmann. Amman, an den Chyträus
sechs Briefe gerichtet, war früher Präceptor der Edelknaben bei
Ferdinand I., wurde dann Sekretär des Bischofs von Seckau und in
den Briefen erscheint er als Sekretär der Landschaft Steiermark
(1573), endlich (Anfang 1574) als Syndikus. Loserth (Die Refor-
mation etc., Beilage, S. 597) führt ihn als Mitglied der steirischen
Landstände A. C. an. Sein Einfluß war später überaus bedeutend
und errichtete er sich eine eigene Kirche, die dann zerstört wurde.
Ihm verdankt besonders die sogen. Stiftsschule, die am 1. Juni 1574
neugeordnet in das Eggenberger Stift übergesiedelt war, ihren Auf-
schwung. Die Rektoren dieser Schule waren: Hieronymus Osius
(1574—75), Phihpp Marbach (1576—79), Hieron. Peristerius (1580
— 85), Dr. Johann Papius (1586 — 94) und Johann Regius (1595 — 98).
Der ihnen untergeordnete Lehrkörper bestand aus 16 — 17 Personen.
Lange Zeit hielt diese Schule die Konkurrenz mit der Jesuitenschule
aus, die den gleichen Lehrplan hatte.
— 345 —
zu beantworten, daß beides unklar durcheinander spielte.
Er trat mit Energie ein für die bisherige Kirchenordnung
und mißbilligte überhaupt die neue Kirchenpolitik, wonach
man durch Chyträus' Berufung eine gründliche Besserung er-
hoffte. Aber sein Widerstand war maßlos und er mußte
das Feld räumen.
Wie es zu solcher Katastrophe kam, können wir nur
auf Grund der oben angeführten Briefe des Chyträus ver-
muten. Chyträus war, wie er selbst dem Herzog von
Mecklenburg 1573 meldet, vornehmlich zur Reformierung
der Landschaftsschule nach Graz berufen, damit dieselbe
nicht hinter der 1573 eröffneten Jesuitenschule zurückbleibe i).
In der That ward zuerst von dem evangelischen Ausschuß
der Landschaft die Reorganisierung dieser Schule in An-
griff genommen 2) und Osius auf Chyträi Empfehlung ins
Land gerufen, unter Gewährung besonderer Erleichterungen
bei Ankunft und etwaiger Rückkehr ins Reich. Auch der
Schulplan und die Ordnung der Stipendien wurde fest-
gestellt 3j. Schon wegen der auch theologischen Anlage der
Schule war der Bekenntnisstandpunkt nicht gleichgiltig ;
noch mehr aber wurde derselbe urgiert bei der zweiten
1) Epp., p. 544.
2) Vgl. den Brief Chyträi an die ßostocker vom 20. März 1574
(Epp., p. 322 u. 161). Neben Osius berief man Phil. Marbach zum Pro-
rektor der Schule, den Chyträus sehr belobt (Epp., p. 184). Dem
Osius war, wie Chyträus in einem Briefe an Eichard Strein schreibt
(^Graz, 19. April 1574; Epp., p. IGl) etUche Jahre zuvor in Wien
das Palatinat verliehen, d. h. das Eecht, gewisse Privilegien zu ver-
leihen und Verträge im ganzen Eeiche abzuschließen. Außerdem
war er Poeta Laureatus. In Eegensburg war er bis 15(38.
3) Vgl. Peinüeh, a. a. O. S. 15—20 ; über die Besoldung S. 22—25.
Die Schule bestand aus zwei Hauptabteilungen : einer Vorschule imd
einer aus vier Klassen bestehenden eigentlichen Schule, deren letzte
und höchste Klasse eine Art Hochschule war und deren Lehrer
„Professoren" hießen. In dieser Klasse lehrte der Pastor hebräische
Sprache und Theologie, d. i. Glaubenslehre. In der philosophischen
Abteilung wurde Logik, Metaphysik, Ehetorik, nebst den zwei klas-
sischen Sprachen und Mathematik gelehrt; bei den Juristen Justinian.
— 346 —
Aufgabe, der Herstellung einer Kirchenordnung ^). Anstatt
einfach bei der Pacifikation und Augustana vom Jahre 1530
stehen zu bleiben, kam man auf neue Dinge. Hier stießen
sich Khun und Chyträus gewaltig. Der Erstere verstieg sich
zum großen Erstaunen des Chyträus dazu die Unterschrift
auf das philippistische Corpus Doctrinae Misnicum zu
fordern. Es geschah das unter unklarem Vorwand ; im Grunde
aber wollte er wohl nur einen Zankapfel in die Verhand-
lungen werfen und deren Gang stören, wo nicht gar den Arg-
wohn des Erzherzogs wecken. Der Weisheit der Verordneten
gelang es, diese Klippe zu umschiffen und der Landesobrig-
keit jeden Vorwand zum Eingreifen zu entnehmen. Sie
entschieden, unter Khuns Zustimmung, die Sache dahin, daß
die heilige Schrift, die altkirchlichen Symbole, Luthers
Katechismus und die Konfession hinzugenommen würden
und die Declaratio (Norm der Lehre) auf Grund dieser
Schriften insgesamt verfaßt werde. Denn Luthers Schriften
seien, wie anerkannt wurde , durchaus nicht auszu-
schließen. Endlich wurde auch noch über die Ordina-
tion der Kirchendiener und die Ceremonien verhandelt, wobei
Chyträus sich nachgiebig zeigte, indem Khun keine latei-
nischen Gesänge und überhaupt weniger Ceremonien im
Gebrauch hatte.
In den folgenden zwei Monaten nun verlegte sich Chy-
träus, immer in Abwesenheit des G. Khun^j, wohl aber im Ver-
ein mit M. Thomas Mylius, damals Pfarrer von .Judenburg,
und anderen ihm dazu Beigeordneten auf die Ausarbeitung
jener drei Punkte, nicht ohne Seufzen über das schwere Ge-
schäft, und indem er Georg Cölestin im Herzen beglückwünscht,
daß derselbe schon aus Wien nach Frankfurt a. 0. habe
zurückkehren dürfen ^). Nach seinem Briefe an Am-
1) Chytr. Epp., p. 322 f.
2) Chytr. Epp., p. 169.
3) Vgl. darüber auch Bibl, Die Organisation des evang. Kirchen-
wesens, S. St) ff. Chyträus erzählt, daß Cölestin sich mit Lerch, dem
steirischen Eeisebegleiter, gezankt habe, einem Manne, der sich auch
mit Khun überwerfen (s. Chytr. Epp., p. 204).
— 347 —
man i) aus Graz vom 22. Mai 1574 hat Chyträus dann endlich
ein auf Grund von Melanchthons examen ordinandorum aus-
gearbeitetes Lehrgebäude (summa doctrinae;, unter Berück-
sichtigung der wohlbekannten Streitpunkte aus den letzten
20 Jahren, den Vertretern der innerösterreichischen Kirche
durch Amman übermittelt, damit allem Streit auf und unter
der Kanzel vorgebeugt werde '^j. Er fürchtete aber die
Censur des „Sykophanten'- Khun, den er in allen Briefen aus
jener Zeit als seinen schlimmsten Gegner bezeichnet. Um
diese Kritik zu vermeiden, behielt es Chyträus sich vor,
selbige summa doctrinae in seine Heimat mitzunehmen und
noch weiter daran zu feilen. Wir kennen daher den Inhalt
nur notdürftig aus der 1578 revidierten Kirchenordnung des
Jer. Hornberger und seiner Kollegen, die jedenfalls vieles
geändert haben (s. u.).
Was die Agende betrifft, so verglich man sich dahin, daß
in Innerösterreich die wittenbergische in Übung gebracht
werden sollte. Der dritte und letzte Punkt betraf die Be-
stellung des heiligen Predigtamtes, wohl geordneter Schulen,
die Einsetzung eines Kirchenrates, die Visitation und Auf-
sicht über Kirchen und Schulen, die Anstellung nützlicher
Synoden u. s. w., wobei die Wittenberger und Rostocker
Ordnung zum Muster dienen sollten, wie solches Chyträus
in jenem Briefe an Amman forderte und Exemplare beilegte.
Die nähere Ausarbeitung auch dieser einzelnen Stücke be-
hielt sich Chyträus, falls es ihm gestattet werde, für die
Zeit seiner Rückkehr nach Rostock vor. In der That kehrte
er im Juni über Stein a. d. Donau (woselbst er noch einer
wichtigen Konferenz beiwohnte) nach Rostock zurück.
Was ihn an der ruhigen Vollendung der neuen Kirchen-
ordnung gleich damals in Graz hinderte, war sein Gegen-
1) Epp., p. 175 f.
2) Loserth, a. a. O. S. 209 berichtet über diesen ersten Teil der
Kirchenordnung; aber seine Angaben widersprechen dem uns vor-
Uegenden Briefe des Chyträus.
— 348 —
satz zu Khun i), welcher leider auch mit Drohungen nicht
zurückhielt. Einen Tag nach jenem abschließenden Briefe
des Chyträus an Amman, am 23. Mai 1574, legte Khun
sein Amt öffentlich nieder — zur Verwunderung ^ller,
auch des Chyträus, der davon an Heinrich von Starhemberg
Erwähnung thut^). Am 28. Mai erhielt Khun von den Ver-
ordneten seinen Abschied. Loserth berichtet aus den Akten
das Zeugnis der Verordneten : „Er ist mit guter Kundschaft
von uns geschieden" ^). Er ging hierauf nach Pols, einer
Pfarre, die ihm Adam Hoffmann schon früher zur Nutz-
nießung verliehen, als sie nach dem Tode Maximilian Pitter-
kraudts, eines Freundes und Korrespondenten von Gallus,
ledig geworden *).
Wenn Dr. Schuster die Entlassung Khuns damit in
ursächlichen Zusammenhang bringt, daß er seinen beliebteren
Kollegen David Thoner aus Eifersucht im Landhaus „zu
Boden geworfen und mit Fäusten und Füßen traktiert," so
ist das falsch. Zunächst ist schon seine Quelle, nämlich
der Gegenbericht des Jakob Rosolenz ^), als eine schamlose
1) Chytr. Epp., p. 169 f. 202 , zeigen uns, wie der Gegensatz
selbst Privatverhältnisse tangierte, obwohl sich Chyträus schon von
Rostock aus seiner Hilfe hatte versichern wollen und dabei ihn sehr
gerühmt hatte (Epp., p. 881). Sie konferierten fast gar nicht mit-
einander; Chyträus Angst zeugt nicht eben von Mut.
2) Chytr. Epp., p. 184.
3) Loserth, a. a. 0. S. 215.
4) Zwei Briefe des Pfarrers Pitterkraudt an Gallus aus den
Jahren 1568 und 1569 finden sich in den R. A. (Eccles., No. XXXVI,
St. 82, 188), worin er die Ordination zweier Kandidaten, Andreas
Geschrey und Michael Fierer, befürwortet; alle drei waren natürlich
der streng lutherischen RichtuQg zugethan. Vgl. Raupach, Presbyt.
S. 212, Suppl. p. 46.
5) Loserth hat gezeigt, daß dieser Rosolenz durch drei Jahr-
hunderte die Quelle aller die Gegenreformation in Innerösterreich
betreffenden Darstellungen gewdsen (Zur Kritik des Rosolenz, ein
Beitrag zur Historiographie der Gegenreformation in Innerösterreich,
in den Mitteilungen des Institutes für österr. Geschichtsforschung,
Bd. 21, S. 485—507). Rosolenz überbietet alles, was Georg Eder und
— 349 —
Schmäh- und Parteischrift mit Vorsicht zu benutzen. Zweitens
aber muß, wenn, wie Chyträus in einem Briefe an den Sekretär
Amman (d. d. 20. September 1573) i) schreibt, Khun eine
solche Tragödie veranlaßte, dieselbe vor dem September dieses
Jahres vor sich gegangen sein, also ^/^ Jahr vor Khuus defi-
nitivem Abgang aus Graz. Die Zuschrift der Landesverord-
neten an Georg Khun erwähnt nur, daß er in jüngster Zeit
auf der Kanzel „öffentlich vermeldt das etliche spitzpueben
vorhanden, welche iren dienst nit recht vorzusteen wissen, die
dringen sich auf die canzl ein" 2). Von einer Mißhandlung
ist an dieser Stelle nicht die Rede.
Aber selbst wenn wir zugeben, daß eine solche statt-
gefunden habe — so ist die Frage: ob dadurch eine Ent-
lassung bedingt sein konnte und sein Ruf für immer ge-
schädigt war? — Wer war David Thoner? Unsere Akten
zeigen, daß schon im Juni 1569 Khun, über Aufforderung
der evangelischen Verordneten , mit dem Ulmer Pfarrer
D. Thoner in Verbindung trat, um ihn für Graz als seinen
Kollegen zu gewinnen ^). Er that solches widerwillig, auf
Drängen der Vorgesetzten; der Mann aber war nicht nach
seinem Geschmack. Thoner hatte in jenem Briefe an Gallus
diesen, der bereits schwer krank war, um seine Fürbitte
bei Khun gebeten. Gallus wird es gethan haben, obgleich
er ihn, wie der Brief zeigt, absolut nicht kannte, und so
kam denn Thoner wider Khuns Willen gegen die Mitte des
Jahres 1570 nach Graz. Er kam aus Württemberg und
war von jener Gattung Theologen, die eine schwankende
Haltung einnahmen, zur Vermittlung der Gegensätze bereit.
Peter Muchitsch wider die Evangelischen an Schimpfworten und Ver-
leumdungen sich gestattet haben.
1) Epp., p. 1090.
2) Loserth, S. 596.
3) Wir entlehnen diese Daten einem Briefe Thoners an Gallus
aus Ulm vom 1. März 1570 (R. A. Eccles., No. XL, Z. 37). Rosolenz
nennt ihn einen Apostaten ; dann wäre er vormals Mönch gewesen.
Ulm war einst dem Interim beigetreten, und es hatten in dieser freien
Reichsstadt jedenfalls recht verschiedene Geister Zutritt.
— 350 —
wenn es in ihrem Interesse lag. Auch Jeremias Hornberger
war ihm später nicht gewogen, und er ist zur Aufstellung
der innerösterreichischen Agende 1578 nicht berufen worden.
Im Verkehr mit Khun war jedenfalls genug Zündstoff zum
Kampf gegeben. Während man gegenwärtig mit der Zunge
den Gegner verletzt und tötet, raufte man damals mit der
Faust, wie es die rohe Zeit mit sich brachte. Aber fallen
lassen können wir einen Mann darum nicht, weil ihn sein
Zorn einmal zu weit getrieben, und wenn ihn Steiermark
ausgestoßen, so hat ihn Oberösterreich desto besser brauchen
können, während die Steirer an David Thoner nicht viel
Freude erlebten. Dieser hat durch seine spätere Haltung
erwiesen, daß er nicht im rechten Geiste wirkte, wenn wir
auch auf die Behauptung des Grazer Stipendiaten Balthasar
Fischer in Tübingen, daß er ein „falscher Bruder" gewesen,
nicht viel geben wollen ^).
Jedenfalls hat Khun seine Entlassung herausgefordert,
indem er auf der Kanzel aus eigener Bewegung resigniert
hat. Wenn ein öffentlicher Skandal vorgelegen, hätten die
oberösterreichischen Landesverordneten ihn nicht nach Linz
berufen, woselbst er als Examinator der Prediger wirkte,
die Kirchenordnung handhabte 2) und 1581 seiner Gesund-
heit wegen in guten Ehren entlassen wurde ^). Der be-
rühmte Schulmann Georg Calaminus, Rektor an der Linzer
Landschaftsschule, widmete ihm eine lateinische Ode. Khun
1) Vgl. Loserth, Die Beziehungen der steiermärkischen Land-
schaft zu den Universitäten Wittenberg, Eostock, Heidelberg, Tü-
bingen, Straßburg; Festschrift der Grazer Universität 1899, S. 95
und, Die Reformation etc. S. 485. Fischer verleumdete auch P.
Zimmermann (Rosolenz, S. 133 ff.). Über seine Disputation, die er
am 11, Juni 1591 an der Universität mit den Jesuiten gehabt, vgl.
Peinlich, Gesch. des Gymnasiums in Graz, 1869, S. 40, und Roso-
lenz, S. 136.
2) Vgl. K. Oberleitner, Die evang. Stände im Lande o. d. Enns,
S. 80 f., besonders S. 89. Hier wird Khun von den Ständen un-
bedingtes Vertrauen geschenkt.
3) Raupach, Presbyt., S. 212, Suppl. S. 45.
— 351 -
erhielt in Bensheim an der Bergstraße das Amt eines
Superintendenten und lebte dort noch 1584. Der bekannte
Dr. Timotheus Kirchner (vormals Professor in Jena) hat
ihm nach Raupach das Lob beigelegt: „daß er eine lange
Zeit in Osterreich gewesen und die Kirche Christi darinnen
mit großem Nutz und Frommen durch die Gnade Gottes
habe sammeln und bauen helfen" i).
Merkwürdig ist, daß gerade in demselben Monat, als
Khun Graz verließ und die aus Regensburg vertriebenen
Flacianer Haubold und Peristerius sich nach Innerösterreich
wandten, in Kursachsen selbst das mühsam errichtete
Gebäude des Kryptokalvinismus zusammenbrach. Bereits am
3. Mai 1574 erhielt Chyträus in Graz die Nachricht, daß
die Verfasser der Exegesis perspicua ^) von Kurfürst August
gesucht würden und der Drucker Vögelin in Arrest gelegt
worden sei. Wenige Tage darauf waren die Häupter der
Philippisten vom Zorn des getäuschten Kurfürsten nieder-
geworfen, und die gegnerische Partei begann ihren nichts
schonenden Triumphzug 3). Gerade in dem Zeitpunkte, als
die Wage der von Khun vertretenen Richtung das Über-
gewicht erhielt, verließ er seinen Posten. Der Philippis-
mus, den Chyträus noch in seiner am 22. Mai 1574
dem Amman zugeschickten Kirchenordnung vertreten hat,
verlor von da an immer mehr an Boden, besonders
durch das Wirken Hombergers. Nur darin thaten sich
seine ehemaligen Gönner noch eine Genüge, daß sie die
Flacianer verfolgten , wo sie konnten ; so besonders in
Schladming. Der Viertelsprädikant im Ennsthal, Dionysius
Widemann (erst in Oblarn, dann in Schladming) schreibt
hierüber am 20. Jan. 1576 an Wolfgang Waldner in Regens-
1) Kaupach, Presbyt., S. 80.
2) Dieselbe war zur Verteidigung des Calvinismus von Joachim
Curäus aufgestellt und heimlich gedruckt worden, wurde aber von
den kursächsischen Theologen als Lehrausdruck empfohlen.
3) Chytr. Epp., p. 174. Vgl. G. Frank, Gesch. der prot. Theologie
Leipzig 1862, I, S. 144 ; Preger, M. Flacius lUyricus. II, S. 384.
— 352 —
bürg ^). Er klagt, daß M. Haubold, den man seines Mani-
chäismus wegen aus Kärnten vertrieben, sich in Schlad-
ming ein Nest bereitet habe, um sein manicbäisches Gift aus-
zubreiten. Dieser habe auch den Pfarrer jenes Ortes, Hasler,
verführt und ihm, Widemann, seine Zuhörer abgezogen. Er
werde beschuldigt, daß er von der wahren Lehre „zu euch,
den Neopapisten abgefallen und ich mit euch conspiriere"
Die Obrigkeit lasse ihn ohne Schutz, und unter der Predigt
lache man ihn aus. Die Flacianer halten Beratungen unter-
einander und befragen sich mittels Boten mit Haubold.
Letzterer verkünde öflentlich, daß jene auf dem rechten
Weg seien , die in der Erbsündenlehre sich nicht von
Spangenberg und Illyricus trennen lassen. Haubold habe
eine Widerlegung des Regensburger „Berichtes" ^) verheißen,
worin er sich reinigen wolle von allen Anschuldigungen.
Widemann erwähnt, daß Martin Waldner ihn mit Büchern
versehen^ um des Illyricus' Irrlehre zu widerlegen ; er hat
selbst eine Konfession über die Erbsünde verfaßt, die er
Wolfgang Waldner vorlegen wolle. Also auch die beiden
Waldner standen auf Seiten der Gegner des Flacius und
thaten das ihre, um die frühere Parteinahme für Flacius
vergessen zu machen. Der in diesem Briefe genannte Hasler
wurde infolge eines Religionsgespräches mit Homberger,
Juni 1577, mundtot gemacht und scheint bald darauf nach
Niederösterreich gegangen zu sein. Nach dem Wortlaut
dieses Gespräches muß er ein ehrlicher Mann gewesen sein,
der, wie einst Haubold sich nicht zum Widerruf über Auf-
forderung der Obrigkeit bequemen wollte ^).
1) K A. Eccles., No. XXVI, Z. 117.
2) Gemeint ist : Bericht Caraerer vnd Käthes der Statt Regens-
burg etzlicher im Kirchen Ambt vnd Schueldienst — enturlaubter
Personen halben, Regensburg 1574 (s. Preger, Flacius Illyricus,
II, S. 302).
3) S. Loserth, Der Flacianismus in Steiermark, Jb. d. Ges. f.
Gesch. d. Prot., 1899, Heft 1.
— 353 -
Auf dem Brucker Landtage 1578 haben im Anschluß
an Chyträi Vorarbeiten folgende Männer eine Kirchen-
ordnung aufgestellt, von der das Wesentliche in einem
summarischen Extrakt der großen Religionspacifikation
vom 9. Febr. 1578 einverleibt wurde. Ihre Namen sind :
Jeremias Hornberger, Pastor zu Graz, Christophorus Frey,
Prediger in Steyr, Philipp Marbachius, Schulrektor in
Graz, Bernhard Stainer^), Pfarrer zu Klagenfurt, M.Jakob
Prantel, M. Andreas Laborator, Schulrektor in Klageufurt.
Den Charakter dieser 'Kirchenordnung kennzeichnet von
vornherein (wie auch Loserth bemerkt ^j, der Umstand, daß
ein eigenes Kapitel über „Matthias Flacius und etlicher
mehr irthumb von der erbsünde" neu eingeschaltet wurde,
in welchem sein Tod bereits erwähnt ist. Zugleich nennt
Hornberger sich selbst als einen, der wider jenen Irrtum
protestiert habe. In den Ausführungen über die Erbsünde
hören wir deutlich den verweisenden Ton aller jener durch-
1) M. Bernhard Stainer kam 1563 von Bühl (bei Tübingen) nach
St. Ruprecht bei ViUach in Kärnten und wurde 1576 kärtnerischer
Landschaftsprediger und Superintendent in Klagenfurt (1578). Auf
Jak. Andreas Empfehlung wurde der im Texte neben ihm genannte
Jak. Prantel oder Brentelius für den Kirchen- und Schuldienst in
Kärnten angenommen (Dez. 1575) , den wir am 15. Nov. 1578
gleichfalls als Prediger in Klagenfurt erwähnt finden und ebenso
1582 unter den Unterzeichnern der Konkordienformel (ed. Müller
S. 795). Schließlich wurde er am 1. Mai 1585 von der krainischen
Landschaft als Eektor der Landschaftsschule in Laibach mit einem
Gehalt von 300 fl. berufen. Dieses Amt bekleidete er zehn Jahre,
resignierte dann und ging nach Schladming, woselbst er beim Aus-
bruch der Verfolgungen (1598) sein Leben durch die Flucht über das
Gebirge rettete. Brentelius galt nach einem Briefe des Andrea an die
Stände für einen „zwar etwas scheuen imd furchtsamen, aber sehr
gelehrten Mann". Elze teilt noch von ihm mit, daß er aus Steier-
mark gebürtig, anfangs in Lauingen unter Melissander studierte und
von Gallus begünstigt, dem Andrea nach Tübingen empfohlen worden,
woselbst er seine Eichtung änderte. (Vgl. Elze, Die Rektoren der
krainischen Landschaftsschule in Laibach während des XVI. Jht.
in Jahrb. der Ges. f. d. Gesch. d. Prot., 1899, Heft III).
2) Loserth, Ref. u. Gegenref. in Inneröst. S. 279.
23
— 354 —
klingen, welche den Flacius des Manichäismus beschuldigen,
aber gleichwohl einst diesem gewaltigen Gegner des Syn-
ergismus Heerfolge geleistet haben.
Aber auch andere Punkte der Kirchenordnung, und
zwar gleich im ersten Teil, „De norma veritatis" betitelt,
wonach alle Lehre beurteilt werden sollte, weisen auf den
Standpunkt, welchen die Prediger 1578 einnahmen. Die
Weise, in der hier über das Interim geurteilt ^j und das
Thüringische Konfutationsbuch vom Jahre 1559 unter die
normativen Schriften gestellt wird , lag dem Chyträus
durchaus fern. Auch die Beurteilung der Loci communes
Melanchthons -), von denen nur die erste Ausgabe von den
Theologen gutgeheißen wird , während die späteren als
nicht ohne Ursache angefochten hingestellt werden, stimmt
nicht mit Chyträi Anschauung überein. Danach ist Loserths
Auffassung zu berichtigen, der^) das eben genannte Votum
der Theologen bereits als dem Chyträus eigentümlich den
Verhandlungen des Jahres 1574 zuweist. Wir befinden uns
schon gänzlich im Fahrwasser jener Theologen, die nach
dem Vorgang des Konfutationsbuches (1559) alle Korrup-
telen („so etliche listiglich eingeführt hatten") abgestellt
wissen wollten und auf Andreas sechs Predigten wiesen —
also im Fahrwasser des Konkordienbuches. Man hatte eben
1) Loserth, Die steirische Religionspacifikation 1572 — 1578, nach'
den Originalen des steiermärkischen Landesarchivs herausgegeben,
Graz 1896, S. 64—89.
2) Es heißt in den Verhandlungen (Loserth, S. 71), dies Buch
sei zwar ein sehr edler Schatz und solle fleißig gelesen werden, aber
„weils zu fünfmallen ausgangen imd in dem, artikel vom freien
willen im letzten nachdruck nicht ohn ursach angefochten worden,
kaus nicht ad normam veritatis gerechnet werden „In der
ersten edition des gemelten buechs Philippi ist vom selbigen articl
nichts unsers wissens imrecht gelehret ; daraus möcht man auch die
folgenden editiones corrigieren, denn so solche Warnung statt hat,
ist es fürwar ein nutzlich und notwendig buech zu lesen dem, der
ein gueter theologus zu werden wünschet."
3) Loserth, Eef. u. Gegenref. etc., S. 210.
- 355 —
mit denselben Gegensätzen zu paktieren wie draußen im
Reiche. Da waren einerseits die Kärntner zu berücksichtigen,
welche ja mit im Rate saßen, als die Kirchenordnung ver-
einbart wurde. Zwar waren Stainer und Prantel keine Fla-
cianer mehr, aber sie mußten doch auf ihre Landherren und
Prediger Rücksicht nehmen, deren flacianische Gesinnung teils
notorisch, teils nur durch die Furcht zurückgedrängt war^).
Diesen zulieb wurde, ganz wie in der Konkordienformel,
Melanchthons späterer Synergismus abgewiesen ^j. Anderer-
seits wurde aber auch, wie in der Konkordienformel, Flacius'
Irrtum von der Erbsünde zurückgewiesen; teils weil dies
allgemein Sitte damals geworden, teils auch zur Beruhigung
der Krainer. Bei diesen war bekanntlich von Anfang an
durch Primus Trüber die melanchthonische Richtung, wo
nicht gar „zwinglische Opinionen", vertreten. Der alte
Klombner in einem schon S. 99 angeführten Briefe an
Gallus klagt bitter über Trubers schädlichen Einfluß 3), der
sich in der Verhinderung der Anstellung Melissanders in
Krain kundgethan. Gott werde ihm seinen Lohn geben.
Wie er jetzt die Kirche störe, also habe er allerwege ge-
than. Er hoffe nur, daß Trubers Mängel bei dieser Gelegen-
heit an den Tag kommen würden, und dringt auf Recht-
fertigung solcher Handlangs weise seitens der Theologen zu
Tübingen. Man solle, so wünscht er in einer Nachschrift,
den Trüber befragen, warum Herr Krell seinen, Trubers,
Katechismus aus der Kirche gethan; ihm vorhalten, daß er
das Sakrament allein signa oder Zeichen sein lasse ; endlich
ihn auf seine windische Vorrede über das neue Testament
1) Vgl. Dr. Franz M. Mayer, Jeremias Hornberger, im Archiv
für österr. Gesch., Bd. 74, S. 233.
2) Vgl. Chytr. Epp., p. 1181 f., wo Chyträus die SteUung,
welche die Konkordienformel zu Melanchthon einnahm, tadelt.
3) Laibach, Samstag vor Pfingsten 156S (E. A. Eccl., Kasten D,
Fach I, No. XXXVI, St. 25). Trüber hatte zwar seit JuU 1065
sein Vaterland bereits für immer verlassen, aber sein Einfluß von
Württemberg aus blieb gleichwohl ein bedeutender.
23*
— 356 -
weisen was er da von Werken, Justifikation, freiem Willen,
Majorismus und des mehr gehandelt: so müsse er wider-
rufen oder verketzert sein. Damit würde die Kirche reiner
werden i).
Die krainerischen Gemeinden, der großen Mehrzahl nach
slo venisch, waren nicht einmal bei dieser wichtigen Paci-
fikationsverhandlung (1578) vertreten. Die Gesandten aus
Krain hatten sich kurzweg erboten, was die übrigen Theo-
logen beschließen und die Landschaft ratifizieren werde,
auch von ihren Theologen annehmen zu lassen, als ob die-
selben zugegen gewesen wären 2). In ähnlicher Weise unter-
schrieben sie im Frühjahr 1582 das Andreäsche Konkordien-
werk, während Kärnten im Widerstand verharrte ^j. So
wenig Verständnis hatten diese slovenischen Gemeinden für
die großen Interessen, die 1578 und 1582 verhandelt wurden,
daß sie sich einmal blindlings zufrieden gaben (1578) und
das zweite Mal unterschrieben, was man wollte.
Fragen wir uns nun, was der Einfluß dieser inner-
österreichischen Kirchenordnung auf die drei Länder ge-
wesen, so fällt die Antwort nicht eben befriedigend aus.
Verfolgen wir zunächst das Geschick Hombergers in Steier-
mark, mit welchem der Fortgang der Reformationsbewegung
aufs engste verbunden war, so ist auch hier reichlich Anlaß
zur Enttäuschung. Die mit Hornberger zusammen wirkenden
Prädikanten — wir nennen nur David Thoner, der seit 1570
Prediger an der Stiftskirche war, Heinrich Osius (der Sohn),
1) In der That hatte Trüber iu jener langen Vorrede zum
Neuen Testament die loci Melanchthons zur Herstelhmg einer norma
doctrinae benutzt (s. Elze, Jb. d. Ges. f. Gesch. d. Prot., 1894, Heft 3,
S. 138). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das an die
Krainer gerichtete Edikt ihres Landesfürsten vom 25. März 1577, in
welchem die Zulassung der calvinischen, aus der Pfalz ausgeschafften
Prädikanten zum Predigtamt verboten und selbst ihre Anwesenheit
im Lande nicht geduldet werden soll (Laibacher Landesarchiv, Fase.
54 h. Evang. Relig. Sachen, woselbst ich den Akt 1893 gefunden.
2) Vgl. Loserth, Pacifikation, S. 65.
3) Mayer, a. a. O. S. 232.
— 357 —
Widemann, Latomns, ötamler und M. Egen — waren nicht
geeignet, um dem gewaltigen Vorstoß des mit den Jesuiten
verbündeten Hofes in Graz Widerstand zu leisten. Vielleicht
nicht so sehr die Energie, aber der echte Zeugenmut der
ersten Zeiten fehlte ihnen. Ja, vielfach ist ihnen Unbesonnen-
heit nachgesagt worden. Hornberger sah in der Unterschrift
der Konkordienformel alles Heil und setzte sie in Inner-
österreich thatsächlich durch. Was ihm und seinen Kollegen
sonst noch am Herzen lag, zeigt ein breitspuriges Gut-
achten des evangelischen Schul- und Kirchenministeriums
in Graz vom 3. Juli 1578. D. Georg Cöleptin, Hofprediger
und Dompropst in Brandenburg ^), hatte, wie ein in den E.. A.
befindlicher Brief von ihm an das Regensburger Kon-
sistorium zeigt ^) , eine Reise nach Innerösterreich unter-
nommen zur Eörderung seines Unternehmens, um koiTekte
Bibeln und Exemplare der Augsburger Konfession in der
Kirche zu verbreiten. Die Grazer Prediger betrachten es
als wünschenswert, daß die Verordneten etliche hundert
Exemplare beschaffen lassen; endlich empfehlen sie, dem
Georg Cölestin zu gestatten, den fünften Teil seiner Ge-
schichte der Augsburger Konfession den innerösterreichischen
Landschaften zu widmen. Solches wäre ein öffentliches
Zeugnis, daß die evangelischen Kirchen dieser Lande mit
den sächsischen und anderen Kirchen übereinstimmten, was
man an wenig Orten wisse und glaube. Sie hoffen, es
werde solches die Sekten erschrecken, daß sie in diesen
Landen nicht Unterschlupf suchen werden. — Dieses Gut-
achten zeugt von den kleinlichen Rücksichten, die man
besonders auf den Landesfürsten nehmen mußte, und nicht
mehr vom Heroismus der früheren Zeiten ^).
1) Loserth, Die Eeformation und Gegenreformation in Inner-
österreich, S. 583; sein Streit mit Chyträus über die Augsburgische
Konfession vgl. Chyträi Epp., p. 848.
2) E. A. Eccles., No. XXIII Z. 44.
3) Ein ähnliches Beispiel gibt uns Loserth, Zur Kritik des
Eosolenz, p. 497, wo auch ein Überfluß an Eeverenz vor der hohen
— 358 —
Aber auch Hornberger war dem Hofe noch ein viel zu
prononcierter Vertreter der protestantischen Sache. Ihn zu
entfernen, war das Hauptanliegen des Landesfürsten. Am
21. Juni 1580 wurde ihm einfach die Kanzel untersagt.
Zwar blieb er noch bis 1585 als Oberpfarrer im Dienst
der Stände und beschäftigte sich literarisch. Besonders
war er in Augsburg auf dem Reichstag 1582 thätig, wo er
neben anderem die Annahme der Konkordienformel betrieb,
indem er Unterschriften aus Innerösterreich mitbrachte und
überreichte. Auch stand er den Ständen thatkräftig zur
Seite; seine in Augsburg verfaßte Oratio diente zur Er-
läuterung des damaligen Standes der evangelischen Kirche i)
in Innerösterreich. Nachdem er 1585 dennoch eine amt-
liche Verrichtung vorgenommen, die ihn in Kollision mit
dem Landesfürsten brachte, mußte er der Gewalt weichen
und das Land verlassen 2). Zwar nahmen sich die Tübinger
aus der Ferne mit guten Ratschlägen der Steirer an, aber
damit wird keine Kirche instand gehalten. Wenn jedoch
Loserth in der zu buchstäblichen Befolgung jener fried-
lichen, auf Nachgiebigkeit dringenden Ratschläge Andreas
den Grund des Niederganges und Unterganges des Evan-
geliums in Steiermark findet, so ist uns dies durchaus
fraglich 3), Den Grund haben wir vielmehr darin zu suchen,
daß es an tüchtigem Nachswuchs fehlte, sowohl in der
Kirche als in der Stiftsschule. Wie es dort an heroischem
Mute fehlte, so fehlte es hier wohl einmal an der nötigen
Gelehrsamkeit, \im den sich eindrängenden Jesuiten
Obrigkeit und kleinliche Sektenfurcht zutage tritt. Die Zurechtweisung
des Grazer Kirchenministeriums vom 18. Dez. 1598 betraf einen ge-
wissen Schwaiger, Pfarrer in Mitterndorf (wo ein Bergwerk war), Sohn
des alten Pfarrers zu Aussee, wegen seines sogen. „Münzerisc he n
Geistes, dessen ihn der Landprofos beschuldigt". Der Vater gehörte
zu Gallus Freunden und er selbst war in Regensburg ordiniert.
1) Vgl. Mayer, a. a. O. S. 240.
2) Loserth, Ref. u. Gegenref. S. 468 ff.
3) Loserth, a. a. O. S. 396, und Die Beziehungen der steier-
märkischen Landschaft etc., S. 17.
— 359 —
im Wortkampf Widerstand leisten zu können ^). Es ge-
nügte doch nicht, von Tübingen avis den literarischen
Kampf mit den Jesuiten zu führen. Der berühmte Jakob
Heerbrand, Professor in Tübingen, schrieb auf drei jesu-
itische Schriften: „Der evangelische Wetterhan, Graz 1587",
„Verkehrter Katechismus" und Georg Scherers „Fragstück
und Antwort auf Dr. Luthers Büchern", in welchen Luthers
Lehre durch Nachweisung von Widersprüchen diskreditiert
werden sollte, drei Widerlegungen, von denen wir: „Propfung
und Abfertigung .... des evangelischen Wetterhanen, Tü-
bingen 1588" hervorheben 2). Aber die Abwesenden haben
immer Unrecht, und so behielten die Jesuiten, die am Hofe
das vollste Vertrauen genossen, recht, und ihre Schriften
erhielten eine ungerechtfertigte Bedeutung.
Wenn das Öl der Lampe gebricht, verlöscht sie endlich.
Über diese harte Thatsache täuscht uns die Klage über
unterlassenen Widerstand gegen die Obrigkeit nicht hinweg.
Sich an die Spitze eines Aufstandes zu stellen, hätte den
ohnedies schon nicht mehr allzu entschiedenen Adeligen
nichts mehr geholfen und noch weniger den Geistlichen.
Der Aufstand hat, wie die Geschichte zeigt, recht ver-
schiedene Erfolge gehabt. In Schottland und den nördlichen
Niederlanden gelang er, in Frankreich und Belgien nicht.
Es hängt hier alles von Gott ab, ob Er einem Lande gnädig
sein will oder nicht. Ist Er gnädig, so bleibt das gute Zeug-
nis, und die Pforten der Hölle können es nicht überwältigen.
Ist Er es nicht, dann machen alle selbstwilligen Versuche zur
Rettung eines Landes die Sache nur um so schlimmer.
Einen ähnlichen Maßstab hat auch Bugenhagen angelegt bei
der Beurteilung des Rechtes der Unterthanen, um sich der
Obrigkeit zu widersetzen. Er sagt unter anderem : „Rechte
Christen müssen Unrecht leiden", und fragt: „Wo ist aber
vonnöten, daß man diesen Dingen mit menschlichen An-
1) Loserth, Ref. u. Gegenref. in Innerösterreich, S. 487 ff.
2) Loserth, a. a. O. S. 491 ff.
— 360 —
schlagen will zuvorkommen, welche ich doch nicht für
menschlich achte. Gott der Herr wird neben der Ver-
suchung ein Auskommen machen, darumb sollen wir Gott
bitten, daß er wolle unsere Sache nach seiner Barmherzig-
keit ausführen und richten, wohin er will" ^j.
In der schwierigen jui-istischen Frage, welche Be-
deutung der Religionsfriede (1555) für Steiermark habe,
gingen die Stände und der Landesfürst von Anfang an weit
auseinander. Man erwies zwar aus alten Urkunden und
den Artikeln der Landesfreiheit, daß der Religionsfriede
auch für Innerösterreich gelten müsse, da es unter des
Reiches Schutz und Schirm stünde 2), aber der Wortlaut
des Religionsfriedens war nicht so deutlich, um die Freiheit
der Religion für die protestantischen Stände zu erzwingen.
Wirklich drohte auch der Erzherzog 1582 3), daß, falls sie
vom Kaiser abschlägig beschieden werden würden, er die
Schärfe hervorkehren und die Bestimmungen des Religions-
friedens (wie er ihn verstand) auf sie anwenden v/olle.
Und als es nun 1582 zur Anrufung der Intercession der
Reicbsstände in Innerösterreich kam, erwirkte man nichts
weiter als leere Vertröstungen. Nach Kursachsens Vorgang
entzogen sich die anderen Fürsten dem energischen Ein-
greifen; gleichwie auch 1648, als es galt den Österreichern
die Wohltat des Religionsfriedens zuzuwenden. Der Erz-
herzog fuhr, unter den ihn bestärkenden bayrischen Ein-
flüssen, in der Bedrängung seiner Unterthanen fort ^). Was
blieb demnach übrig, als sich unter Gottes Hand zu beugen
und Unrecht zu leiden?
Wie kühl bereits um diese Zeit sich die alten Helfer
in Regensburg verhielten, zeigt uns ein Schreiben des Super-
1) Erl. Ausg. 64, 279.
2) Loserth, a. a. O. S. 100, und derselbe, Miscellen zur steier-
märkischen Eeformationsgesch., in Jb. f. Gesch. des Prot, in Oster-
reich, 1899, 8. 188.
3) Loserth, S. 383. C. Hirsch war die Seele der Intervention.
4) Loserth, S. 412 ff.
- 361 —
intendenten Rosinus an den Rat fvoni April 1586). In
demselben ersucht er um Bewilligung, „Dr. Hombergers
Abschiedlied" in Regensburg zu drucken. In warmen
Worten hatte Rosinus zwei in Reim gestellte Gesänge,
welche die über Hombergers Weggang betrübten Christen
in Steiermark stärken sollten, um beständig bei der Wahr-
heit zu bleiben, empfohlen. Er weist darauf hin, daß dieser
Trost um so nötiger sei, als keine Aussicht auf Wiederkehr
vorhanden, nachdem bereits Hombergers Nachfolger (Zimmer-
mann aus Württemberg) berufen worden. Rosinus beklagt,
daß die Stimmung im Herren- und Ritterstande so schnell
eine andere geworden, nachdem sie Homberger doch mit
der Hoffnung entlassen, daß er „des Endes eines allgemeinen
Conventes erwarten" und dann restituiert werden sollte.
Der Rat wies die Drucklegung des Abschiedsliedes ab,
indem er offenbar im Sinne der steirischen Herren zu
handeln vermeinte, welche nicht wünschen konnten, daß
durch solche Lieder Öl ins Feuer gegossen werde. Wirklich
kehrte Homberger nicht mehr nach Steiermark zurück,
sondern starb am 5. Oktober 1595, ohne Amt und ohne von
einer Partei getragen zu sein, in Mähren 2). Jene, auf die
er sich verlassen hatte, lohnten ihm mit Undank, wenn sie
auch für sein äußerliches Fortkommen jedenfalls noch 1590
durch eine Provision (Pension) von 200 fl. sorgten 3).
In Krain war das Gros der Geistlichen, die in der
späteren Zeit angestellt wurden, von geringerer Güte als
in Steiermark oder gar in Kärnten. Der Versuch des
Slovenen Krell, eine flacianische südslavische Kirche zu
1) R. A. Eccles., No. XL, Z. 56.
2) Vgl. über die Versuche, dem Homberger eine Stelle im
Reiche zu verschaffen, einen von Chyträus an ihn gerichteten Brief
vom Jahre 1588, wo verschiedene Möglichkeiten erwogen werden,
dem Freunde wieder zu einer Anstellung zu verhelfen. Preußen,
Jena, auch Schweden werden erwähnt und Homberger endlich zur
Geduld ermahnt.
3) Loserth, a. a. 0. S. 590.
— 362 —
organisieren, scheiterte an dem Widerstand der mächtigen
Gegenpartei und wurde durch seinen Tod gänzlich ab-
gebrochen. Er unterrichtete selbst etliche Schüler, um sie
zum Amt vorzubereiten, da es so sehr an Geistlichen fehlte,
fand aber auf seinem Wege beständig solche, die dem An-
hange Trabers zugehörten (Kinder der älteren Adiaphoristen,
wie er sie nennt). Er hofft, nach einem Briefe an Gallus
vom 23. November 15661), mehr durch treues Gebet zu
erlangen, als die Feinde (die Römischen) durch ihre gott-
losen Unternehmungen und Anwendung scharfer Gewalt-
mittel (impiis suis conatibus ac gladio). Er dringt auf den
Druck der Postille Joh. Spangenbergs, damit dadurch ihre
kleine illyrische (flacianische) Gemeinde gefördert werde. Aber
nicht einmal das wollen die Gegner gutheißen. Dann bittet
Krell um Nachrichten über Flacius und dessen Geschick.
Bei den krainischen Predigern mußte hauptsächlich auf
Kenntnis der windischen (slovenischen) Sprache gesehen
werden ; sie sind in neuester Zeit von Elze in seinen Bio-
graphien krainischer Prediger wieder ans Licht gezogen ^j.
Meist wurden sie in Tübingen ausgebildet und standen
unter dem Einfluß des dort in Verbannung lebenden Primus
Trüber. An eine ruhige, kräftig aufstrebende Entwickelung
der Krainer Kirche war auch schon wegen der Türken-
gefahr nicht zu denken. Dazu kam das häufige Auftreten
der Pestilenz, ferner ungewöhnlich früher Tod schwer zu
ersetzender Prediger (14 an der Zahl), endlich die Miß-
gunst des Landesfürsten und der durch ihn geförderten
Jesuiten. Somit begreifen wir, daß auch Krain unter-
liegen mußte unter den Streichen der Gegenreformation.
Als bleibende Erucht ist der Landschaft Krain durch
1) E. A. Eccles., No. XXIII, Fase. 2, Z. 15.
2) Vgl. die neuesten Mitteilungen Elzes, die nach seinem Tode
im Jb. d. Ges. f. d. Gesch. des Prot, in Österreich, XXI, Heft 3
und 4 unter dem Titel „Die evangelischen Prediger Krains im
XVI. Jahrhundert" erschienen sind.
— 363 —
Trubers und Dalmatins Fleiß die Bibelübersetzung in win-
discher Sprache hinterlassen, womit der Grund zu einer
slovenischen Litteratur für spätere Zeiten gelegt wurde.
Unter den drei Ländern Innerösterreichs nahm Kärnten
die günstigste Stellung ein. Schon seine geographische
Lage ließ es mehr abseits stehen, wiewohl man in allen
Stücken an den Wohlthaten der Pacifikation fl572) und
der Brucker Religionshandlung (1578) Anteil hatte. Graz
war eben „des Königs Stift" ^), Klagenfurt dagegen weit
vom Schuß. Auch auf den Landtagen spielten die Steirer
die Hauptrolle; bei der Herstellung der Kirchenordnung
1578 waren die Kärntner nur dürftig vertreten, die Krainer
gar nicht. Die ersteren opponierten in einzelnen Stücken
den Steirern. Bei der wichtigen Verhandlung mit dem
Erzherzog vom Jahre 1580 waren weder Kärnten noch Krain
vertreten ^).
Von früh an stand man in Klagenfurt in Verbindung
mit Regensburg. Wir haben einen interessanten Brief des
Predigers Martin Khnorr vom 25. April 1570 an Gallus,
mitunterzeichnet von den Pfarrern Johann Hauser zu Villach,
Hannss Faschang zu Tultsching und dem Advokaten der
Landschaft Johann Krauss ^). In diesen Männern haben
wir wohl die damaligen Führer der Evangelischen in
Kärnten zu erkennen. Hauser hatte das 1566 erschienene
„Bekänntnis des Glaubens der Evangelischen Prediger in
Kärndten" mitunterschrieben^) und auch katechetische Frag-
stücke drucken lassen, worin er „eine richtige christliche,
lutherische Beschreibung der Erbsünde" den Accidens-
schwärmern entgegenstellt ^).
Dieses Schreiben zeigt uns denselben warmen Ton wie
die Briefe eines Pica und Klombner; dieselbe Klage dar-
1) Arnos 7, 13.
2) Loserth, S. 357.
3) R. A. Eccles., No. XL, Z. 54.
4) Raupach, Presbyt., S. 58.
5) Vgl. Irenäus, Censuren und Urteil etc., Mansfeld 1579, III
Q. 3.
— 364 —
über, daß die Ernte groß sei und der Arbeiter wenig, was
sich niemals so klar gezeigt wie jetzt, wo der Teufel in
seinen Gliedern so grausam wüte und tobe. Auch sei dies
ein böses Zeichen, daß die Wächter schlummern und schlafen
und viele der Prediger und Lehrer, so sich der armen
Schäflein sollten annehmen, entweder stumme Hunde werden
oder „dem Wolf statgeben dieselben zu . . . zerreißen, Ja
noch wol als miedling gar dauon zu fliehen .... Bey vns
in disen Lannden hat sich der allmechtig güetig Gott gnedig
durch sein wort wunderbarlich offenwaret, also das, wie
hart sich der Teufl dawider setzet dennocht die Kirchen
also wachset das die Erndte nur grösser vnd der Arbeiter
zu wenig werden. Sonderlichen erscheint bei vns der mangl
das vill windisch Volckh in disen Lannden vnd wenig
Christliche Euangelische Predicanten sein, die die sprachen
souiel das sie Predigen möchten, khünnen. Mangls also auf
allen selten, da man Predigen vnd dem einreissenden Vbl
in Teutschland weren khündt, auch die leut die sprachen
khünnen, da will es khain ernst an vill ortten mehr sein.
Hie da man gern Prediget fällen vns Leut so zu dem
ministerio tauglich vnd der windischen sprachen verstendig
sein; derhalben wan Gott etwan ainen derselben vns gibt,
müessen wir nit iederzeit auf die grosse khunst, sonnder
alain auf die raine lere vnd erbarn wandl sehen vnd mug-
lichistes fleiß Ime zu dem ministerio furdern , derselben
ainer ist auch diser Anthonius Leban, welcher ain Zeit-
lang Im Fürstenthumb Crain der Jugend in Schnellen vor-
gestanden, hernach an denen orten, da sie der offendtlichen
Predig beraubet, hat er die feiertag den armen das Eu-
angelium in windischer sprach aus den Postillen Truberi
sambt desselben Catechißmo vorgelesen darüber er bald
vertriben worden. In solchem Creutz vnuerzagt zu vns
hieher khommen vnd antzaigt , da er ain berueff hette
wolte er mit Gottes HilfF vnd beistand sich gar in das
Predigambt begeben, vnd bey der angefangnen Christlichen
Confession verharren. So ich Martinus Khnorr dan in
— 365 —
meiner Pfarr alhie zu Ciagenfurt vill windisch Volckh hab
vnd aines solchen Christlichen mitgehülffen sehr notturfftig,
Haben vnser etlich Ine derwegen besprächet i) vnd in der
lere vnd Confession aufrecht befunden. Hab derhalben
Ine berueffen vnd zu ainem mitdiener begert. Des er sich
guetwillig sein erclärt. Damit er dan ein oifendlich ge-
zeugkhnus habe, Ime auch nach dem gebrauch vnserer
Augspurgischen Christlichen Religion vnd Inhalt der hei-
ligen schrifft das ministerium ordenlich beuolhen vnnd die
Hend aufgelegt, er mit der gab des Heiligen Geistes erfüllet
werde, Ist im rat vnserer etlicher ministri vnd anderer
mitbrüeder für guet angesehen, Ine E. E., nachdem vns
bisher solches nit zuegeben noch von vnserer weltlichen
Obrigkeit erlaubt wird, zuezuschickhen vnnd derselben
examini zu beuelhen, Ine zu bestatten ^), alßdan mit euerm
vnd derselben Collegen testimonio vns wider herein zu-
uerordnen. Dan wir vns in allem eurer lere vnd Confession
mitglider erkhennen, wollen vns auch getrösten unser Crist-
liches begern werde bey E. E. statfinden. Wie wir euch
herr dan dessen hiemit diser unser fürschrifft hertzlich
brüederlich vnd freundtlich ansinnen, vngezweiflt ob er
etwan Im Latein gleich nit so gar leuffig, doch in der
Lere rain vnd aufrecht wird erfunden werden. Wollt Ine
demnach auch Gott vnd eurer gemain fürs teilen, vnd im-
positione manuum neben vns Got für Ine bitten, daran
wird Cristo die ehr geben, vnd damit vnser Kirchen eurer
zuegethan. Ja wir alle mit disem offendlichem gezeukhnus
werden von dem offenwarten Antichrist vnd seiner falschen
lere, abgötterey vnd Schmirbüchsen abgesondert. Wir wollen
vnd sollen auch Gott darumb loben vnd mit ainhelligem
gebet vmb Weiterung seiner gemain vnd diener des worts,
so in der lere rain sein Imerdar zusamen setzen, womit
wir auch mugen solches vmb E. E. vnd mitverwonte vnsere
lieben Herrn vnd brüeder fieissig verdienen, der barm-
1) examiniert.
2) bestätigen.
— 366 -
hertzig allmechtig güettig Gott vnd Vatter vnsers ainigen
Heilands Jesu Christi erhalt vns bey seinem wort in be-
stendiger bekhandtnus rainer gesundter lere vnd vnerger-
lichen wandl zu Heiligung seines namens, erbauung seines
Reichs, damit dardurch bey vns auf Erden sein will ge-
schehe wie im Himel, in erneutem erklärtem vnd Trium-
phirten vnserm lieben Herrn Jesu Christo, welcher harschet
vnnd Regiret mitten unter seinen Feinden, vnd khunötig
ist zurichten die lebendigen vnd die Todten, des ankhunfft
wir auch erwarten, vnd mit Ime ewig begern vnd die wir
hie laid tragen, dort mit lue, dem Vatter vnd Heiligen
Greist vnd allen auserwelten Gottes zufreuen vnnd zuleben.
Amen, Amen, Amen."
Wir entdecken in diesem Briefe des Klagenfurter
Pfarrers die Anzeichen einer engen Verbindung der Kärtner
mit Regensburg. Dieselben waren einig in Verteidigung der
Erbsündenlehre, wie solches aus der Bekenntnisschrift vom
Jahre 1566 erhellt. Daher ist es nicht verwunderlich, daß
Haubold und Peristerius nach ihrer Vertreibung aus Regens-
burg nach Kärnten zogen und andere, wie Lupulus, dorthin
berufen wurden. Peristerius schrieb in Villach , wo er
Hauser vorfand, 1574 eine Verteidigungsschrift der Erb-
sündenlehre im Sinne von Gallus und der älteren Regens-
burger ^j. Er hat aber später seine Ansicht geändert und
eine Gegenschrift unter dem Titel: „Retractationder Ao. 1574
gestellten kurzen Antwort" verfaßt, wodurch er sich mit
Hauser und der Mehrheit der Gemeinde überwarf. Sowohl
Hauser wie Peristerius mußten ihres Dienstes entlassen
werden. Ersterer ging an die ungarische Grenze, letzterer
wurde zum Rektor der Stiftsschule in Graz ernannt ^j. Hau-
bold ward Rektor an der 1563 errichteten adeligen Schule
1) Irenäus, Censuren III, O, o, 2.
2) Peristerius war ein Mann ohne Charakter ; sein Sohn wurde
später Jesuit, nachdem er von der Landschaft viele Wohlthaten ge-
nossen (vgl, Loserth, die Beziehungen etc. p. 106).
- 367 —
zu Klagenfurt und schrieb hier 1575 im Verein mit dem
Pfarrer Andreas Lange eine polemische Schrift gegen Andrea.
Dieser Lange, 1566 von Kurfürst August aus Chemnitz ver-
jagt, war von Ludwig von üngnad nach Kärnten berufen
und in Waltenstein angestellt worden. Später kam er nach
Cilli und dann nach Klagenfurt, woselbst er sich mit Hau-
bold wider das Konkordienwerk und dessen Hauptförderer
Andrea wendete. Er hat auch Predigten im Druck heraus-
gegeben. Als nun die Unterschrift der Konkordienformel
durch Homberger in Kärnten betrieben wurde, mußten beide
neben andern das Land räumen (Ende 1575 ^). Doch blieb noch
eine genügende Anzahl ihrer Gesinnungsgenossen zurück, die
sich der Unterschrift widersetzten ^). Um die Bedenken der
kärntnerischen Stände zu zerstreuen, wurde Homberger 1582
von den steirischen Verordneten nach Klagenfurt gesandt ^).
Die Kärntner Stände meinten, die Konkordienformel enthalte
viele Unrichtigkeiten und ihre Unterschrift sei 'mit Gefahren
verbunden. Sie suchten Zeit zu gewinnen und verwiesen
auf den nächsten Landtag. Homberger versammelte die
Prediger in Klagenfurt '^) , und diese erhielten auf ihr
Schreiben an die Verordneten die Ermächtigung, für sich
zu unterschreiben; doch wiederholten die Verordneten, daß
die Angelegenheit selbst dem Landtage vorgelegt werden
müsse. Auf der Rückreise suchte Homberger durch Briefe
und Mittelspersonen auf die einzelnen Prädikanten einzu-
wirken. Auch Trüber drängte um die gleiche Zeit, weil er
sich eben in der windischen Vorrede zum Neuen Testament
auf die bereits vollzogene Unterschrift auch der Kärtner
berufen habe. — Schließlich wird auch der Landtag 'sich
1) Eaupach II, 256.
2) Mayer, a. a. 0. S. 232 sieht die Gründe des Zögerns der
Kärntner in ihren flacianischen Neigungen.
3) Vgl. die Relation über diese Reise Hombergers bei Mayer
S. 238, und Loserth, Ref. u. Gegenref. etc., S. 389.
4) Vgl. Hermann, Handbuch der Gesch. Kärntens, II, S. 184,
der darin eine Eigenmächtigkeit Hombergers sieht.
— 368 —
der Notwendigkeit gebeugt haben. Wie verschiedene Länder
im Reich mußten auch die Kärntner gedrängt werden, zu
jenem kirchenpolitischen Schritt ihre Zustimmung zu geben,
ohne daß sie mit dem Herzen dabei waren. Geschichtlich
steht fest, daß gerade in Kärnten die Kontrareformation
mit dem äußersten Widerstand zu kämpfen hatte. Besonders
widersetzten sich die Bürger der Städte Villach, St. Veit
und Klagenfurt, welche nur der Gewalt wichen, ohne inner-
lich überzeugt zu sein. Man ging auch vorsichtig mit ihnen
um, indem man von vornherein, wie Rosolenz bezüglich
Villach andeutet, darauf verzichtete, „bey disem Flacianischen
Volck gute Frucht zuschaflfen" Sj. Man begnügte sich mit
der äußerlichen Unterwerfung ; die endgiltig Widerstrebenden
schaffte man allmählich aus dem Lande; die Prädikanten
aber wurden verbannt. Der Landesfürst machte schonungs-
los von der Gewalt Gebrauch, nachdem Überredung nichts
gefruchtet. Das ehedem augewandte Mittel, die Landes-
privilegien auf den Landtagen zu verteidigen, versagte;
die Macht der Stände unterlag dem gerade damals auf-
kommenden und bald überall siegreichen fürstlichen Ab-
solutismus.
Den Gang der Reformationskommissionen und das
wiederholte Ansetzen der Staatsgewalt zur Durchführung
der Gegenreformation hat früher Rosolenz und in neuerer
Zeit der seinen Fußstapfen folgende Dr. Schuster beschrieben.
Diese landesfürstliche, oder besser gesagt jesuitische Ver-
gewaltigung eines braven frommen Volkes wollen wir in
ihrem schmerzlichen leidensvollen Verlauf hier nicht wieder-
holen. Ja, es wäre auch wohl unmöglich, denn die Akten
über die Bekehrung sind meist von der Erde verschwunden
oder haben wohl niemals existiert. Nur eins ergiebt sich
1) Eosolenz, Gründlicher Gegen bericht auf den falschen Bericht
Jac. Rungii etc., S. 60. In Villach allein waren nach Rosolenz,
S. 56 b gegen 27 von den verschiedenen Orten des Landes vertriebene
„Luthrische und Flaccianische Predicanten" versammelt, die daselbst
ein Asyl suchten.
- 369 —
aus den Regensburger Akten, daß gerade in Innerösterreich
Kerker und Tortur angewendet wurden, wie aus dem Lai-
bacher Landesarchiv, daß die Androhung der Lebensstrafe
nicht gescheut wurde, um die Widerspenstigen zur Raison
zu bringen 1).
Diese Tortur wurde in Graz durch die Jesuiten aus-
geübt. Daß sie nichts Ungewöhnliches war, zeigt uns das
in breiter Weise von Dr. Schuster 2) erörterte Exempel
des Paulus Odontius aus Meißen, Prädikanten zu Waltsteiu.
Derselbe wurde, wie er selbst erzählt 3), 1602 der welt-
lichen Gewalt zur Tortur überliefert und michte Bekannt-
schaft mit der Reckleiter und ähnlichen Folterwerkzeug-en.
Wenn nun auch Dr. Schuster hier die Sache leicht nehmen
will, indem er sagt, mit der Folter sei es nicht ernst ge-
meint gewesen; man habe den Odontius nur schrecken
wollen, welcher selbst in den Folterknechten verkleidete
Jesuiten erkennen zu sollen glaubte, so beschreibt dagegen
unser Aktenstück die Tortur in einer Weise, daraus der
bitterste Ernst zu ersehen ist. Der Verfasser schrieb im An-
fang des XVir. Jahrhunderts ; sein Brief enthält Mitteilungen
eines Exjesuiten unter dem Titel: „Extractus ex scriptis lo.
1) In einem im Laibacher Landesarchiv, Fase. 54 d, befindhchen
gegen die evangelischen Wippacher gerichteten Dekret Ferdinands II,
(vom 18. Februar 1598) heißt es: daß die Evangelischen, wenn sie
im Lande bleiben und sich nicht bekehren, „mit dem sträng vom
Leben zum Todt hingericht werden sollen". Vgl. dazu Loserth, Die
Gegenreformation in Graz in den Jahren 1582—85, in den Veröffent-
lichungen der bist. Landeskommission, und: Ein Hochverratsprozeß
aus der Zeit der Gegenref. in Innerösterreich ; endlich: Zur Kritik
des Eosolenz, S. 500. Hier bitten in Kerker und Banden liegende
Bürger aus Obersteiermark um Fürsprache.
2) Dr. Schuster, Fürstbischof Martin Brenner, S. 505—508.
3) „Kurtze vnd warhafftige Historische erzehlung Wie vnd
welcher gestalt Paulus Odontius, gewesener Evangelischer Prediger
zu Waltstein in Steyermark . . . gefänglich eingezogen . . . zum Tod
verurtheilet . . . aber ledig worden, von M, Paulo Odontio, Itziger
Zeit Pfarrern zu Odern", Dresden, Hieron. Schütz, 1G03. Eine fran-
zösische Ausgabe dieses seltenen Berichtes erschien in Genf 1868.
24
— 370 —
Combilhon, lesuitae Grraecensis, qui nuper suum ordinem
deseruit". Derselbe war von mährischen Eltern, 9 Jahre
alt in den Orden aufgenommen, 15-jährig that er Profeß
und gab all seine Habe dem Orden; er war in Brunn, Prag,
Kommotau, Krakau, Wien und Graz, wo er nach l^/g Jahren
den Orden verließ, 32 Jahre alt, und in Augsburg sich zum
Übertritt meldete. Unter seinen Schriften ist No. 4: De
studiis lesuitarum abstrusioribus et eorum consiliis , do.
21. März Ao. 1608 angegeben. Aus dieser, wie im Texte
des obigen Briefes gesagt wird, vortrefflichen Schrift wird
folgendes citiert:
„1) lesuitas leviticum habere senem taciturnum in cujus
custodia sunt vestes viriles et femineae.
2) In templo ferreum caelum miram copiam armorum
habet subter terram, carnificum officina, et inferni bara-
thrum ut Pragae, Cracoviae.
3) Subter pavimentum templi Graecij et alibi sunt
cavernae et carceres subterranei quo conferunt thesaüros :
qui locus est sub summo Altari. In carceribus mira biblio-
theca : funes, fidiculae, gladii, secures, forcipes, numellae,
scalae : nee desunt tragica : vestes carnificum, pileus pj^ra-
midalis atris plumis ornatus, thorax fimbriatus et dissectus.
lacobus Claessaeus nobilis Carniolanus sie interfectus." So-
weit geht die auf Graz bezügliche Stelle, deren genauer
Abklatsch vorliegt ^).
In diesem schwer zu entziffernden Schriftstück wird ein
ganzes Arsenal der üblichen Werkzeuge beschrieben, das
Stöhnen der Gefolterten wird konstatiert, und als ein Opfer
1) In deutscher Übersetzung lautet dieses Excerpt:
1. Die Jesuiten haben einen levitischen, schweigsamen Greis, in
dessen Bewahrung männliche und weibliche Kleider sind.
2. In der Kirche enthält ein festes unterirdisches Gewölbe eine
verwunderlich große Menge von Gerätschaften : eine Werkstätte der
Henker, ein Schlund der Hölle, wie zu Prag und Krakau.
3. Unter dem Estrich der Kirche zu Graz und anderswo be-
finden sich Höhlungen und unterirdische Kerker, wo sie ihre Schätze
bergen: diese Stelle ist unter dem Hochaltar. In den Kerkern ist
eine seltsame Bibliothek: Seile, Stricke, Schwerter, Beile, Zangen,
— 371 —
der Tortur der Krainer Adelige Jakobus Claessaeus genannt,
welcher an den Folgen starb.
Man hat oft gerühmt, daß öffentliche Hinrichtungen ^) in
Innerösterreich und dem Erzherzogtum nicht stattgefunden,
aber diese Folter und Einkerkerungen sind ebenso ver-
werflich. Man wagte es eben nicht, hier zum äußersten zu
schreiten. Das warnende Wort Maximilians IL an Kurfürst
August war leider nicht für seinen Neffen in Steiermark
maßgebend. Als August nämlich in der Begründung der
Folterung und Einkerkerung 2) der Kryptocalvinisten angab,
er wolle, daß seine Diener gleich wie er in der Religion dächten,
schrieb Maximilian iblgendes zurück: „Das wirst du nie er-
reichen, und es ist auch nicht unsere Sache, den Gewissen
zu gebieten, noch jemanden zum Glauben zu zwingen" 3),
So geschah die Gegenreformation in diesen gut evan-
gelischen Ländern. Sie übte, wegen ihrer Gewaltthätigkeit,
eine niederschmetternde Wirkung auf den Geist der Bevölke-
rung, welche bis heute nicht in ihren Folgen überwunden
Halseisen, lieitern; auch fehlen tragische Gegenstände nicht: Ge-
wänder der Henker, ein pyramidenfönniger, mit schwarzen Federn
geschmückter Filzhut, ein mit Troddeln versehener und zerhauener
Brustharnisch. Jacobus Claessaeus, ein vornehmer Krainer, wurde
auf solche Weise getötet. E. A. Eccles., Kasten D, Fach 2
No. XLIX. Es folgt noch eine andre Mitteilung vom Stöhnen
Gefolterter.
1) Rosolenz rühmt, daß das heroische Werk dieser Reformation
fürsichtig und glücklich angefangen und mit Sanftmut ohne einigen
Blutstropfen hinausgebracht sei: in der Dedicatio zu seinem mehr-
gedachteu Werk an Maximilian I. von Bayern und ebendas. Fol, 68b ,
wogegen Loserth S. 499 mit Beispielen streitet. Übrigens gebot der
EeUgiousfriede (1555), daß man den Evangelischen Abzug gewähre.
2) Der vieljährige Leiter der sächsischen Politik Craco wurde
gefoltert, Peucer, der Hauptanstifter des kryptocalvinischen Geheim-
bundes in Sachsen, Melanchthons Schwiegersohn und Polyhistor,
war 20 Jahre im Gefängnis (s. Kluckhohn, Friedrich der Fromme,
S. 405).
3) Vgl. dieses Citat bei Job. Hoornbeck, Summa controver-
siarum religionis, Utrecht 1653, S. 657, und bei Dr. Schuster, a. a. O,
S. 171.
24*
— 372 -
ist. Am tiefsten liegt wohl Kärnten darnieder; das Volk
verkommt in Armut und Branntweingenuß und ist schwer
zu bilden. Wie es in Krain steht, haben die neuesten Ver-
handlungen im österreichischen Parlament (Dezember 1901)
gezeigt, in denen die Unmöglichkeit, eine slovenische Uni-
versität aus dem Boden zu stampfen, von allen berufenen
Faktoren anerkannt wurde. Gleichwohl sei daran erinnert,
daß durch Trüber, Vater und Sohn Felician, sowie durch
Dalmatin die slovenische Litteratur einen verheißungsvollen
Anfang genommen, der Fortgang aber leider um 1600 aufs
grausamste, hoffentlich nicht für immer, unterbrochen wurde.
Am besten ist Steiermark davongekommen und hat sich
auch am schnellsten gefügt, offenbar auch deshalb, weil die
evangelischen Eindrücke sich nicht so tief wie in Kärnten
im Volke festgesetzt hatten i).
Der Erbsündestreit in den siebziger Jahren.
Der Streit um die Erbsünde war, wie bereits oben
auseinandergesetzt, aus den sächsischen Ländern mit den
Vertriebenen nach Osterreich verpflanzt und konnte nicht
so bald wie der um die Agende zur Ruhe kommen. Es
handelte sich um die Lehre von der Sünde und deren
Konsequenzen. Die Kontroverse über dieses Lehrstück war,
wie wir gesehen, zur Zeit des Interim akut geworden und
spitzte sich dann zu in dem Streit zwischen Flacius und
Strigel, m. a. W. zwischen Antisynergismus und Synergis-
mus. Dieser Streit um eine Lebensfrage bewegte weiterhin
die Gemüter, und auch die evangelische Kirche in Öster-
reich empfing davon ihren Teil. Die Widerlegung des
Synergismus war es ja, um welcher willen Flacius den
1) Wie eng das Band, das Steiermark mit Gallus verband,
vor 1570 war, bezeugt u. a. noch der von Gallus dem ßarthol.
Locker erteilte Ordinationsbrief, der demselben zur Anstellung in
St. Georgen ob Murau verhalf. R. A. Kasten D. XXXVI, 21.
- 373 —
ganzen Artikel von der Erbsünde so eigentümlich tormuliert
hatte 1), und. an diesem Punkte zunächst, dann aber auch
in der majoristischen Streitfrage und im Abendmahl schieden
sich Philippisten und Antiphilippisten in weiten Gebieten
des protestantischen Deutschland. Das Interesse des einen
an Melanchthons Namen sich hängenden Teils lag nunmehr
darin, die Streitfragen möglichst unentschieden zu lassen.
Man wollte keine zu genaue dogmatische Formulierung,
besonders aber vermied man die Festlegung der sogenannten
particulae exclusivae in der Lehre. Die Philippisten wollten
in der Thesis mit den Grlaubensgenossen in Reiche über-
einstimmen , aber nicht in der Antithesis , denn alsdann
hätte man Farbe bekennen müssen und wäre bald unter-
legen. Diese Philippisten fmit dem Centrum in Wittenberg
und Leipzig) hofften auf Ausgleichung und Abstumpfung
der Gegensätze im Laufe der Zeit, und es kam ihnen da-
bei zu gut, daß die ihnen opponierenden Lutheraner haupt-
sächlich auch auf ihre kryptocalvinische Abendmahlslehre
erbost waren, währenddem sie den Synergismus und Majoris-
mus eher noch übersahen. Auf diese letzteren hämmerten
nur mit rührender Energie und Konsequenz die Flacianer los.
Lange Zeit blieb der Sieg unentschieden. In Kur-
sachsen erlangte seit 1560 das mehrfach genannte Corpus
doctrinae Misnicum oder Philippicum offizielle Geltung ; in
Pommern ward, es 1561 eingeführt; in Hessen, in Nürnberg,
in Schleswig-Holstein und Dänemark erwarb es sich Sym-
pathieen 2) und wurde im März 1573 nach dem Tode des
Herzogs Johann Wilhelm auch in Thüringen durch Kurfürst
August octroyiert ^). Es enthielt unter anderen die Augustana
vom Jahre 1542 (die Variata), die Loci Melanchthons vom
Jahre 1556 und dessen Examen ordinandorum, aber keine
Lutherschriften. Dieses Corpus, in welchem noch in keiner
1) Das behauptet auch die Wittenberger Grundfest, S. 4'' („Von
der Klotzbus").
2) Loofs, Dogmengesch. S. 290.
3) Preger II, 383.
— 374 —
Weise Rücksicht genommen war auf die seit Melanclithons
Tode akut gewordenen sogenannten Korruptelen der evan-
gelischen Lehre, und das absichtlich die Autorität Luthers
hinter derjenigen Melanchthons zurücksetzte, förderte ein
laxeres Wesen in der Lehre. Ahnliche corpora doctrinae ent-
standen, was uns hier am meisten interessiert, seit 1570 auch
im Süden des Reiches, woselbst die weltliche Macht auf
die Parteiformierung Einfluß nahm, sie den Theologen aus
der Hand riß und sich selbst die oberste Entscheidung vor-
behielt i). Bereits Ende Januar 1573 war durch den Mark-
grafen von Ansbach und Bayreuth behufs Beilegung des
Streites der Philippisten und Flacianer ein Corpus doctrinae
festgestellt, in welchem die lutherischen wie auch melan-
chthoni sehen Lehrbücher zu gleichen Teilen als Normativ
zusammengestellt waren-). Diesem Beispiel war auch
Nürnberg gefolgt, indem es die Normalbücher melanchtho-
nischen und lutherischen Geistes (es waren zwölf) sämtlichen
Predigern der Stadt zur Unterschrift vorlegte ^). Der diese
Unterschrift besonders betrieb, war kein anderer, als der
Superintendent Mauritius Heling, der alte Philippist und
Günstling des Camerarius (s. o. S. 207), der um diese Zeit
in Nürnberg die Macht in Händen hatte. Der flacianische
Streit, der auch in Nürnberg offen ausbrach, seitdem Elacius
1) Für die Verhältnisse im Norden des Reiches und wie man
dort mehr der Autorität Luthers den Vorzug gab, vgl. Loofs, a. a. 0.
S. 291.
2) Es war eine monströse Verschmelzung beider Standpunkte,
des Philippistischen und streng Lutherischen. Neben der letzteren
(v. J. 1540) auch die erste Edition der A. C, ferner mehrere Special-
schriften Melanchthons: die loci, das Examen ordinandorum, seine
definitiones theologicae; endlich die alte Brandenburger Kirchen-
ordnung. Vgl. Johannsen, die Anfänge des Symbolzwanges S. 368
u. Prot. R. E. Art. Corpus doctrinae. Es war das eine unmögliche
Forderung an die Prediger, beiden Richtungen gerecht zu werden;
aber jeder nahm sich sein Teil dabei heraus, und so bUeb der Zank
in der Kirche bestehen.
3) Johannsen S. 3ö7.
— 375 —
seit 1563 von Regensburg aus die eifrigen Lutheraner gegen
die Philippisten aufstachelte, endete mit der Entsetzung
etlicher Predigei-, u. a. des M. Besler, dessen Schicksal
und Verteidigung durch seine in Aussicht genommene Be-
rufung nach Wien für uns vorübergehendes Interesse erlangt
hat 1).
In Augsburg standen die Sachen ähnlich; ja man war
hier noch liberaler und hatte nie das eigentliche Luthertum
gepflegt. In Lindau wurde gleichfalls durch die weltliche
Gewalt der Streit dahin entschieden, daß die flacianischen
Prediger weichen mußten ^). In allen diesen Städten stand
Kurfürst August von Sachsen hinter den Coulissen und
betrieb die Entfernung der Anhänger des Flacius, wobei
er — oder vielmehr seine Theologen — 1574 sogar ein
Auge zudrückte, wenn die sogenannten „Sakramentierer" an
diesen Orten und überhaupt im Reiche sich mehr und mehr
hervordrängten, falls sie nur die Flacianer verjagten.
Ein in dieser Zeit in Nürnberg und Augsburg an-
gestellter Prediger Greorg Kregelmaier, aus Nürnberg ge-
bürtig, der dann 1588 etwa im Österreichischen ein geist-
liches Amt erhielt, klagt über die damaligen Verhältnisse
in jenen Reichsstädten in einer ihm eigens abgeforderten
Konfession über die Erbsünde ^). Er sagt nämlich,
dieser Verdacht des Flacianismus stamme daher, daß er in
Nürnberg seinem Amt und Kräften gemäß gegen die
Zwinglianer und Calvinianer gekämpft habe und in der
gesunden Lehre Luthers von der Person Christi, der Sakra-
mente wie nicht minder vom freien Willen mit Gottes
Hilfe beständig geblieben sei und daher den Haß der
Gegner ^) auf sich gezogen, sodaß sie ihn als Flacianer ver-
1) S. o. 8. 87 u. den Cod. 8314, Fol. 127. Über die Verhält-
nisse in Nürnberg vgl. Johannsen, Die Anfänge des Symbolzwanges
S. 363 u. 356.
2) Vgl. Preger, a. a. O. II, 39 u. C. Irenäus, Censuren L. 1. 1.
3) E. A. Eccles., No. XLIX, Z. 12.
4) Es waren Philippisteu u. Freunde der schweizerischen Abend-
mahlslehre.
— 376 —
schrieen hätten. Diese Gegner nämlich nennten alle die-
jenigen Flacianer, die von ihnen in der Lehre von der Per-
son Christi und der Sakramente abwichen, was ersichtlich
werde aus dem Buche , dessen Titel „örf^ecoft« hoc est
Grundfest" ^) sei. Dieser Name Tlacianer sei ihm auch später
in Augsburg beigelegt worden; denn die Calvinianer 2) in
Nürnberg schrieben darüber nach Augsburg an ihre Brüder,
und also sei es nach Österreich gekommen.
Diese wichtige Mitteilung beweist, daß in den Reichs-
städten um diese Zeit zwei Parteien sich gegenüber standen;
die eine waren Liberale oder Philippisten, die den Krypto-
calvinisten in Sachsen die Hand reichten und von unserem
Briefsteller kurzweg Calvinianer genannt werden; die an-
dere, strengere Lutheraner, war aus Anhängern der Württem-
berger Abendmahlslehre ^) und den Flacianern zusammen-
gesetzt.
Jene erstgenannte Partei, die augenblicklich noch die
Oberhand hatte und sich neuerdings um das Banner der
kurz zuvor in Wittenberg erschienenen „Grundfest der
waren Christlichen Kirchen" *) scharte, betrieb eifrigst die
1) Der Titel ist imgewöhnJich ; er weist vielleicht auf eine erste
Ausgabe dieser „Grundfest".
2) Dieselben wie oben, und zwar pars pro toto.
3) Es sind dies die sogen. Ubiquitisten, die der Lehre Brenzens
von der Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl anhingen.
4) Hinter dieser wahren christlichen Kirche stehen die Witten-
berger Theologen, zugleich aber auch die Leipziger. Als sie infolge
dieses Schriftstückes beim Kurfürsten August verklagt wurden, ward
der bekannte Consensus von Dresden am 10. Oktober 1571 verfaßt,
in welchem die Lehrweise jener Theologen gegen die giftigen Lehren
der Flacianer als recht erwiesen wurde. Als nun Johann Kasimir
sich über diesen Dresdener Consensus zufrieden bezeigte, wie auch
seine Theologen, aber auf Angabe des Unterschiedes, der nun noch
zwischen jenem Consensus und dem Heidelberger Katechismus be-
stehe, drang, gab solches nur Anlaß zu ausweichenden Antworten. Dem
Verfasser dieser Antworten, Dr. Stössel, wurden darauf neue Sätze
der Heidelberger entgegengestellt, wodurch die Ruhe abermals gestört
und dem Kurfürsten zuletzt die Augen geöffnet wurden (s. Kluck-
hohn, II, S. 666),
— 377 —
Verjagung der Pfarrer der Gegenpartei. Ihre Motive dabei
finden wir in jener „Grundfest" angegeben, die auf das
Corpus Philippicum vom Jahre 1560, nicht aber zugleich
auf Luthers Schriften zurückging. Diese Grundfest — wie
Planck meint , vielleicht von Christoph Pezel verfaßt - -
leistet Großes im Schimpfen und Calumnieren gegen ihre
Widersacher (Ubiquitisten und Flacianer), geht aber in den
durch krj'ptocalvinisch-philippistische Lehranschauung ge-
wiesenen Wegen. Zunächst werden die Placianer abge-
schlachtet, welche „neulich eine schreckliche teuflische
Lehre von der Erbsünde eingeführt", wonach die Substanz
menschlicher Natur Sünde sei. Sie werfen ferner eine
„Klotzbus" den Flacianern vor, weil selbige annehmen, daß
der zu Bekehrende sich passiv wie ein Klotz verhalte, ja
„darüber hinaus bis zuletzt dem Geist Gottes widerstrebe".
Sie vermissen bei den Flacianern das dritte Stück der
Bekehrung, nämlich die Erneuerung i), sodann die rechte
Definition der Rechtfertigungslehre und den rechten Unter-
schied von Gesetz und Evangelium. Endlich fehlt ihnen
bei den Flacianern der neue Gehorsam oder gute Werke
als etwas den Gläubigen Nötiges (necessitas nach göttlicher
Regel). Nachdem noch das Dogma von der ewigen Ver-
sehung 2) bei den Flacianern bemängelt worden, geht diese
Grundfest dazu über, alle Gegner insgemein — wobei die
1) Vgl. die oben S. 19 augeführte Stelle aus dem Interim.
2) Überdas, was 1562 an Vorstellungen über Auserwählung:, freien
Willen und Ahnliches möglich war, erfahren wir etliches aus Gegen-
schriften gegen den Heidelberger Katechismus. Das aus Württem-
berg stammende bösartige „Verzeichnis der Mängel des Heid. Cat."
lautet, als ob es aus der Wittenberger Officin stammte und von den
Verfassern der Grundfest herrührte (vgl. Kluckhohn, Briefe I, S. 375).
Die Schätzung der Prädestinationslehre im Zanchius-Marbachschen
Streite zeigt die beginnende Neigung der Lutheraner zu bedeutenden
Abschwächungen. Calvin klagt über das flexibile Ingenium der in
diesem Streit thätigen Vermittler Andrea und Sulzer. Calvin Opp.
XX. S. 24.
— 378 -
riacianeri) ganz zurückgestellt werden — im Punkt der
Abendmahlslelire zu widerlegen und das melanchthonische
Dogma, welches dem calvinischen sich näherte, mit Gründen
aus der Schrift und den Vätern zu verteidigen. Dieser
letzte und größte Teil des Buches beschlägt 144 Seiten.
Dann folgt noch eine Rechtfertigung des wittenbergischen
Katechismus, herausgegeben von der Wittenberger theolo-
gischen Fakultät, von Peucer bevorwortet und empfohlen.
Dieser Katechismus hatte eben damals großen Widerspruch
bei den Gegnern erregt; durch ihn wurde der Philippismus
officiell sanktioniert. Er trat im Punkte des heiligen Abend-
mahls in die Fußstapfen Melanchthons, sowie auch Calvins
und der Pfälzer, kurz er war nach dem Corpus doctrinae
Philippicum modelliert 2). Er rief daher außer den Pia-
cianern auch die Braunschweigischen Theologen unter
Martin Chemnitz in die Schranken, welche ein „Bedenken"
dawider stellten, „der ganzen Christenheit zur Warnung" ^).
Durch das Auf- und Abwogen dieses Streites war die ganze
kryptocalvinische und calvinische Partei in- und außerhalb
des Reiches aufs äußerste beunruhigt und erbittert. Kurfürst
Friedrich von der Pfalz beklagt sich wegen jener Angriffe
der Lutheraner in einem Briefe an Kurfürst August, Juni
1571*), und auf der ganzen Linie begann ein Vorstoß behufs
Unterdrückung der Lutheraner, dessen Opfer, ohne ihr Vor-
wissen, Opitz und seine Freunde in Regensburg wurden.
Die Vertreibung dieser Pfarrer aus Regensburg war
ein durch die Umstände hervorgerufener Akt der Staats-
1) Die Flacianer standen anfangs der Brenzischen Ubiquitäts-
lehre kälter gegenüber (s. o. S. 192 Note) ; erst allmählich fielen sie
di&ser Ansicht bei, was auch die „Grundfest" zugiebt.
2) In der Frage, was das Abendmahl sei, lautet die Antwort:
Est communio corporis et sanguinis Domini nostri I. C, sicut iu
verbis Evangelii instituta est, in qua sumtione Filius Dei vere et sub-
stantiaUter adest, et testatur se applicare edentibus sua beneficia.
3) Vgl. Calinich, Kampf und Untergang des Melanchthonismus
S, 5.5 (veraltet), und Kluckhohn, Briefe Friedrichs, II, S. 422.
4) Kluckhohn, a. a. O. II, S. 422.
— 379 —
gewalt und hatte mit der theologischen Überzeugung des
Magistrats gewiß wenig zu thun i). Man entledigte sich der
Clamanten und Schreier, wie es hieij, um soviel als möglich
Ruhe zu bekommen und konform mit den benachbarten
Städten vorzugehen. Ja, man bediente sich der Gutachten
von orthodoxer Seite, um nur unter einem guten Scheine
die Partei des Flacius thunlichst zu schwächen. In diesen
Zusammenhang fügt sich nun der Erbsündestreit in den
siebziger Jahren innerhalb Österreichs ein. Er war nur
die Fortsetzung des Kampfes draußen im Reich und von
manchen herzlich beklagt. Philipp Barbatus schreibt dar-
über am 29. September 1573 aus Syrendorf an Waldner in
Regensburg folgendes -) : „Nicht mit wenigeren Schmertzen
erfahre ich auch, daß es albereidt, vntter den Predigern
vnd lehrern Eurer Kirchen vnd Schneien vber dem Zanck
De peccato originis zu splittern anfahe. Ach der bösen
iemmerlichen Zeitt. Blibe man bey Gottes Wortt vnd der
Lehre D. Luthers, welcher an uilen ortten seiner Bucher,
Wie auch in Schmalkaldischen Artikeln klar zeuget ....
daß alles mit uns eitel Sünde sei, vnd müssen schlecht neue
vnd andere menschen werden, vnd ließe den Manichäischen
schwärm, daß die Erbsünde ein Nihil privativum, ein Acci-
dens separabile oder inseparabile, ein angeschmirtter Vnflatt
sein solle, fahren, so dorffte man dises iammers alles nicht.
Der Grosse Purst Michael, Christus Jesus, were dem Teufel,
vmb seiner Ehre vnd Namens willen. Amen."
Innerhalb der evangelischen Stände selber war Zwie-
spalt anläßlich der 1574 bevorstehenden Berufung eines
1) Daß Wolfgang Waldner kein Gallus war und daher nicht
schHchtend einzugreifen vermochte, zeigt schon das S. 213 Erwähnte,
wie auch seine damaligen Briefe an M. Chemnitz (Rehtmever,
Braunschw. Kirch. Hist. II, 38 f.) und Reuter, welch letzterer ihm
Vorwürfe gemacht, daß er die Accidenzer in Regensburg unterstütze.
Vormals einig mit den Flacianeru, verwarf er jetzt das Wort „Sub-
stanz" und war für das „Accidcns".
2) R, A. Eccles., No. XXVI, Z. 94.
- 380 —
Landschaftspredigers in Wien. Darauf nämlicli beschränkte
man sich evangelischerseits, da die Anstellung eines Super-
intendenten nicht gestattet war. Dieser Prediger sollte die
Prüfung und Aufsicht über die Kandidaten haben. Die
Mehrheit der Ständemitglieder, unter ihnen jene, die dem
Kaiser zunächst standen (besonders Richard Strein)i), war
für einen gemäßigteren Kandidaten, die anderen, haupt-
sächlich die Religionsdeputierten, waren für die Berufung
eines strengeren. Die erste Partei ließ also, auf eine Em-
pfehlung aus Augsburg hin, Dr. Jeremias Homberger von
Lauingen zur Probe nach Wien kommen , während die
Religionsdeputierten, wie schon erwähnt, den gerade ver-
triebenen Opitz als Landschaftsprediger beriefen (13. April
1574). Letzterer ward als Prediger der zwei evangelischen
Stände definitiv angestellt ; ersterer nur zur Probe in Wien
behalten. Beiden wurde der seitdem üblich gewordene
Revers vorgelegt, wonach man u. a. m. sich des ärgerlichen
Streites über Substanz und Accidens enthalten sollte. Opitz
unterschrieb ; Homberger aber, obwohl nach längerem Zögern
auch zur Unterschrift bereit, stieß dennoch auf den Wider-
stand der Deputierten. Er hatte sich, was wohl damals erst
zur allgemeinen Kenntnis kam, bereits zu sehr kompromittiert,
indem er vor etlichen Jahren eine orthodoxe Elegie von
der Erbsünde zu Gunsten des Flacius geschrieben, darauf
aber, nachdem er zu Jena sein Doktorat gemacht, wiederum
dem Accidens beigefallen war und also um diese Zeit als
ein Gegner des Flacius zu gelten hatte 2).
1) Strein war, wie sein Biograph K. Haselbach sagt, melanch-
thonischer Adiaphorist, also der Wittenberger Richtung ergeben.
Dies Geschlecht der Adiaphoristen schildert W. Waldner (7. Januar
1557): „Die guten Leut wissen nicht, wo sie daheim sein, noch was
das Euangeüum ist, wollen iedermans Freund sein, simulirn alle
ding, geben gute wort sie wollen mit vns gleich lernen (lehren), vnd
ist doch gewislich anders in irem hertzen, wo sie rechte gelegenheit
finden wurden, sol mans mit schaden wol erfahren." R. A. Eccles.,
No. XXVI, Z. 49.
2) So erzählt die Sache Christof Irenäus in seinen Censuren
u. Urteil, III, O, o, 3.
— 381 —
Mithin war Opitz im Vorteil , sofern er nie seine
Meinung geändert und vor allem — er war nach dem
Herzen der Deputierten. Man ließ Homberger eine Reise
nach Graz unternehmen und benutzte inzwischen die An-
kunft des Chyträus, welcher auf der Heimreise aus Graz
begriffen war, um eine Konferenz zu veranstalten ^). Auf
dieser Konferenz in Stein (Niederösterreich) ließen die De-
putierten in Gegenwart von Chyträus, Reuter, J. F. Cölestin
u. a. m. Beratungen vornehmen zur endgiltigen Ordnung
gewisser Punkte im österreichischen Religionswesen und zur
Herstellung eines Consensus de peccato originis ^j. Chyträus
selbst schreibt an Heinrich von Starhemberg (17. [27.] Juni
1574)^ daß sie ihre Meinung über die einzelnen Punkte
schriftlich niedergelegt, über deren Inhalt der Baron bei
den Religionsdeputierten sich Kenntnis verschaffen könne.
Am anderen Tage wolle er abreisen ^). Nach seiner Abreise
wurde, wie Reuter berichtet, aus schriftlichen Erklärungen
des Homberger, der zeitweilig aus Graz zurückgekehrt war,
und des Opitz eine Formula Concordiae ■*) zusammengestellt,
welche den Predigern zur Unterschrift und genauen
Befolgung vorgelegt wurde. Über diese Formel ent-
brannte aber alsbald ein neuer Streit, in welchen sich auch
der zeitweilig in Österreich anwesende, von Andrea em-
pfohlene Württemberger Jak. Heilbrunner mischte, und den
1) Das Nähere über diese Verhandlimgen siehe bei ßibl, Die
Organisation des evang. Kirchenwesens in Niederösterreich, S. 86 — 97.
Ferner Chyträi Epp., p. 182 u. 62, wonach Chyträus die Verhandlung
zur Beförderung des schon im März für Graz ausersehenen Hom-
berger nach Graz durchführte. Dorthin schreibt er ihm aus Stein
väterliche Warnungen: er solle die Disputatio über das Accidens
und Substanz meiden etc. (p. 64).
2) Nach Chyträi Epp., p. 183 hieU man sich dabei außer an
die A. C. und Apologie noch an die Ausdrücke in Gallus' Katechis-
mus — auf Reuters Anraten.
3) Chytr. Epp., p. 184.
4) Eaupach, II, S. 252. In Cod. 8314 Fol. 83 sagt Opitz, diese
Formel sei „von wegen D. Homberger gestellt" worden.
— 382 —
Polykarp Leyser mit gehässigen Kommentaren begleitete.
Es blieb aber dabei, daß Opitz als Landschaftsprediger in
Wien gehalten wurde, während Hornberger nach Graz ging
und dort eine bedeutende Rolle spielte, ja sich der Aufgabe
widmete, im Auftrag der dortigen Stände flacianische Kol-
legen zu inquirieren.
Opitz hatte überdies den besonderen Vorteil, sich auf
die Zustimmung des Chyträus berufen zu können, welcher
nach seiner Heimkehr auch namens der Rostocker Fakultät
seine Billigung jener Formula Concordiae nach Osterreich
hin zu erkennen gab ^).
Mit dem vollen Vertrauen der Religionsdeputierten beehrt,
predigte Opitz nun, ohne in seiner bisherigen Überzeugung,
sich durch Menschen binden zu lassen, in der Hauptstadt.
Es war die eigentlich goldene Zeit der evangelischen
Predigt in Wien, in der, wie Hubert Languet aus Wien
schreibt (23. April 1574), der spanische Gesandte aus dem
Hause des Herrn von Eyzing heraus die Stimme des Pre-
digers und den Gesang der Gemeinde vernahm. Als nun
Kaiser Maximilian, dem Drängen des Spaniers nachgebend,
dem Herrn Oswald von Eyzing, der damals Verwalter des
Statthalteramts war, solches untersagen ließ, nahm Herr von
Enzersdorf, unter Zulassung des Kaisers, jenen Prediger in
sein Haus, von wo aus 1575 der Gottesdienst in das Land-
haus verlegt wurde-).
1) Chytraei Epp., p. 117, wobei er freilich die Folgerungen,
welche Opitz und seine Freunde aus dieser seiner Approbation in
Wien gegenüber den Accidenzern zogen, energisch ablehnte (vgl. auch
Raupach, I, B. 144 ff.). Chyträus wußte wohl kaum, daß die An-
hänger (,, Jünger") Andreä's in Wien, wie Opitz klagt, den von D.
Jakob empfohlenen D. Mattheus, einen ehemaligen Arianer, der 1567
in Amberg entsetzt worden, auf offner Kanzel gerühmt und absol-
viert hätten, was den Widerspruch Opitzens hervorrief (^Cod. 8314, 83 b).
Dieselbe Formel kam auch den zu Torgau (Mai 1576) versammelten
Autoren der Form. Concordiae, Andrea und Chemnitz, zu Gesicht
und empfing dadurch eine nochmalige Approbation (Chytr. Epp.,
p. 119).
2) S. Raupach, Presbyterol., kl. Nachlese, S. 12.
— 383 -
Vier Jahre lang, vom 13. April 1574 bis 21, Juni 1578,
wirkte Opitz in Wien als einer der beiden Prediger, die mit
kaiserlicher Zustimmung von den zwei Ständen angestellt
waren, und zwar seit 1575 im Saale des Landhauses zu
Wien, wozu auch Bürger und Handwerker in großer Zahl
sich drängten. Opitz kümmerte es nicht, daß er von zwei
Kaisern scheel angesehen ward und allen Gegnern seiner
als flacianisch verschrieenen Lehre, u. a. Jakob Andrea,
der ihn alsbald bei den Deputierten verleumdete, ein Dorn
im Auge wari). Daß er mit seiner Lehre vom völligen
menschlichen Verderben vor und nach der Taufe besonders
den Jesuiten verhaßt sein mußte, ist selbstverständlich 2).
Wenn nun dieser erst 32-jährige hochgewachsene Mann
rücksichtslos und voller Begeisterung predigte, ja in seinem
Feuereifer selbst ärgerliche Dinge auf der Kanzel vorzu-
bringen sich nicht scheute, so kann ihm das der Geschichts-
kundige nicht als Schuld anrechnen. Seine schweren Er-
lebnisse, die ihn um des Bekenntnisses willen von einer
Stadt in die andere führten, aus Sachsen nach Regensburg
und von dort nach Österreich, hatten ihn nicht entmutigt
und nicht die Überzeugung bei ihm bewirkt, daß er, weil er
verfolgt werde, darum eine ungerechte Sache vertrete. Die
große Stadt Wien lag vor ihm offen, die Ernte war reif
zum Schnitte ; an die communio sub utraque ^) war das Volk
gewöhnt. Schon gaben die Römischen ihre Sache verloren.
Georg Eder schrieb klagende Briefe ; z. B. an Adam von Diet-
richstein, Wien, 1. Januar 1577 "i): „Das Religionswesen ist
allhie in 20 Jahren nicht übler nie gestanden, alls eben jetzo.
Außer des hauffleins so die frummen heiligen vatter der
societas lesu bis an hero auffgehalten, ist es alles gefallen.
Die sacramenta werden nicht mehr bei der haupt- und pfarr-
1) Vgl. Bibl, a. a. O. S. 93 f. Der Brief Andreas vom 30. Sept.
1574 wird dort erwähnt, ebenso der Eevers des Opitz abgedruckt.
2) S. Eaupach, II, S. 286.
3) Wiedemann, II, S. 223.
4) Hopfen, a. a. 0. S. 375 Note.
— 384 —
kirchen, sonder alle im landhaus gesucht und prophaniert.
Auch St. Stephan werde in kurzem zu einer Wüste werden
und niemand nehme das zu Herzen." Der protestantische
Gegner rückte entschlossen vor. Bischof Kaspar Neubeck
klagte bitter über „Opitionische Verführung", welche das
Religionswesen verderbe i). Die Lutherischen hatten näm-
lich bereits ihren eigenen neuen ungeweihten Kirchhof vor
dem Schottenthor seit 1570, mit eigenen protestantischen
Epitaphien, der bis 1590 den Protestanten verblieb. Hier-
durch wurden des Bischofs Rechte und die Einkünfte der
katholischen Geistlichkeit geschmälert.
Der Zulauf zu Opitz' Predigten wurde so ungeheuer,
daß er, wie er selbst 2) sagt, vor 8000 Zuhörern im Land-
hause predigte, was wohl heißen soll, daß er zuweilen 8000
an einem Sonntag haben mochte, die ihn, wenn auch ver-
geblich, zu hören begehrten ^). Dazu wurden seine Schriften
im Landhause zu Wien öffentlich verkauft *).
Neben Opitz wirkte als Diakon Lorenz Becher, der in
Kursachsen des Dienstes enthoben ward, weil er sich gegen
den Philippismus gesetzt hatte ^). Derselbe charakterisierte
1) Wiedemann, 11, S. 220.
2) S. ßaupach, 1. Fortsetzimg S. 285; entnommen aus Oi^itz
„Sendschreiben an alle wahre Christen und Bekenner des Heil. Evan-
geliums unseres Herrn J. Chr. zu Wien in Österreich", 1578 (ab-
gedruckt bei Eaiipach, IV, S. 171—187).
3) Vgl. Hombergers Oratio, in der es von den Versammlungen
in Graz heißt, daß dort zuweilen 7000 Menschen zusammenkamen
(J. Hornberger von Dr. F. M. Mayer, S. 142).
4) Eine bekanntere Schrift von ihm war das „Sp^culum",
welches der Pfarrer Hasler in Graz 1577 in mehreren Exemplaren
kaufte, ein Gesinnungsgenosse von Opitz, dessen Anhang in Steier-
mark nach Tausenden zählte (Loserth, Der Flacianismus in Steier-
mark, Jb. d. Ges. f. d. Gesch. d. Prot., 1899, 1. Heft, S. 8). Aus
der Bibliothek des verstorbenen Gallus hatte Opitz sich 129 Bücher
gekauft. Seine Schriften gehören unter die von Eom verdammten
autores primae classis. Zu der in Mansfeld gedruckten Gegenschrift
gegen den „Regensburger »Bericht" war er lediglich durch die falsche
Darstellung des Sachverhaltes gezwungen worden.
5) Cod. 8314, Fol. 105-106.
— 385 —
das Papsttum in einer Predigt vom 11. Juli 1574 über die
Offenbarung Johannis derartig, daß seine Gegner völlig auf
den Mund geschlagen waren. Besonders die Erzählung von
den etlichen tausend Kindsköpfen, die da in Klöstern ge-
funden worden sein sollten, welche Opitz auf die Kanzel
brachte, erhitzte die Gemüter des Volkes ^). Später kamen
noch Michael Hugo und Tetelbach hinzu, die im selben
Geiste predigten. Dazu kamen die übrigen Hauspredigten
bei den Adeligen ; z. B. verrichtete solche Luzius bei
H. von Hofkirchen und der Prediger Adam Geyers in
Hernais. Ferner predigte Sigmund Hartel in Währing bei
Wien, wurde aber 1578 gefangen gesetzt und ausgewiesen.
Der Widerstand der Päpstlichen nahm darüber zu und
wurde verstärkt durch die Uneinigkeit im Schöße der Evan-
gelischen selber, von denen die Hernalser unter Ziegler
Partei gegen Opitz ergriffen. Es kam wohl vor, daß die
Vertreter der strengeren Richtung den Anhängern der
gemäßigteren (Accidenzern) schroff entgegentraten und die
Kirchenzucht an ihnen übten. Darüber liefen dann Klagen
bei Chyträus ein. Daß von Gevatterschaften, von den üb-
lichen Begräbnisfeierlichkeiten, ja selbst vom Abendmahl
etliche ausgeschlossen werden, bemängelt Chyträus in einem
Briefe an Opitz , Cölestin und Reuter 2). Jene also Be-
schädigten riefen die Hilfe Maximilians an , welcher die
1) Vgl. Veith, Bibliotheca Augustana, Augsburg 1785, der die
Unechtheit dieser Erzählung, die aus einem Briefe des Bischofs
Udalricus (zur Zeit Gregors) stammen soUte, beweist, ohne damit
natürlich die Sache aus der Welt zu schaffen. Der Jesuit Georg
Scherer schrieb gegen diese das katholische Gefühl verletzende, aber
allgemein verbreitete Fabel schon damals sehr ernsthaft, ließ aber
außer acht, daß es dem Opitz doch wahrlich nicht auf die Zahl der
Köpfe ankam, sondern daß er das System treffen wollte, das Cölibat,
welches solche Früchte notwendig tragen mußte (vgl. Raupach, II,
S. 271 ; Wiedemann II, 203 imd Janssen, Gesch. des deutschen
Volkes B. IV, S. 466).
2) Epp. p. 118.
25
— 386 —
Deputierten beauftragte (Erlaß d. d. Prag 30. März 1575) i),
darauf zu sehen, daß ihre Prediger sich jeglicher Schmäh-
reden enthalten sollten; besonders aber der „friedhässige
und hadrige Opitz", der bereits aus Regensburg ausgewiesen
sei. Die Deputierten eilten nun keineswegs mit der Aus-
führung der kaiserlichen Aufforderung, indem sie sich nur
um so entschiedener zur Predigt des Opitz bekannten und
sich durch kein Geschrei der Gregner irre machen ließen.
Die Verdächtigungen, die wegen der Vertreibung aus Regens-
burg auf Opitz gemacht wurden , ließen sie kalt , wie es
rechten Christen zusteht. Als nämlich am Ende des Jahres
der Kaiser, gestachelt durch Kurfürst August, abermals
auf Entfernung des Opitz bestand, erbot sich der Land-
marschall Rogendorf, um doch etwas zu thun, im Namen
der Deputierten, die Verantwortungsschrift des Opitz an
zwei unparteiische Universitäten (Rostock und Frankfurt
a. 0.) zu senden. Erst wenn deren Gutachten wider Opitz
ausfiele, solle er entlassen werden. Der Kaiser gab sich
mit dieser Erklärung zufrieden ~). Mit Entrüstung wendeten
sich sodann die Stände gegen Andrea, der den Brand gegen
Flacius in so auffälliger Weise wieder angefacht hatte in
seinem Colloquium de peccato originali ^), einer Schrift, wie
Preger sagt, voll verletzenden Übermuts und schneidenden
Hohns. Sie hielten ihm (10. Febr. 1567) vor, daß er mit
Unrecht in jener Schrift gegen Flacius ihre Uneinigkeit
tadle, während er kurz zuvor in einer Widmung ihren
Eifer gelobt. Es sei kein Grund vorhanden, den Opitz als
einen solchen hinzustellen, den „neben andren Flacianern,
wie er sie verhäßlich nenne, alle Christen bei Ver-
lust ihrer Seelen Seligkeit fliehen und meiden
müssten". Ihm zu mißtrauen, weil er aus Regensburg ver-
1) Bibl, a. a. O. S. 102. Die Abschrift des Dekrets liegt vor
im niederösterreichischen Landesarchiv.
2) Das Rostocker Gutachten lautete günstig für Opitz, vgl.
Eaupach, I, S. 142.
3) Preger. II, S. 322, vgl. ßibl, a. a. 0. S. 104.
- 387 —
trieben worden, sei kein Grund vorhanden. Sie konnten
überdies mit Recht für Opitz eintreten, weil ja dessen
Lehre bisher keineswegs von der Kirche verdammt war.
Unter einem beriefen sie sich in der Zuschrift an Andrea
darauf, daß sie sehr korrekt gehandelt hätten, indem
sie einen „alten, landkundigen und verschlagenen Sakra-
mentierer" — sie meinten Johannes Mattheus — des
Landes verwiesen hätten i). Genug, Opitz blieb und über-
dauerte Maximilians Tod, ja wurde noch immer mehr Lieb-
ling eines Teiles des Adels und der Mehrzahl der evan-
gelischen Bürger und Handwerker.
Der Mann hat offenbar seine Verdienste, und wir
können ihn nicht kurzer Hand abfertigen, indem wir
sagen: er war Flacianer, und seine endliche Landesver-
weisung war ein gerechter Sieg über den Flacianismus 2).
Er war nach seinem wiederholten Zeugnis 3) gar nicht ge-
willt, von der Erbsünde als Substanz zu reden, aber auch
nicht als einem Accidens. Er war Protestant, redete mit
1) Vgl. über den durch Andrea empfohlenen Dr. J. Mattheus
Raupach, Presbyt. und Bibl, a. a. O. p. 99 f. u. 105. Er galt sogar
für einen Arianer, war auch aus Amberg vorlängst verwiesen, und
wurde später ein Lutheraner im Sinne der Konkordienformel.
2) Unter Opitz' Zuhörern in Wien befand sich imter anderen
der bereits S. 106 genannte Sekretär Kaspar Hirsch aus Graz, der
wenig Vertrauen Erweckendes über eine Opitzsche Predigt, der er bei-
wohnte, äußert, und zwar in einem Briefe an Pol. Leyser, dazumal in
GöUersstorf bei Mich. Ludw. von Puchhaim (d, d. 26. Aug. 1574).
Opitz habe am 10. Sonntag nach Trin. seine Meinung in öffentlicher
Predigt so recht an den Tag gelegt, da er jene verdammte, die da
sagen, es sei noch etwas Gutes am lAIenschen (aliquid esse boni in
uatiu-a hominis) etc. etc. Da er ihn nun genug kennen gelernt,
werde er seine Predigten nicht mehr hören , sondern vielmehr mit
seiner ganzen Familie zu Leyser in GöUersstorf sich halten.
Ganz anders urteilte Chyträus in einem Briefe an Matthias
Ritter in Frankfurt , den er 1580 um Opitz' Adresse bittet und da-
bei das Zeugnis abgiebt, derselbe habe sich m der Wiener Gemeinde
ziemlich gemäßigt erwiesen und sein Dogma von der Erbsünde
nicht öffentlich vorgebracht (Raupach, II. Forts. S. 286, Note).
3) Cod. 8314, Fol. 148.
25*
— 388 —
geisteruug von der Tiefe der Erbsünde und erhob Christum
um so höher. Was seine Amtsentsetzung in ßegensburg
betrifft, so hat er sich deswegen genügend vor den Depu-
tierten gerechtfertigt. Es sei nicht richtig, daß er dort öffent-
lich die „Substanz" verteidigt habe; er sollte vielmehr von
seinen Feinden im Rat und im Ministerium gezwungen werden,
das Accidens zu billigen, indem er eine ihm vorgelegte
Formel ohne weiteres zu unterschreiben verhalten ward.
Solches verweigerte er, nebst Peristerius und anderen, daher
dann die Entlassung sie getroffen. Natürlich daß ihm und
seinen Gesinnungsgenossen in Wien das böse Gewissen seiner
Feinde, besonders Andreas und seiner Helfershelfer — der
Hernalser Prediger Ziegler und Polykarp Leyser in Göllers-
torf — Hindernisse in den Weg zu legen trachtete. Er war
kein Irrlehrer, er wollte bei der Unterschrift der Formula
Concordiae (1574) bleiben. Er war ein Charakter, was
von seinen Gegnern nicht immer zu sagen ist. Jeremias
Homberger z. B., der 1574 einem Rufe nach Graz folgte,
veröffentlichte alsbald am 4. Oktober einen Brief, in welchem
er alle Gemeinschaft mit Flacius im Punkte der Erbsünden-
lehre aufsagte, nachdem er doch zuvor in Frankfurt eine
Elegie auf diese Lehre, auf Flacius' Wunsch, verfaßt hatte.
Er verkündete öffentlich, daß Flacius kein Recht hätte, ihn,
wie er soeben gegen Andrea gethan, zu seinen Anhängern
zu zählen, und Andrea nahm dies schadenfroh zur Kennt-
nis und hing es an die große Glocke, um Flacius der Un-
ehrlichkeit zu zeihen i). Solche Aufreizungen zur unrechten
Stunde machten natürlich böses Blut und stachelten auch
die Flacius anhängenden Prediger und Religionsdeputierten
zu rücksichtslosem Vorgehen. Es ist der alte Kampf und
die alte Kampfesweise, von Thüringen und Sachsen her
uns wohlbekannt 2).
1) Vgl. Präger, S. II, 522.
2) Auch Wigand half noch um diese Zeit das Feuer schüren,
indem er Ostern 1575 sein Werk De Manichaismo renovato nebst
einer Dedikation au Eogendorf und 4 andere evangelische Herren
i
i
— 389 —
Unter Kaiser Rudolf zogen sich verderbliche Wolken
um das Landhaus in Wien zusammen. Der wunde Punkt
war, wie wir schon oben gezeigt i), daß der öffentliche
Gottesdienst in Wien nach der Assekuration nicht gesetz-
lich war, und daß die Stände dies verdecken wollten,
während der Kaiser keine Überschreitung der Konzession
seines Vaters zu dulden willens war. Dazu kam, daß auch
Bürgermeister, Richter und Rat der Stadt Wien mit den
Evangelischen vom Adel zusammenzugehen keine Lust zeigten.
Das Volk freilich dachte anders. Während der Fronleich-
namsprozession 1 577 hielt Opitz im Landhaussaal eine zün-
dende Predigt, verdammte, was draußen geschah, als lauter
Abgötterei und verkündete laut, die Obrigkeit habe keine
Macht „ihnen zu schaffen, auch um das goldene Kalb zu
tanzen, weshalb man ihr in diesem Falle nicht zu gehorchen
brauche". Darauf nahm er eine Ordination vor und hob
hervor, der Schnitt sei groß, die Zahl der Arbeiter aber
gering. Auch erteilte er mehreren Bürgern die Kommunion
und nahm andere gottesdienstliche Handlungen vor. In-
zwischen verlief der Umzug kläglich, die Handwerkerzünfte
waren sehr spärlich vertreten, die meisten vom Rat hielten
sich fern 2).
Die Aufrüttelung der Gremüter, die durch Opitz und
seine Mitprädikanten geschah, war eine gewaltige ; sie griff
tief in die Bürger- und Handwerkerhäuser ein, woselbst die
Sakramente administriert, Leichenpredigten gehalten und die
Toten auf den Gottesacker vor dem Thor begleitet, während
die Hochzeiten und Kindtaufen auf das Landhaus gezogen
und die Gläubigen angewiesen wurden, keine Gemeinschaft
in Österreich ausgehen heß, worin er Opitz' Absetzung in Regens-
burg besonders gehässig behandelt. Er kam natürlich bei den alten
Freunden des Gallus, den Eeligionsdeputierten, Rogendorf an der
Spitze, übel genug an.
1) Vgl. S. 160.
2) Vgl. Bibl, Die Einführunc der katholischen Gegenreformation,
S. 18.
390
mehr mit den Katholiken zu pflegen. Und was Opitz
mit den Seinigen that, das thaten Ambrosius Ziegler, der
Prediger in Hernais, Sartoris in Inzersstorf und andere in
den Häusern des Adels amtierende Geistliche. Leider war
diese an sich so begreifliche Handlungsweise mit dem Makel
der Unbotmäßigkeit gegen die Obrigkeit behaftet^).
Es regnete Dekrete: der Kaiser, Erzherzog Ernst und
Herzog Albrecht von Bayern vereinigten sich, um das öffent-
liche evangelische Kirchen- und Schulwesen in Wien als eine
offenkundige Überschreitung der Religionskonzession hinzu-
stellen und die Prediger demnach zu verjagen. Fast komisch
wirkt es dabei, daß die gegenwärtigen Wiener Prädikanten,
vornehmlich Opitz, um ihrer falschen manichäischen Lehre
willen von Bayern aus verlästert wurden, als ob der Her-
zog etwas davon verstanden hätte und nicht nur deshalb
in die antiflacianische Trompete stieß, weil ihm solches zur
Verdächtigung der Prädikanten in Wien genehm war^j.
Gleichwohl blieben diese dringenden Ratschläge aus
München nicht ohne Einfluß und bildeten ein Gegengewicht
gegen die Furchtsamkeit des Kaisers. Dieselbe war nicht
unberechtigt, denn alle Adeligen, mit Ausnahme weniger
Personen, und die meisten von der Bürgerschaft gehörten
der Augsburgischen Konfession an ^j.
Wir können hier nicht die verschiedenen Kreuz- und
Quergänge, welche auf beiden Seiten, vom Kaiser und von
den Evangelischen, eingeschlagen wurden, verfolgen. Wer
sich dafür interessiert, möge den Codex 8314 studieren,
oder die Auszüge bei Bibl in der oft genannten Schrift:
Die Einführung der katholischen Gegenreformation in Nieder-
östereich im VI. und VIL Kapitel nachlesen.
So viel ist gewiß: auch die besten Argumente der
evangelischen Stände waren nur auf Gründe der Billigkeit
1) Vgl. Apostelgeschichte 4, 13 — 21,
2) Bibl, a. a. O. S. 22 u. 57.
8) Bibl, S. 59.
- 391 -
und nicht auf den Wortlaut der Assekuration Maximilians
gebaut. Vergebens war es, daß Strein, der alte Nothelfer,
den Versuch machte, sich beim Kaiser dafür einzusetzen,
die Zulassung des Predigens in Wien und hernach im
Landhause aus Maximilians Munde vernommen zu haben.
Er wurde nicht zum Kaiser berufen. Der schriftlichen
Beweisführung der Stände wußte man bei Hofe am 7. Juni
1578 ein bündiges non liquet entgegenzustellen. Es konnte
eben nicht mit Dokumenten erwiesen werden, daß die Re-
ligionskonzession für den Adel so weit erstreckt worden
sei. Allen weiteren Verhandlungen über evangelische An-
gelegenheiten , so verfügte die Resolutio i vom 7. Juni,
müsse die Abschaffung der Prädikanten und Schulmeister
aus Wien vorausgehen. Auf einer darauf im Juni folgen-
den Religionskonferenz kam man auch nicht zu einem guten
Schluß ^). Obwohl Kaiser Rudolfs Verordnete mit einzelnen
Zugeständnissen den Evangelischen sehr entgegenkamen,
verlangten die ständischen Vertreter, Rogendorf an der
Spitze, freie Verfügung über ihre jetzigen Prediger. Von
einer Ausweisung, besonders des Opitz, wollten sie durch-
aus nichts wissen. Als die kaiserlichen Verordneten dar-
auf bestanden , wurden die Verhandlungen abgebrochen.
Damit trat nun die oben erwähnte Resolution in Kraft,
d. h. die gänzliche Abschaffung des evangelischen Religions-
und Schulwesens in Wien. Am 21. Juni erhielten Opitz
und die übrigen den Ausweisungsbefehl zugestellt (vgl. Cod.
Fol. 271^j. Opitz, offenbar schon vorbereitet, empfing die
Nachricht mit großer Ruhe. „Gegen 5 Uhr fuhr er, von
Hartschieren umgeben und von einer großen Volksmenge,
sowie einigen Landleuten begleitet, aus der Stadt. Ihm
folgten die anderen drei (Tetelbach, Hugo und Schulmeister
Sesser) ebenfalls im Wagen nach. In der Stadt herrschte
große Aufregung, doch zur befürchteten Revolte kam es
1) Diese mündlich gepflogenen Unterhandlungen zwischen den
Vertretern der Stände und den geheimen Räten sind auf 35 Seiten
Fol. 246—271 im Codex 8314 mitgeteilt und von höchstem Interesse.
392
nicht" 1). Andere Quellen bei Raupach (I, S. 299) bezeugen,
wie tief der Weggang dieser Prediger beklagt wurde und
wie man ihnen unter Thränen das Geleite vor die Stadt
gab. Opitzens Anhänger ließen sein Bildnis in Kupfer
stechen und mit etlichen Reimen versehen, worin seine
ausgezeichnete Wirksamkeit verherrlicht wurde ^j. Er selbst
richtete noch 1578 ein treffliches Rundschreiben „an alle
wahren Christen und beständigen Bekenner des heiligen
Evangelii unsres Herrn Jesu Christi zu Wien in Ostreich",
um die Treuen zu trösten, die Gleichgültigen zu strafen.
Es wird auch erzählt von einem Gottesgericht, nämlich von
der Lähmung des Freiherrn von Teuffl, der, entgegen den
Bitten und dem Flehen seiner Gemahlin, die Vertreibung
der Prädikanten betrieben hatte ^) und darüber noch beim
Nachhausekommen spottete.
Wie wohl berechnet dieser Schlag der Feinde war,
zeigt nicht nur der offen geäußerte Triumph der katho-
lischen Partei, die noch soeben ganz und gar in Verzweif-
lung gestanden *), sondern auch die Folgen der Ausweisung.
In der Hauptstadt war der evangelische Gottesdienst ge-
knickt ; es gelang nicht wieder, die Schließung der Land-
hauskirche und -schule rückgängig zu machen. Die evange-
lischen Bürger mußten seitdem in Hernais und Inzersdorf
zur Predigt und Sakramentsbedienung die Zuflucht nehmen.
Daß uns hier allein die victa causa, die verfolgte
Unschuld, gefällt, brauchen wir wohl nicht zu sagen, wenn
wir auch zugeben wollen, daß die Herren und Ritter in
1) ßibl, a. a. O. S. 89, u. Wiedemanu II, S. 208.
2) Raupach, Presbyt., S. 135.
3) Raupach, Presbyt., kl. Nachlese, S. 13. Die Teuffl waren
auch später beharrlich im evangelischen Glauben. Einer derselben,
Karl, verweigerte dem katholisch gewordenen Fr. Chr. KhevenhüUer
seine Tochter, und das Geschlecht wanderte aus. Vgl. Adam Wolf,
Geschichtl. Bilder aus Österreich, Bd. I, S. 156 ff.; desgleichen Rau-
pach IV, S. 335 f.
4) So schreibt Eder an Herzog Albrecht, 13. Juli 1578; ebenso
der Wiener Bischof (Bibl, a. a. 0., ö. 90, Anm. Ij.
I
— 393 —
ihrem Einstehen für ihre guten Prediger und in ihrer
Vertrauensseligkeit zu Kaiser Rudolf zu weit gehen mochten.
Errare humanum est, aber Gott sieht das Herz an.
Auch andere Hausgottesdienste wurden nun unter-
sagt. Der Hofkriegsrat Wilhelm von Hofkirchen unterhielt
in der Stadt selbst im Hofe seines Hauses durch seinen
Prediger Dr. Luzius einen Gottesdienst, zu dem jedermann
ungescheut Zutritt hatte und wohin auch Kinder zur Taufe
getragen wurden ^). Als ihm der Erzherzog am 28. Sept.
„mit großem Zorn" die kaiserliche Ungnade in Aussicht
stellte und ihm anzeigte , er könne , wenn er nicht ohne
Predigt hier dienen wolle, seinen Abschied nehmen, so
gab Hotkirchen zu verstehen, sein Prediger sei ihm wich-
tiger als der Kaiser, und verließ noch am selben Tage die
Stadt 2).
Mit dem Flacianismus hat diese Abschaffung der Pre-
diger offenbar nichts zu thun. Die Machthaber kümmerte
weder Accidens noch Substanz : ihnen waren allein die
energischen Prediger, die aus dem Reiche vertriebenen und
aller Welt verhaßten evangelischen Wortführer zuwider.
Und so war denn jeder Prätext willkommen, um sich dieser
unholden Gäste auf gute Manier zu entledigen. Tetelbach
und Hugo, sowie der bereits 1576 nach Hörn berufene
Becher, blieben in Österreich. Die Stände stellten Opitz,
Tetelbach und Hugo ein Wohlverhaltungszeugnis aus ^). Es
sollte daher billig ihr Ruf vor der Nachwelt ungeschändet
bleiben. Die Sache war eben, daß der ganze Gottesdienst
in Wien nach der Religionskonzession Maximilians nicht
zu rechtfertigen war. Es wäre nun der Stände Aufgabe
gewesen, mit aller Energie und Rücksichtslosigkeit eine Er-
weiterung der Konzession bei Rudolf und Matthias durch-
1) Vgl. Eaupach, Presb. S. 109, u. Bibl, S. 99.
2) Vgl. Kühne, Dr. W. Fr. Lutz (Jahrb. d. Ges. f. Gesch. d.
Prot, in Österr. 1884, S. 198.)
3) Bibl, S. 96.
— 394 —
zusetzen. Da dies nicht geschah, so stockte der Gang der
Religionsangelegenheiten, und allmählich wurde, als nun die
Gegenreformation einsetzte, den Städten auch das genommen,
was sie bis dahin zufolge der Konnivenz des Hofes besaßen.
Der augenblickliche Sieg, den die römische Kirche in
Wien davongetragen, hatte keineswegs eine Entmutigung der
Evangelischen außerhalb Wiens zur Folge ; sie verdoppelten
ihre Anstrengungen, und wir finden besonders die Flacianer
als geschlossene Partei auf und unter der Kanzel thätig.
Währenddem im Reiche gegen Flacius und seine Anhänger
durch Gewaltmaßregeln der Obrigkeit vorgeschritten wurde
und der öffentliche Streit auch wohl bis auf die Straße sich
fortsetzte ^), kam im Gegenteil in Österreich die flacianische
Gesinnung der Religionsdeputierten den Anhängern des
Flacius zu gute. In der 1580 erfolgenden Visitation finden
wir Laurentius Becher als Senior zu Hörn und mit Reuter
an der Spitze stehend. Wir finden ferner die aus Wien
ausgewiesenen Prediger Hugo und Tetelbach als schärfste
Opponenten der Vertuschung der Gegensätze zwischen den
Flacianern und gemäßigten Lutheranern. Durch ihre Rührig-
keit, theologische Bildung und wirkliche Begeisterung im-
ponierten sie auch den Lauen unter den Ständemitgliedern
und rissen den zur Visitation gekommenen Dr. Backmeister
1) z. B. in Mansfeld , wo man Spangenberg mit falschen Fol-
gerungen aus seinen Schriften zu Leibe rückte und ihn ausschaffte,
so daß selbst ßosolenz über solches Eeformieren seitens der Witten-
bergischen Accidenzler in Mansfeld spotten konnte (s. Gegenbericht
S. 32). Der Vorwurf, daß die Weiber sollten Teufel tragen, ist nichts
als böswillige Folgerung der Gegner. Der Unwert solcher Anschuldig-
ungen läßt sich aus den Schriften der Flacianer erweisen. (S. be-
sonders Jonas Francus in seiner „Warnung für der gefehrlichen
Teuscherey und Calumnien im Pfützwerk Wigandi, 1574".) Gegen-
standslos ist desgleichen die Beschuldigung des pfälzischen Rates
Ehern, der dem Prediger Ambrosius Roth die gleiche Lehre zum Vor-
wurf machte (Kluckhohn, Briefe II, S. 403). Roth war einst der
Erwählte des Kaiser für die Agendeverhandlungen.
— 395 -
mit sich fort ^). Sie nutzten also die Zeit, die ihnen zum
Wirken gegeben war, trefilich aus und hinterlegten durch
ihr Zeugnis in den Gemeinden jene Pfunde, mit denen diese
in den kommenden teuren Zeiten wuchern konnten. Es
waren der Flacianer genug im Lande; und zwar wurden
nach und nach über 50 flacianisch gesinnte Geistliche im
Erzherzogtum Österreich angestellt, wenn wir Raupachs
Presbyterologie folgen ; es sind ihrer aber gewiß mehr.
Unter ihren Beschützern finden wir die geachtetsten und
vornehmsten Namen des Adels, und während im Reiche,
auch in Innerösterreich 2), das sog. Accidens triumphierte,
d. h. die Partei der Gemäßigten, war hier iie entgegen-
gesetzte Lehre zugelassen und es wurde hier nicht „dem
heiligen Geist der Mund verbunden" durch obrigkeitliche
Verordnungen.
Gleichwie vormals 1560 im Kampfe gegen Strigel die
Antisynergisten, und wie zur Zeit der Vorbereitungen der
Agende (1568) die Partei der „Flacianer" (Gallus und seine
Freunde) ihr Veto gegen jede Verdunklung von Hauptlehr-
stücken einlegten, so geschah es auch jetzt. Diese bestän-
digen Angriffe auf den alten Gegner, den Proteus des Jahr-
hunderts, brachten auch die Gemeinden dazu, sich ihres
evangelischen Besitzes bewußt zu werden , die heiligen
Schriften sowie die Postillen Luthers, Joh. Spangenbergs
u. a. zur Hand zu nehmen, in den Liederschatz ihrer Kirche
sich zu vertiefen und unter die guten Ordnungen und die
Zucht der Agende sich zu beugen. Auch das Zanken auf
den Kanzeln, so störend es auch oftmals erscheinen mochte,
zumal wenn es von Unberufenen auf der Gasse und in den
Häusern fortgesetzt wurde , zeugte immer doch von dem
1) Vgl. Wiedemann I, S. 425, und Preger II, S. 394.
2) Hier wurde in der Kirchenordnung v. J, 1578 der Irrtum
M. Flacii von der Erbsünde unter die-Sektenmeinungen eingereiht,
und damit war er durch den Wortlaut der Pacifikation v. J. 1572
verpönt (s. Loserth, Die steirische Religionspacifikation, S. 49 und
S. 33).
— 396 -
Interesse, das man an der Sache nahm. Wenn die Kontro-
verse nicht ausgetragen wird durch die berufenen Organe,
hier also diirch eine so oft angestrebte Synode, so erstickt
man den Samen im Acker. Den Notstand in der Kirche,
daß die Obrigkeit die alleinige Hüterin der zwei Gesetzes-
tafeln sei, haben die Flacianer nie gewollt; sie wollten ein
freies Aussprechen und forderten dafür eine Synode. Die von
den Ständen dekretierte Visitation war ihnen ein Grräuel; denn
auch sie unterdrückte die Äußerung des freien evangelischen
Geistes, den freilich die Gegner als Schwärmerei taxierten,
wie sie das immer gern gethan haben, wenn das gute Zeug-
nis ihnen unbequem wurde.
Die Visitation des Jahres 1580 1).
Daß es bisher nicht zur Aufrichtung eines neungliedrigen
Konsistoriums mit einem Superintendenten gekommen war,
war nicht die Schuld der evangelischen Stände, geschweige
denn der Deputierten, sondern lag einerseits, solange Maxi-
milian lebte, an mangelndem guten Willen von oben, andrer-
seits aber an der unlösbaren Personenfrage. Weder Hom-
berger noch Pauli noch auch Besler waren bei allen be-
teiligten Faktoren für das Superintendentenamt genehm -). So
war es denn das Beste, daß die vier alten, getreuen Depu-
tierten aus der Zeit der Agende zunächst noch blieben und
man eine Kirchenvisitation beschloß, um einmal Ordnung
in der Kirche zu schaffen und eine Einigung zwischen den
konsequenten Anhängern des Flacius und deren Gegnern zu
erzielen. Man hoffte damals noch, solche Einigung mittels
Aufstellung gewisser Normen, die für beide Teile verbind-
lich wären, herzustellen. Wenn man nur einen gewiegten
Theologen des Auslandes herbeicitierte , um der ganzen
1) Über die Örtlichkeit der verschiedenen bei der Visitation
genannten Dörfer und Schlösser siehe Fuhrmann, Altes und Neues
Osterreich v. J. 1734 (mit Karten).
2) Vgl. Bibl, die Organisation etc. p. 97 ff.
- 397 —
Angelegenheit genügendes Gewicht beizulegen, hofften die
Stände vorwärts zu kommen i). Und das sollte nun in neun
Monaten geschehen, von einem Mann wie Backmeister, nach-
dem Chyträus bereits krankheitshalber unfähig war. Dieser
kam damals doch wenigstens unter Genehmigung des Kaisers,
was bei Backmeister nicht der Fall war, den nur die evan-
gelischen Stände gerufen hatten. Backmeister war zwar
der beste Prediger in Rostock, aber unbekannt mit den
österreichischen Verhältnissen, so daß er bei Chyträus und
Polykarp Leyser, die ebenfalls Ausländer waren, sich in
der elften Stunde Rat erholen mußte (1579 u. 1580). Dazu
war er Anhänger der Konkordienformel, wenn auch ein
sehr gemäßigter, und mußte sich erst unterwegs in Breslau,
wo er und H. v. Mamming Helmhard Jörger trafen, darüber
unterrichten lassen, daß die österreichischen Stände sich
nicht um diese Formel kümmern würden, besonders weil
die Assekuration sich an die Augustana lehne und dieser
keine neue Konfession dürfe beigefügt werden. Diese An-
schauung Jörgers war eine ganz gesetzliche ^). In noch
ganz andrer Weise, als es Jörger darstellte, waren etliche
Mitglieder der Stände und insbesondere die zu besänftigen-
den Flacianer gegen die Konkordienformel erbost, bei deren
Abfassung alte Gegner, besonders Andrea, mitgewirkt 3).
1) Das war bereits ihre Hoffmmg im Bescheid der Stände
an die Eeligions-Deijutierten vom 21. März 1576, s. Cod. 8314,
Fol. 142.
2) Eaupach, II Forts. Beilage IV, S. 16, woselbst der Bericht
Backmeisters an Chyträus (d. d. Hörn, 14. März 1580) abgedruckt ist.
3) Kennzeichnend für die Erbitterung gegen Andrea ist ein
Brief des uns wohlbekannten, aus Thüringen vertriebenen Philippus
Barbatus Gerlicus an Wolfgang Waldner, d. d. Syrendorf (N.-Ö.),
'29. Sept. 1573 (R. A. Eccles., No. XXVI, Z. 94). Es war die Zeit,
wo Andrea Subscriptionen sammelte unter seine sechs gedruckten
Predigten, welche eine Darstellung und zugleich ^Viderlegung aller
Irrtümer seit dem Jahre 1548—1573 enthielten (vgl. Planck , a. a. O.
III, B. IX, 404 f.). Mit diesem Gesuch um Unterschreibung trat
er auch au den Regensburger Rat heran. Da wünscht nun Barbatus,
— 398 —
Naiv war also unter solchen Umständen die Verheißung
Leysers an Backmeister nach Hörn, 6. Mai 1580, er wolle
ihm etliche Exemplare des demnächst erscheinenden Kon-
kordienbuches zuschicken ^), "Wichtiger als dieser Brief
Leysers ^) war das Schreiben, welches Chyträus auf Bitten
des Gesandten Christoph von Mamming an den ständischen
Sekretär Christian Talhamer richtete ^) und in welchem
er ausführte, worin vornehmlich des neuen Superintendenten
Arbeit bestehen müsse, damit in der kurzen Frist von
neun Monaten — denn länger wollte der Rat der Stadt
Rostock Backmeister nicht entbehren — etwas Nützliches
geschaffen würde. Dieser Brief ist als die Norm anzusehen
nach welcher die beiden Stände ihre Beratungen und Dr.
Backmeister seine Visitationsarbeit damals hauptsächlich
eingerichtet. Von Chyträus ging auch der Vorschlag aus,
die Konvente zu Hörn (als dem zukünftigen Sitz des öster-
reichischen Superintendenten) abzuhalten.
Am 13. Februar 1580 traf Backmeister in Hörn ein,
setzte sich mit Christoph Reuter und einigen Predigern in
der Umgegend von Hörn in Verbindung, zeigte den Ständen
seine Ankunft an und wollte rasch seiner Aufgabe gerecht
werden. Aber die Stände beeilten sich nicht. Der Land-
marschall Rogendorf blieb den zu Hörn gepflogenen Ver-
handlungen gänzlich fern ; er gehörte zur strengen Partei.
Sein Agent bei den Verhandlungen war Hans Stockhorner
daß es diesem „Conciliator Christi et Belialis" nicht gelingen möge,
und er bittet Gott, „Er wolle ia gnadt verleihen, daz Euer Ehr-
wirdiges Mynysterium durch diß Mittel nicht getrennet werde".
1) Ut illa portenta conficiantur, commodissimum fore judico,
si Formula Concordiae ipsis proponeretur (Raupach III, Beilage
No. IV). So Polykarp Leyser, Hofprediger zu Dresden und, wie wir
wissen, entschiedener Autiflacianer.
2) In demselben urteilt Leyser, daß multi, imo plurimi in N.-Ö.
auf der flacianischen Anschauung von der Erbsünde beständen (Rau-
pach III, Beilage S. 104).
3) Chytr. Epp., p. 43—50.
— 399 -
zu Starein, ein alter Freund des Gallus ^). Die Stände
fanden erst am 5. März Zeit, Backmeister zu begrüßen und
ihm mitzuteilen, daß auf den 18. März eine Versammlung
in Hom anberaumt sei. In dieser vorberatenden Versamm-
lung waren die ausgesprochenen Anhänger der bereits im
Reiche zur Annahme fertigen Konkordienformel kaum ver-
treten ; die Theologen zählten zur strengen Richtung. Die
Mehrheit der evangelischen Stände fürchtete überhaupt
jede Beteiligung an solchen auswärtigen Angelegenheiten ;
das that auch die vorsichtig vermittelnde Streinsche Partei.
Man wünschte sich nicht auf eine neue Kon'^essionsschrift,
wie die Form. Concordiae, verpflichten zu lassen. Es er-
schienen die Prediger Alex. Bresnizer von Feldsberg, Balt-
hasar Masko von Loosdorf, Paul Hillamair zvi Aigen, Fried-
rich Stock zu Katzelsdorf, Lorenz Becher zu Horu ; aus
dem Herrenstande Nikiaus von Puchaim ; aus den Depu-
tierten des Herrenstandes Veit Albrecht von Puchaim,
aus dem Ritterstande Hans Georg Kuefstein und aus den
Deputierten des Ritterstandes Wolfgang Christoph von
Mamming, der Begleiter Backmeisters. Reuter war, durch
Podagra gepeinigt, am Erscheinen verhindert.
Nikiaus von Puchaim führte den Vorsitz 2). Der
landschaftliche Sekretär Talhamer verlas die mit Back-
meister vereinigten Propositionen. „Es wird von drei
Hauptpunkten zu traktieren und zu handien sein. Als zum
ersten von einer kurzen und gründlichen Norma, Weiß und
Maß, wie und worauf die künftige Erkundigung und Exa-
mination in Hauptstücken christlicher Lehr und Glaubens
gestellt und gegründet, ein wahrer einhelliger Consens er-
langt, zu Werk gezogen und erhalten werden soll. Fürs
1) Die E. A. Eccles., No. XXXV, Z. 91 bewahren einen Brief
Stockhorners an Gallus vom 16. März 15t)5, darin Gallus auf einen
Brief an Illyricus verwiesen wird, der die Meinung der Herren über
Heshusius enthalte.
2) Vgl. für das folgende Raupach III, S. 32 iL, u. Wiedemann
I, S. 396 ff.
— 400 —
ander von einer nützlichen Ordnung der Amter, Ceremonien
und Gebräuchen der Kirchen. Zum dritten von ordentlicher
Bestellung eines Superintendenten und Kirchenraths und was
dann danneben von Nöthen sein will, daß bei einem jeden
Punkt insonderheit auf alle Umstände der Sachen, vorab
auf den Moduni agendi, wie nämlich in dem Einen und
dem Andern zu procediren und daß so nützlich gerat-
schlaget, mit guter Ordnung und Gelegenheit in das Werk
zu setzen, besten Fleißes gesehen werde." Den Predigern
wurden die bezüglichen Schriftstücke übergeben, sie er-
mahnt, „fremde Dinge beiseite zu stellen, mit guter Mode-
ration und Bescheidenheit zu ratschlagen" und nicht zu
übersehen, daß Konzession und Assekuration ausdrücklich
auf der Augsburger Konfession und Agende basieren, „da-
nach man sich in gegenwurtiger gantzer Traktation not-
wendig wird zu halten haben".
Sonntag predigte Bresnicerus. Montag den 21. März
war die zweite Versammlung. Vormittags wurde über „die
Norma der christlichen Lehre'* gehandelt. Nach längeren
Debatten, bei welchen Lorenz Becher i) (zuvor Diaconus in
Sächsisch-Altenburg und Gehilfe des Opitz im Landhause
zu Wien) auf Gottes Wort als genügend hinwies, einigte
man sich dahin, daß nach der heiligen Schrift die drei
Symbola antiqua, die Augustana nebst der Apologie und
den beiden Katechismen Luthers der österreichischen Kirche
Norma sein sollten; für die Prediger seien die Schmal-
kaldener Artikel zur eigenen Belehrung notwendig; es sei
anzuraten, daß die Schriften Luthers bei einer jeden Kirche
zum Gebrauch des Predigers angeschafft würden. Aus dieser
1) L. Becher aus Meißen , anfangs Schuhneister im Schön-
burgischen Waidenburg, wurde 1568 durch Kirchner in Jena ordi-
niert und sodann Diakon zu Altenburg. 1574 seines Dienstes ent-
lassen, fand er im selben Jahr Anstellung in Wien als Prediger im
Landhause, erhielt 1576 eine Berufung nach Hörn und spielte nun-
mehr bei den Beratschlagungen der Visitation eine Rolle. (S. Rau-
pach, Presb., ferner Wiedemann II, S. 551 ff. und 139.)
— 401 —
Norma einen Auszug in Frage und Antwort zu geben, nach
welchem die Prediger examiniert werden sollten, wurde
Backmeister überlassen; jedoch sollten die vornehmsten
Theologen eingeladen werden, ihn durchzulesen, zu prüfen
und ihren Konsens zu erteilen.
lieber den modus procedendi bei der Visitation wurde
beschlossen, die Prediger unter Genehmigung ihrer Herren
nach einem bestimmten Orte eines jeden Viertels von Nieder-
österreich zu berufen, sie zu examinieren und zur Unter-
schrift des von Backmeister verfaßten Auszugs anzuhalten;
weigere sich einer, dann solle ihm bescheiden zugesprochen
werden, und wenn er sich nicht wolle weisen lassen, solle
er entlassen werden.
Dies war das Eesultat der vormittägigen Beratung.
Nachmittags wurde über die Agenda verhandelt und be-
schlossen, einen Auszug (Manual) aus ihr zu veranstalten,
um es dem Prediger eines Dorfes zu ermöglichen, ihr ge-
recht zu werden, „denn", wie Hillamair meinte, „es sei
gar nicht ohne, daß aus der Agenda Unrichtigkeiten er-
folgen und daß der Extract dem helfen möge, was in der
Agenda übersehen oder zu viel gethan sei". Es wurde der
Wunsch ausgesprochen, in dem Gesang, in der Admini-
strierung des heiligen Abendmahles, im Prediger-Habit mehr
Gleichmäßigkeit herzustellen. Die Prediger und Gemeinden
sollten also auf die Agenda verpflichtet werden, und falls
sich Umstände zeigten, die hierin hinderlich wären, „sollte
die christliche Freiheit zugelassen werden".
Daß ein Superintendent und ein Kirchenrat bestellt
werde, war ein einmütiges Verlangen. „Da", sagte Bresni-
cerus, „wird der Wagen Israel, wenn er schon im Schlamm
tief stecket, herausge führet werden können." Die von Chy-
träus, Cölestin und Reuter in Stein 1574 verfaßte Konsistorial-
ordnung wurde als Grundlage genommen (s. o. S. 381).
Die Theologen wurden nun angewiesen, die nötigen
Schriften zu lesen, das Hierhergehörige zusammenzutragen
und ordentlich zu Papier zu bringen, damit es den Ständen
26
— 402 -
zur Approbation und zu etwaigen Verbesserungen vorgelegt
werden könnte; doch sei notwendig, daß die Theologen
durchweg in allem einig wären. Backmeister erklärte, sie
wären zwar bereit, sich weiter zu bereden und das, was
von ihnen gefordert würde, zu thun: die Herren möchten
aber auch auf die Exekution denken ; es sei nicht sonderlich
schwer, zu beratschlagen und das Beratschlagte schriftlich
zu stellen; aber ins Werk zu richten, hoc opus hie labor
est. Die Deputierten ließen sich diese Rüge gefallen und
lobten die Einigkeit der hier versammelten Theologen.
Hiermit schloß die Verhandlung. Herr von Puchaim hatte
sämtliche Teilnehmer zum Abendessen geladen, wozu noch
Tetelbach, Benedikt Mehlhorn und Michael Hugo sich ge-
sellten, lauter alte Bekannte. Am folgenden Tage verab-
schiedeten sich die Verordneten von den Theologen, die
noch bis zum 26. März mit Backmeister konferierten. Dann
blieb Backmeister mit dem ihm als Visitator Ordinarius bei-
gegebenen M. Frid. Stock in Hörn zurück und beschäftigte
sich mit den ihm aufgetragenen schriftlichen Arbeiten.
Während der Ostertage, vom 31. März bis 8. April, wurde
auch Stock zu seiner Gemeinde zurückgerufen. Back-
meister benutzte diese Zeit zu Ausflügen in die Nachbar-
schaft. Unter anderem ward er von Herrn Sebastian Grab-
ner auf sein Schloß Rosenberg eingeladen, wo er Christoph
Reuter kennen lernte und denselben überredete, sich an dem
zweiten Konvent zu beteiligen.
Schon am 18. März aber hatten sich elf der vor-
nehmsten Prediger der strengen, Flacius anhängenden Rich-
tung mit einem Protest geltend gemacht in einem Schreiben
an die Deputierten der Stände in Hörn, welches diese aber,
um alles Aufsehen zu vermeiden, ruhig beiseite legten ^). Sie
eröffnen ihre Schrift mit der Darlegung, daß, obgleich die Irr-
tümer, die in der evangelischen Kirche aus dem Interim ent-
standen, fast alle durch Gottes Wort aufgedeckt und zu nichte
1) S. bei Eaupach III, S. 43 ff.
— 403 —
gemacht wären, dennoch der streitige Artikel von der Erb-
sünde bisher unverglichen geblieben, dieweil der ungerechte
und falsche Teil aus Halsstarrigkeit nicht weichen wolle, sie
aber, der rechte Teil, zufolge Gottes ernstem Befehl nicht
weichen könnten noch sollten. Da man aber trotzdem in
der evangelischen Kirche aus fleischlichen Ratschlägen sich
an vielen Orten vorgenommen, Friede und Einigkeit zu
stiften und deswegen den hochgelehrten Doctor Backmeister
ins Land berufen, so hätten sie als diejenigen, die Gott zu
Wächtern, Hirten und Bischöfen über seine Gemeine ge-
setzt, diese hochwichtige Sache etwas fleißiger erwogen,
indem sie nicht durch ihr Stillschweigen mit die Ursache
sein wollten, daß beide, Prediger und Obrigkeit, sich etwa
in diesen hohen Gottessachen versündigten und also Gottes
Zorn und Strafe über sich selbst und über das ganze Land
einführten. Denn, wie es ihnen als Predigern nicht gebühren
wolle, der weltlichen Obrigkeit in ihr Amt zu greifen und
derselben vorzuschreiben, wie sie ihr Amt führen sollten,
also gebühre es der weltlichen Obrigkeit auch nicht, „daß
sie den Predigern in ihr Amt greifen und ihnen, dem Be-
fehl, so sie von Gott in diesem Amt haben, zuwider, für-
schreiben wollten, wie sie in Lehren und Strafen sich
halten und etwa mit falschen Lehren, zuwider dem aus-
drücklichen Wort Gottes, in einen Friede -Stand treten
sollten 1)". Daß Gott dergleichen Verfahren der Obrigkeit
schrecklich strafe, wird bewiesen mit den Exempeln Nadab
und Abihu, die fremdes Feuer auf den Altar brachten, der
Rotte Korah, Dathan und Abiram, die sich Mose und
Aaron widersetzten, des Usa und seiner Brüder, die nach
der Bundeslade griifen, des Königs Usia, der in den
Tempel ging, zu räuchern. Die Obrigkeit solle sich daher
vor einem solchen Eingriff, sonderlich in Gottes Amt,
hüten. Hierauf wird geklagt, wie sehr in diesem Stück
1) Die FJacianer treten also hier wie auch sonst für die Frei-
heit der Kirche ein.
26*
— 404 —
und noch dazu unter dem Schein eines in der Kirche zu
stiftenden Friedens, an vielen Orten gesündiget werde:
einesteils, da man die reinen, treuen, richtigen Lehrer
abscliaffe und verjage, hingegen aber den verführten, ver-
führerischen, irrigen und falschen Heuchelpredigern sicheren
Paß und Raum vergönne; andernteils aber, daß mau beiden
Teilen gebiete, sie sollten sich untereinander unangetastet,
unverdammt und zufrieden lassen und insgemein ohne Satz
und Gegensatz lehren, dabei allein wider die äußeren Feinde
oder dann Papisten, Zwinglianer und Wiedertäufer predigen,
jedoch der inwendigen Feinde, als da sind die Naturlober
oder Accidenzer, verschonen und ihre Irrtümer mit Still-
schweigen übergehen i). Auf beiderlei Weise werde nimmer-
mehr Friede in der Kirche gestiftet werden. Besonders
was den letztern Weg (des Stillschweigens) betrifft, so sei
dieser zuwider dem ausdrücklichen Wort Gottes, weil auf
Heuchelei beruhend. Sie erläutern dieses mit dem Exempel
des D. Jakob Andrea, der mit der Formula Concordiae einen
Frieden zu stiften suchte, welchen sie aber einen falschen,
auf Korruptelen, Irrtum, Unwahrheit und Unbußfertigkeit
gebauten, unbeständigen Heuchel- und Scheinfrieden, ihn
selbst aber, und die es mit ihm halten, Pax-Propheten und
Friedensstifter nennen, wie sie Jeremia 6 und 8 und Eze-
chiel 13 beschrieben werden,
Sie berühren nun den Hauptstreitpunkt und werfen
ihren Gegnern vor, daß sie nicht eines bessern zu belehren
seien und sich im Widerspruch mit den Lehr- und Be-
kenntnisschriften ihrer Kirche befänden. Sie behaupten,
die richtige Lehre von der Erbsünde sei bei ihnen, und
warnen die Stände, daß sie doch die reinen Prediger und
untadelhaften Diener Jesu Christi und demnach Christum
selbst in ihnen nicht verwerfen, verdammen und verfolgen
1) Es ist bemerkenswert, daß die große Masse der Prediger
damals für das Schelten auf die Sakramentierer leicht zu haben war,
nicht aber Augen hatte für die drohende Erschlaffung und Lehrab-
weichungea im Schöße der eigenen Kirche.
— 405 -
möchten, was unfehlbar Gottes schwere Strafe über das
ganze Land ziehen würde. Durch solchen Heuchel- und
Scheinfrieden würde der beste Schutz wider den Türken
und alle anderen Feinde dahinschwinden i). Die Jesuiten und
Papisten wüßten wohl, daß s i e (die reinen Lehrer) die mit
der A. C. und den Schmalkaldischen Art. übereinstimmende
Lehre von der Erbsünde hätten. Man solle auch sonderlich
zu diesen Zeiten nicht die Religion nach der Menge richten.
Daß so viel Tausend der Formula Concordiae des D. Jakob
Andrea unterschrieben, verschlage nichts. Christus nenne
seine Kirche eine kleine Herde, Luc. 13, ui d er sage, daß
auf dem breitem Weg viele, auf dem schmalen Weg aber
wenige wandeln, Matth. 7.
Überblicken wir diesen Protest, der von elf „armen
Dienern am Worte Gottes" ausging, so tritt abermals
hervor, daß dieselben in Aufrichtigkeit ihres Herzens und
großer Besorgnis als Minorität der Majorität sich ent-
gegenstellten. Was thaten denn diese Männer? Sie thaten,
w^as auch sonst ein besorgter Freund, der seinen Freund
in der Nähe eines Abgrundes wandeln sieht, thun würde:
er ruft oder reißt ihn zurück, er übt Gewalt.
Man bedenke. ferner wohl, daß Backmeister aus Rostock
kam, wo man die Konkordienformel bereits angenommen;
ferner daß der Hauptratgeber Chyträus mit der Gegen-
partei eine Zeit lang gegangen ^). Andrea endlich war durch
seine vielen- Bemühungen, Frieden zu stiften, der Gefahr
nicht entgangen, die Gegensätze zu vertuschen. Sein Name
diente auch in Österreich nicht, die Gemüter zu besänftigen.
1) Die gleiche Warnung findet sich bei den Klagenfurter
Predigern in ihrer Zuschrift an die Herren und Landleute vom
19. Juli 1600 bei Loserth, Zur Gesch. der Gegenreformation in Kärnten
(Archiv f. vaterl. Gesch. und Topographie XIX, S. 48).
2) Ch. war nicht gegen Camerarius, was Gallus schon seiner
Zeit an Reuter meldete, vielmehr schrieb er ihm freimdschaftüche
Briefe.
— 406 —
Man fürchtete dort ein melanchthonisches Luthertum i).
Das war genug, um jede Priedenshandlung für jetzt
wenigstens unmöglich zu machen. Die warnende Stimme,
die jene Protestler erhoben, hat sich in der Folgezeit nur
zu sehr als richtig bewiesen, und wenn die Partei auch
bald danach, selbst in Österreich, verschwindet, so soll ihr
Kassandraruf doch in Ehren gehalten werden. Kam es doch
nicht darauf an, überhaupt einen Frieden zu machen, sondern
die Hauptsache war, daß es ein rechter, in der Wahrheit gött-
lichen Wortes begründeter Friede war. Dies betonte der
Protest der alten lutherischen „Garde-'. Und Friede ist nicht
gemacht — dafür sind ganze Länder Zeugen, die schon
damals — der ubiquitistischen Sakramentslehre wegen —
der Konkordienformel die Thür verschlossen ^). Zu diesen
Ländern gehören Hessen, Anhalt und auch Dänemark, das
im Gegensatz zu Schweden durch den Einfluß von Niels
Henningsen, der kryptokalvinisch war, die Formel ausschloß
und nie annahm.
Am 12. April versammelten sich die Theologen zum
zweiten Konvent, an welchem diesmal auch Christoph Reuter
teilnahm. Sie lasen miteinander die schriftliche Antwort
durch, welche Dr. Backmeister auf die von den beiden
1) Seeberg, Lehrbuch der Dogmen geschieh te II, S. 370. Loofs
behauptet daß die Entscheidungen, welche die F. C. für die streitigen
Artikel giebt, gemäßigt philippistische seien (§ 75, 3). AuffälUg ist
es jedenfalls, daß die Verfasser der F. C. zur Beschwichtigung der
Freunde Melanchthons dessen Schriften mit ausdrücklichen Worten
weder genannt noch aber auch verdammt haben.
Indem dergestalt die Quelle, aus der Argumente für gewisse
Irrtümer hervorgingen nicht endgiltig verstopft wurde, so geschah
dasselbe, was einst 1549 und 1559 eingetreten. Den heimlichen Syn-
ergisten wurde in der Kirche das Dasein gefristet, indem das Accidens
geduldet (F. C. Art. II), nicht aber durch eine entsprechendere
Definition ihm der Lebensfaden abgeschnitten wurde. Melanchthons
Loci mit ihrer ungenauen Ausdrucksweise blieben ein Same des Syner-
gismus in der lutherischen Kirche.
2) Über die F. C. als ein Produkt der zweiten Generation der
Keformationszeit cf. Seeberg a. a. O. S. 379.
— 407 —
Stauden gethane „Proposition" verfaßt hatte, und verbesserten
dieselbe nach ihrem Gutdünken. Dasselbe thaten sie mit
dem „Examen", welches Backmeister aus der oben er-
wähnten Norma doctrinae der österreichischen Kirche ver-
fertigt hatte ; beides wurde approbiert und von den 7 Theo-
logen: Backmeister, Laurentius Becher, Alexius Bresnicerus,
Paulus Hillameier, Christoph Reuter, Balt. Masco und
Fried. Stock unterzeichnet. Am Morgen des 15. April wurde
endlich die aus den Schriften Chytraei zusammengestellte
„Instruktion des Superintendenten und des Konsistoriums"
besprochen und hierauf alle drei Schriften den Deputierten
der Stände zur Begutachtung vorgelegt. Die Theologen be-
sprachen sich noch brüderlich untereinander wegen des
Artikels von der Erbsünde, wurden aber von den Deputierten
ermahnt, daß „diese Kontroversien vorläufig sollten ausgesetzt
und nicht mit den übrigen Beratschlagungen vermenget
werden". Backmeister erwiderte, das Kolloquium sollte nur
mündlich und privatim zwischen ihnen gehalten werden ,
was denn auch geschah. Aber das Resultat ist unbekannt;
nur wurde beschlossen, daß auch die Formula Concordiae
des Jahres 1574 nicht erwähnt werden solle. Die Theologen
trennten sich am 19. April im besten Einvernehmen.
Die nicht am Konvent beteiligten Elacianer (nebenbei
gesagt: die Elite der österreichischen Prediger, während die
meisten anderen in keinerlei Weise hervorragten) wandten
sich nunmehr, Ende April 1580, an den ständischen Aus-
schuß in Wien. Sie verwahren sich in einer zweiten Schrift,
gleichsam einem Nachtrag zur ersterwähnten (vom 18. März),
dagegen, daß sie unbesonnenerweise den Deputierten der
zwei Stände die Fähigkeit abgesprochen, in den gegen-
wärtigen strittigen Religionssachen eine Entscheidung zu
treffen.
Es habe sie nämlich die Besorgnis bei ihrer Ver-
mahnung an die Deputierten geleitet, daß man mehr
nach fleischlicher Weisheit, denn nach Gottes Wort be-
— 408 —
schließen möchte i). Die Herren könnten bei aller hohen
weltlichen Weisheit dennoch, weil sie zum Teil Accidens-
Prediger hätten und den reinen treuen Lehrern und be-
ständigen Lutheranern zuwider seien, nicht wohl den
schwebenden Streit beurteilen, sondern würden die Partei
der „Beständigen" unterdrücken oder entsetzen, wie solches
in Inner- und Oberösterreich bereits geschehen sei; hätten
sie der Sache zu viel gethan, so hätten sie es dennoch dem
Herrn gethan und hofften, daß man daraus nur ihre Treue,
die sie der Kirche Gottes in diesem Lande schuldig seien^
vermerken werde. Aus Neid und Bitterkeit nennten ihre
Gegner sie Flacianer. Sie protestieren des weiteren wider
jede Oktroyierung von Bestallungsreversen zum Predigtamt
seitens der zwei Stände, welche auf eine Vertuschung der
Gegensätze abzielen. Aufs neue protestieren sie energisch
gegen Dr. Backmeister, den Anhänger Jakob Andreas, wo-
mit ihrer guten Sache präjudiziert sei. Dazu komme noch,
daß der mehrere Teil der ihm zugeordneten Theologen seiner
accidenzischen Meinung beipflichte 2) oder sich schon durch
Eevers dafür gebunden hätte, wohingegen man den be-
ständigen Lutheranern absichtlich aus dem Wege ginge.
Sie entschuldigen schließlich ihren Eifer mit der Wichtigkeit
der Sache. Im weiteren Verlauf behaupten sie ihr gutes
Recht, den Streit von der Erbsünde auf die Kanzel zu
bringen, was sie in zwei beigelegten gedruckten Büchlein
vor aller Welt bezeugt hätten. Sie erbieten sich zu einem
offenen Kolloquium mit den Gegnern und verwahren sich
gegen einige greuliche Lehrsätze, die man ihnen zur Last
lege, nämlich: 1) Gott sei ein Schöpfer der Sünden. 2) Der
Teufel sei ein Schöpfer der Menschen. 3) Der Mensch sei
gar zum Teufel geworden. 4) Schwangere Weiber tragen
junge Teufel im Leibe. 5) Es werden junge Teufel geboren
1) Eaupach III, S. 78.
2) Diese Vermutung ist nicht unzutreffend. Die Prediger
Bresnicer, Hillameier, Masco und Stock, waren Gegner der Flacianer
zu nennen, wenngleich nicht strenge Accidenzer.
t
— 409 —
und getauft. 6) Christus sei nicht wahrhaftiger Mensch.
7) Christus sei ein Sünder sowohl als wir. 8) Es werde
die Erbsünde an gläubigen Menschen am jüngsten Tage
auferstehen. 9) Sie wären Manichäer, Ketzer, Verführer,
Aufrührer, ein widertäuferischer Anhang etc., vor welchen
sich alle wahren Christen bei Verlierung ewiger Seligkeit
vorsehen und hüten sollten (Worte Andreas).
Zum Schluß behaupten sie, als wahre Bekenner der
Augsburger Konfession unter dem Schutz des Religions-
friedens zu stehen, und meinen, wenn die deutschen Fürsten
hinter die Irrtümer und Verfälschungen, die ir Jakob Andreas
Formula Concordiae häufig, wenn auch zum Teil heimlich
versteckt seien, kommen würden, so würde es den Accideuzern
ergehen , wie vormals den Kryptokalvinisten. — Unter-
schrieben sind, d. d. Wien, 25. April 1580, die vornehmsten
Theologen der strengen Partei: Joach. Magdeburgius,
Martinus Wolf — der schon einst wegen seiner Weigerung,
die Victorinische Deklaration zu unterzeichnen, aus Sachsen
verjagt wurde, — weiter Jonas Francus, Philipp Barbatus,
beides namhafte Theologen aus Thüringen, ebenso Volmarius
und andere zu den beständigen Lutheranern gehörige Prediger.
Es ist gewissermaßen eine zweite Auflage des Streites
zu Zeiten des Interims und der Victorinischen Deklaration.
Der Abscheu vor dem leisesten Anzeichen eines auch nur
möglichen Synergismus, der in der zweizüngigen Deklaration
des V. Strigel nicht gänzlich ausgeschlossen war, war noch
nicht in den Seelen dieser Männer erstorben. Sie konnten
sich nicht für irgend welche Machenschaften bereit finden
lassen, die die Position des Elacius contra Strigel schwächen
würden , noch viel weniger sich verpflichten , wider den
Victorinus und seine Lehre (das Accidens) nicht zu pro-
testieren, was man damals wie jetzt von ihnen doch indirekt
verlangte ^). In diesem Zusammenhang war selbst die neu
1) Vgl. den Brief von Martin Wolf an den Grafen Ladislaus
von Haag v. J. 1563 (s. o. S. 61).
- 410 —
erschienene Konkordienformel, und zwar deren Sätze über
die Erbsünde, den beständigen Lutheranern verdächtig ; dies
schon deshalb, weil sich die Formula concordiae (S. 645)
in bekannten Redewendungen gegen Flacius erklärte, wo-
durch alte Wunden wieder aufgerissen wurden. Andrea
erschien ihnen nur ein versteckter Freund der alten Ver-
folger zu sein, unter denen die Unterschreiber genug ge-
gelitten. In zwei Schriften bemühen sie sich, ihre Position
klar zu stellen: erstens im „Examen des andern (zweiten)
Artikels der augsburger Konfession von der Erbsünde", von
Andreas Lang, Pfarrer zu Wüllersdorf in N.-Ö. i), 1580,
71/2 Bogen stark. In dieser Schrift wird die Andreäsche
Konkordienformel sehr heruntergemacht und unter anderem
ungescheut gesagt, daß unter den zehntausend der Sub-
skribenten dieser Formel der meiste Teil lauter Eceboli,
unbeständige Wetterhähne und nur Bauchknechte wären 2).
In der Schrift selber wird der 2. Artikel der Augsburger
Konfession in 8 Absätzen erklärt, denen ein neunter aus
den schmalkaldischen Artikeln hinzugefügt ist, und dar-
gethan, wie er für die beständigen „Bekenner" spreche,
dagegen wider die Accidenzer sei.
Die zweite Schrift war das „Einfältige Bedenken und
kurzer Bericht etlicher Evangelischen und gut lutherischen
Prediger in Österreich, ob man nämlich des langwierigen
und harten Streites von der Erbsünde und sonderlich der
zwei Wörtlein Substanz und Accidens auf der Kanzel und
sonst mit gutem Gewissen geschweigen könne oder nicht,
1 Kön. 18 etc. Ao. 1580", ö^/o Bogen stark, von Philipp Barba-
tus verfaßt und unterzeichnet durch die 28 Theologen,
welche jene oben genannte Schrift unterschrieben haben.
1) Andreas Lang aus Eger, von seiner Predigerstelle in Chemnitz
1566 wegen eines Handels, der mit dem Interim im Zusammenhang
stand, vertrieben, kam nach Kärnten, woselbst er in Klagenfurt
Prediger wurde und wegen einer Schrift wider Jakob Andrea mit
Haubold das Land verlassen mußte.
2) Die Weise in der die Unterschreibung betrieben wurde, ist
bekannt.
— 411 —
Das Bedenken wendet sich gegen die Behauptung, es stehe
bei der Verhandlung über Substanz und Accidens kein
Glaubensartikel in Frage ; dagegen wird auf den Artikel : „Ich
glaube eine Vergebung der Sünden" verwiesen, worunter
die Erbsünde als die Quelle aller anderen Sünden gehöre.
Dann wird erwähnt, daß der Streit so alt wie die Welt
sei und dauern würde bis ans Ende der Welt, sofern die
Weltkinder immerdar etwas sein und gelten und nicht vor
Gott verachtet sein wollten, was von den Pharisäern an
bis auf Erasmus herab sich geltend gemacht habe. Auf
den Einwurf, man solle doch einfältig bei seinem Katechismus
bleiben und solches Streites sich entschlagen, wird ge-
antwortet, daß eben aus dem Katechismus und den christlichen
Kirchengesängen die Sünde wohl könne erkannt werden.
In der Erklärung des 2. Glaubensartikels stehe, Christus
habe uns verlorene und verdammte Menschen erlöst; in der
Erklärung des 3., daß wir nicht aus eigener Vernunft noch
Kraft zu Jesum Christum kommen können. Weiter, bei der
Erklärung der Sakramente heiße es : das Fleisch müsse in
der Taufe ersäuft werden und sterben, und ein neuer Mensch
auferstehen durch tägliche Reu und Buße: d. i. der ganze
Mensch mit Leib und Seele, Vernunft, Verstand und Willen,
nnd nicht etwa ein Accidens. Wenn man endlich sage, es
erfolge Streit daraus, so sei dies eben besser als ein Schein-
friede, denn ohne solchen Grund der Lehre könne man nicht
recht lehren.
In einem zweiten Teile der Schrift wird gezeigt, wie ge-
rade jetzt der Streit nicht ruhen dürfe, und aus der heil. Schrift
und den Bekenntnissen, sowie aus den Büchern Lutheri und
anderer neuer Theologen Zeugnissen i) werden die Accidens-
lehrer als Naturpreiser widerlegt. Es wird aufs ernstlichste
das Recht gewahrt, auch vor den Laien dieser Lehre auf
der Kanzel und unter der Kanzel zu gedenken. Die Bauern
1) Vgl. Christoph Irenäus im 3. Teil der Censuren, wo solche
Zeugnisse gesammelt werden.
- 412 —
verständen es wohl, wenn man es nur erklärte, — es seien
nicht auswärtiger Theologen Händel — und darin haben
sie gewiß recht. Nachdem einmal die Worte „Substantia
und Substantialisten" ihnen von den Gegnern i) aufgedrungen
worden, so hätten sie notwendig die Worte „Accidens und
Accidenzer" entgegensetzen müssen. Durch ihr Schweigen
würde nur die zur Verkleinerung des Verdienstes Christi
dienende Irrlehre auf die Nachkommen übertragen. Man habe
andem Interim und anderen Vertuschungen gesehen, daß so
etwas nie gut gethan. Am ungereimtesten erscheint dem
Schreiber die Verteidigung des Accidens durch Rom. 7, V. 21 :
Das Böse liegt mir bei (Luther: anhanget); solches sei nur
von den Griäubigen und Wiedergeborenen zulässig zu sagen,
aber keine Beschreibung des natürlichen Menschen.
Bei dieser Stelle des „Bedenkens" tritt deutlich hervor,
wie dieser ganze Streit die feinsten theologischen Fragen
berührt und keinesfalls eine Kontroverse vorliegt, welche
in der Geschwindigkeit gelöst, noch weniger aber durch ein
Dekret der beiden Stände unterdrückt werden konnte 2).
Sie ist bis heute nicht gelöst; die meisten Lehrer haben
nicht einmal eine Ahnung von der Existenz dieser Frage
und gehen in ausgetretenen Geleisen weiter. Wenn damals
die beständigen Lutheraner (Flacianer) sich der Lösung zur
Zeit und zur Unzeit hingaben, so geschah das nicht aus
Leichtfertigkeit. Diese ist mehr den Gegnern (Accidenzern)
1
1) Seit Victorin Strigel auf dem Weimarer Kolloquium.
2) Unter dem Eindruck von der Schwierigkeit solcher Kontro-
versen schrieb einst Melanchthon goldene Worte an Cordatus,
15. April 1537: Si controversiae, quae in ecclesia motae sunt adeo
tibi videntur faciles, ut subito eas assequaris, gratulor tibi hoc aciunen.
Ego fatebor, etiamsi hebes dicar, mUii videri valde difficiles, ac
animadverti plerasque disputationes a multis parum dextere in-
telligi. Es handelte sich damals um die guten Werke und die (frei-
lich ungeschickte) Formel, auf welche Melanchthon gekommen, daß
die guten Werke conditio siue qua non iustificationis seien , um
welcher willen ihn Cordatus angriff. Jene Worte haben bis auf
heute vollste Giltigkeit.
— 413 —
vorzuwerfen, welche nicht einsahen, daß die Placius An-
hängenden nicht um metaphysische Fragen von der Ver-
derbtheit oder Unverderbtheit des natürlichen Menschen,
sondern um die strikt geistliche und theologische Frage
von dem Umfange der Schuld des Menschen in Gottes Ge-
richt stritten. Wenn man diesen Umfang richtig beschreiben
will, so ist weder das Wort Substanz noch Accidens ganz
passend, aber das relativ größere Recht in diesem Streit
hat doch das Wort Substanz.
Beide Schriften wurden abermals vorsichtshalber bei-
seite gelegt und werden in den Visitationsakten selbst nicht
direkt erwogen; nur daß wol einmal das „Bedenken" in
Personalfragen berührt wird.
Diese flacianischen Prediger, unbequem wie sie waren,
brachten es durch ihre Protestschriften doch dahin, daß sie
ihr Gewissen rein erhielten. Übrigens war auch bei den
ständischen Deputierten der bestimmte Wunsch vorherrschend,
daß die Kontroverse von der Erbsünde vorderhand ausgesetzt
bleiben und mit den übrigen Beratschlagungen nicht ver-
mengt werden sollte ^).
Die dritte Zusammenkunft zu Hörn fand am 15. Mai
statt. Aus der Zahl der Politici waren gegenwärtig: Herr
Gabriel Strein (der Partei der Accidenzer angehörig), Herr
Wolfgang Chr. v. Mamming von der Gegenpartei, dazu
kamen die sechs erstgenannten Theologen, Mag. Stockius
fehlte krankheitshalber. Aus den 4 Vierteln des Erzherzog-
tums wurden etliche Prediger hinzugezogen, dai-unter
Benedikt Meibom, Johann Tetelbach, Jakobus Lachkenn,
Stephanus Lobäus und Michael Gebhard. Es wurde nun
das „Examen", welches inzwischen fertiggestellt war, vor-
gelesen und artikelweise geprüft 2). Bei der Definition
des Ebenbildes Gottes wurde auf die Apologie Melanch-
thons verwiesen , daß daselbst das Ebenbild sapientia
1) Vgl. Eaupach TU, S. 74.
2) Raupach III, S. 106 f. und 8. Beilage.
_ 414 -
et justitia originalis effigiata in homine genannt werde, also
nicht Substanz 1). Beim 4. Artikel von der Sünde wünschte
M. Tetelbach eine größere Präcision, um auszudrücken, Erb-
sünde sei wahrhaftig Sünde, nicht bloß ein zufälliges Ding.
Backmeister bemerkte, daß alle Redensarten (Definitionen) viel
zu gering seien, die Größe des Übels vorzustellen, wenn man
sich gleich auch der Worte Herz, Substanz, Natur bediente^
weswegen von Luther (in den schmalkaldischen Artikeln)
recht gesagt werde, es sei eine so schreckliche Verderbnis,
daß sie nur allein aus dem Wort Gottes könne verstanden
werden. Nebenbei nahm Backmeister Gelegenheit, sich über
die obgedachten Schriften der Gegenpartei zu beschweren
und dem Prediger Gebhard die Ermahnung zu geben, man
solle erst hören und danach richten. Beim 7. Artikel von
der Rechtfertigung verteidigte Backmeister, daß er in der
Definition des gerecht machenden Glaubens zugleich des
Trostes, welchen der Glaube mit sich bringe, Meldung ge-
than, ohne welchen kein wahrer Glaube stattfinden könne.
BetreflFs des Briefes des Apostels Jakobus wurde von Back-
meister bemerkt, man habe diesen Brief beibehalten in
derjenigen Meinung, die Luther in seiner Vorrede zu dem-
selben ausgedrückt.
Beim 9. Artikel wurde es als wünschenswert bezeichnet,
daß die Confessio und Absolutio privata, die nicht allgemein
im Lande gebraucht werden, eingeführt würden. Bei der
Taufe wurde statt der Worte „zu Gnaden angenommen", nun-
mehr gesetzt „in den Gnadenbund angenommen sei". Nach
Berichtigung einiger Mißverständnisse kam man zum 14. Ar-
1) Vgl. dazu meine Dogmatik, S. 225 : „Melanchthon sagt, Apo-
logie 54, 18 ff., das Eichtige vom Bilde Gottes: Die ersten Menschen
waren nach dem Bilde Gottes geschaffen, weil sie offen waren für
ihn, weil sie „ein fein gut fröhlich Herz hatten gegen Gott", so daß
Gottes Klarheit sich in ihnen spiegelte. Ist der Mensch nicht offen
für Gott, so ist er offen für die Welt: quia non potest Deum timere,
quaerit et amat carnalia (54, 24), gleich wie ein Spiegel, der, gen
Himmel gekehrt, dessen Klarheit widerstrahlt, wenn man ihn um-
wendet, nur Irdisches abspiegeln kann."
— 415 —
tikel vom freien Willen, der allgemeine Zustimmung fand;
nur daß Tetelbach noch größere Deutlichkeit wünschte, wor-
auf ihm Backmeister eine höchst scholastisch formulierte
Antwort gab. Die beiden letzten Artikel wurden ohne
weitere Bemerkung angenommen.
Das „Examen", im wesentlichen von Dr. Backmeister
verfaßt , sollte als kurze Erforschung der Lehre der in
Österreich unter der Enns angestellten oder zu berufenden
Prediger dienen. Es verrät im wesentlichen den lutherischen
Standpunkt, wie er in der Konkordienformel damals bereits
festgelegt war. Von hier aus war der Übergang zur Andreä-
schen Konkordienformel ein leichter. In mancher Beziehung
ist die Freiheit der Bewegimg bemerkenswert, die sich die
Theologen damals noch gestatteten. Zuweilen aber wäre eine
größere Zurückhaltung besser gewesen, weil ein Einzelner,
wie Backmeister, nicht die Autorität besaß, solche schwierige
Fragen zu delinieren. Wir deuten nur hin auf die Auseinander-
setzung über den freien Willen, wo demjenigen des Wieder-
geborenen beigemessen wird, „er könne mit Hilfe des heiligen
Geistes den innerlichen Gehorsam gegen Gott etlichermaßen
mitwirken und vermehren und den bösen Neigungen und
Lüsten widerstehen, und hinwiederum auch aus eigenem
Willen von Gott abfallen". Das ist die nova obedientia des
Justus Menius, gegen welche man, weil sie notwendig wieder
auf die gesetzlich-römische Bahn führte, im majoristischen
Streit mit Recht reagiert hat ^). Bei dieser Definition wären
die guten Werke freilich nötig zur Seligkeit. Auch der
Wiederabfall nach der Taufe (Examen Artikel 11), der doch
gewiß ausnahmslos allen zur Schuld gemacht werden muß,
1) Wie wenig man in Calvins Freundeskreis sich über diese
Streitfragen ereiferte, ja vielmehr Menius eher verteidigte, erhellt
aus einem Briefe des Conr. Hubertus an Calvin imd dessen Beilage
(Opp. XVI, 458; s. o. S. 51 Note 4). Hubert war schon zu Bucers
Zeit Diakon in tStraßburg und stand im IVIittelpunkt der theologischen
Verhandlungen, lieber den Streit selbst cf. Plank IV, S. 511 u.
524; Preger I, S. 384, 386 ff.
— 416 —
wird dadurch wieder gut gemacht, daß man sich wieder zu
Gott durch die Buße und durch den Glauben bekehren könne
und müsse, wie David und Petrus gethan. Dadurch
o-erät das Examen beinahe schon ins römische Fahrwasser,
während nach der ursprünglichen Lehre Luthers die Buße
nicht in einzelne Ansätze zu zerlegen und durch die Beichte
Absolution zu befördern ist (wie freilich gemäß spät-luthe-
rischer Lehre solches behauptet wird), sondern sich konti-
nuierlich über das Ganze des Christenlebens erstreckt. Man
vergleiche die erste der 95 Thesen Luthers und seine Aus-
legung des 2. und 3. Glaubensartikels und des 4. Haupt-
stückes im Katechismus : daß der alte Adam durch tägliche
Reue und Buße sterben soll.
Auf Verlangen der ständischen Deputierten ^) wurde
Dr. Backmeister beauftragt (19. Mai), in dem Artikel
von der Erbsünde eine besondere Deklarationsschrift zu
verfertigen, die unter Approbation der Stände den Predigern
vorgelegt werden sollte. Sie ward an Gabriel von Strein
durch Christoph Reuter nach "Wien überbracht. Sie wurde
gut befunden mit folgender Einschränkung seitens der Depu-
tierten: Es sollen nicht nur die beiden Kunstworte Sub-
stanz und Accidens auf der Kanzel vermieden werden, wie
in jener Deklarationsschrift bereits gesagt war, sondern
auch die Erwähnung des Accidens, mit und ohne Definition,
gänzlich abgestellt und die heilsame Lehre nur nach Gottes
Wort vorgetragen werden 2). Diese gänzliche Vermeidung,
und zwar auch des Accidens, war hinter Backmeisters
Rücken geschehen und kam erst nach 6 Wochen, als die
Visitation schon im Gange war, zu seiner Kenntnis. Das
Motiv, welches die dazu auch nach Backmeisters Urteil
1; Vgl. Raupach III, S. 116 ff. und Beilagen S. 79. Die 4 alten
Eeligionsdeputierten waren damals abgetreten (s. Kaupach III, S. 26).
Die Einführung der kath. Gegenref. in I^.-Ö., S. 175.
2) Nach Backmeisters Anschauung bei Raupach III, S. 201 wäre
die Änderung erst am 22. Juli auf einer eigenen Zusammenkunft
der Herren zu Hörn, immer aber doch nach bereits getroffener Ver-
abredung, vorgenommen und veröffentlicht worden.
— 417 —
berechtigten ständischen Ausschußmitglieder leitete , war
ein durchaus richtiges, sofern es nötig war, den Gebrauch
beider streitiger Termini (Substanz und Accidens) gleicher-
weise zu untersagen. Backmeister selbst aber war es
sehr unangenehm, indem er darin eine Verurteilung seiner
Partei ^) sah , und er protestierte dagegen , jedoch ohne
Erfolg, um die ohnehin genug verwirrte Kirche zu ver-
schonen, versagte er es sich, seinen Abschied zu er-
bitten; er setzte das begonnene Visitationswerk fort. Ja,
M. Luzius gegenüber rechtfertigt Backmeister auf der Visi-
tation zu Radaua (2. Sept.) die gute Absi .ht der Stände
bei der erwähnten Korrektur; sie hätten nämlich den
Frieden und die Einigkeit erhalten wollen. Luzius nahm,
unbefriedigt von dieser Rechtfertigung, seinen Abschied
und kam nicht wieder. Später schreibt er darüber nach
Dresden an Leyser (d. d. 18. Mai 1581): „Backmeister
scheint selbst insgeheim an dem Bestand der Concordia
(d. h. der Konkordienformel) gezweifelt zu haben" ; was
wir auf sich beruhen lassen wollen 2). In der Visitation
selber gab der ganze Appendix Anlaß, daß etliche von
denen, die dem Ausdruck Substanz huldigten, den Schluß
der Deklaration auf eigene Faust gänzlich strichen. Dies
geschah bei der letzten Visitation zu Feldsberg. Weder
die eine noch die andere Partei war eben von dem Schluß-
satz befriedigt.
Die Deklaration Backmeisters ist freilich ein Werk,
das in ziemlicher Eile, an einem Tage, verfaßt wurde.
Er entschuldigt sich selbst in einem Schreiben an die
Stände, daß die Zeit nicht genügend gewesen. In der
That ist der Inhalt nur eine Wiederholung alter, längst
vorgebrachter Argumente der „Accidenzer". Es kommt
nicht zu einer Durcharbeitung des ganzen Problems, be-
sonders nicht zu einer Erörterung des Begriffes des Bildes
1) Dieselbe war grade im Begriff die fti der Kirche herrschende
zu werden.
2) Vgl. Raupach, Presbyt. kl. Nachlese S. 16.
27
— 418 -
Gottes, was hier am Platze gewesen wäre. Das Bild
Gottes wird irrigerweise als eine Gabe behandelt, die dem
Menschen gegeben, aber dann durch den Fall wieder weg-
genommen ward, und an die Stelle tritt nun die Erbsünde.
Da bleibt dann übrig der Empfänger, der Mensch, und mit
diesem weiß Backmeister nichts anzufangen. Es handelt
sich bei ihm darum, ob der Mensch noch seiner Schöpfung
nach gut oder nicht gut sei. Er behauptet, er sei gut,
gerät damit aber auf die schiefe Ebene, die zum römisch-
katholischen Irrtum von den pura naturalia (natürlichen
Kräften), welche gut geblieben seien , führt. Er hätte
fragen sollen, ob der Mensch noch dem Gesetz gleichförmig
sei oder nicht. Dann wäre er auf das Richtige, was aber
auch die Flacianer wollten, hinausgekommen, daß nämlich
der Mensch, wie die Schmalkaldischen Artikel sagen, mit
Haut und Haaren oder, wie jene es ausdrücken, der
Substanz nach böse sei. Daß dej Mensch seit dem Fall
durch den Teufel böse erschaffen wäre — dies behaupteten
auch die Flacianer nicht.
Die Flacianer irrten freilich darin, daß sie das Bild
Gottes als Substanz des Menschen betrachteten, an dessen
Stelle beim Fall Adams die Sünde als Substanz getreten.
Sie hätten es bei Melanchthons Definition in der Augustana
(lateinisch) Art^ II und der Apologie 54, 18 ss. ganz wohl
belassen können, wonach eben die Sünde ein Privativum
ist 1) und die böse Begierde erst in zweiter Linie in Be-
tracht kommt, sofern der Mensch als von Gott abgewendet,
allem Irdischen und Fleischlichen zugewendet, ohne Friede
mit Gott dasteht, ohne Gottesfurcht, ohne das an-
fängliche Leben in Unschuld und Sicherheit % ohne Gleich-
1) Auf richtigem Wege ist auch Heshusius an Gallus i. J. 1568
(s. Anhang): Necesse est omnes sanos fateri, quod peccatum non sit
quiddam conditum; non est ergo quiddam sua natura subsistens, sed
defectus boni.
2) Vgl. meine Dogmatik, S. 225, und unsere Bemerkung zum
4. Artikel des Examen ordinandorum von Backmeister.
— 419 -
förmigkeit mit dem Gesetze Gottes — mithin gänzlich von
Gott verdammt — es sei denn, daß er durch Christi Ver-
dienst gerechtfertigt und durch den Geist Gottes wieder-
geboren worden.
Es ist selbstverständlich, daß dieses eilig abgefaßte
Schriftstück, welches die Stände überdies noch zum Schluß
korrigiert hatten ^j, den strengen Lutheranern, insbesondere
Magdeburgius. Jonas Francus und dessen Schwiegersohn
Philipp Barbatus nicht gefallen konnte, jenen dreien, die
bereits ehedem die Confessio Magdeburgii 1566 unter-
schrieben hatten. Magdeburgius säumte n'cht, als er zur
Visitation berufen wurde, sein Wegbleiben in 14 Punkten
zu rechtfertigen '^j, worin er all die alten Bedenken wieder
anführte und bis auf die thüringischen Händel vom Jahre
1562 zurückgriff, um zu erklären, daß er sich um keinen
Preis jetzt wie damals das Streiten wider das „Accidens"
verbieten lassen würde. Er wollte in Ruhe gelassen werden
und konnte sich solche Forderung gestatten, weil er im
sicheren Hafen bei seinem früheren Herrn Ruber zu Graf-
werd saß. Seine Kritik, die er in den obigen 14 Punkten
am Examen und der Deklarationsschrift übte, ist nicht ohne
Berechtigung, für uns aber hier zu weitführend. Es erhebt
sich nunmehr noch die Frage, was der Altmeister der öster-
reichischen Kirchendiener, Christoph Reuter, für eine Stellung
eingenommen? Natürlich war es, daß er durch sein Alter
bereits mehr in den Hintergrund gedrängt war und auch
durch Krankheit, wie wir sahen, verhindert worden, an
der ersten Verhandlung teilzunehmen. Wie aber derselbe
bis zum Jahre 1573 gesinnt war, erfahren wir aus einem
Briefe Wolfgang Waldner's aus Regensburg (vom 9. Mai)
an ihn ^). Danach hat Reuter sein Mißfallen geäußert, daß
Waldner samt Heshusius und Wigand das Accidens er-
1) Eaupach III, Beilage XII, S. 89.
2) Eaupach III, S. 33L und Beilage 140 ff.
3) R. A. Eccies., No. XXVI, Z. 84.
27*
— 420 -
halten (behaupten) wolle, was ihm zu schwer werden
möchte. Es stand also Reuter treu zu Flacius, wenn er
auch, wie die Mehrzahl der ehemaligen Freunde des Flacius,
gegen den Schulausdruck „Substanz" sich mehr ablehnend
verhielt. Nachdem aber noch keine kirchliche Autorität
den Streit über die Worte „Substanz" und „Accidens" in
der evangelischen Kirche Österreichs entschieden hatte, und
er wie seine Herren am wenigsten jetzt etwas entscheiden
konnten und wollten, so war seine Zurückhaltung sowohl
gegen die rücksichtslosen Eiferer unter den Flacianern als
auch gegen Leute wie der junge Württemberger Luzius
wohl verständlich. Besonders aber verbat er es sich mit
aller Entschiedenheit, daß etwa gegen Dissentierende die
harten Maßregeln angewendet werden sollten, welche in
Steiermark ^) der evangelischen Sache so großen Abbruch
gethan hätten.
Schweigen nach beiden Seiten hin zu üben, erschien ihm
wie auch den Ständen unter den gegenwärtigen Umständen
das Richtigste. Somit konnte er der Streichung, welche die
Deputierten am Schluß von Backmeisters Deklaration sich
gestattet hatten, zustimmen, aber auch wo es nötig war,
dem schroffen Auftreten seiner alten Freunde, besonders
der Jörgerschen und Starhembergischen Theologen , mit
Nachdruck entgegentreten ^). Ihm lag es fern, mit der
Parteilichkeit eines Luzius, Leyser oder gar Andrea für die
Concordienformel als einziges Rettungsmittel für die Kirche
in Österreich zu agitieren.
Wir wollen auf den Verlauf der Visitation nicht
näher eingehen. Als Quelle für dieselbe besitzen wir im
Raupach 'sehen 3. Bande aus Backmeisters eignen Auf-
zeichnungen ein umfassendes Material. Es ist aber leider
nur die höchst einseitige Darstellung eines Einzelnen und
1) Vgl. Raupach III, S. 189, woselbst wichtige Aeußerungen
Reuters sich finden (vgl. dazu noch den Brief M. Cyr. Spangenbergs
an Herrn von Losenstein v. J. 1580 ebendaselbst Beilage XXXIV).
2) Vgl. Wiedemann I, 413 1
— 421 —
und kein Visitationsprotokoll. Backmeister war
Parteimann, und es war ein Glück für die Kirche, daß
man ihn auf gute Manier wieder los wurde. Sowohl von
Seiten der Accidenzer wie auch der Flacianer wurde seine
Abreise nicht sehr beklagt. Die österreichischen Kirchen
kamen ohne solche Helfer zuletzt unter Gottes Beistand
doch noch zu einer guten erträglichen Ordnung ihrer An-
gelegenheiten, wie ich 1887 an dem Beispiele Hohenbergs
gezeigt habe (s. die Vorrede). Wir müssen aber entschieden
warnen vor Mag. Luzius sehr gefärbter Darstellung in einem
Briefe an Polycarp Leyser vom Mai 1581 ^). Hier zeigt sich
der ganze Haß der Partei gegen die sogenannten Flacianer ;
ja der Schreiber huldigt permanent der Meinung, die von
den Ständen verordnete Änderung in der „Deklaration"
sei ein unordentlicher Eingriff (depravatio) gewesen, was
gegenüber solcher Autorität wohl nicht am Platze sein dürfte.
Sein Schelten auf die Flacianer ist kennzeichnend für den
Geist dieser Leute, wie nicht minder, daß er alles Heil von
der Annahme der Formula Concordiae erwartet, die ihm
Leyser zusandte. Die Visitation hatte ihren Zweck, ein
Kirchenregiment einzusetzen und Einigkeit in der Lehre
herzustellen, nicht erreicht. Nur mit Mühe hatte die flaci-
anische Partei einer dogmatischen Fassung der Deklaration
vorgebeugt, wodurch sie zum erstenmal in Österreich aus
der Kirche ausgeschlossen worden wäre. Nur das war
erreicht, daß auf der Kanzel die „disputierlichen Phrasen"
(nämlich von Substanz und Accidens) gemieden werden
sollten.
Daher blieb nun ein großer und zwar der gelehrtere
Teil der Prediger nebst einem großen Teil der zwei Stände,
dem einflußreichsten und begütertsten, der strengen Lehr-
meinung von der Erbsünde zugethan.
Fassen wir noch die statistischen Resultate der nicht
fruchtlos gewesenen Visitation zusammen, so ergibt sich für
11 Eaupach, Presb. kleine Nachlese, S. 15.
— 422 —
das Viertel ober dem Mannhartsberg 85 Prediger
„ „ unter „ „ 63 „
„ „ ober „ Wienerwald 51 „
„ „ unter „ „ 34 „
Es waren im ganzen also 233 Prediger, die unter
91 Grafen und Freiherren und 99 Rittern standen, in
Niederösterreich ; dabei ist aber zu bemerken, daß die Zahl
der Ortschaften, wo das Evangelium gepredigt wurde, weit
größer war, indem die meisten Prediger mehreren Orten
zugleich ihren Dienst am Worte leisten mußten.
Nachdem Backmeister unter Zurücklassung von allerlei
guten Ratschlägen abgereist (14. Oktober 1580), fand ein
eifriger Schriftenwechsel zwischen den aufs Neue wider
einander erhitzten Parteien statt.
Zur Rechtfertigung ihres Standpunktes erschien von
flacianischer Seite im Juli 1581 mit einer Dedikation an
die beiden Stände die sogenannte „Repetitio i), d. i. Wieder-
holung der Norma christlicher Lehre" etc. In dieser Schrift
sollte die richtige, wahrhaftige Lehre der unverfälschten
Augsburgischen Konfession dargelegt werden unter Ab-
lehnung der Lehrfassung, welche die Bergische Konkordien-
formel dem 2. Artikel der A.C. gegeben. Unterschrieben
sind eine Anzahl strenger Elacianer, von denen wir eine
Menge aus unserer vorigen geschichtlichen Darstellung schon
kennen ^'). Diese Schrift genügte aber den Flacianern noch
nicht. Sie forderten, hierin weit kühner und zuversichtlicher
als Andrea und die Seinen, ein Schiedsgericht, eine
Synode; gleichwie früher, so scheuten sie auch jetzt die
größte Öffentlichkeit nicht. Auf dieser Synode sollten
die Kurfürsten, Städte und Stände des heiligen römischen
Reiches, so sich zur Augsburgischen Konfession bekannten,
ihre Lehre prüfen und danach erkennen. Es erschien ferner
1582 die „Formula veritatis, wahrhaftige und gründliche Aus-
1) Vgl. Raupach IV, S. 17.
2) Die Namen siehe bei Wiedemann 1, S. 419.
führung des hohen und wichtigen Religionsstreites von der
Erbsünde". 39 Prediger waren unterschrieben i) ; darunter
ihrer elf als Exules Jesu Christi und viele der uns bekannten
Flacianer. Diese erboten sich, daß sie auf einer Synode
erscheinen, daselbst Rechenschaft von ihrem Glauben geben
und darthun wollten, daß „Jakobus Andrea, Chemnitius,
Chyträus 2), Selneccerus, Heshusius (?) Wigandus, Mencelius,
Rosinus und andere hochgerühmte Doctores und Magistri,
so zum Teil die Formula Concordiae selbst geschrieben
oder unterschrieben und canonisieret hätten, falsche und
verführerische Lehrer wären, die unter dem Namen des
Wortes Gottes . . . mittelst ihrer vermeinton Concordia (der
Formula Concordiae) die heilige Schrift selbst wie die Augs-
burger Konfession böslich verkehrten". Zugleich drohten
sie, wo ihnen ein mündliches Verhör abgeschlagen würde, so
wollten sie mit Schriften fortfahren. Verfasser dieser Schrift
war der inzwischen verstorbene, wohlbekannte Hieronymus
Haubold in Eferding.
In diese Gärung kam Anfang 1582 der neuberufene
Superintendent Dr. Conrad Becker oder Pistorius, um den
Ständen in der Ordnung der kirchlichen Angelegenheiten
beizustehen. Dieser war vormals in Antwerpen thätig ge-
wesen, später in Braunschweig. Das erste war, daß er den
auf dem Landtag zu Wien anwesenden evangelischen Ständen
eine kurze Ausführung von der Lehre über die Erbsünde
übersandte. Die Relionsdeputierten überwiesen ihm alsbald
die eben genannten flacianischen Schriften, sowie Back-
meisters Deklaration und deren Korrektur, auch die
österreichische Formula Concordiae v. J. 1574 (s. o.)
nebst den über dieselbe ergangenen Zensuren der Theologen
zu Frankfurt a. 0. und Rostock, und forderten über dieses
alles sein Gutachten. Wegen Krankheit war Becker erst
1) Raupach IV, S. 27 ff.
2) Chyträus schämte sich damals nach brieflichen Äußerungen
seiner Mitarbeit; Heshus war nicht für die Formel.
— 424 —
Ende Juli im Stande, seine Antwort zu erteilen, worin er
einerseits in der Formula Concordiae etc. nichts Bedenkliches
fand aber wegen der inzwischen eingetretenen Häufung
der Streitfragen, die Schlichtung derselben auf sich zu
nehmen für unmöglich erachtete. Er wünschte die Assistenz
von Chyträus und Chemnitz, was auch die Verordneten ihm
zugestanden. Am 23. Juli 1582 reiste Becker nach Braun-
schweig zurück, woselbst er seine obige Schrift über die
Erbsünde zu seiner Rechtfertigung im Druck erscheinen
ließ. Diese Abhandlung wurde durch die den Flacianern
geneigten Deputierten abermals an ihre Gesinnungsgenossen
geschickt, welche alsbald zur Widerlegung eine Schrift
verfaßten unter dem Titel „Christliches Bekenntnis, ein-
helliger Consens, Bedenken und Ratschlag in dem hoch-
wichtigen Artikel von der Erbsünde. Auf Begehren der
zween Stände von etlichen Theologen und Predigern im
1582. Jahr verfaßt". Im Druck erschien diese Schrift erst
15861). Es war die letzte Schrift, welche die Flacianer zu
ihrer Rechtfertigung ergehen ließen.
Mit Beckers Abreise schloß der letzte offizielle Versuch,
um zu einem geordneten Kirchenwesen zu gelangen. Österreich
war und blieb Missionsgebiet und gelangte nicht zu einem
selbständigen Kirchenwesen, wie andere deutsche Länder.
Der kirchliche Streit kam von selbst zur Ruhe, als die
bisher einigen beständigen Lutheraner sich spalteten, wo-
durch ihre Partei allmählich zerfiel.
Wir können diesen Zerfall nicht mit Wohlgefallen an-
sehen, wenn auch natürlich die Herrschaft einer Partei der
Ordnung, nachdem einmal der alte Geist aus der Kirche
entwichen war, wohlthätig wirken muß.
Der Argwohn, daß die kirchliche Neuordnung, wie sie
die Leute der Konkordienformel vorgenommen hatten, nicht
die richtige sei, regte die Gegner wider die Konkordien-
formel so gewaltig auf. Sie wollten von keiner gemäßigt
1) Vgl. die Unterschriften bei Raupach IV, S. 37.
— 425 -
antiphilippistischen Haltung auch uur etwas wissen. Sie
forderten die unumwundene Verwerfung aller mit Victorin
StrigelsAccidens irgendwie zusammenhängenden Definitionen!
Aus dieser unmöglichen Forderung folgte notwendig, daß die
Partei ihrer Gegner, die inzwischen mit der Definition der
Erbsünde und anderer Fragen, wie die F. Concordia sie gab,
ein Genüge nahmen, endlich das Übergewicht, wie im Reich,
so auch bei den österreichischen Ständen erhielt. Sie ver-
schwanden nunmehr vom Schauplatz, weil kein Nachwuchs
vorhanden war. Beschleunigt ward dieses Verschwinden
durch eine innere Spaltung der Partei selbst.
Höchst betrübend war freilich der Ion, in welchem
die Gegner ihre Sache führten und die Flacianer ihrerseits
des Abweichens von der Augsburgischen Konfession be-
zichtigten. Aber die Zeit drängte — man wollte zum Frieden
kommen. Die Partei der Ordnung mußte siegen. Und ihr
war es höchst empfindlich, daß die evangelischen Stände im
Erzherzogtum nicht gleich denen in Innerösterreich sich zur
Unterschrift der Konkordienformel bequemen wollten ^). Aber
alles Einreden aiaf die Stände verschlug hier nichts. Die
Konkordienformel blieb ausgeschlossen. Und nur indirekt
genoß auch das Erzherzogtum der Ruhe , die im Reiche
(1580) eben durch die Konkordienformel unter den Anhängern
der Augsburgischen Konfession eingetreten war.
Spaltung der beständigen Lutheraner und ihr
Verschwinden in den 80er Jahren.
Nachdem die beständigen Lutheraner in Niederöster-
reich nach Schluß der Kirchenvisitation mittels Überreich-
ung der Repetitio vom Juli 1581 -), welche über 40 der
1) Vgl. Jer. Hornberger, v. Dr. F. M. Mayer, S. 236.
2) Vgl. Raupach IV, 17.
- 426 —
vornelimsten Prediger unterschrieben hatten (etliche unter
Widerruf ihrer früheren Unterschrift unter Backmeisters
,. Deklaration"), sich ein Genüge gethan hatten, verhielten
sie sich ruhiger. Man ließ sie auch wohl mehr in Ruhe,
seitdem die erste Instanz in Religioussachen den evangelischen
Ständen abgenommen, vom Hofe nach Wien gezogen und
also den Katholischen ausgeliefert worden war (14. Mai 1581).
Die Flacianer wie ihre Gegner hatten nun einen gemein-
samen Feind zu respektieren, und nur allzu begründet war
G. Eder's Besorgnis, die er dem Herzog Wilhelm von Bayern
(12. April 1580) schon geäußert: die streitenden Parteien
würden sich, um der katholischen Kirche Abbruch zu thun,
wieder zusammen finden i). Kiesel machte sich als Refor-
mator geltend und Erzherzog Ernst ließ nicht mit sich spaßen.
Kaiser Rudolf war fern in Prag und hatte nur geringe
Initiative. Wie es dazumal in Wien und Niederösterreich
stand, zeigt uns ein lateinischer Brief des Gottfried Poppius
an den Superintendenten Rosinus in Regensburg aus Linz
vom 22. April 1583 2j:
„ . . . Was unsere Kirche in Osterreich anlangt, so
befindet sie sich nicht in allen Provinzen in gleichem Zu-
stand. Während unsere in Linz unter Gottes Güte sich
gesund befindet, werden die Unterösterreicher, besonders
die Wiener, in Betrübnis versetzt, indem ihnen die öffent-
liche Religionsübung durch den Stellvertreter des Kaisers
wiederum beschwerlich gemacht wurde. Dieser gilt für
strenger als der Kaiser, dem solche Strenge mißfiel, als er
hörte, daß wegen der Religion Bürger gefangen gehalten
wurden". Es war auch bekannt, daß man nie freier in der
Religionsübung war, als wenn Kaiser Rudolf sich in Wien
1) Schreiben Eders an H. Wilhelm im Münchner Reichsarchiv
XI, Fol. 203.
2) E. A. Eccles., No. XXX. Vgl. dazu das treffliche Schrift-
chen von M. F. Kühne: Die Häuser Schaunberg und Starhemberg
im Zeitalter der Reformation etc. 1880, der sich auch über diese
Zeit verbreitet.
- 427 -
aufhielt. Auch die Steirer seien in Trübsal, berichtet
Poppius, aber widerstünden kräftig allen Versuchungen und
nähmen im Glauben zu. Das gleiche Lob des Kaisers (im-
peratoris integritas), aber auch des Erzherzogs Ernst, seines
Verwalters der Erblande, finden wir in einem Briefe des
M. Zacharias Hoimanius an Polj'karp Leyser vom 25. Fe-
bruar 1603^).
Während also der theologische Streit in Niederöster-
reich so ziemlich zur Ruhe gelangt war, ward die Unruhe,
welche gewisse Prediger der flacianischen Richtung in
Oberösterreich, besonders in dem Städtchen Eferding an-
richteten, desto größer. Hier entstand eine Kontroverse
(1581 — 84), die sogar die gleichgesinnten Theologen Cyr.
Spangenberg und den Senior Irenäus zu Hörn gegen jene
ins Feld rief. In einer Schrift Joach. Magdeburgii, be-
titelt: Widerlegung der Manichäischen . . . Versuchung
(1581) heißt es : „Der neugeborne Paulus ist zugleich die
Erbsündt, und ein fromber Christ. Item-: der gläubige ist
und bleybet, auch im todt und grab, dem Wesen nach,
die Erbsündt".
Darauf folgte 1582 Magdeburgii Schrift: Beweis, daß
die Lehre von der wesentlichen Erbsünde an den Leibern
der beständigen Christgläubigen, und daß dieselbe erst am
jüngsten Tage in und durch die Auferstehung, als endliche
Vollziehung ihrer Wiedergeburt, geschehen und dann erst
dieselben Leiber durch den heiligen Geist vollkommen ge-
heiligt werden, die heilige göttliche Wahrheit und alier-
älteste Lehre sei". Hier war die Meinung näher begründet,
„daß die Leiber der im Glauben gestorbenen Christen auch
nach ihrem Tode die wesentliche Erbsünde sein" 2). Das
1) Raupach IV, 153.
2) Das Nähere über diese Ansicht Magdeburgii hat Eaupach im
Auszuge angegeben (IV, 47). Die Konsequenzen der flacianischen
Lehre sind in jenen Sätzen bis zuletzt durchgeführt. Was von
Natur böse ist, kann hier auf Erden nur durch Zurechnung für gut
erklärt werden. Es bleibt aber erst der Auferstehung und voll-
— 428 —
Thema war, wie M. F. Kühne bemerkt, nicht ohne tief-
sinnige Spekulation über Materie und Verklärung behandelt;
aber was nützte das der Gemeinde? Immerhin war es
weniger wunderbar, daß ein Mann wie Magdeburgius solche
äußerste Konsequenzen aus der Erbsündenlehre zog, als
daß die bisher einsgesinnten Lutheraner sich darüber ver-
uneinigten und in einer Reihe von Schriften gegenseitig
bekämpften. Magdeburgius lebte ohne Amt in Eferding
und warf, nachdem er jahrelang seinen eignen Weg ver-
folgt, aber immer eine führende Rolle beansprucht hatte,
auch hier sich zum Herrn der Situtation auf, stiftete aber,
wie solche Theologen immer thun, nur Unfrieden. Wenn er
noch gesagt hätte, daß die Leiber der im Glauben gestorbenen
Christen auch noch unter dem Bann der Erbsünde bis zu
ihrer seligen Auferstehung stünden, so hätte sich das hören
lassen. Der Tod als Strafe der Sünde ist für den Leib
noch nicht aufgehoben, so lange er in der Verwesung, ge-
trennt von der Seele, als ein ganz verworfenes Gefäß da-
liegt, und die mit ihrem Haupte Christo bereits vereinigte
Seele auf ihn warten muß. Ja wir möchten sagen, daß
Magdeburgius in Eferding und seine Genossen : Adam
Giller, Johann Hauser, Udenius und Barbatus, deren Streit-
schriften mir im Druck vorliegen ^) , ein nicht unwichtiges
Moment mit nicht zu verachtenden Schriftgründen hier
vertraten. Ist es doch ein Beweis des Ernstes Gottes,
womit er die Sünde straft, daß er auch den todten Leib
kommenen Wiedergeburt oder endlichen Erneuerung vorbehalten, die
Erbsünde im Wege der neuen Schöpfung aufzuheben. Vor dieser
äußersten Formulierung des Problems nach allen seinen Konsequenzen
hin schreckten auch die gemäßigteren oder subtileren Flacianer, wie
Spangenberg, zurück. Diese Zweiteilung der Flaciaoer erwähnt be-
reits Superintendent Chr. Binder in Regensburg 1590 in einem Gut-
achten, die Ordination des Paul Kregelmaier betreffend (R. A. XXXVI
Z. 12 ff.), eine Angelegenheit, auf die wir weiter unten noch zurück-
kommen müssen.
1) S. Eaupach IV, S. 47-52. Über Hauser s. o. S. 363.
— 42i» —
noch unter die Folgen der Erbsünde beschlossen hat bis
zur endlichen Auferweckung : „Es wird gesäet verweslich
und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesäet in
Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird
gesäet in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. Es
wird gesäet ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein
geistlicher Leib. Hat man einen natürlichen Leib, so hat
man auch einen geistlichen Leib". I. Cor. 15, Vers 42 —
44. Gegen solche den Leib auch der Gläubigen bis zur
Auferstehung tief herabsetzende Prädikate des Apostels
verschlägt es ja freilich nicht, wenn Cyriacus Spangenberg,
dem auch Irenäus, Opitz u. a. m. beifielen, sich in zum
Teil sentimentalen Tiraden von der Ruhe der Gläubigen
ergingen und Magdeburgius nebst Giller und den Seinigen
ausschrieen für „Grabsünder, Grabpropheten, todte Erbsünder,
Cadaveristen, Knochenschänder, Leichnamsschänder, — deren
Lehre wider die heilige Schrift laufe — und den seligen
Trost den betrübten Gewissen auf dem Todtenbette raube"
(im Hinblick auf das Schicksal ihres Leibes) ^).
Das ärgerliche Schreien und Toben, der Hader aut
und unter der Kanzel über diesen Gegenstand, wie er
besonders in Eferding lichterloh ausbrach, war freilich
höchst beklagenswert. Der alte Feind wachte und man
hätte gewiß über wichtigere Sachen nachzudenken gehabt.
Die Folge war, daß die ärgsten Zänker in Oberösterreich
abgeschafft wurden und so endlich Ruhe kam. Nach einem
Schreiben des M. Spindler an das Konsistorium zu Stutt-
gart vom 23. Januar 1583 2) muß auch die Gattin Rüdigers
von Starhemberg, geb. Schenk-Limburg, eine Feindin der
1) Der Jesuit Beherer (Gesammelte Werke, Th. I. S, 178) sah
dies Zanken mit Vergnügen an. Er war im Dienste des Bischofs
von Wien Kaspar Neubeck, mit des:>en Ableben 1094 er von der
Domkanzel zurücktrat, nachdem er den Protestanten viel geschadet
(AViedemann II, 126). Ein Verzeichnis seiner Werke giebt die biblio-
thfeque de la compagnie de Jesus, Bibliographie tom. VII.
2) Eaupach Presbyt. Suppl. p. 25 f.
— 430 -
•
Flacianer, durch Giller, Haubolds Nachfolger, sich verletzt
gefühlt haben. Derselbe muß in der Beichte die Frage an
sie gerichtet haben, ob sie bekenne, sie sei Sünde und
trage nichts denn Sünde unter dem Herzen. Dadurch
erzürnt, ließ Rüdiger, ihr Gatte, Giller bis Georgi 1583
die Pfarre aufkünden und seinen Diakonen Singelius und
Preusser, denen wir zuerst im Schönburgischen Gerings-
walde begegneten, die Kanzel verbieten.
Nach dem Tode Rüdigers von Starhemberg (5. Dez. 1582)
übernahmen dessen Brüder die Vormundschaft und entfernten
die alles Maß überschreitenden und in ihrer Hitze weit
vom Ziel wahrer Erbauung abirrenden Prediger ^). Neben
den schon genannten mußte auch Magdeburgius das Land
verlassen. Man wandte sich in Eferding an Cyr. Spangen-
berg, der mit Briefen eingriff und später mit 2 Schriften
auftrat 2). Entscheidend war aber nach Rüdigers Tode das
energische Eingreifen Gundakars von Starhemberg, der
schon im April 1583 an Stelle der Vertriebenen aus
Tübingen Lehrer berief, nämlich M. Nikolaus Haselmeyer
und Johann Bruder. Der Linzer Pfarrer Poppius schreibt
darüber in dem oben angeführten Brief vom 22. April 1583
an Rosinus : „Die Eferdinger Manichäer bersten vor Zorn,
indem sie nicht wissen, was anzufangen, da sie sehen, daß
aus Tübingen berufene Prediger bereits angekommen. Sie
sind gestern zu uns nach Linz gekommen, wo ich sie beim
edlen Herrn Gundakar von Starhemberg treifen werde und
in Erfahrung bringen, was weiter geschieht, um es dann
Euer Ehrwürden zu melden."
1) Der Entlassungsbrief Gillers ist auch von Gabriel Strein,
dem Bruder Richards, unterzeichnet, der der gemäßigten Richtung
angehörte und sehr gefürchtet war (Otto, a. a. O., p. 35). Seine
Hochzeitsfeier 1581 nahm ein trauriges Ende (s. Raupach, IV, 22).
Auch sein Prediger Luzius klagt sehr über ihn (Raupach, Presbyt,
p. 100).
2) Die letzte führt den Titel: „Verantwortung M. Cyriaci
Spangenbergs auff Herrn Adam Gillers und anderer mehr falsche
Auflagen, 1584".
- 431 —
Auch auf die evangelischen Stände blieb dieser bis
auf die Straße sich fortsetzende Zank und Hader nicht ohne
Eindruck. Sie schickten demnach die oben erwähnte Schrift
Beckers ,,Vön der Erbsünde" zusammen mit dem zu Hörn
1584 verfaßten „Christlichen Bekenntnis" der Flacianer,
welches als Antwort auf Beckers Schrift dienen sollte, je-
doch auch die Lehre Magdeburgii in § 20 abwies, nebst
weiteren dahin gehörigen Schriftstücken an die ihrer Meinung
nach unparteiische theologische Fakultät zu Altdorf, welche
unter der Oberhoheit Nürnbergs stand. Durch diese Über-
sendung wollten die Stände endlich dem Streit ein Ende
machen (31. Dezember 1584), Die Fakultät bestand damals
nur aus zwei Professoren : Georg Siegel und Edo Hilderich ^').
Der Nürnberger Rat verstärkte sie aber durch Absendung
der Prediger zu St. Sebald Mauritius Heling und Heinrich
Fabritius (beide noch Hörer Luthers und Melanchthonsj.
Heling war ein alter Gegner des Flacius und Schürer
des Streites zwischen den strengen Lutheranern und den
Philippisten; er ist uns aus Waldners Leben sowie aus seiner
späteren so bedeutenden Wirksamkeit in Nürnberg ^) bekannt.
Die Lehrmeinung der Flacianer wurde in dem Gutachten der
Altdorfer Fakultät vom 20. Februar 1585 natürlich ver-
worfen. Die Stände beschlossen nunmehr, sich auch aller
anderen flacianischen Prediger zu entledigen ; mithin etwas
zu thun, was man aus kirchenpolitischen Rücksichten seit
lange in den Reichsterritorien betrieben. Am 12. August
1585 versammelten sich mehrere Deputierte zu Feldsberg
und kündigten denselben zunächst den Dienst auf. Zur
Unterstützung dieser Maßnahme hatten sie bereits den
kräftigen Arm des Erzherzogs angerufen. Derselbe erließ
an Kiesel den Auftrag, die ..giftige Sekte der Flacianer''
im Erzherzogtum unter der Enns abzuschaffen. Kiesel be-
1) Hilderich war ehedem in Heidelberg lutherischer Professor
gewesen und hatte den Ständen auf Befehl des Pfalzgrafen Ludwig
ein Responsum zukommen lassen (Raupach, II, 326).
2) S. 0. S. 207 u. 374 ; ferner den Anhang.
— 432 —
fahl den Decbanten, dafür Sorge zu tragen. Berichte mit
Angaben über die vertriebenen Flacianer wurden dem Erz-
herzoo- eingereicht. Von uns bekannten Namen finden sich
darunter: Tetelbach, Viereckel, Balth. Masco; auch Hauser
und Barbatus werden in diesem Zusammenhang als des
Landes Verwiesene genannt i). Im Grunde aber mochte
Kiesel wohl selber wünschen, daß die feindlichen Brüder
sich untereinander aufrieben, und es daher mit der Aus-
weisung nicht allzu streng nehmen.
Das Gros des Volkes und die Vornehmsten aus dem
Herrenstand gingen wohl nur allmählich in den breiten
Strom der lutherischen kirchlichen Observanz über. Die
Lehre der „beständigen" alten Prediger war aber nicht ver-
gebens gewesen und blieb auch stellenweise im Lande, da
natürlich mehrere sich nun still verhielten. Wie streng es
in Regensburg mit der Ordination genommen wurde, zeigt
das Beispiel (Okt. 1590) des Paul Kregelmaier, Sohn des
aus Nürnberg und Augsburg vertriebenen Georg K., Pfarrer
auf dem Jörgerschen Gut Kreuspach (s. o. S. 375). Der
Sohn wurde unter dem Verdacht des Flacianismus in
Regensburg abgewiesen und erst nach Prüfung einer dem
Vater von seinem Patron abgeforderten Konfession über
das peccatum originis zur Pfarrstelle in Hohenberg (Nieder-
österreich) zugelassen. Jene Konfession wurde in einem
überaus langen Judicium des Reg. Konsistoriums nur not-
dürftig für gut befunden. Um 1600 trifft man nur noch
vereinzelt notorische ilacianer. Die neu Ordinierten hatten
sich auf das Konkordienbuch zu verpflichten, wobei Ver-
dächtige sich öffentlich vom Flacianismus lossagen mußten.
Jene traurigen Zustände hat uns der Nachfolger Gillers
M. Haselmeyer in einer breiten Auseinandersetzung ge-
schildert 2). Der Hausfriede war gestört, alles lag über
1) Vgl. dazu Raupach IV, p. 63.
2) Der Bericht an das Konsistorium zu Stuttgart (10. Febr. 1584)
findet sich bei Raupach, Presbyt. Suppl. p. 30 f. Haselmeyer kann
nicht für völUg unparteiisch gelten, sofern er aus einer Atmosphäre
— 433 —
dem Haufen, man grüßte sich nicht mehr untereinander,
suchte die Sakramente auswärts und tobte wider den Ein-
dringling. Es gelang Haselmeyer i) durch längere geduldige
Amtsführung, unterstützt von seinem Diakon Johannes
Bruder, die Gemüter allmählich zu besänftigen. 1584 über-
sandte er dem Stuttgarter Konsistorium eine Abhandlung
„über die Meinung Flacii Hlyrici von der Erbsünde '^ Ob
diese Schrift, die über zehn Bogen ausmacht und stark
philosophisch gefaßt, aber nicht mehr aufzufinden ist, viel
zur Besänftigung beigetragen hat, ist wohl zu bezweifeln.
Des Konsistoriums Antwort war nicht ermntigend.
Nach dem Tode oder Abzug der prononciert flaci-
anischen Prediger und Wortführer wurden nur solche auf-
genommen, die sich verpflichteten, die Agende anzunehmen
und den Deputierten folgsam zu sein. So wurde langsam
die Ruhe wiederhergestellt. Die neuen Prediger kamen auch
insgemein aus Regensburg, woselbst schon seit Rosinus
Amtsantritt die kirchlichen Angelegenheiten in das Geleise
der Konkordienformel geleitet wurden. Und wenn auch
die Religionsdeputierten niemals jene Formel anerkannt
haben, so ließen sie sich doch die darauf verpflichteten
Prädikanten fortan gefallen. Dazu kam noch, daß die
Qualität der Prediger durch strengeres Verfahren der
Regensburger Examinatoren, eines Rosinus, Waldner und
Chr. Binder eine bessere wurde. Dies zeigt der oft ge-
nannte Brief Waldners an Reuter vom 9. Mai 1573, worin
er insbesondere bittet, man solle ihnen doch nicht so völlig
kam, in welcher von vornherein die Bemühungen der Flacianer, und
zwar auch die besten, für verdammt galten. Raupach ist in diesen
Dingen viel zu parteiisch vorgegangen, und Polykarp Leysers Urteil
und Briefwechsel sind für uns keineswegs zuverlässige Quellen. Der
Briefwechsel Leyser sbefmdet sich auf der Hamburger Stadtbibliothek;
er ist von Eaupach zu einseitig benutzt und nach seinem Tode der
Bibliothek überlassen worden. Die daselbst vorhandenen Regens-
burger Akten enthalten nichts über diese Zeit, und hat Eaupach den
Briefwechsel von GaUus und Waldner nie vor Augen gehabt.
1) Ein protdge Leysers.
28
- 434 —
ungeeignete Kandidaten zur Ordination zuschicken, wie es
vielfach seitens verschiedener Herren und sogar Edelfraueu
geschah 1). Die Empfehlungen, welche man den Kandidaten
mitgab, waren leider zu nachsichtig.
Von Ober- und Niederösterreich (sogar vereinzelt aus
Ungarn und Mähren) liegen, soweit wir es auf Grund der
Regensburger Akten konstatieren können , Gesuche um
Prüfung und Ordination von Kandidaten aus den Jahren
1579 — 1590 in großer Zahl vor. Sie sind teils von den
Herren des Ortes, teils von dem Pfarrer, teils auch von
dem Gemeindevorstand an das Regensburger Konsistorium
gerichtet. Es wäre interessant, diese Ordinationsgesuche
sowie deren Erledigung, welche Rosinus sehr exakt notiert
hat, übersichtlich zu ordnen. Endlich wäre es von großer
Wichtigkeit, eine ganz neue Presbyterologie, die auch zur
Ergänzung der alten Raupachschen dienen würde, auf Grund
der Regensburger Akten zu verfassen.
Jene Ordinationsgesuche 2) haben noch das besondere
Interesse, daß sie den jeweiligen Charakter der Zeit wider-
spiegeln. Der Kampf gegen den neuen Kalender richtete
viele Verwirrung an. Christliche Prediger wurden an
etlichen Orten (z. B. in Augsburg) deswegen verjagt, weil
sie den von Papst Gregor eingeführten Kalender nicht
annehmen wollten. So gaben auch 7 niederösterreichische
Prediger im März 1585 eine Schrift heraus, betitelt „Gründ-
liche Ursachen", um ihren Widerstand zu rechtfertigen.
In diesem Kampfe nahmen die Regensburger gegen den
Kalender Partei^). Es wurden zwei Kandidaten deshalb ab-
gewiesen, weil mit ihrer Approbierung der neue Kalender
gutgeheißen worden wärc^). Andere Ordinanden werden
1) Den direkten Anlaß zu dieser Klage hatte eine Frau von
Puchhaim gegeben,
2) ß. A. Eccles., Kasten D, Fach 1, No. XXX, Fach 2,
No. XLIX.
3) Über den Streit s. Wiedemann I, S. 438.
4) Am 26. Februar und 16. Juni 1586. In Graz protestierten
im Dezember 1583 Jerem. Hornberger und die anderen Prediger gegen
— 435 —
wegen ihrer Unwissenheit in den Sprachen oder über-
haupt in der Lehre des Heils abgewiesen oder auf spätere
Zeit wiederbestellt. Einer hat sogar den kleinen Katechis-
mus Luthers nicht gewußt; bei einigen ließ auch das Be-
tragen zu wünschen übrig M. Einem anderen wird das kleine
Corpus doctrinae und Luthers Katechismus zu studieren
empfohlen, einem dritten Wigandi Methodus, und zugleich
wird er unter die Aufsicht eines älteren Pfarrers gestellt.
Kurz, die eingehendste Behandlung der österreichischen
Kandidaten ist besonders dem Rosinus nachzurühmen.
Das Gleiche gilt von den Nachfolgern des Rosinus,
von Chr Binder, Anselm Hagenloch und M. Johann Cae-
mentarius, drei Württembergern. Caementarius, welcher aus
eigener Anschauung während einer zwanzigjährigen Wirk-
samkeit in Osterreich die Verhältnisse der dortigen evan-
gelischen Kirche kennen gelernt, hat als Superintendent
für die Beschaffung von tüchtigen Geistlichen nach Möglich-
keit gesorgt. Als Beweise dafür haben wir verschiedene
Schreiben an Wilhelm von Zelcking, Helmhardt Jörger, Adam
von Traun, Georg Chr. Schallenberg, die alle im Regens-
burger Stadtarchiv liegen und bereits von Eriedr. Koch
mitgeteilt sind ^j. Endlich sind auch die Ordinations-
predigten von einigem Belang. Sie nehmen immer mehr
einen schablonenmäßigen Charakter an. Während der des
Elacianismus verdächtige Paul Kregelmaier am 12. No-
vember 1590 seine Ordinationspredigt über das wichtige
Kapitel Rom. 7 hält, finden wir fünf andere Eälle, in denen
die Ordinanden entweder über die durch das Kirchenjahr ge-
gebenen Texte oder über Texte gleichgiltiger Art predigten ^).
den Kalender aus Gewissensbedenken (s. Loserth, Aktenstücke in
Fontes rer. Austriac. II, Bd. 50, S. 507).
1) Darüber beklagt sich Eosinus am 21. Sept. 1574 in einem
Briefe an den Pfarrer in Scherffling, Matthias Klinger, der einen
imtüchtigen Kandidaten empfohlen (E. A. Eccies., No. XXX, Z. 'S).
2) S. Jahrb. der Ges. f. d. Gesch. des Prot. X, S.'^SO.
3) Enoch Preu, berufener Prädikant zu Schwans (Oberösterr.)
28*
— 436 —
Man sieht daraus, daß man seit 1586, seit Christoph Binders
Superintendenz, anfing, das Heil in einem gewissen Formalis-
mus zu sehen. Der Geist entwich, und die Schablone blieb
übrig. Die Konkordienformel übte ihre regulierende Kraft
auch in dieser Richtung des Kirchenregiments aus. Mit ihr
ward ein Riegel der freien Bewegung, insbesondere jenen
Streitigkeiten vorgeschoben, in welchen mehr Lebensfragen
zur Sprache kamen, als seit der Zeit jemals wieder ver-
handelt worden. Was einst unter Mitbeteiligung aller
Kreise und Stände, Fürsten und Bürger, Adeliger und
Bauern verhandelt wurde ^) , ist seither verschollen und
vergessen, ja für die Gegenwart fast schon zur Legende
geworden.
Kommen wir schließlich noch zu der Frage, auf wessen
Seite wir in diesem Streite der Parteien stehen? Unsere
Sympathie gehört jenen, die als die echten Nachfolger
Luthers sich seiner guten Lehre, insbesondere des Zeug-
nisses über das Verderben des Menschen, nicht schämten,
vielmehr das letztere wohl einmal bis zum Überdruß den
Gemeinden einschärften und dabei nicht fürchteten, selbst
predigt über Matth. 18 (7 Seiten beschrieben, 4") und wird am
19. September 1588 ordiniert. — M. Joh. Hörman aus Augsburg
wird 1590 Diakon in St. Jörg im Attergau (überösterr.) ; Ordi-
nationspredigt : Concio de Angelis (i^^ Seiten, 4"). — Christoph
Schwaiger aus Aussee (s. o, S. 357 Note 3) wird am 11. Januar 1591 in
der Lazaruskirche in Regeusburg ordiniert und predigt über Galat.
4, 1—7 (I6V2 Seiten, 4''). — M. Leop. Möslinger aus Atzbach in Ober-
österreich hält am 2, Sonntag nach Epiphan. seine Ordinations-
predigt über Joh. 2, 1 — 11.
1) Oberleitner, a. a. O. S. 38 berichtet aus dem Jahre 1578,
daß der alte Veteran Hieron. Haubold in Eferding (gest. 15. Juni
1579) wegen der Bewegung, die er imter dem Landvolk hervorrief,
in öffentlicher Landtagssitzung von dem Freiherrn Wolf Jörger
angeklagt wurde. Er sollte sich vor den zur Prüfung verordneten
Prädikanten in Linz stellen, wo ihm aber nichts geschehen sein
wird, denn die Kommission bestand (Oberleitner, S. 88) aus G.Khun,
Gallus Staininger, Veit Mangk (s. 0. S. 342), Matth. Hoffmendl
(s. 0. S. 270) u. a. m., also lauter Gesinnungsgenossen des Verklagten.
— 437 —
mit Melauchthon und den nach seinem Tode so erfolg-
reichen Phiiippisten oder Kryptocalvinisten in Zwiespalt
zu geraten. Sie hatten wirklich noch etwas zu verkünden,
was nicht bloß im Buche stand,, sondern auch fest ein-
geschrieben war in den Gewissen, wofür sie Opfer gebracht
und auch weiter zu bringen fest entschlossen waren. Ihre
Namen und Zeugnisse liegen vor in den noch lange nicht
ausgeschöpften Briefen des Regensburger Archivs und in
anderen dort bewahrten Dokumenten ; sie finden sich im
Kreise der höchsten und niederen Stände, über ganz Öster-
reich hin zerstreut, bis nach Böhmen und Ungarn. Da
hören wir unter anderen einen Josua Opitz, den Landschafts-
prediger in Wien, zur Zeit der Landtagsverhandlungen d. J.
1576 1), vor dem Kaiser Rudolf auch im Namen seiner
Kollegen und der ganzen Kirche persönlich bezeugen: sie
müßten predigen und sie könnten und dürften ihren gött-
lichen Beruf und ihr Amt „Gewissens halber" nicht ver-
lassen, noch aufgeben, sie würden denn zuvor von den
Ständen, die sie berufen hätten, ihrer Pflicht entlassen. Und
obwohl sie der Kaiser selbst drei- oder viermal zum Ge-
horsam ermahnte und die geheimen Räte noch dreimal in
sie drangen, blieb bei diesen Männern alles erfolglos. Sie
folgten ihrem Gewissen. In einem anderen Falle gab der-
selbe Opitz über Aufforderung seiner Vorgesetzten die
Erklärung ab, daß die Worte Substanz und Accidens in
den Streit auf und unter der Kanzel zu ziehen, ihm jeder-
zeit zuwider gewesen 2). Auch habe er sich (in Wien) dieses
Streites enthalten und mit gesunden Worten der Schrift
gelehrt. Er könne aber auch nicht das Gegenteil ('vom
Accidens in der Kirche) einführen helfen, wozu er in
Regensburg gedrungen werden sollte. Er beruft sich
feierlich in dieser seiner Erklärung von wegen der Wörter
Substanz und Accidens auf die österreichische Formula con-
1) Wiener Hofbibliothek Cod. 8314, Fol. 196».
2) Fol. 148*.
— 438 -
cordiae (vom J. 1574), aufweiche er sich verpflichtet habe i) ;
endlich beruft er sich auf sein Gewissen, das keinen anderen
Richter als Gottes Wort leide. „Gott heilige und erhalte
uns bei der einfachen Wahrheit, Amen."
Dieselbe Berufung auf ihr Gewissen finden wir um
dieselbe Zeit bei den Religionsdeputierten, den gleichen
Männern, die einst (1568 — 71) mit Reuter und Gallus die
Agende vorbereitet und eingeführt: H. W. von Rogendorf,
Rüdiger von Starhemberg, Leopold von Grabner und Wolf
Christoph von Enzersdorf, welchen Chyträus ^') das höchste
Lob erteilte. Auch sie sind fest entschlossen, sich des
subtilen Streites und der Schuldefinitionen zu enthalten
und solche Wörter, wie Substanz und Accidens, nicht zu
dulden; sie verwahren sich aber auf das Entschiedenste da-
gegen, daß man ihren Theologen und Kirchendienern Ver-
dächtigungen in den Weg lege und die Zumutung mache,
ihre Erbsündenlehre von anderen, und zwar parteiischen
Fakultäten auf ihre Rechtgläubigkeit hin prüfen zu lassen,
was die Stände auf jenem Landtage 1576 von ihnen forderten.
Auch sei es inkonsequent, nachdem man jegliches Disputieren
verboten, nun wiederum über Opitz ein Gutachten gelehrter
ansehnlicher Theologen herauszufordern, also mit dem Dis-
putieren von neuem zu beginnen. Luther habe auch seine
Bücher nicht an Fakultäten geschickt, sondern sei seiner
Sache selbst gewiß gewesen. Und so handle denn ein jeder
nach seinen Gewissen ^j!
Wenn es nur bei diesem Standpunkt festester Gewissens-
überzeugung, oder sagen wir lieber, bei diesem Glaubensmut
geblieben wäre. Aber Opitz und seine Kollegen wurden
aus Wien verjagt, nicht zwar der Erbsündenlehre wegen,
sondern wegen ihres lauten Bekenntnisses zur göttlichen
1) In seinem Revers, der vor die Zeit der Abfassung dieser
Formel (März 1574) fällt, ist letztere später hineingesetzt ; die Depu-
tierten erwähnen (Fol. 144^), daß der Revers 1575 korrigirt worden sei.
2) Chytr. Orationes, p. 390.
3) Cod. 8314. Fol. 144 b.
— 439 —
Wahrheit und des Zeugnisses gegen römischen Irrtum und
Abfall, worin ja die evangelische Landschaft in Nieder-
österreich mit ihnen einstimmig war. An die Stelle jener
vier alten Deputierten traten andere, die sich ängstlich
nach Stützen im Reiche umsahen ^). Diese erhofften für
die Instandhaltung der Kirche immer wieder Heil von den
Theologen, deren Ohnmacht sie doch erfahren hatten. Sie
warteten auf die Erledigung der dem Becker bei seinem
Abzug aus Wien 1583 mitgegebenen Schriftstücke, die er
M. Chemnitz in Braunschweig zeigen sollte, um von ihm
Rat zu erholen. Aber Chemnitz sah das Heil in der Bei-
pflichtung zu der These, die Sünde sei Accidens,
und vermutete allerlei Ungeheuerliches, wenn man das
Gegenteil behauptete oder das Accidens nur stillschweigend
ablehnte. Da goß man also mit solcher Berufung Öl ins
Feuer. Man ängstigte mit solchen Anfragen an auswärtige
Theologen die bereits genug abgehetzten Prediger und be-
wirkte, daß die eignen Gemeinden wehklagten über die
Verfolgung solcher Lehrer, die ihnen Gottes Wort ge-
predigt hatten. Und so haben jene vier alten Deputierten
in einer Rechtfertigungsschrift an die zwei Stände „wegen
etlicher (wider sie) ergangener Reden" den Ständen sehr
beweglich vorgehalten : „Gott merkt, sieht und hört alles
unwillige Seufzen, Klagen und falsches Zeugen wider arme
Christen und Kirchendiener. Wer euch verachtet, der
verachtet mich und; Wer euch antastet, der tastet seinen
Augapfel an" ^).
Bemerkenswert und geeignet, um zur Nachfolge in ähn-
lichen Eällen zu reizen, sind die Äußerungen „der Diener
1) Vgl. die Relation der Verordneten Nie. v, Puchhaim, Wolf
V. Liechtenstein, Maximilian v. Mamming und Franz von Gera d. d.
1. März 1583; Cod. 8314, Fol. 464 1. Chemnitz war in den Augen
der Flacianer nicht viel besser als Andrea. Über Andrea vgl. noch
Opitz' Urteil im Cod. 8314, Fol. 84» und 84^.
2) Cod. 8314, Fol. 146» vom 20. März 1576. Vgl. Luc. 10, IG;
Sacharja 2, 8. Damit stellen sie ihre Prediger den Aposteln des
Herrn gleich.
— 440 —
am Wort Gottes zu Klagenfurt", welche am 19. Juli 1600
in ihrem Konvent ein von den Verordneten verlangtes „Be-
denken" auf folgende zwei Fragen formulierten i):
1) Ob die Herren und Landleute sie mit gutem Ge-
wissen entlassen können ; die Antwort lautet verneinend.
2) Wie man sich erhalten und „ob man I. F. Durch-
laucht in gehorsam begegnen möchte''. Die Antwort lautet:
Das sei Sache der Politiker.
Auf beide Fragen begehrten die Landesverordneten
von den Prädikanten als ihren Seelsorgern Pat, was in
dieser hochwichtigen Sache vor Gott und der Welt zu thun
wohl verantwortlich sei. Auf die erste Frage geben sie
nun in sehr beweglichen Worten, zu einer Zeit, als die Gegen-
reformation schon im Werke war und etliche Prediger be-
reits aus dem Lande geschafft worden, jene Antwort, die
sie vor der ganzen Christenheit und auch am jüngsten Tage
vor der Majestät Gottes und dem strengen Richterstuhl
Christi würden verantworten können. Sie erinnern zunächst
an die Prediger, die vor und mit ihnen nun viele Jahre
her Gottes Wort lauter, rein und unverfälscht gepredigt.
Dieselben würden in den Gewissen reden, was in diesem
Falle zu thun sei. Sie hätten längst gezeugt, was in dieser
Stadt und Lande erfolgen werde : ein verruchtes epicureisch
und gottlos Leben .... Sodoma und Gomorra, ein Greuel
der Verwüstung, davon Daniel und Christus geweissagt haben,
und wird endlich der Türke der Prediger Successor werden
und den Garaus machen, wie es denn dem Morgenland auch
ergangen ist. „Wie kann man also die Prediger
mit gutem Gewissen dimittieren?"
Nach dieser scharfen Anrede an die Verordneten erinnern
die Prediger an jene Zeiten, wo die Voreltern Gott oft
gebeten, daß er sie vom Joch des abgöttischen Papsttums
wolle erlösen, und wie herzlich diejenigen Gott gedankt,
„so solche gnadenzeit erlebt und mit dem glantz des
1) Loserth, Zur Geschichte der Gegenreformation in Kärnten
(im Archiv f. vaterländ. Gesch. u. Topographie XIX, S. 48 ff.).
— 441 —
hl. seligmachenden evangelii sein erleucht worden". Und
wir, so fragen sie, wollten uns so leichtlich wiederum
unter das Joch begeben, welches doch jetzt von wegen
der blutdürstigen Jesuiter viel unerträglicher ist, als es
vor Zeiten im alten Papsttum gewesen, wie diejenigen
wissen, so darin gelebt. Sodann erweisen sie aus dem
Gegensatz, daß man die Prediger nicht dimittiereu dürfe,
indem das Gewissen verbiete, andere, geschweige denn
Jesuiter dafür anzunehmen. Unter Anführung aller Namen
und Ehrentitel, welche getreuen Kirchendienern in der
heiligen Schrift gegeben werden, schärfen sie den Ver-
ordneten das Gewissen, daß sie ihre Wäch.er, die wackeren
und getreuen Hunde nicht wegthun mögen, zum Schaden
der Herde. „Man siehet leider, wie es jetzund geht in
diesen benachbarten ländern, da die prediger dimittiert
waren." Die Herren möchten doch wohl die Früchte er-
wägen und was für ein Gewissen diejenigen haben, die
daran schuldig sind. Wo die reinen Prediger wegkommen,
folgt Kreuz ohne Trost, Abfallen oder alles Verlieren, ein
nagender Wurm, der ewige Fluch, eine rechte Hölle auf
Erden und sonderlich die Beraubung des wahren
seligmachenden Evangelii und der heiligen
Sakramente, die man bereits meilenweit bei uns mit
Seufzen sucht. Zuguterletzt berufen die Prediger sich
auf eine frühere Schrift, in der sie ausgeführt, daß keine
Obrigkeit Macht habe über die Gewissen, was auch die
vernünftigen Heiden (die babylonischen Könige während
des Exils) anerkannt hätten. Was die zweite Frage an-
langt, so wollen sie dieselbe den politicis, als ihrer Obrig-
keit, zu erwägen anbefohlen haben. Sie ermahnen jedoch
zu mutigem Beharren. Unterschrieben sind mehrere uns
aus Gallus' Freundeskreis bekannte Namen : Adam Ranacher
(Raunacher) i) und zwei Pfarrer Faschang.
1) S. o. S. 267. Derselbe hatte 1564 bei Moser in Regensburg
Loci drucken lassen, über welche er Gallus' Urteil begehrte. R. A.
XXXV, Z. 95.
— 442 —
Daß im steirischen Oberlande immer noch Reste der
Flacianer vorkamen, giebt auch Loserth zu^). Noch weit
entschiedener tritt Rosolenz für das Vorhandensein flaci-
anischer Elemente um diese Zeit ein und beschreibt in
einzelnen Eällen, wie gerade Flacianer den Kommissären
durch ihren Widerspuch gewaltig zu schaffen machten -).
Während die von ihren theologischen Gregnern besetzten
Landesteile sich leichter fügten (wir nennen nur die Bürger
von Schladming, 1599, wo man 1577 die Flacianer aus-
gewiesen), blieben die benachbarten Orte im Salzburgischen,
z. B. Eadstadt^), weit beharrlicher in ihrem Widerstand
gegen das Reformationswerk der Erzbischöfe Wolf Dietrich
und Marcus Sitticus (1587 — 1619). In den Berichten der
Kommissarien begegnet uns wiederholt die Klage über den
Elacianismus. Sobald einer „mit dem Gewissen herfür-
kam, hatte man ein Argwohn auf ihn als einen Flacianer*)."
Ebenso war es in der Propstei Werfen und in St.
Johann, wo besonders nach Flacianern inquiriert wurde
und bei siebzig Personen nichts weiter zu erforschen war,
als daß der Mensch die Sünde sein solle ^). Bewirkt
wurde nur so viel, daß ein Teil auswanderte, der andere
seine religiöse Überzeugung im Innersten des Herzens
verschloß '^).
Alle Dekrete der Erzbiscböfe vermochten nicht den
Protestantismus auszurotten, vielmehr erhielt derselbe unter
dem Erzbischof Paris zu Lodron wiederum mehr Raum,
sich auszubreiten. Die früheren Bekehrungen zum Katho-
1) Loserth, Zur Kritik des Eosolenz.
2) Eosolenz, a. a. O. S. 53^, 60b.
3) 1584 verbreitete ein Flacianer aus Eferding seine Lehre in
Radstadt.
4) Solche Berufung auf das Gewissen nannte man Schwärmerei.
Die römische Kirche stellt sich zwischen Gott und den Menschen
und erstickt damit das Gewissen, wie die Freiheit des Individuums.
5) Ad. Wolf, Geschichtl. Bilder aus Österreich I, S. 178, 179, 200.
6) Daß hier die Weiber, wie auch in Böhmen, die hart-
näckigsten waren, zeigt Wolf a. a. O. I, 201 f., 219.
— 443 —
licismus wurden rückgängig, und es lebten die Protestanten
unter dem Krummstab erträglicher als in Bayern und
Österreich. Überhaupt ist zu bemerken, daß die Prälaten
in Innerösterreich ^), insbesondere aber Wolf Dietrich von
Salzburg, geringeren Anteil nahmen an der Rekatholisierung
als die von den Jesuiten gestachelten Landesfürsten, welche,
mit Unterdrückung der ständischen Gewalt, die Alleinherr-
schaft anstrebten. Nur sehr ungern sah der Erzbischof
Wolf Dietrich, daß man in seiner Herrschaft Gmünd (in
Kärnten) die Jesuiten und die Religionskommissäre so
hausen ließ ^) und ihm Abbruch that. Wir haben einst aus
Gastein einen Brief des Handwerkers Sigmund Flaisch an
Gallus (1563) angeführt, der uns die Verbreitung der
evangelischen Lehre beweist (S. 266). Das damals ent-
zündete Feuer hat nicht nachgelassen, in Flammen aus-
zuschlagen oder doch unter der Asche zu glimmen, trotz der
scharfen Mittel der Erzbischöfe, die Kapuziner und Soldaten
ins Land brachten. Erst das Emigrationsedikt des Erzbischofs
Firmian, 1731, machte der evangelischen Lehre in Salzburg
ein Ende. Und daß hier starker flacianischer Einfluß im
Spiele war, hat C. Fr. Arnold aktenmäßig konstatiert ^).
Daß von Oberösterreich das Gesagte auch gilt, sofern
auch hier die strengen Lehrer flacianischer Richtung stark
gearbeitet haben , ist allbekannt, und das Verbleiben des
Protestantismus im Lande bis auf die Zeit der Toleranz
haben wir bereits (S. 275) angeführt^).
1) Die Erzherzogin Anna, Karls Gemahlin, klagte darüber, daß
den Prälaten die Jesuiten zuwider seien (s. Loserth, Klritik des Werkes
M. Brenner v. D. Schuster).
2) Gegen die Präjudizierung des Erzstiftes legt Wolf Dietrich
Protest ein; vgl. Archivbericht aus Kärnten von Jaksch im Archiv
für vaterl, Gesch. und Topographie, XIX, S. 209 f. Die Kommissäre
bedrohten das Erzstift in seinen Rechten.
3) Arnold, Die Vertreibung der Salzburger Protestanten und ihre
Aufnahme bei den Glaubensgenossen (vgl. Wolf, a. a. O. I, S. 210).
4) Steier hatte Ao. 1584 vier Prediger; bis 1620 laufen die
Schreiben zwischen Regensburg und Österreich, die über Berufe
von Geistlichen handeln.
— 444 —
Wie langsam aber die Wiedereinführung des katho-
lischen Bekenntnisses auch in Niederösterreich vor sich ging,
erhellt aus folgendem. Im Viertel ober dem Mannharts-
berg wurden in den Jahren 1652 — 1654 in den bestehenden
140 Pfarren und 58 Filialen allein 22 224 Männer, Frauen
und Kinder „bekehrt". Der freiwillig Bekehrten aus dem
Herrenstand waren sieben.
Solches findet man in einem auf der Wiener Hofbiblio-
thek 1) befindlichen dicken Manuskriptband in schönster Aus-
stattung, dessen vollständiger Titel lautet:
„Nomenclatur oder Nambhafftmachung aller derjenigen,
welche vnder der von Ihrer Khays. May.: Ferdinando dem
dritten etc., Vnßerem Allergnädigisten Herren vnd Landts-
fürsten angeordneten Religions-Reformation in dero Ertz-
herzogthumbs Österreich vnder der Ehß Viertl ober Man-
hardtsberg seith des 1652 Jahrs hero beederley geschlechts,
Haußgesessen, Inwohner, vnd diennstleuth, alt vnd Junge
(von 12. Jahr ihres Alters anzuraitten, oder welche sunst
der Heyligen Communion fächig erkhendt werden) von ihrem
Ihrrthumb durch gottes sunderbahre gnad zum Heyligen
Catholischen glauben würckhlich gebracht vnnd bekheret
worden seindt.
Darbey Zugleich die Namen aller Pfarren wie auch
Pfarr-, vnd Lehenherrn oder Patronen, (doch meniglich
ohne praeiudic) nit weniger auch aller weltlicher Obrig-
kheiten, so die meisten Underthanen in einer ieden Pfarr
haben, neben der patrum missionariorum oder Informatorum
gezogen Auß beeden original Ref ormations-
Prothocollen, vnd allerhöchstgedacht Ihre Khays. May. etc.
von dero reformations Commissarien desselben Viertls Ober-
Manhardtsberg, als Benedicten Abbten zu Altenburg etc.
vnd Joachimben freyherren von Windthaag etc. allervnder-
thenigist vbergeben am ende deß Jahres 1654."
1) Sign. 7757. Dieser sogar mit den Bildnissen des Kaisers
Ferdinand III. und seines Sohnes Leopold geschmückte Band ward
vom Kustos Karajan 1870 dem Pfr. Friedr. Koch gezeigt; er steht
zur Benutzung jedermann offen.
— 445 —
Dieses Werk ist nach den Protokollen der Kommission
gearbeitet und enthält alle 22 224 Namen, ferner eine Karte
aller Ortschaften und eine in bunten Farben hübsch aus-
geführte Titelvignette, welche eine liegende Person, das
Bild der Häresis, umwunden mit Schlangen, darstellt, die
ihre Hände auf Pergamentrollen legt, welche die Namen
Luther, Calvin und Zwingli tragen. Angefügt ist ein Appen-
dix der „Freiwillig bekherten aus dem löblichen Grafen-
und Herrenstand". Diese waren in Niederösterreich toleriert
und mußten „freiwillig" übertreten. Unter diesen sieben
war auch ein Otto Heinrich von Dietrichstein und zwei
Töchter Althaimb.
¥/ir schließen diesen Gang durch die österreichische
evangelische Geschichtsperiode im 16. Jahrhundert, können
uns aber nicht zu jenen weitläuftigen Lobreden ihres ersten
Bearbeiters Eaupach erheben i). Wir sind keine Herzens-
kündiger und wollen nicht zwischen Schafen und Böcken
richten. Aber eins besteht vor dem unparteiischen Forum
der Geschichte zu Recht. Man hat es hier zu thun mit
einer Schar von Männern, deren etliche uns durch ihre fast
übermenschliche Charakterstärke — viele möchten es Trotz
nennen — Bewunderung abnötigen, während andere durch
ihre menschlich schwache Gestalt, in der sie gleichwohl
das Exil getrost auf sich nehmen, ein Gefühl der Rührung
erwecken. Beide Arten aber verbindet die Treue gegen
die Wahrheit, die sie für recht erkannt. Mit Festigkeit
bis zum Tode halten sie an dieser Treue — nicht Menschen
(nicht Luther), sondern der Sache zulieb — und scheuen
dabei nicht den tragischen Konflikt, alte Pietätsverhältnisse
(die sie an Melanchthon banden) zu opfern.
Und wenn nun die Ungunst seitens der Machthaber,
Uneinigkeit mit einstigen Genossen, bei etlichen auch Un-
1) Vgl, Eaupach zu Anfang des ersten Bandes; auf sechs
Seiten lauter Lobeserhebungen und Ermahnungen im Stil jener Zeit,
— 446 -
verstand, womit die Jünger ihre Meister verteidigten, diese
Schar auseinandersprengte, sieht man sie ungern scheiden.
Dies um so mehr, wenn man betrachtet, was nach ihnen kam:
die Volkskirche nämlich mit ihrer angestammten Recht-
gläubigkeit, in welche erst der Pietismus neue Gärung
hineinzubringen vermochte, womit aber nur ein immer
größeres Abweichen vom rechten Wege anhob, welchem jene
vorzubeugen einst beflissen gewesen.
Anhang.
T. Scipio von Arcos Rede.
Wir erwähnten S. 132 die Rede, welche Graf Scipio
von Arco an Papst Pius IV. gehalten, und in welcher er,
gedrängt durch die päpstliche Umgebung, das Zugeständnis
aus eigener Bewegung machte, den Ausdruck obedientia
mitaufzunehmen in die Ergebenheitsbezeugungen seines
Herrn. Damit hatte er den Kaiser kompromittiert und be-
kam dies auch von demselben nach Gebühr zu hören.
Die Umstände finden bei Sickel (Aktenstücke z. Gesch.
des Conc. Trid. S. 38) sich verzeichnet und sind die folgen-
den: Arco erhielt zunächst eine Instruktion. Diese und
alle übrigen Aktenstücke sind gänzlich verschwunden. Dem
Regensb. Stadtarchiv nun gebürt die Ehre, die Rede Arcos be-
wahrt zu haben. „Sie haben sich", schreibt Sickel, „weder
in Wien noch in Arco erhalten und sind mir nur aus dem In-
dex negotiorum pontificiorum bekannt. Ich werde auf den-
selben, um Lücken im Material anzudeuten, auch im weiteren
Verlauf zu verweisen haben, will aber gleich anführen, was
der Index von Schriftstücken des Januar und Februar 1560
verzeichnet: 1. Instructio etc. — 2. und 3. Binae litterae
com. Archi de difficultate exorta circa formam orationis ab
eo habendae de 17. Eebr. 60, item 24. Eebr, anno 60. —
4. Exemplum orationis D. com. Archi — 5. Litterae
cardinalis Moroni ad S. C. M*«-^ 18. Febr. a. 60. — 6. Re-
latio comitis Scipionis de Arco apud pontificem gestorum.
— 7. Scriptura quaedam cui titulus inscribitur hoc modo:
ex registro litterarum D. Nicolai papae III, a. 1278, pon-
tificatus sui primo. — 8. Litterae summi pontificis Pii IV
ad S. C. M'«"^ de 27. Febr. a. 60. — 9. Litterae cardina-
lium Moroni et Tridentini ad S. C. M*""* de ultima mensis
Febr. a. 60." — — Diese Stücke fehlten, wie gesagt,
schon im XVI. Jahrhundert, und sind daher die Urteile
- 448 -
auseinandergehend, besonders darüber, vonwem die Ur-
gierung der Fortsetzung des Koncils ausging.
Wäre jene Instruktion für Arco vorhanden, würde alles klar-
gelegt sein. Es ist also ein glücklicher Umstand, daß wir
wenfgatens die Rede (No. 4), welche die berüchtigte Obedienz-
leistung des Kaisers enthält, im Reg. Archiv wiedergefunden
haben. Auf S. 42 f. bringt Sickel den Empfang Scipios
durch den Papst (17. Febr.) zur Kenntnis, und zwar aus
einem Aktenstück des Franz von Thurm an den Kaiser und
ebenso an Maximilian. Hier wird der Hergang in Rom
authentisch erzählt, wie ihn auch Kaiser Ferdinand selbst
1563 erzählt hat. Man vergleiche die Depesche vom 14. Aug.
1563 (bei Sickel, S. 580), in welcher der Kaiser den Scipio von
Arco nochmals gewaltig tadelt, daß er so weit über seine
Befugnis hinausgegangen, indem er das Wort Obedienz in
seiner Rede angewendet. Der Papst sollte damals gewarnt
werden, nicht bei Maximilians Krönung eine Neuerung (d. i.
die Forderung der Obedienzleistung) zu erzwingen, die nur
zu den größten Unannehmlichkeiten bei Maximilian und den
Fürsten des Reiches führen würde.
Die Rede Arco's ist folgende i):
Exultabat vniuersa fere Europa, Beatiss. pater, pace
inter Christianos tot fluctuantibus iam diu bellis sedatis
composita atque firmata. Cum Dei benignitate accidit, quod
vnum ad huius nostri saeculi foelicitatem deesse uidebatur,
quod San:'»* tua ad summum Sacerdotium fuerit euecta:
Quo nihil salutarius Christiana Respublica aut optatius Fer-
dinandus Caesar Dnus meus clementiss. expectare potuit.
Tum enim ex literis, quas superioribus mensibus sacro Cardi-
nalium coetui scripsit, tum ex his, quae praesens Orator
eius Mtis nomine retulit facile San:'"'* tua potuit intelligere,
quantopere optarit, ut in Pontificis Pauli defuncti locum
Pontifex sufPiceretur in cuius integritate ac sapientia Dei
ecclesia tandem conquiescat, et iam pacis parta quies In-
tegra ac perpetua seruaretur. Nuncio itaque Caes. M.*'
allato, S. Tuam ad hanc summam dignitatem peruenisse,
magna perfusus laetitia, me ad S. T. misit, et gratulationis
Oratorem et reuerentiam atque o b e dienti am 2) de more
Rom. imperatorum S. Tuae et Apostolicae sedi se demon-
1) E. A. Eccles. No. XXVI Z. 1.
2) Mau beachte dieses Wort bereits hier; später folgt noch
Ahnliches.
— 449 -
straturum ac praestiturum. Gratulor eius nomine igitur tibi
quod Pontificatuin fiieris adeptus, quem San:" tuae sempi-
ternae laudi futurum exopto : Gratulor Apostolicae sedi,
quod habeat pastorem integerrimum, sapientem , et quod
maxime optandum erat, PIVM, qui cum optima intelligas,
quid praesentium rerum Status atque conditio, quid imbe-
cillitas, quid religio nra perturbata postulet, quid omnes
boni desiderent, et quo pacto nostrorum temporum succurratur
erroribus, qui se per regna hactenus etiam ab omni labe
immunia diifuderunt : pro certo habet Caesar, quod pia ali-
qua reformatione instituta ut coepisti, sublatis dissidiis at-
que controuersiis, quibus Dei Ecclesia iam diu agitatur,
restitues pristinae fidei pristinam tranquillitatem et decus.
Quod et Caesar pro ea, quae sibi incumbit opitulandi Rei-
pub: Christianae cura a te tantopere expetit, et tua te in
Deum pietas hortatur. Quo nihil San:" tuae maiori splen-
dori aut gloriae esse possit. (S. 2) Floruit Beatiss. pater Dei
Ecclesia semper sub PJJS. Quoniam PIVS II, ex praede-
cessoribus tuis, non tarn Dei pientiss: cultor, quam inclitae
Domus Austriacae fautor optimus extitit, neque cum fuisset
apud Fridericum Caesarem educatus post adeptum ponti-
ficatum, unquam veterem suam erga Caesarem propensionem
deposuit. Confidit ergo Caesar San:** Tua bis placidis
temporibus Pontificatum moderante, omnibus iam amotis im-
pedimentis quae te deHectere a tam honesto desiderio pot-
erant depositis armis iriter maximos reges, paceque connubio
Stabilita, te autore futurum, ut Christiani principes concor-
dibus animis ac coniunctis Viidbus, communis ac Christiani
nominis hostis conalus euertant, quo omnes Caesaris cogita-
tiones intendunt, Quod maxime assiduis Votis Christiana
gens expetit, quod nobis pariet immortalitatem, prospere
enim cessura omnia non difFido, quia Dei numine ac prae-
sidio protecti tuti erimus. Notum est autem S:" Tuae in-
primis, quautum immineat periculum non solum Caesaris
prouinciis, sed etiam Yniuerso Christian© orbi, qui praesens
interfuisti cum superioribus annis pro PAVLO III in ex-
peditionem contra Turcas venisses, ex quo qui dem tempore
Caesar summam in te prudentiam cum rerum gerendarum
dexteritate coniunctam, et tuam singularem erga Rempub.:
Christianam Voluntatem propeusionemque in se optime cog-
nouit, ita vt persuasum habeat, S.*"""* Tuam non tam pietatis
officio minime defuturam, quam eius regna atque M:'*^™ suam
paterna benevolentia ut hactenus fecisti nun quam destituram.
29
- 450 —
Vicissim Caesar San:*' Tuae et Apostolicae sedi, vt obe-
d i e n s Ecclesiae filius reuerentiam atque o b e d i e n t i a m
exhibet, et nil unquam praetermittet, quod vel ad conser-
vandam Apostolicae sedis amplitudinem, vel ad obseruantiam
erga S:*"™ Tuam declarandam, vel ad demonstrandam in
Christianos charitatem pertinere cognoscet. Et cum pluri-
mum M:*' suae per maximas curas et temporis Opportunitäten!
licuerit, dabit operam ut a S : '® Tua et Apostolica sede de
more Veterum Caesarum coronam obtineat atque suscipiat.
Haec sunt Caes. M:''^ Dni mei Clementissimi | (S. 3)
mandata. Ego vero Deuna Opt. Max. precabor, ut pro sa-
lute Christianae Reipub: pro templia , pro aris S. T. diu
terris incolumem conservet, Sis fbelix, sis beatus, stet haec
sancta sedes, et veneretur te praesens aetas, innumeris ad
coelum laudibus efferat, de te posteritas loquatur, et nulla
vnquam Vetustas obmutescat, te admiretur, et nobis inuide-
at. DIXI.
Außen: ORATIO Congratulatoria Caes. M.*'^ Romae
coram Summo Pontifice PIO III i) ab Illustri Dno comite
Darcos habita.
II. Urteil Andreas über Flacius ^).
Aus einem Sendtschreiben M. Caspar Melisandri, An
einen guetten freundt, was Doctor Jacob Andrea vom
Herrn Ilirico ^) halte.
Etliche der warheit mißgünstige beschweren Herrn
Illyricum auff allerley weg wie sie khunnen , damit sy
in nur bey Ehrliebenden verdechtig machen möchten, Als
sey er Inn der lehr so Irrig, als etwan ein schwermer
sein möge, wie E. E. dan derselben sonder Zweiffl wol be-
khandt sein werden. Sonderlich der vntreue Heß ein Doctor
von Straßburg (?) der außgibt, daz auch die Wirtenbergischen
Theologen Illyricum für Irrig vnd khetzerisch halten solten,
wie er dan sich hatt hören lassen, Er wisse daz Doctor
Jacob Smidle ^) runde herauß gesagt vom lUyrico : Ey lUy-
1) Soll heißen : PIO IV.
2) R. A. Eccles. No. XXVI, Z. 81.
3) Flacius.
4) Soviel als Schmidle=Schmied; Andreas Vater war ein
Schmied, und so erhielt er unter seinen Zeitgenossen diesen Bei-
namen, der ein Omen war. Er schmiedete in der Zeit mühsam
genug die Konkordienformel ! !
— 451 —
ricus ist der ergeste lötzkhopf der die Kirchen vnd Regi-
ment mit seiner schwermerey Irrig mache. Aber daz solches
Doctor Jacob meinung vom Illyrico nicht sey, weiß ich
gewiß. Dann ich mer dan einmall mit Ime davon geredt,
vnd allzeit befunden, daz er lUyricum (inj der lehr nicht
vnrecht geben khunte, dann er lehre rein vnd woll, solches
habe ich auß seinem mundt zum oiftern mall gehört. Neben
dem Allem, Nach dem er der Herr Doctor Jacob mich
mehr dann einmall gebeten, Ich solte Illirici Son, der letzt
zu Tübingen allhie bey vnns ist, zu Ihme furhen, hatt er
volgende wortt zu dem Jungen Illyrico gesagt, Postquam
nomen es eo sciscitatus erat: Nun (?J tu refers nomen tui
parentis , fac igitur ut etiam illius eximiam eruditionem
et pietatem tu quoque aliquando referas. Et propter tuum
parentem qui licet a facie mihi cognitus non est, satis
tamen omnibus notus est, ex suis multivariis scriptis, tibi
offero mea officia. Tuus parens vir est eruditus, pietate et
zelo insignis et suis laboribus quos hactenus magna cum
constantia pro veritate defendenda sustinuit de Ecclesia
optime meritus, vnd daz hatt er zwaymal widerholt : Est
de Ecclesia suis laboribus optime meritus. Hierauß kan
man Ja sechen, daz gemelter Heß vnbillich solches von
Doctor Jacob Außgibet, oder ists war waz gemelter Heß
sagt, so muß Doctor Jacob khalt vnd warm im Haffen
haben, daz Ich Jme doch vill änderst zuetrau. So hatt
er solchs nicht allein zu mir merhmalls gesagt, Sonder
auch gleicher meinung mit andern dauon geredt, wie mir
woll bewust, Als zu Herr Steffen Consul i) vnnd Herrn
Hannß Vngnadt ^j selbst, der in fieissig von Illyrico ge-
fraget, deme er auch gleicher meinung geandtwordtedt. Er
wisse nichts daz Herr Illyricus fallsch lerhe, Er halte In
für einen gelerten reinen lerher. Was aber Etliche seine
priuat Handl anlanget, da hette er woll etwaz linder
handln mögen, doch neme daz der lerhe gar nichts. Solches
schreibe Ich E. E. fursichtiger lieber Herr der vrsachen
1) Der unter den Kroaten thätige evangeUsche Prediger. Auf
8t. Consul und seine Mitarbeiter ist neuerdings auch die neuer-
weckte kroatische Literatur aufmerksam geworden. In Agram be-
steht eine besonders von Bischof Stroßmayer unterstützte Akademie.
Ein gewisser Nacinovic hat in Fiume ein Leben des Flacius italienisch
geschriei3en, das in Rom gedruckt erschienen ist.
2) ü. hat die Druckerei in Urach errichtet, wo in ahkroatischcr,
glagolitischer Schrift von Stephan für die Kroaten gedruckt wurde.
29*
— 452 -
damit was mer dergleichen vnwarheyten von vnsern Theo-
loo-en euch furkhemen Ir Inen solches für die nasen halten
khünnt, vnd waz Ich hie von Doctor Jacob schreibe, daz
weiß gott daz ich nichts erdichte. Ir vnnd andere frome
Christen sollet euch nicht von der warheit lassen ab-
wenden. Es ist vnns vmb lUyrici person nicht zuthuen
er gehet vnns wenig an, Allein waz ein Christ dem andern
zu ratten die warheit schuldig. Sein lehr wider die ver-
felscher wollen wir verteidigen souil miglich, Gott helffe
vnns darzue Amen.
Datum, Tübingen ^).
III. Brief Waldners an Gallus aus Nürnberg
vom 7. Januar 1557 ^).
Gottes genad in Christo Jesu vnd mein stetigs gebet
zu Got für E. E. zuuor. Erwirdiger christlicher vnd Acht-
barer Herr, das ich bisher lang nichts an E. E. geschriben
hab, ist aus keiner andern vrsach geschehen^ denn das ich
nicht sondere vrsachen darzu gehabt hab, die do werd
gewesen weren, E. E. in höhern vnd nötigern geschefften
zuuerhindern. Damit ich aber E. E. auch ein wenig
schreibe de statu nostrarum ecclesiarum, so sind wir auf
der Cantzel der lehr in genere also eins oder souerr, das
keiner keinen Irtumb öffentlich billichet, vnd ein iedlicher
das Euangelium rein zupredigen vermeinet, also daß die
lehr an ir selbs die vnser iedlicher führet, vileicht vn-
tadelich sein mag, wie aber die Büß vnd Confessio selbs in
specie geprediget werde, vnd bede die sunde vnd die Irtumb
deutlich vnd Clerlich angezeiget werden, da mag es sich
vileicht zwischen vns scheiden , das ein teil vber den
andern klaget; wir sagen vnd ist war. Jener teil thu im
zu wenig, mit dem verschweigen, das ist, nichts böß noch
vnrechts sagen, aber es heisst doch nicht recht geprediget,
weil sie öffentlichen irtumb in der Kirchen nicht Nennen
noch darwider reden wollen. So beschuldigen sie vns wir
sind zu hefftig, wollens dem Luther nachthun, vnd sind
doch der Man nicht darnach, aber solche altercationes
haben wir allein zwischen vns priuatim, vnd haben noch
1) Etwa 1561 oder 1562.
2) R. A. Eccles. XXVI, Z. 49. Vgl. oben S. 207 f.
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bisher auf beiden teilen verhütet das es nicht vnter die
gemein Jiome, zumal weil wir auf beiden teilen verhofften,
es solt zwischen den Confessoris ^) vnd Adiaphoristen christ-
liche einigkeit volgen. Den M. Mauricium 2j hab ich selber
angesprochen von wegen das er bede den Maiorismum ^)
vnd Adiaphorismum sol billichen, welches er stattlich ver-
neinet hat, doch souerrn das er mit dem D. Illyrico nicht
allerding zufriden sey, auch nicht mit Erasmo Sarcerio.
Eins teils sagt er, das sie in mit gewalt hinein haben
wollen ziehen wider den Maiorem (welches sein guter
Freund sey) vnd er sey nicht allein priuatus sonder auch
deß Handls allerding vnbewusst gewest, dieweil er aber
sehe das es die kirchen offendir wolle er mit diser pro-
position nichts zu thun haben, er wolle sie nicht furdern
(fördern) so wolle er auch niemand wehren die es hindern
oder darwider sein, in summa er wolle nichts mit zu thun
haben. Also mit den Adiaphoris sagt er auch hab er
nichts zuthun gehabt , wolle sich auch noch in disen
Zanck nicht legen, zumal weil die Adiaphora, aus vnsern
Kirchen alhie zu Nürnberg, öffentlich widerumb ausgethan
vnd durch einen erbarn rhatt abgeschaflfet sein, wie gleich-
wol dasselbig war ist. Aber darumb er nicht entschuldiget
ist, das er derselben nicht gedenken wil. Saget auch weiter
er wolle vnser keinem wehi^en, die wir von anfang wider
die Adiaphora gestritten , das wir nicht noch darwider
streitten sollen, dann mit vns vnd im als einem iungen
prediger*) hab es ein vnterschied. Mit Herrn Illyrico sey
er drunib zu vnfriden, nicht deßhalben das er vnd andere
wider die Adiaphora geschriben, so doch dasselbig an-
fenglich hoch von nöten war, sonder darumb, das er
philippi person angegriffen vnd das er vil absurda, vn-
gereimbt vnd vnbeweisliche Ding wider Philippum vnd
andere Wittebergenses geschriben vnd ire wort sinistre
1) d. i. den strengen Nachfolgern Luthers.
2) M. Mauritius Hehng, geb. 1522 zu Friedland in Preußen,
studierte 1543 unter Luther und Melanchthon in Wittenberg.
3) Man betrachtete ihn in Nürnberg nicht ohne Mißtrauen, da
er schon früher, als öchulrektor in Eisleben, in die majoristischen
Streitigkeiten verwickelt, deshalb von dort vertrieben und seitdem
in Wittenberg gewesen, wo sein Lehrer Melanchthon sich seiner
angenommen. Dem Ansehen Melanchthons dankte er seinen Einfluß
(s. Zeltner, Vita Helingii, p. 17 ss.).
4) Heling war erst seit kurzem, etwa seit 1555, in Nürn-
berg als Prediger angestellt.
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gedeuttet vnd ausgeleget hab, was er aber sonst bey der
kircben gutes gethan hab , als wider das Interim , An-
fenglicb, wider die Adiaphora, wider den Stenckfeld i) vnd
Osiandrum, dafür sag er im auch Danck, das könne er aber
nicht loben, das er Philippum einen so wol verdienten
Man bey der kirchen an seiner person angegriffen vnd
vil Calumnia vnd Conuitia wider in ausgeben hab, Was es
aber für Conuitia sein sollen, hab ich weder von im noch
andern mit denen ich zu Har gelegen ^), erfahren mugen.
Lieber got, die guten leut wissen nicht, wo sie daheim
sein, noch was das Euangelium ist, wollen iedermans freund
sein, simulirn alle Ding, geben gute wort sie wollen mit
vns gleich lernen ^') , vnd ist doch gewislich anders in
irem Hertzen , wo sie rechte gelegenheit finden wurden
sol mans mit schaden wol erfahren. Wir ligen inen, wie
vnmundig wir auch sein, stetige auf dem Dach, er Mau-
ricius wolte neulich de libero arbitrio reden, aber der Man
ist im warlich zu schwach, do er aber vnter andern saget
Dens volentem trahit ^j, haben wir M. Besoldum ^) an in
geschickt, dem hat er geantwortet, er hab gemeint es sey
eben recht vnd bey vns kein stritte de libero arbitrio, so
er aber verneme das es wider vns sein solle vnd die
kirchen oö"endirn wolle er wol daruon still schweigen, in
summa er sucht freund vnd frid.
D. Rotingus '') ist also sein adversarius^ das er sich
hart vor im furcht, meidet ehe Zeit vnd ort das er nur
nicht umb den Rotingum sey, denn er schweiget nicht,
1) Schwenkfeld.
2) d. i. darüber gestritten.
3) Soviel wie lehren.
4) d. h. Gott ziehet den Wollenden.
5) Hieronymus Besold (s. o. S. 209) hielt dem Heling bis zu
seinem Tode 1562 die Wage und tadelte ihn auch wohl später wegen
seiner Ausdrücke im Punkte der Abendmahlslehre, v. Zeltner, Vita,
p. 85 SS. Nach 1562 trat Heling ganz als Philippist hervor, aber
immer mit Vorsicht. Nach dem Tode ßaumgärtners 1566 entledigte
sich Heling seiner theologischen Gegner, unter anderen des Besler, und
führte ein aus philippistischen und lutherischen Schriften gemischtes
Corpus doctrinae ein, dem die Majorität des geistlichen Ministeriums
zufiel.
6) Dr. Michael Rotingius, geb. 1494 zu Sülzfeld in Franken,
war längere Zeit in Wittenberg Melanchthons Tischgenosse; er kam
1526 mit Camerarius nach Nürnberg, woselbst er am Aegidianum
lehrte. Er überlebte alle seine Zeitgenossen und starb am 20. Mai
1588, 94 Jahre alt.
— 455 —
vnd weil er ein alter Theologus ist, hat er auch die Au-
thoritatem darzu, da wir sonsten verachtet wurden. Neulich
hat sich der Haudl zugetragen, das Rotingus vnd der
Praeceptor im spital (Josias Menius, welchen Philippus
vnd Camerarius alhie her geschikt) zu vnfriden worden
sein , darumb das der Praeceptor ein Neue Weise die
knaben zu instituiren hat furgenomen, nicht allein wider
die vorige alte weise, sonder hat auch dieselb also gestrafi't
als haben die vorigen Praeceptores die Jugent schendlich
verführet, darüber ist der Handl an Philippum durch
Josiam schrifftlich gelanget, aber Philippus wie sein weis
ist, hat nichts richtigs. geantwortet, vnd gleichwol hat Josias
die Antwort auf sich gezogen, als aber Rotingus dises
Handls mit Mauritio zu rede worden, in einer gastung
darbey M. Besoldus vnd ich gewest, vnd Mauritius Phi-
lippum stets entschuldigen wolt, feret Rotingus fluchs
heraus, Philippus der hab Schelmisch gehandlet, da war
Zeit das man denselben abend frid machet, weil aber eben
denselben tag Camerarius vnd Peucerus alhie waren '■), ist
dise rede an sie gelanget den andern tag, alsbald vnd
nachfolgend in dem gantzen Wittenberg erschollen das sie
Ceder Mordio vber Rotingum schreien. Was daraus werden
wil, wais ich nicht, in summa Rotingus ist auf Philippum
sonderlich hefftig entzündet, vnd zeiget deß auch wichtige
vrsachen an. Erstlich das er die Confessionem verloren
oder daruon gewichen sey vnd andere auch zum Fall ge-
bracht hab, Zum andern das er falsche Definitiones in der
Theologie herfur bringe, die nicht Prophetisch noch Evan-
gelisch sein, vnd also die Jungen leut verführe. Zum
dritten das er mit Heucheley widerumb sich zu der Con-
fessionem mache, vnd da er doch dieselb verleugnet vnd
eine andere gemacht hab [darinn er den Cinglianismum ^)
noch Osiandrismum auch andere Irthuml) nicht straffe,
setze auch den sprach Pauli betriglich also Nulla condem-
natio est iis, qui in Christo Jesu Ambulant, mit disem am-
bulare hab er solam fidem weggestossen vnd die necessitatem
operum approbiret] nenne er sie nu Repetitionem Confessionis
Augustanae ^). Auch haben wir allererst hie erhalten das
1) Wohl auf der Keise zum Regensburger Eeichstag, s. Preger
II, 63.
2) Zwinglianisraus.
3) Gemeint ist die Confessio Saxonica v. J. 1551 ; Abschnitt V,
De nova obedientia. Dieses Bekenntniß ist für das Tridentinische
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philippus das wortlin substantialiter hineingesetzt hat in
den Articulum de coena domini vnd das hat M. Besoldus
zuweg bracht 1). Ferner hat Rotingus seinem Son gehn
Wittenberg geschriben, er sol dencken, das er die Neu
Theologiam zufriden lasse, denn es sey ein lautere Heuchley
vnd philosophia, er sol sich an das Evangelium halten wie
es Lutherus prediget hab, vnd nicht wie es itzt die Witte-
bergenses vnd Lipsieuses deprauiren, er sol sich auch nicht
verführen lassen das sie also wider lUyricum vnd Gallum
vnd Ambstorffium (welchen er vber die massen hoch halt)
lestern, denn es sey nicht vmb Illyricum Gallum vnd Amb-
storffium, sonder vmb das Euangelium zu thun das Lutherus
geprediget hab, vnd diese noch fuhren und bekennen, das
wollen sie die Adiaphoristen vnd Maioristen gern zu
Schanden machen vnd widerumb verdunckeln. Das Letzte
ist (wiewol er andere vrsachen mer hat) das Philippus
wider den Maiorismum sein wil, vnd leide doch den Maio-
rem als einen Professorem , halt in auch zu keinem
widerruff, damit er entweder dem Maior heuchle, oder
halte es in seinem Hertzen mit im. Schleust auch letzlich,
das aus gemelten vrsachen zuuermuten sey, daß weder
Philippus noch seine verwandte den Bapst für den rechten
Antichrist halten, sonder es sey vmb etliche Mißpreuch
zuthun. Item Osiandrum halten sie für keinen Ketzer,
weil sie von im sagen durffen, wo er gelebet hett, wurd
er sich besser erkleret haben, vnd das weise auch aus ir
Concil verfaßt (s. C. R. 28, 369—461) und fand Aufnahme im Corp.
Doctr. Misnicum und Friedrichs des Fr. Beifall. Die Reformierten
haben in der durch iSalnar im Namen der französischen und belgischen
Gemeinden (Beza, Danaeus) verfaßten Harmonia Conf. fidei (Genf
1581) im Anhang gegen den hier vertretenen Synergismus und
Wiederabfall der Wiedergebornen Stellung genommen und so auch
gegen die necessitas bou. operum in der Cent. Wirtembergeusis und
andre Abweichungen der Augustana v. J. 1540, wie nicht minder
der Conf. Bohemica. Laut dieser offiziellen Äußerung stehen also
die Reformierten den Flacianern nicht so fremd gegenüber, wie
man nach ihrer sonstigen Teilnahmlosigkeit glauben sollte. Ebrard
strich in der neuen Ausgabe der Harmonia den Anhang!!
1) Die Nürnberger haben nach dieser Notiz Waldners es bei
Melanchthon durchgesetzt, daß er im Artikel vom Abendmahle das
Wörtlein substantialiter nicht auslasse (vgl. darüber Loofs Dogmen-
geschichte S. 287 und Preger II, S. 71). Waldner schreibt das Ver-
dienst daran dem M. Besold zu, dem alten Freunde Melanchthons.
In der Apologie 157 sprach er sich einst römisch-katholisch aus;
später so, daß die Reformierten ihre Ansicht in seinen Formeln
wiederfinden konnten. (Vgl. Kluckhohn Briefe I, 156.)
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Amnistia. Wie nu D. Rotingus zu Wittenberg vnd bey
den vnsern Philippianis gehalten wird, haben E. E. leicht
zuuernemen, nenilich das er ein Morosus vnd zanckischer
Senex sey, so hie cum bona quiescentia latitat in tugu-
riolo et fungitur suo officio ij, vnd was Camerarius von
im ausgeben hat, ist eben so war, als das Camerarius ein
frummer Christ ist. Dise gelegenheit mit vnserer kirchen
vnd vnsren Theologis hab ich E. E. nach der leng müssen
erzelen, auf das wo daruon geredet wurd, das E. E. einen
gewissen bericht hetten.
Die Refutationen! Missae ^) hab ich lengst dem Herrn
Heintzelio ^} auf Augspurg geschickt, der hat mir selbs
geschriben, das er daran sein wil, das sie aufs beldest
gedrucket werde, hab im auch heut di. en tag widerumb
geschriben. Das scriptum D. Westphali de re Sacramen-
taria^) hat Montanus dem Herrn Baumgartnero gewisen
vnd angezeiget seinen Inhalt, hat der Herr geantwortet,
er trug sorg man wurde Philippe keinen Dienst mit thun^),
als er im aber sagt M. Besoldus hab es gelesen, vnd laß
ims gefallen, hat er alsbald gesagt Man sols drucken, denn
er wusste wol das M. Hieronimus nichts wider Philippus
that, also sagt montanus er woll es bald drucken. Gleich-
wol hat mir dises scriptum meinen argwon noch nicht
entnommen, vnd pleibtt Philippus gleichwol im verdacht
wo er sich nicht selbs erkleret. Für die geschikten buch-
len vnd brief sag ich E. E. fieissigen Danck, bitt wollet
vns ferner mitteilen was sich zu wissen zimet zwischen
E. E. vnd philippus.
Datum Nürnberg den 7 Januarij im 1557 iar
E. E. williger
Wolfgangus Waldner.
1) d. h. er sei ein mürrischer Greis, der in guter Euhe in
seiner Hütte sich verborgen halte und seines Amtes walte (nämlich
über alles klage).
2) Eine Schrift des Gallus.
3) Ratsherr von großem Einfluß, mit dem auch Chyträus öfter
korrespondierte; vgl. Epj). fe. 173, 330, 509.
4) Nämlich die von Waldner verfertigte deutsche Übersetzung;
vgl. oben S. 208.
5) Daß Melanchthon dem Westphal nicht antwortete, mißfiel
fiel auch Calvin (Opp. 15, 268) und war wohl ein Fehler; dadurch
empfing der alte Streit neue Nahrung.
— 458 -
Man sagt D. Illyricus laß itzt das scriptum Rotingi
de libero arbitrio trucken mit einer harten praefation wider
pliilippus: wollet vns lassen wissen wie im sey.
Was ich hie schreibe sol noch der Zeit E. E. allein
geschriben sein, zu gelegener Zeit wil ich dem Herrn
Illyrico des Mauritius halben selber schreiben. In deß
zerreist disen brief.
Adresse: Dem Erwirdigen Achtbaren vnd wolgelerten
Herrn M. Nicoiao Gallo der Kirchen Christi getreuem
Bischof zu Regenspurg. "
Als Bestätigung der im Briefe Waldners gegebenen
Darstellung der kirchlichen Verhältnisse in Nürnberg dient
uns das im Codex der Wiener Hofbibliothek 8314, Fol.
125 — 127 vorhandene Schreiben des Nürnberger Stadtrats
an die Deputierten in Osterreich, in welchem der Rat eine
Anfrage wegen des zum Superintendenten vorgeschlagenen
M. Besler — vormals in Nürnberg Pfarrer und Superin-
tendent — beantwortete. Selbige Zuschrift rief über Auf-
forderung der Verordneten eine Gegenäußerung Beslers
hervor ^).
Die vom 23. Dezember 1575 datierte Schrift des Rates
an die Deputierten konstatiert zunächst, daß Besler seit
1547- 1569 in ihrem Dienst gestanden und tadellos gewirkt.
Als aber vor etlichen Jahren der flacianische Streit ausbrach
— Flacianer nämlich nannten sie die die philippistischen
Kollegen bekämpfenden Prediger — hätten sie zuerst auf
gütlichem Wege, dann mit Strenge jenen Streit abzustellen
getrachtet. „Weil nun Besler sich dieser Elacianischen
Spaltungen auf dem Predigtstuhl und sonsten auch ange-
nommen und über ihre väterliche, wolmeinende Warnung
und Abhaltung derselben zuviel nachgehengt und ihm solche
Unruhe vielmehr denn die christliche Einigkeit und Wol-
stand der Kirchen erwählt und belieben lassen", so habe
man ihn auf sein Ersuchen und auch seines Alters wegen
seines Amtes und der Superintendentur enthoben mit Er-
teilung einer jährlichen Gnadengabe, falls er sich ruhig ver-
halte. Ob ersieh aber „an dem jetzigen ärgerlichen Streit
de substantia et accidente peccati originis" beteiligt habe
oder nicht, könnten sie, da derselbe erst nach seiner Sus-
pendierung vom Amte ausgebrochen sei, nicht angeben.
1) Cod. Fol. 127—128. Vgl. auch oben S. 87.
— 459 -
"Wegen seiner Berufung können sie auch nicht ratweise an-
zeigen, ob er zum Superintendentenamt in Osterreich taug-
lich sei, oder nicht, weil er bei ihnen keine Stelle mehr
bekleide.
Dieses sehr parteiische Schreiben wurde von Besier
alsbald beantwortet i), Januar 1576. fDas Wesentliche
findet man schon oben S. 87 und Cod. Fol. 127 — 128).
Danach hat dieser alte, unbescholtene Mann pflicht-
mäßig seine Zuhörer um die Zeit des Interims vor dessen
Korruptelen gewarnt. Nachdem das Interim rückgängig ge-
macht worden, hätten auch in Nürnberg viele „einen schlech-
ten Widerruf gethan und dazu noch Recht haben wollen;"
ja, es seien alle, die dem Interim und dessen Korruptelen
weiter widersprochen, als die ärgsten K( tzer und Flacianer
verfolgt worden. Dem habe auch er, obwohl nur schwach
und furchtsam genug, sich widersetzt, und daher sei die
Feindschaft wider ihn gekommen ^). Die Sache war, daß
Heling, als er zur Macht gekommen, durch seine Freunde
im Rat es dahin brachte, daß Besier, sein schlimmster
Gegner, entlassen wurde, und bald darauf auch Johann
Kaufmann suspendiert ward, der mit Besier übereinstimmte.
So wußte sich Heling die Bahn frei zu machen zur Ein-
führung des Corpus doctrinae Misnicum ^i.
Nach dieser Ausführung erklärt Besier (Fol. 128)
schließlich : Bezüglich der Lehre von der Erbsünde stehe
er auf dem Standpuuke der Formula concordiae, welche er
bei seiner Berufung nach Wien (1574) unterschrieben habe.
Er bekam übrigens die Stelle nicht, da es unmöglich war,
ihn beim Kaiser durchzusetzen.
Die Deputierten waren mit jener Rechtfertigung Bes-
lers zufrieden und traten im Landtage energisch gegen die
Anwürfe wegen der Teilnahme am flacianischen Streit auf.
Dieser Vorwurf, so äußern sie sich, habe wohl in jetziger
Zeit bei der Welt einen großen Schein, aber bei verständigen
Christen und ehrbaren Leuten nicht also, und würde vor
einem weltlichen Gericht schwerlich angenommen werden.
Denn .,mit sonderer List" sei es in dem Nürnberger Schreiben
verschwiegen, daß Besier wider das Interim und interimistische
1) S. Bericht der Deputierten v. 2. Feh. 157G. Cod. Fol. 134 f.
2) In Nürnberg wurde erst 1560 und Gl zur gänzlichen Ab-
stellung der seit dem Interim üblichen papistischen Gebräuche ge-
schritten.
3) Vgl. Johannsen, Die Anfänge des Symbolzwanges etc. S. 3()3.
— 460 —
Irrtümei- gepredigt habe. Es sei aber „reichs- und land-
kundig", daß der Kat von Nürnberg sich dem verderblichen
Interim ' angeschlossen habe , wodurch sich verschiedene
„Coruptelen und Irrtümer" eingenistet, gegen welche neben
Flacius, Amsdorf, Gallus, den sächsischen Städten etc. auch
Besler ' der ein Schüler Luthers und von diesem auch ordi-
niert sei, aufgetreten und „in seiner Kirchen das seine auch
gethan, wiewol fast eher zu wenig als zu viel". Die Be-
schuldigungen des Nürnberger Stadtrats werden „lieder-
liche" genannt, und die Deputierten wollen sich solcher
Sünde nicht teilhaft machen, womit ja auch Opitz und
Cölestin getroffen werden würden, und sie stellen schließ-
lich die Niederlegung ihres Amtes, das sie solange innegehabt,
in Ausicht, falls die Stände ihr jetziges Verfahren des-
avouieren würden [Cod. Fol. 141 u. 1421]. Die Stände
gaben nach, und so kam es dahin, daß man in Österreich
sich in dieser Sache nicht fremder Sünden teilhaftig machte.
Zu S. 270.
IV. M. Moseder über die Exkommunikation.
Über die Exkommunikation schreibt M. Moseder an
Gallus aus Azbach (N.-Ö.) 4. Mai 1567: „Unerachtet das
nichts sonders zu schreiben vor ist, allain khan ich den
Herrn nit verhalten vnd treulich zu klagen nit unterlassen,
das nachdem ich zu Steuerung des Übels vnd abscheuchung
der manigfaltig in schwang lauffeten lästern, die gepürlich
excommunicatio, daß die öffentlichen sünder in öffentliche
pueß gestellt vnd alsdann durch öffentliche absolution re-
soluirt vnd der gemein gottes widerum eingeleibt vnd sub-
iungirt werden sollen. In meinen gemainen angericht vnd
nach anleittung gelerter mäner als Ciriacij spangenbergii
vnd anderer mer gottseliger mainung nach erhaltenem und
eine Zeitlang schon in angerichten geprauch geübt, so
finden sich etlich obrigkhait, welche ihre
vnderthanen In lästern fürdern und zu vor
solch gottselig nottwendig khirchdisciplin
schützen vnd dawider mit gewalt zu streben
verhelffen, darauß dan nit allain allerlay handel, Sünden
je mer vnd mer waxen, sondern andre zu Verachtung des
christlich banns vnd widerstrebung angerichter khirchen-
übung geraizt und excitiert werden."
— 461 —
Lupulus klagt über Nie. Salm, Reuter im allgemeinen
über die gleichen Übelstände. Gleichwol wurde, wie unsre
Akten zeigen, in Osterreich nach dem Beispiel des Gallus
und Waldner an vielen Orten die Zucht streng geübt.
Zu S. 291.
V. Gallus an Reuter über den bei den A.gende-Ver-
handlungen einzunehmenden Standpunkt ^j.
Gottes gnad , Geist vnnd khrafft inn Christo beuhor.
sambt meinem Vatter vnnser, Ehrwirdiger geliebter Herr
vnd Brueder , Ewer 2 schreiben, deren datum 21 vnnd
26. Oktob. hab ich gestern 4 dieses neben bei verwarten
2 andern schrifFten wol empfangen. Danckhe Gott nach ge-
legenheit, welcher euch sambt den Andern Herren dieses
teils vor andern zu denen Hendeln verordnet, souil er-
khanntnis geben hat, die Sachen zu vrtheilen, vnd freidig-
keit des Geists die warheit zu bezeugen, dargegen last euch
nicht irren ander leut rede, sonder tröst euch vilmehr, das
ir nicht von euch selb, sonder durch ordentlichen beruff dar-
zu khumpt, euch nicht auff geschickhlichkheit vnd grosse
khunst, nur auff Gott vnd sein wortt verlast, vnnd darfF
hie nicht ander khunst, dann nur der warheit Zeugnis geben,
vnd darbei beharret, Gottes wortt ist an ihm selb khrefftig
zu thun vnd außzurichten was es sol. Allein setzt die sache
auff den rechten grundt Göttlichs wortts, das ir den khönnet
ein wenig anzeigen, dürfft gar nicht disputirn. Alß nemlich
weil ir eben die vorige oder gleiche Handlung mit dem
Adiaphorismo für euch habt, da man auch die Lehre der
Augsp. Conf. frei geben wollte, allein mit adiaphoris ein
enderung vnd vergleichung fürnemen, das ihr euch gleich
auflf die lere vnd Regel von Adiaphoris zihet wie sie in
khirchen der Augsp. Conf. lange vor denen Händeln von
Adiaphoristen selb getriben, vnd auß Gottes wortt genomen
ist — Adiaphora in casu confessionis, cum opinione meriti,
cultus aut necessitatis fieri moralia et praecepta ^), ■ — in
1) Eccles. No. XXXyi, St. 91.
2) Sofern Ihr eben die gleiche Handlung vor euch habt, wie
1548 zur Zeit des Interim, so zieht euch auf demselben Standpunkt
zurück, wie er lang vor dem adiaphoristischen Streit eingenommen
wurde: nämlich daß Adiaphora, wenn es gilt zu bekennen, nicht
leicht zuzugeben seien, indem sie unerträgliche Vorschriften würden.
— 462 -
schrifften wider die Adiaphoristen weiter gegrundt vnd er-
khlert ist, wie man darin auch nicht schlecht sehen mues,
wie wirs meinen vnd annemen möchten, sondern wie es
vom andern theil herkhumpt vnnd gehet ^). Da sind nu
die öffentliche Demonstrationes, das des Bapsts Ceremonien
sindt, die man wolte auffrichten, der Bapst allenthalben mit
im spiel ist, vnd also nur characteres Bestiae, daher ge-
flohen vnnd iudiciert müssen werden, das ein Christ damit
vnbefleckht bleibe, wen sie gleich an ihnen selb nichts oder
geringe were, wie der apfifel imm Paradis an im selb auch
war, aber gottes wortt das daran hienge, als hie wider den
Bapst vnd Antichrist, daz wir inn Adam alle den ewigen
todt an dem apffel gessen haben. Also mueß man hie die
Adiaphora ansehen, vnnd denen fürhaltten, die es so geringe
machen, darunter auch schier die gantze Religion zu einem
Adiaphora machen, so wirdt mans im Werekh sehen, oder
sich doch baldt finden, das man die Lehre auch wirdt mit-
nemen, vnd vieler grober greifflicher Bäpstlerei einmengen,
noch vil mehr aber dahinten sein, gleich wie wir den
Chorrock maleten, das er das gantze Bapstum deckhte,
vnnd dahinter steckhte: war im grundt auch also, wie nicht
weniger iezt, vnnd daz wirdt sich ausweisen, wo Gott nicht
drein khumpt. Auch erkhlert sich die Khay. Mai. inn vber-
senter schrift't nur gar gnug, wie sies beide mit Lere vnnd
Ceremonien meine, indem sie der vnsern niemandt bei der
Tractation leiden wil, als die Zänckhischen Stiffter besonnder
leere vnd feinnde gutter zulässiger Ceremonien.
Hierauff schließe ich nochmals, das ir euch der gestalt,
wie es für ist, vnnd mit denen leuten, so öffentliche Papister,
zum theil Adiaphoristen sindt, etwas Christiichs zuhandlen
vnn zuschließen nichts werdet einlassen khönnen, weder mit
lere noch Ceremonien, weder auff newe noch altte der
Ersten Augsp. Conf. verwonten Ordnung, vnnd will inn
dieser gelegenheit, meines verstandts vnd gewissens für
Gott noch darauff stehen, das die 2 Stände noch vmb lere
vnnd Ceremonien der Augspurgerischen Confession bitten
miteinander; vmb die lere on disputation vnd andere
erkhlerung , vmb die Ceremonien so ihren gewissen
auch leidlich vnd verantwortlich, deren sie selb ein form
Hessen begreiffen der Kha5^ Mt. zu iudizirn vnnd approbirn,
1) Man solle auch dabei auf die Intention der Gegner sehen
und nicht auf die eigene Deutung oder Meinung.
— 463 —
daz sie Gottes wortt vnd der Augsp. Conf. nicht sollten
zuwider sein. So weren sie auch der andern sorgen
ihres gewissens, ergernis vnd nachrede bei andern Christen
abe. Auch daz sie sonst werden ein Anfang machen
dem ganntzen Reich beschwerlich, vnd ist khein Zweiuel
es sei ein Vorbereitung der Religionshändl gegen khunf-
tigen Reichstag vnnd Augustus mit dem Colloquio in
Düringen sein Correspondenz mit denen handeln habe, auch
nicht viel fruchtbars seinen halben auß dem Colloquio zu-
gewartten i).
Wollte demnach füruemlich itzt mit euch darumb zu
thun sein, wie ir mit guetter bescheidenheit zu dem begeren
vnd von der Andern Hanndlung richtig (ab)kemet. Dar-
zu lasse ich mir nu gefallen die Prote-tation 2) , auff die
3 artickhel wie irs gefast.
1) mit der Lere der Augsp. Conf. on Disputation vnnd
ander erkhlerung, vnd meldet Lutheri erkhlerung, so verus
interpres ist vnd sein sol, do was disputirlichs darin fürfeit ^j.
2) mit der gegenlehre vnd Corrupteln. Da werde in
specie die Synergia, neccessitas operum ad salutem, Adia-
phorismus vnnd Caluinismus gemeldt, da werden sie sich
verratten, vnd es nicht leiden khonnen, Sehet auch ob ir
ihnen ein pomum contentionis zuweriFen khöntet, das der
Caluinismus auß Trückhlich verdampt werde, daz werden
Carlwitz vnd Camerarius nicht leiden khönnen '').
3) das euch schweer mit öffentlichen Papisten vnd Adia-
phoristen zuhandeln, dann da müsset ihr khein blat für das
maul nemen. (Es) Trifft ewer bekhantnis vnd viel tausent
Seelen, da wirdt sichs baldt stossen vnd abschneiden, wil
man darüber weitter handeln, so höret an, werdet baldt
1) Galkis fürchtet, daß aus solchem Kompromiß in Osterreich
böse Folgen erwachsen würden bei künftigen Reichstagen, und meint,
daß das gleichzeitige Altenburger Gespräch, durch Kurfürst August
veranstaltet, nicht viel Gutes erzielen werde. Wie sehr die Gegner
an diesem Gespräch und den Artikeln der Flacianer ein Interesse
zeigten, verrät ein Brief Eisengreins an Herzog Albrecht von Baiern
(s. Hopfen a. a. 0. S. 320, wo statt Miricaner lUyricaner zu lesen
ist. Der ganze Brief ist hoch bedeutsam).
2) So viel wie Erklärung.
3) Die Meinung ist, man wolle beharren bei der A. C. und in
streitigen Fragen Luther als interpres herbeiziehen.
4) In zweiter Linie sei zu handeln von dem, was ausdrücklich
auszuschließen wäre, nämlich die seit dem Interim in Frage stehen-
den Korruptelen.
— 464 —
hören vnd finden, daz ir zu widersprechen habt, nach ob
gesetzter Regel Göttlichs worts de Adiaphoris vnd wirdt
nicht not sein mit allen vnd ieden stuckhen in specie euch
deßhalb mit ihnen einzulassen, denckht an die Eua, do sie
mit der schlänge zu disputirn khame, were sie schlecht bei
dem wortt blieben, so hette sie recht than, also ir auch,
vnnd habt hiemit fast die Substantialia der Protestation,
die Zierlichkheiten werdet ir wol leicht lassen darzu machen,
die Zeit ist zu khurtz, So weis (ich) zwar mit der Cantzlei
nicht vil vmbzugehen.
Hie mueß nu etwas mit. Gott gewagt sein, vnd darauff
gesetzt, zu bleiben, wie die Herren Jetzt sindt, mit iren
khirchen, wen sie daz ander nicht erhaltten khönnen^), oder
wie ire Christliche Elitern bei dem Euangelio hieuor on
offne khirchen gewest sindt, vnd dabei der Regel gedacht,
besser khein offne khirch, dann ein falsche khirch, Möchte
es dann nach dem Willen Gottes dabei auch nicht bleiben ^),
So were es bekhennen, leiden oder entweichen, vnd darauff
habens die Brüeder im Colloquio, sampt vielen Christen
auch gesetzt. So müssens frome Christen in Stedten, weil
sie one das außgeschlossen sein sollen, sonst dahin setzen,
welche doch wol zu erinnern weren, daz sie in Sonderheit
dieser Sachen halben hielten, welche Stende sich hinwider
irer Christlich darin annemen selten, daneben zuuerhoffen,
es werden sich die ob der Ens, do nicht alle, doch etliche,
wie wir vernemen. Christlich bestendig mit der gnad Gottes
erzeigen, praegrauirt ir sie nicht mit ewrem praeiudicio
oder Exemplo ^).
Ach lieber Gott, es müste ein einfeltig Mensch sein,
das nicht verstehen solte, wie es her gehet vnd gemeint
wirdt. Was dürffts aber eins solchen Spiegelfechtens wens
die Khay. May. alles in heuden haben wil vnd wen gleich
der erste Außschuß etwas guets handelte, das es doch der
ander Außschuß wider vmbstossen sol ? Allein das darumb
1) Es gilt hier ein entweder — oder: die Dinge bleiben, wie
sie sind — oder man sucht eine rechte Kirche; entweder bekennen
und leiden — oder entweichen.
2) dabei d. h. beim statu quo antea.
3) Die Christen in den Städten haben ohnedies keinen andern
Ausweg, sofern sie in die Konzession Maximilians nicht mit ein-
begriffen seien ; daß aber die Stände sich ihrer annehmen sollten
nach dem Beispiel der Oberösterreicher, wäre wohl zu wünschen ;
wenigstens sollten sie ihnen nicht durch ihr Verfahren ein böses
Präjudiz machen.
— 465 —
zu thun ist, die Verordneten vnd Stande habens selb be-
willigt vnd beschlossen, mit dauckh als ganz Christlich
angenomen, andere weiter damit zubefleckhen vnnd zu be-
schweren, da behütte euch vnd die frommen Herren der
Liebe Gott für ^).
Ich zweiuele nicht, vnnd ist Gottes eigen werkh, er
wirdt drein khomen, vnd ein außgang geben vber vnser ge-
denckhen , wenn man nur richtig vnd bestendig nach
dem wortt mit der sache vmbgehet, daneben betet; wirt
weltlich vnd leiblich noch allerlei bedenckhen geben, die
Stände also hinzuwerfFen (zu demütigen), ohn was Gott sonst
geben mag ^). Achte,, ir werdet hiemit auif ewer schreiben
dißmal notturfftige antwort haben, vnd habt euch warlich
aufif mich anders vud weitter dißmal richts einzulasßen.
Das Colloquium zu Altenburg ist den 25. October
erst angefangen, haben sich vorher verglichen welchs
theil khlagen wolle, nemlich H. Johans Wilhelms Theo-
logi. So wollen die andern wider khlagen, vnd welchs teil
vberwunden werde, sol gestrafft werden.
Man sagt vnnd schreibt glaubirdig, es sol der alt
Khönig in Hispanien sich aus anfechtung vnd verzweiuelung
selb entleibt haben.
Zeuttung am Ivhriege, so mir erst dise 2 tage zu-
khomen schickhe ich, so gut ichs empfangen habe, doch
von fürnemen Personen. Gottes gnad befolen, den Herren
allzeit mein Christlich grues vnd arme dienst. Datum
Regenspurg den 5. Nouemb. 1568.
Nie. Gallus E. B. im Herren.
Zu S. 297, Note 2.
VI. Korrespondenz Nicolai Galli mit verschiedeneu in-
und ausländischen Theologen und Laien aus den
Jahren 1568—70 3;.
St. 98. Salutem a Christo filio Dei. Reverende vir
et amice. Quid quaeso superest nobis, praeter gemitus ad
1) Gallus klagt über den erweiterten Ausschuß von 24 Gliedern,
welchen die Stände den evangelischen Herren octroyiert hatten.
2) Leider fand die Keformation in Österreich keine allgemeine
Aufnahme; vielmehr baute alsbald neben dem Tempel der Refor-
mation Gottes Loyola eine Kapelle, aus welcher der Widerstand in
der Zeit der Gegenreformation immer neue Kräfte erhielt.
3) R. A. Eccles., Kasten D, Fach I, No. XXXVI.
30
- 466 -
deum? ut is Ecclesiae sauciae, laboranti, et animam prope
agenti clementer succurrat? Yidet Illyricus in quantis
versemur periculis et tum novum nobis post tot admoni-
tiones sua pertinacia et av&aSeia vulnus infligit. Ignoacat
ei dominus lesus. Literas tuas cum adiunctis libris accepi.
Disputationem cum Illyrico abrumpam. Ipse. n. non
audit. sua pertinacissime defendit : mea vel eludit, vel argute
invertit. Talis consuetudo mihi non satisfecit. Negat i) se
posuisse : Sathauam esse creatorem istarum animarum, quae
sint peccatum originis. Futili sophismate dicit se illam
opinionem alterius reiecisse 2). At manifesta ipsius sunt
verba; bis vel ter locum cum collegis inspexi. An nobis
vult oculos claudere in media luce? Ipse argumentatur,
colligit, adseuerat et concludit, ex praecedentibus effici
Diabolum revera creatorem esse. Et tum in epistolis ad
me negat. Atqui in edito libro ponit: Nisi quod cum
grammatices vitio, ut lectorem in dubio quodammodo relin-
quat: Sequeretur, posuit, pro sequitur: ut est in scripto
exemplari, cum argumentatio manifeste appareat, qua Mani-
cheismum invehere conatur. Hoccine est Dei religionem
et Sacra tractare ? Ingenue fateor animum meum ab Illy-
rico abalienari. Et cum necesse erit et dominus dabit,
publice id testabor. Reddat ipse rationem dati schandali.
Vinariensibus fratribus scripsimus (nostram?) sententiam
pro noa (nostra) mediocritate 3). Dominus lesus adsit illis.
. . . Austriacis fratribus respondere non possum : quia scripta,
quorum Francus facit mentionem, non accepi. Miror et doleo
bomines istos de numero patrinorum inter se digladiari.
Neuburg 11. Oktober 1568 Ti. Heshusius^).
Zum selben Briefe folgt folgendes Postskript:
P. Scr. 13. Octob. „Occupatus profectione non satis
1) In der seit 1. Sept. 1568 gedruckt erschienenen Schrift:
Fvcöbt acaurdv. Vgl. Planck V, 1, p. 303.
2) Das war auch so, nur daß Heshusius sich übereilt hatte,
indem er dasjenige aus dem Manuskript des Flacius herauslas, was
er zu lesen wünschte. Ein unter den Theologen nicht ungewöhn-
liches Übel!
8) Das bezieht sich auf das Altenburger Gespräch, diesen
letzten Versöhnungsversuch zwischen August und Joh. Wilhelm.
4) Dieser Brief ist hier zum ersten Male gedruckt. Zum Ver-
ständnis desselben vgl. Preger, 1. c. II, S. 328—338. H. war Hof-
? rediger des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken und kam als
'rofessor im Oktober 1569 anstatt des Flacius nach Jena und 1573
nach Johann Wilhelms Tode als Bischof von Samland nach Preußen.
— 467 —
animadveiti quae scripta mitteres, et ad Illyrioi scripti
totus fuit intentus animus. Postea inveni Austriacam narra-
tionem de patrinorum aumero ^j. Non vacat mihi legere,
nee fratribus respondere. Te oro, ut respondeas et eoa
instituas. Ut non improbo diligentiam et sollicitudinem in
adhibendis tribus testibus Baptismi: Ita rigor ille plane
mihi displicet, quo ministri humanas suas constitutiones
non aliter urgent ao si essent leges Draconis. Erudiantur
inepti sartores et sutores. Sed et imbecilles et morosi
tolerentur Christiana lenitate in re indifferente. Utinam
paulum imitarentur ministri, qui omnia factus est omnibus,
ut multos Christo lucraretur."
An Nicolaus Gallus.
Hinter jenen Brief hat Nicol. Gallus folgendes gefügt :
„Nicol. Gallus an Heshusius, Illyr. ad D. perist. in Novemb.
(Konzept auf demselben Briefe) ^).
Summa argumenti est: Effectus aut fructus originalis
iniustitiae aut imaginis satanae manifeste ostendunt eam
esse quandam vim praepotentem, intelligentem ac eligentem,
eoque necessario etiam quandam animam aut spiritum. Nam
talis vis potens, intelligens et eligens aliud esse non potest.
Verum ista ipsa tanta vis intelligens ao eligens est [ut
isti 3) volunt] quiddam prorsus diversum ac distinguendum
a substantia animae rationalis omnique creatura dei, et quod
totum solam a fSatana veuit : Ergo sequitur Satanam esse
authorem et plane creatorem illius diversae animae aut
Spiritus intelligentis et eligentis*). Consequens e falsü et
plane Manicheü: Ergo non est verum illud antecedens, vis
illa agens, intelligens et eligens sit quidpiam diversum ab
anima rationali divinitus creata : Sed ipsamet rationalis
anima iam transformata , est ille primarius fons fontium
omnium malorum seu actualium peccatorum, teste Luthero.
Ergo negantes ipsum malum animum malamque mentem
1) Über die Paten stritt man noch bis in die achtziger Jahre.
Auf einem Reverskonzept muß ein Ordinandus in Regensburg 1590
bekennen, er wolle von dem Streite gänzlich Abstand nehmen (Z. 12
der Kregelmaierschen Akten, die sehr umfangreich und von uns
benutzt sind). Vgl. dazu Wiedeniann a. a. O. tll, S. 497 f.
2) Er hat seine damalige Meinung für 3 Personen zugleich
in einem Konzept zurückbehalten. Diese drei sind, außer Heshus,
lUyricus selbst und Peristerius, des Gallus Kollege.
3) Flacii Gegner.
4; Am Rande steht noch: Imo sequitur esse authorem illius
vis intelligentis, diversae sei. a substantia animae: Et hoc verum est.
30*
— 468 —
esse orifinalem iniustitiam faciunt aliam quandam creaturam
et creatorem, eoque plane Manichei sunt i). Ergo loanes est
Manicbeus, qui peccatum vocat opus diaboli, Quin Manich-
eus est, qui disserit ipsam animam esse peccatum, vel crea-
turam vel opus diaboli; Interea non negamus , peccatum
originis esse fontem aliorum peccatorum actualium, et
animam ipsam diel posse illum fontem aweadoirKoig, prop-
terea, quod peccatum illud praecipue est in anima tanquam
proprio suo subiecto, et usitata est figura, et cum malum
oculum pro vitio ens dicimus, aut arborem mal am, substan-
tiam nibilominus discernentes a vitio, abstractum a concreto."
Er steht auf Seite des Flacius und verweist den Accidenz-
Theologen ihre Inkorrektheit in diesem Konzept.
Ein früherer Brief von Heshus an Gallus v. 23. Aug.
(St. 104):
Salutem a. J. C. Reverende vir et amice.
Restituo partem novi Interim Cassandrici : Notus mihi
fuit apostata 2). Caruit iudicio et spiritu : quantumvis in
patribus versatus. Impudenter sibi contradicit; quid credas
fanatico. Mitto lllyrici 2'" tractatum de peccato orig. quem
prorsus improbo. Addo et meum antidotum ^j. Candide
et libere ago, ut inter fratres decet. Atque ut res per se
gravissima et mihi seria est, ita oratione moUi et fucata
uti non possum. Tu indica, quid probes, quid desideres.
Et simul scriptum meum et quidem manum meam mihi
remittito. Da operam ut Cassandri interim totum habeamus.
licet ex ungue leonem : vel si mavis ex cauda scorpionem.
Syllogismus tuus me non torquet. Origo qualitatum est
substantia. Peccatum orig. : est origo pravarum cogitationum
et actionum. Ergo. R. : Minorem nego proprie loquendo.
Nam subiectum ipsum destructum, viciosa anima et cor, in
quo haeret peccatum originis est origo omnium pravarum
actionum, teste Christo. Quod vero Augustinus et recen-
1) Von jetzt an folgen Sätze, in denen Gallus seine Meinung
mehr nur andeutet, als ausführt. Es ist eben nur ein erster Ent-
wurf im Konzept.
2) Unionsentwurf des 1564 von Kaiser Ferdinand berufenen
erasmianischen Theologen. Er nennt es ein neues Interim (NB.).
Bezieht sich apostata auf den ihm von römischer Seite angedichteten
Widerruf vor dem Tode (3. Febr. 15b6)? Vgl. Pr. E. E. 3, 742.
3) Seine Analysis im Manuskript; eine Widerlegung des
Flacius. Vgl Preger II, S. 338. Das Antidotum ist vom 20. Fe-
bruar 1572.
— 469 —
tiores saepe sie loquuntur, peccatum orig. esse fontem om-
nium peccatorum, eo fit, quod causam ostendere volunt cur
propterea agat hoino. Christus sepissime dielt fides tua
te salvam fecit? Estne fides conditrix atque effeetrix salu-
tis? Gerte Christus est. Talis vero ratio loquendi ostendit
instrumentum. Qualitates per se efficaces non sunt. Subiec-
tum vero per qualitates operatur. Sol calore ealefaeit. Homo
pravitate peccat. Mens inscitia errat. Avaritia dieitur
radix omnis mali, ut est: Et tamen quis uegat avaritiam
esse aecidens ? Proprie vero avarus omnium scelerum est
author. figurata ergo locutio si distinguatur a propria statim
error argumenti conspieietur. Sine omni exceptione amplector
gravissima dicta : omnis caro fenum. Item quidquid ex earne
natum est. Item renascentia opus est: Item nova creatura.
Haec sunt extra eontroversiam : Et intra hos limites consista-
mus. Sed noster ille (Tlacius) transilit : Ergo vieiü in earne
est substantia. Huie consequentiae nulla subest ratio. Sub-
stantia viciosa propagatur: Substantia restituitur. Sed vicium
in substantia est aecidens. Non extenuo peccatum orig.: cum
fateor cum prophetis totam hominum substantiam et naturam
destruetam et in peccato mortuam esse. Nescio quid am-
plius aut gravius dici aut cogitari possit. Phantasia, quae
fingit peccatum esse substantiam ut falsa est, ita obscurat
doctrinam de peccato originis, et plures trahit errores. Re-
jicio definitionem Accidentis: praesertim illud citra substan-
tiae vel subiecti corruptionem i). Calor est aecidens, et tamen
a sole moveri non potest nisi sole simul corrupto. Si omnis
calor ex corde vel ventriculo auferatur, veneno vel alia
ratione, annon corrumpi utraque necesse est? Bone deus
ex male diluta philosophia quaerimus fundamenta articulorum
fidei: Et ne ipsas quidem ineptas philosophorum sententias
cum ratione examinamus. Et hactenus ista.
Error tuus facile apud me veniam impetrat : Si modo
aliquando toties admonitus innocentiae et veritati accedas :
Privata omnia seponam. Publica sunt quae dei gloriam et
salutem hominum tangunt. Cives pii conscientia teste ad-
serunt mihi faetam iniuriam, concionatores contra vociferantur,
aceusant illos seditionis. Tyrannis senatus per totum Impe-
rium est divulgata. Hie humili confessione non arguta ex-
eusatioue opus est. Peccasti et tu frater, quod deceptus
ab adfine non parum confirmasti persecutores in peccato :
1) So definieren Strigel und Jakob Andreae.
— 470 —
Atque oro ut tibi ignoscat dominus. Gerte multornm ego
legi quaerelas. Brentius quoque causa non cognita inepta
pronuntiavit. Amnistia tantum vulnus Ecclesiae sanari non
potest. Nee satis est etiamsi edant confessionem tarn puram
atque est Job. Euangelion."
Neuburg d. 23. Aug. 1568.
Til. Heshusius an Nicol. Gallus.
Die zweite Hälfte dieses Briefes beschäftigt sich mit
der Magdeburger Verjagung Heshusens und deren Be-
urteilung durch Gallus, den er als von seinem Schwager
Heinrich Merkel beeinflußt ansieht i). Jenes Lüneburger
Kreismandat sollte dienen, die Beschlüsse des Naumburger
Fürstentages (s. o. S. 21) mit Gewalt in Niedersachsen
einzuführen, wogegen sich Heshus und seine Genossen mit
Ungestüm im Namen der kirchlichen Freiheit auflehnten,
und nicht etwa speziell die Flacianer.
Der folgende Brief Heshusens an Gallus ist nicht eine
Antwort auf Gallus' Konzept (11. Okt. 1568), wohl aber setzt
derselbe die gleichen Ansichten über die Erbsünde voraus.
St. 106. Salutem a filio dei. Eeverende vir etamice!
Grata mihi est collatio de dogmatibus Ecclesiae et con-
siliorum communicatio. Nee ego quidquam invenio salubrius,
quam quod ab ipso dei spiritu in s. litteris est monstratum.
Si stulte egisti efferendo te pone manum super os. Quum
ergo d: Illyricus hallucinetur in quibusdam, agnoscat huma-
nam infirmitatem et corrigat sententiam. Aurea est Augu-
stini sententia: Emenda ergo, ne timeas : non inde eris
minor : Imo vero maioris ingenii est animositatis flamina
confitendo extinguere : quam falsitatis nebulas intelligendo
vitare. Tu qui authoritate vales apud d: Illyricum urge,
mone et precare propter Ecclesiae salutem, ut retractet sen-
tentias non congruentes formae sanorum sermonum, et pa-
rientes scandala. Ego fraterne et candide eum admonui :
Exemplar mitto, responsum eius expecto ^).
1) Vgl. über diese Sache Preger, Flacius, II, 248 ff. und Plancks
karrikierte Darstellung im Band VI, ß IX, Kap. 2 und 8.
2) Das Weitere, sowie auch das nachfolgende Excerpt enthält in
kürzesten Worten so tiefsinnige Gedanken, daß heutzutage nur sehr
wenige Theologen die Meinung des Briefstellers überhaupt noch ver-
stehen werden. Er spricht in wenigen Worten den Inhalt ganzer
Bände aus. Gewiß Heshusius war ein gut beschlagener Theolog. Aber
in seinem ängstlich übertriebenen Argwohn und bei seinem raschen
Zufahren im Punkte der Lehre richtete er mehr Unheil als Gutes
an und stand zuletzt allein da.
— 471 -
Substantiain hominis malum et peccatum esse, id est
rem ream. Sacris liteiis doceri potest. Et in def'ensione
huiiis sententiae adversus papistas et symergistas, parastaten
me habet Illyiicus. Sed quod hinc infert peccatum esse
substautiam, fallitur. De noticiis naturalibus i) lapsus eius
manifestus est. Cur ergo non audit non audit fratres?
Magnifacio d. Illyricum propter insignia dona in ipso, sed
Paulus valt veritatem ipsis apostolis ut antet'eramus. De
logo et regeneratione existimo ei fieri iniuriam 2), ferunt eum
revocatum esse Ihenam ^).
Ad argumenta abs te proposita sie respondendum puto.
Quales sunt dvvdi.ieLg ' talis est natura vel substantia. Hie
malae sunt Övväfiiig. Ergo natura vel substantia quoque
est mala : sive malum et peccatum. Rp : concedo totum
argumentum. Tota enim hominis substantia peccato infecta,
foedata, corrupta et destructa est. Et hoc ipsum volunt
prophetae cor ipsum viciatum esse, animam esse depravatam
peccatum stilo ferreo cordi inscriptum : substantia ergo
seu natura hominis est malum seu peccatum: Id est res
coram deo rea. Sed prorsus aliud est, peccatum est sub-
stantia. hie quasi in abstracto quaeritur quid sit peccatum
sua natura : Necesse est autem omnes sanos fateri quod
peccatum non sit quiddam conditum : Non est ergo quiddam
sua natura subsistens: sed defectus boni.
Ad alterum Theol.*)
Scriptura videtur ponere tres hominis partes: Integer
sit Spiritus vr (vester), auima et corpus: Ergo imago dei
est substantia. Rp : Origenicus lapsus est tres ponere
hominis partes. Aliud vult paulus. Spiritum adpellat no-
1) Flacius leugnete die angeborene Gottesidee (notitia Dei na-
turalis).
2) Man griff ebenfalls den Flacius seiner Lehre vom Logos und
der Wiedergeburt wegen an, vgl. Preger I, S. 428.
3) Herzog Johann Wilhelm berief andere Theologen , außer
Kosinus, Bresnicer, Wolf, die ihre Ffarrstellen wiedererhielten, wurden
Wigand, Coelestin , Kirchner und Heshusius in die theologische
Fakultät zu Jena berufen. JMan fürchtete, Kurfürst August durch
eine solche Wiederberufung Flacii zu beleidigen (Preger II, 302).
4) Das Folgende handelt vom Bilde Gottes, was er behufs
Vergleichung (conferendi gratia) mit dem Lehrstück von der Erb-
sünde hier anschließt, um Gallus Meinung darüber zu erforschen.
Übrigens ist das Folgende ursprünglich für einen andern Theologen
geschrieben gewesen und ein theologisches Urteil Heshusens über das
Bild Gottes, welches bei dieser Gelegenheit zur Sprache kommt.
— 472 —
vum hominein, qui certe uon adfert neque novam animam,
nee corpus : sed iitriusque partis renovationem videlicet sa-
pientiam et iustitiam : addit animam et corpus : ut subiec-
tum in quo oporteat fieri renovationem ostendat. Ipsa anima
in quantu(m) renovata est dicitur Spiritus. Sed quatenus
reliquae sunt feces ex vetere adamo : recte paulus animam
a spiritu discrevit. Nee displicet tarnen imaginem dei in
homine vocai'i substantiam: ut simul anima cum donis in-
telligatur, vel primum creata vel per spiritum restituta.
Sed Line non sequitur imaginem satanae in homine esse
substantiam : Satan enim conditor non est. Haec conferendi
gratia respondere voiui : sed facile patiar me abs te erudiri.
Pete ut epistolam meam ad Illyricum remittas i).
Doctori Coelestino misi epistolas labacenses ^). Dux Bruns-
wieensis Hinricus vestus hostis Eccle.siae abiit ad patres
suos. Episcopus Trevirensis in armis est : Deus reprimat
inquietos papistas. bene vale.
7 Juli Neuburgi 1568. T. ex animo Tilem, Hesbusius.
Si quid certi habes de schola Ihenensi quaeso communica :
mittemus enim eo studiosos. Salutem adscribo domino
Melisandro.
Die folgenden interessanten Stücke handeln zumeist
über die flacianische Lehre, besonders in den Briefen des
Heshusius ; leider gestattet der Umfang nicht, sie hier zu
veröffentlichen. Folgende Auszüge sind jedoch wichtig :
St. 109. Heshusius d. 14. Juli 1568 aus Neuburg an N.
Gallus „Et cur Melisandrum vestrae scholae non prae-
fieitis ? "
St. 111. d. 14. Juli 1568: „Misi per Busehium qui in
Austriam est profectus, pecuniam ad te ut vestro typographo
Geislero pro libris satisfieret."
St. 110. d. 24. Mai 1568: „Spangebergius causam reiec-
tionis reproboi'um in deum non reieeit^). Melisandrum mone
hac de re, ut intra septa maneat, cuius vocationem (nach
Laibach) nunc teehnis Sathanae inhiberi doleo. De solu-
tione stipendii, quod ei debetur, curabo."
1) Das obengenannte Ermahnungsschreiben an Flacius , der
damals in Straßburg lebte.
2) Die seine Berufung nach Laibach betrafen; vgl. S. 342.
3) Wichtig für die Prädestinationslehre jener lutherischen
Theologen. Obiger Ketzerei machte sich auch Calvin nicht schuldig ;
s. seine 3 Schriften in OpjJ. IX p. 357 ss., besonders die Brevis responsio
Calvins gegen CasteUios Verleumdungen; vgl. Bd. I, 869 ss., Bd. II,
697 ss., ebenso Bd. VIII, 341 ss.
— 473 —
St. 116. Brief von Jacob Feylitzscber Jhenensia, minister
Christi in Ecclesia Ravenspurgensi 1. Dez. 15G9 ^j an Nico-
laus Gallus:
„Oppugnatur ille flllyricus) a Doctore Hesshusio, Wigando
et aliis multis. Partes vero lUj^rici tuentur Argentinenses
Prisne''^), Deinde Mansfeldenses, Hi qui docent Lindauii et
alii quoque" ^).
Zu Seite 138.
St. 120. Ehrwirdiger vnnd hocbgelerter Insonders
gonstiger Herr. Ich bin bedacht mit Verleihung dess All-
mechtigen au£f schierstkonfftigen Dinstag mich widerumb
zuerheben, vnnd an den Kays. Hoff zuveifuegen Vnnd ist
derwegen an E. E. mein gantz dienstlich pitt, Sy wolle
mir in der Zeit die Schriften so E. E. Ich comuniciert
1) Vgl. Brief des H. I.anguet an Crato (24. März 1570), man
solle Flacius aus Straßburg ausweisen.
2) Soll wohl Wismar heißen.
3) Zu diesen gehören nach Caspar Melissander's Brief an die
Landschaft des Fürstentums Krain d. d. 6. Aug. 1568 auch die
Kirchen zu Recensburg und Pfalz-Neuburg. Die sächsische Konfu-
tationsschrift von 1559 und des Lüneburgischen Synodi Abschied und
Artikel von 1561 (gegen die fürstliche Prlifation zu Naumburg) waren
die Grundfesten dieser Partei, die sich im Reiche zu Flacius hielt
Den eigentlichen Bereich des flacianischen Einflusses lassen die bei
Preger II, S. 87 erwähnten Unterschriften von 51 Superintendenten,
Professoren und Pfarrern erkennen. Als Unterschriebene unter die
i. J. 1559 an alle evangelischen Stände behufs Berufung einer
Synode ergangene Supplikation finden wir folgende: aus dem
Norden die Theologen von Hamburg, Bremen, Lübeck, Rostock,
Wismar, Neubrandenburg, Stargard, Braunschweig, Magdeburg,
Halberstadt, Köthen, Nordhausen, sodann alle Superintendenten
und Pastorate unter den sächsischen Herzögen ; der Süden ist durch
Schweinfurt, Regensburg, Lindau vertreten. Von der Oberpfalz hat
nur ein einziger unterschrieben; Hessen, Brandenburg, Kursachsen,
die fränkische Markgrafschaft, Nürnl^erg, Augsburg, die schwäbischen
Städte und Baden sind nicht vertreten. Unter den bekannteren
steht als der erste überhaupt der Amsdorfs, dann folgen Musäus,
Joach. Mörlin, Tilemann Heshusius, Max. Mörlin von Coburg,
Nie. Gallus, Wigand, Judex, Joach. Westphal, Joh. Freder von
Wismar, Anton Otto von Nordhausen, Flacius, Joh. Stößel von
Heldburg, Balth. Winter von Jena, Kaspar Aquila von Saalfeld.
Diese alle gehörten der strengen lutherischen Partei an und wollten
der evangehschen Kirche zur Aussprache über die sc;hwebenden
Kontroversen und zur nochmaligen Bekämpfung der Korruptelen
verhelfen, was Melanchthon sehr übel nahm. Er sah leider alle
solche Bestrebungen als gegen seine Person gerichtet an. Vgl.
Preger II, S. 90—91.
- 474 -
widerumb zuekomen, vnnd sonderlich die Lateinisch Re-
cusation deßgleichen die Kays, lieplicschrift wider der
Saltzburgerischen prouintz fürpringen vnnd dan letzlich
den Kays, furtrag den 3 gaistlichen Churfürsten be-
schehen, bey Ir in gehaim pleiben lassen. Dann da ettwas
davon auskörnen sollte , wurde man leichtlich gedencken
können, dz solchs durch mich auskörnen, vnnd mir ett-
lichmassen verweise darauff steen. So hat mir der Herr
Illyricus gleichwol seine Solutiones vber meine dubia zue-
kommen lassen, die dubia aber selbst nit wider zugeschickt
pitt da sy noch bey E. E. banden mir die widerumb zu-
vberschicken , E. E. mich hiermit dienstlich beuelhende
E. E. dienstwilliger
Wolff Haller i).
Adresse an Nicolaus Gallus.
St. 127. Brief an Nie. Gallus von dessen Schwager
Heinrich Merkel in Magdeburg, 1. Mai 1669, ohne Orts-
angabe. „Vnd will Euch nicht Verhallten, das ich wills
Gott, Vngefferlicher 2j in 3 Wochen, zu der Key. Maj.
neben der von Hamborg gesanthen werde abgefertigett
werden." . . . „Bei Vielen müssen die Elacianer (wie mann
sie nennet) den nhamen haben, das in Oster-Reich die
Religion nicht menniglichen freigelassen. "Will daselbst die
Wharheit erkhanen."
Reg. Stadtarchiv Ecclesiastica Fase. 26 No. 249 :
Ein Brief Flacius' an Gallus vom 6. Januar 1557, wo-
raus folgt, daß auch der Österreicher Hans von Ungnad
sich für die Schlichtung des Streites, der wegen des
Interims entstanden war, bemühte. Es heißt dort: „Un-
guadius nunc Dresnae cum Volf. tuo ^) de pace adia-
1) Kais. Kat, Edler Wolf Haller war bereits in Diensten
Karls V. und überbrachte mit anderen den Fürsten Deutschlands
die Entsagungsakte Karls. Sodann finden wir ihn in Maximihans
Dienst in Wien, von wo aus er Gallus über wichtige Vorgänge in
Kenntnis setzte, wie obiges Schriftstück zeigt, das neben andern
ähnlichen Regensburger Akten den Beweis liefert, daß Gallus seine
Nachrichten aus erster Quelle erhielt. Er reiste zwischen Wien und
Regensburg, besucht Gallus 15ö3, warnt Dr. Johann Hill ner, Advokat
der Stadt Regensburg, brieflich vor der Aufnahme des Flacius, welchen
Rat zu befolgen Hiltner mit aller Entschiedenheit von sich wies.
Vgl. R. A. Fase. 26, No. 329 und Kluckhohns Briefe Friedrichs, II, 2,
S. 1046.
2) ungefähr.
3) Fürst Wolfgang zu Anhalt. Zum Fürsten Georg von Anhalt
hatte Gallus ehedem Beziehungen.
— 475 —
phoristica agit, ut res vel ad articulos vel ad Judicium
deducatur.
VII. Weickhardt von Polhaim an das Regensburger
Konsistorium. (Empfehlung eines Ordinanden.) ^)
Gottes Gnadt vund Frid von vnnserm Lieben Herrn
Christo mit beistanndt des Heilligen Geist.
Ehrwierdige Geistliche vnnd wolgelehrte Herrn vnd
Superintendenten. Als der Ewige Sohn Gottes von der
von der Letzsten Zeit, In welche mir am Enndt der weit
gerathen, weissagt, spricht er, Es werde eine Truebselige
Zeit sein, dergleichen vonn Anbeginn der Welt nie gewest
sey, vnnder anndern erzelt er, das Auch falsche propheteii
vnd falsche Christen Aufstehn, zu verführen, da es möglich
wer, auch die Ausserwelten, Man werde heren Krieg vnnd
Kriegsgeschray. Es werde sein pestilenntz vnd Theurung.
Da wir nun die Leuffen vnnserer Zeitt betrachten, vnnd
gegen diser Weissagung von dem Sohn Gottes, vor funff-
tzehenhundert Jahren Beschechen, halten, muesten mir Be-
khennen, es finde sich alles darin Erfüllet, was von Christo
gepredigt worden. Das wir anndere geschweigen, Allain
der falschen propheten gedennckhen , sehen wir Leider
gnugsam für äugen, nit allain die hochschädliche Verführung
vnnd denn grossen Abfall von der Apostolischen Lehr,
Sonnder auch die große macht vnnd Gewalt des papsts,
vnnd annderen Seckhten Anhanng, meingeiich in die vorige
verfuehrung, widerumb zubringen, wie aber zu Jeder Zeit
der weit, Auch vor wenig Jahren vnnder dem papstumb,
der Almechtige Gott, sein Christenliche Kirchen, sein Kleine
herdt, so im bewust, gehapt. Also auch mechtig, Starckh
vnd wunderbarlich erhalten , wie Aui5 den Schrifften der
propheten vnnd Aposteln zusechen, das sie nit alle Ire
Khnie vor dem Baal gebeugt, Sonnder Gott Allain geehrtt
vnd Angenommen haben, Also will er Auch noch Auf diseii
Tag, vnnd Biß an das Enndt (wie er dann Bei seiner
Khirchen biß an dz Enndt zubleiben versprochen hatt) sein
Kleine Ausserwelts heufflein, Als in einem Kleinen, doch
mit grossen wellen Bedeckhten Schüfflin, in disem weitten
Meer, wunderbarlich fiehren, vnd mechtig zuerhalten, Wie
er selber verhaissen. Math. 16. Das die pforten der Hellen
sollen sie nit vberwaltigen. Vnd mit Dauit singen mir
2) R. A. Kasten D, Eccles. Fach 2, No. XLIX, Z. 15.
— 476 —
46 Ps. Wann gleich das Meer wuttet vnd walltt. Dannoch
soll die Stat Gottes fein Lustig bleiben mit Jeren Brünlein.
Da die heiligen Wohnungen Gottes sein. Gott ist bei Ir
darin, darumb wierdt sie wol bleiben. Solcher vnd der-
gleichen Verhaissungen, Könnden wir vnns Alhie in Öster-
reich ob der Ennß, Gottlob vnd Dannckh, auch Trösten,
vnd mit denselbigen vnns Aufrichten, das, Obwoll wir mit
den papisten vmbringt. Offt vnd vill mit Inen vmbgehn
dannoch mitten Bei solcher Abgotterey, Gott der Allmechtig
sein kleines Heüfflein hat, sei heiligs wortt fort pflanztt vnd
Erhelt. vnd Eaine Lehrer und prediger Alle tag in sein
Erndt sendet, vnd mittheilt, durch welcher Mundt, das Lob
Gottes Ausgebreit, an rechten gebrauch Göttliches worts,
vnd der heilligen Sacramenten, auch des Lieben güldenen
frides, des gewissens haben vnd geniessen könnden. Wie
dann diser Zeit der Erwierdige Johannes Zyrmer, welcher
Alhie zum heilligen predigampt Berueffen. vnd zu einem
Menschenvischer füergestelt , damit er durch ordenliche
Mittel, zu einer Christlichen Gemain , das Euangelium zu
verkhundigen, das Ambt des Neuen Testaments zu gebrauchen,
Außgesöndert werde, vnd sich seines Berueffs vertrösten
könde. Ist er mir durch Commendation vnd schrifften zue-
geschickht worden, weill er noch Ordinationem Vulgo Vo-
cant. publicam nit Empfanngen, das Ich Ime welle weiter
Behilfflich. vnd mit Besserer Befuerderung seines furhabens,
diennstlich sein, damit er ad ordinationem admittirt vnd
zuegelassen würde. Solcher Bitt. Weill es Gottes Ehr
Antrifft, vnd vill seelen zu seinem Reich dadurch gewunnen
würden, hab ich nit könnden Abschlagen, noch dz furnemen
Hinderstellig machen. Weill Ich dann verstannden vnd
glaubwirdig Bericht worden, das Jetziger Zeit, das Ehr-
wirdige Ministerium vnd Ministros Ecclesiae helffen fort-
pflanzen vnd den Beruefifnen diennern mit der Ordination
Befürderlich sein, hatt es mich für guett Angesechen, disen
Johannen, demselbigen fürzustellen, Bittende, das, weill er
ein prob mit predigen Ausgestannden, seine Confession mit
den Schröfften der propheten vnd Aposteln vberein Stimet,
(er) auch der Augspurgischen Confession Anno 30 Carolo V
exhibiert zugethan, vnd nun mehr einer Christlichen Ge-
main vorzustehn, mit Gottes Hilfif vnd Beistandt des Heil-
ligen Geistes willens vnd Vorhabens, Ein Ehr. Ministerium
solch sein furhaben Sterckhen, promouirn vnd ime Ordi-
nationem publicam widerfahren Lassen, das will Ich wide-
— 477 —
rumb zu Jederzeit vmb das Ministerium verdienen vnnd
vergleichen. Der Allmechtig Gott welle mit gnaden wie
Biß anher, Also forthin, sein Christenliche khirchen ße-
dennckhen, vnd vnns vor falschen Lehrer Bewahren.
Datum Puchham den 25, Juni A*' 90ten.
Weickhardt Freyherr zu Polhaim m. p.
Vin. Extrakt aus den Schriften des Grazer Exjesuiten
Johannes Combilhon^).
Zur näheren Erkenntnis des merkwürdigen Übertritts
jenes früher genannten Mannes diene noch Folgendes :
Der Seite 370 genannte Johannes Combilhon verließ
im 32. Lebensjahr den Jesuitenorden. Er w urde dabei unter-
stützt durch Thomas Wismer, den Hauspfleger des H. Wolf
Sigmund von Eggenberg ^j, in Graz wohnhaft, der ihm einen
Empfehlungsbrief an die evangelischen Prediger zu Augs-
burg mitgab 'd. d. Oktober 1607). In Augsburg finden
wir ihn im März 1608; er erfuhr freundliche Aufnahme und
den Schutz des evangelischen Ministeriums. Gleichwohl
wurde eine genaue Untersuchung seines Vorlebens und seiner
mitgebrachten Schriften für nötig erachtet, und 7 Schrift-
stücke dienen zum Zeugnis, wie genau es mit diesem
sich zum Übertritt meldenden Manne genommen wurde,
nachdem man offenbar mit Anderen schon üble Erfahrungen
gemacht hatte.
No. 1 enthält die Kopie des Empfehlungsschreibens
des Eggenberger Pflegers im Auszüge^), worin auch des
Mannes notorische Gelehrsamkeit gelobt wird.
No. 2 : Darlegung der Gründe, durch die J. Combilhon
seine heimliche Flucht und Austritt aus dem Orden dem
geistlichen ]\Iiuisterium motiviert und gewissermaßen zu
Protokoll giebt (d. d. 20. März 1608): a) die Lehre, b)
das Leben der Jesuiten betreffend.
a) Die Lehre der Jesuiten betreffend. Hier erwähnt
Combilhon zunächst den Anlaß, wodurch sein Zweifel an
der Lehre geweckt wurde. Nach dem zwischen Evangelischen
•1) Zu S. 370. Neue Signatur E. A. Eccl. L 42, c. 1.
2) Diese später ausgewanderte Familie ist bekannt durch Stiftung
der Eggenberger Kapelle in Graz (s. o. S. 334).
3) Am Rande steht im Original: Der Name des Mannes sollte
verschwiegen werden, damit er nicht den Jesuiten bekannt und in
Todesgefahr gebracht würde wegen solcher Vorschubleistung.
— 478 —
und Römischen abgehaltenen Regensburger Religionsgespräch
1601 welches ungünstig für die Jesuiten verlieft), hatte
sich Combilhon vom Regenten der Schule in Prag, P. Andrea,
das Protokoll jenes Gesprächs geben lassen behufs Abfassung
einer Schmähschrift auf die Lutheraner, wie er selbst ein-
gesteht. Bei der Vergleichung dieses Protokolls mit der
heiligen Schrift wurde er zunächst an der Unfehlbarkeit
des Papstes, am Inhalt der Apokrj^phen und dem Lehrsatz
von einer Bluttaufe des Schachers am Kreuz, und daß dieser
den Titel eines Märtyrers führe, irre. Er nennt es richtig
ein foedum martyrium und bemerkt spöttisch: tales
martyres esse, quotquot illorum in Gallia, Anglia ob crimina
laesae Majestatis carnifici jugulum praebuerunt. Besonders
aber ärgerte ihn das maßlose Auftreten Gretsers und Tanners
und bestärkte ihn gänzlich in der alleinigen Autorität der
heiligen Schrift, selbst gegen Papst und Conzilien. Darauf
ruhte sein Glaubenswechsel vornehmlich, obwohl daneben auch
ein Brief des Bruders eines Jesuiten Eindruck gemacht hatte.
Dieser Jesuit wirkte im Orden als Bäcker und sollte nun ab-
gemahnt werden, im Orden zu verbleiben, indem die rechten
Quellen des glücklichen Lebens ihm vorgehalten wurden.
In der Lehre war dem Combilhon inzwischen noch vieles
unklar und er bedurfte gewiß, wie er selbst es anerkennt,
in Augsburg neue Belehrung zu erhalten. Bisher waren
nur die allergröbsten L-rtümer, die Marienverehrung, Weih-
wasser, Kerzen, Gelübde, 40-tägiges Fasten etc. ihm als
verwerflich erschienen.
Er bittet nun zufolge der Darlegung jener Übertritts-
gründe, daß man ihm in Augsburg Unterstand und Gelegen-
heit biete zur Erweiterung seiner christlichen Erkenntnis,
sei es durch Lehre, sei es durch Umgang. Er habe bis
dahin mehr Unbill erduldet als irgend ein „Cyniker".
No. 3 berichtet über einen Brief des Combilhon an
M. Melchior Vollzius, den Senior zu St. Anna in Augsburg,
d. d. 20. März 1608. Er liegt nicht bei, aber der Ver-
fasser des Auszugs bemerkt, daß man ihn kaum ohne
Thränen lesen könne, und deutet teuflische Anfechtungen
an, die Combilhon nächtlicher Weile erfahren habe, wobei
ihn sein Augsburger Hauswirt durch Vorhaltung von Matth. 10
getröstet habe.
1) Vgl. darüber Thuanus, Histor. lib. 126. Die Jesuiten Gretser
und Tanner waren dabei in hervorragender Weise thätig und bla-
mierten sich durch kühne herausfordernde Behauptungen.
— 479 —
Auch dankt er, daß man ihm ein sicheres Geleite auf
seiner weiteren Reise zugesagt und bittet um ein Ge-
wand etc.
No. 4 folgt nunmehr das oben (S. 370) benutzte
Schriftstück des Combilbon : De Studiis Jesuitarum,
abstrusioribus et eorum consiliis^), und zwar ein
Auszug daraus, vom 21. März 1608.
Auf das Wort „interfectus" (s. o.) folgt: et alius quidam
Martinus a Fuldensibus Jesuitis Se saepius nocte cum aliis
novitiis audivisse Ejulatus '■^). Ibi locorum Jesuitas diabolicas
larvas induere et terrere juniores. Pragae id factum et verum
diabolum se immiscuisse quinque aliis, et aliquem esse ex
quinque illis pressum, ut triduo post sit mortuus^).
No. 5: Regem Galliae habere Jesuitam Magum nomine
Pere Couton ^) : qui speculo exibet occultissima quaeque.
No. G: In magia praeleguntur vel propter institutionem
legendi exhibentur libri :
1) Nongentae propositiones Mirandulani^),
2) Liber Trithemii de secundis^).
3) Tractatus Cor : Agrippae de occulta philosophia ').
4) Theophrastus de Constellatione et sigillis planetarum.
5) Steganographia cujusdam abbatis ^).
1) Zu deutsch: „Wa.s die Jesuiten insgeheim treiben und was
ihre Anschläge sind.''
2) Es ist nicht ersichtlich, ob in Fulda oder in Graz.
3) An \^elen Orten, wo die Jesuiten Häuser haben, wurden die
Scholaren durch Teufelserscheinungen erschreckt. Da habe sich ein-
mal ein wahrhaftiger Teufel unter fünf andre (als Teufel Verkleidete)
eingedrängt und einem derselben so zugesetzt, daß er starb. Hier
war also ein böser Dämon der Straf Vollzieher an den Jesuiten.
4) Gemeint ist Cotton, der berühmte Jesuit und zeitweise Beicht-
vater Heinrichs IV., der also nach dieser Stelle sich auf Zauberei
verstand, die er durch einen Spiegel vermittelte.
5) D. h. neunhundert Disputiersätze aus allen möglichen z. T.
chaldäischen und arabischen Schriftstellern gezogen, die Pico in
Eom anschlug, um darüber zu disputieren. Sie wurden als ketzerisch
verdammt und Pico von Mirandola mußte sich der Verfolgung durch
die Flucht entziehen (Schlosser, Weltgeschichte IX, 458).
6j Trithemius Chronol. mystica de VII secundeis intelligentiis
orbem post Deum moventibus, Nürnberg 1522, jetzt als Geschichts-
fälscher und Phantast erkannt.
7) Cornelius Agrippa von Nettelsheim ; seine philosophia giebt
Anleitung zur teuflischen Magie. Über die Bekanntschaft des Jesuiten-
ordens mit diesen Dingen vgl. auch Pascal, Lettres provinciales VIII.
Brief: über die Zauberer.
8) Geheimschrift irgend eines Abtes.
— 480 —
6) Artem Pauli ad revelationes conciliandas. Dicunt enim
Paulum. Johanuem, Christum ipsum fuisse Magos.
7) Bibliotheca triplex !•' Omnibus patens; 2» solis patribus;
3-'' nee patribus permissa sine Concessione Regentis.
8) Dextrum latus in Musaeo occupant Patres, sinistrum
Novitii, qui aliquot ordines susceperunt. reliqui novitii
immixti sunt convictoribus.
9) Provincialis in Visitatione sua omnia explorat quae in
ista i-egione geruntur. Mores principum. Academiarum
vicinarum Status. Qui libri ab adversariis editi. Quales
discipuli. Qui reditus? Qui mortem nou refugiant
propter ecclesiam si necesse esset.
10) Consilia Jesuitarum eo directa esse ut principes Impii
potentissimi inter se committantur ^). Rem non succes-
sisse in causa Donawerdensi. putasse enim vel pala-
tinum vel Wirten bergicum arma sumpturum ^). Cogi-
tasse de alia via, committendos Saxonem et Brande-
burgicum in primatu ^) Magdeburgico : Coloniensem
declarandum ibi Archiepiscopum. Electoratum Saxoniae
transferendum ad Vinarienses, quibus tutor dandus
Brunsvicensis Henricus Julius Vigilantissimus. committi
sie posse Wirtebergicum et Heidelbergensem Electorem.
Landgravius Hassiae.
11) Emitti qui veneno tollant praecipuos Doctores. Esse
qui lebetes poliant et ita inficere possint ut decies
lotae et expurgatae praesentissimum venenum habeant^).
Haec tantum summatim, postea cum circumstantiis loci
personarum temporis. 21. Martii Anno 1608."
Mit dieser Bemerkung endet offenbar die Aufgabe des
mit der Untersucliung des Combilhon Beauftragten. Letzterer
hat von der mit ausführlichen Daten versehenen Schrift,
1) Die Politik der Jesuiten gehe dahin, daß die mächtigsten
evangehschen Fürsten aneinandergehetzt würden, damit Krieg ent-
stehe und die Jesuiten im Trüben fischen könnten iSachdem es
mit Donauwörth nicht geglückt, seien andere Pläne an die Reihe ge-
kommen.
■2) Vgl. Schlosser, Weltgeschichte XIV, 200.
3) Wer von den beiden das Bistum besetzen solle.
4) Combilhon berichtet, daß man solche aussende, die durch
Gift gewichtige Lehrer (praecipuos Doctores) aus dem Wege räumen
sollten. Es gäbe Leute, welche die Gefäße so zu appretieren und
zu infizieren verstünden, daß dieselben, auch wenn sie zehnmal ge-
waschen und gereinigt seien, das Gift in derselben Kraft beibehielten.
Vgl. auch ähnliche Notizen, ö. 127, 140; ßaupach, Presb. S. G3.
— 481 —
die unter No. 4 im AuszAig vorgelegt wurde, Einsicht ge-
nommen und stellt die Veröffentlichung derselben hier in
Aussicht.
No, 5 folgt der S. 370 angeführte Lebenslauf Com-
bilhons; sein Vater war bis 15G4 ein nicht unbegüterter
Organist in Innsbruck, dann aber in Graz. No. <j folgt
ein Dankbrief an das ev. Ministerium zu Augsburg vom
24. März 1698; No. 7 ein Schreiben an M. Melchior Voll-
zius vom 28. März 1608 über seine Reise von Augsburg
nach Lauingen ; beide Briefe sind nicht vorhanden.
Berichtigungen und Zusätze.
S. 3, Z. 7 V. o. statt Hallstadter lies Hallstätter.
Auf S. 4, Z. 13 ist zu berichtigen, daß die Regens-
burger Akten nie in einem Kellerraum, sondern nur auf
dem Dachboden waren.
S. 5, Z. 6 V. u. statt eingenk lies eingedenk.
S. 6, Note, Z. 1 statt Sicel lies Sickel.
S. 37, Z. 3 V. u. statt Rudiger lies Rudinger.
Zu S. 40 vergl. Bayle, Dictionnaire Art. Flacius.
S. 48, Note 1, statt Preußer lies Preußen.
S. 54 Z. 10 V. u. statt Schweigern lies Schweizern;
zu Note 4 ist Kluckhohn I, S. 66 zu vergleichen.
S. 59, Note 1, Z. 3 tilge das erste Komma, ebenso
S. 313, Note 1 das zweite Komma.
S. 63, Note 1 lautet richtig: 0. 0. 1564 4 der Univ.
Bibl. zu Jena. Dadurch wird Note 1, S. 63 zu Note 2,
Note 2 zu Note 1 auf S. 64.
S. 91, Z. 17 v. 0. .lies diese statt jene.
S. 128, Note 6 statt C. R. IX lies VIII.
Zu S. 138, Note 5. Für die gleiche Anteilnahme Maxi-
milians an den Centurien des Flacius spricht ein Brief
J. V. Perckhaims, d. d. Linz, 25. Januar 1558 (R. A. Eccles.,
No. XVIII, Z. 2): „Nitpergkh (Nidbruck) hat mit etlichen
buechern guete fürderung than, dan er disen summer ver-
gangn von kh. W. (Maximilian) wegen vil buecher auff
31
- 482 —
ein Neus gesambt ( gesammelt) vnd kh. W. werdn seine buecher
all zu samen bringen vnd hab khain Zweyffl ler kh. W. werdn
zu disem Cristlichen Wergkh gern helffen. vnd glaub wan
der, der pey euch Jetz vergangn reychstag geschriben hat,
o-en Wien khemen, die kh. W. predicant (Pfauser) wuerdt
t^uete pefurderung wissen zu thain, ich hoff zu got, so die
weit laug sten sol, vnd kh. W. ain weyl leben sol, es werdt
noch vil guetz durch ler kh. W. verriebt werdn, got erhalt
In, pey seim Wort Amen." — Nidbruck war ein ehemaliger
Hörer des Flacius in Wittenberg, wo dieser die Politik des
Aristoteles las, und stand seitdem mit ihm im brieflichen
Verkehr.
S. 167 zu Note 1 : Die Signatur des Linzer Landes-
archivs ist: p. G. XIII, 39.
Zu S. 195 im Anfang. Über den Beitrag der Jesuiten
behufs Durchführung der Gegenreformation in Baiern vergl.
man E. Gothein, Ignaz von Loyola, S. 689 bis 719.
S. 203, Z. 11 V. u. : Auf ftosinus folgte als Superintendent
Christoph Binder, 1586 — 1591, hierauf Anselm Hagenloch,
1591—1608.
Zu S. 254, Z. 7 : Gemäß der Unterschrift zur Confessio
Ministrorum Christi, welche von den sechs bereits vor-
handenen Predigern der Stadt schon unterschrieben war,
hat Macius (oder seine Genossen) jene Konfession nicht ver-
faßt, sondern nur gebilligt. Vgl. W. Sillem, Zur Geschichte
der Niederländer in Hamburg, 1883, S. 16, Note.
Zu S. 286 Z. 19 ist zu „Georg von Anhalt" hinzu-
zufügen, daß derselbe der eigentliche Vater des Interims
war (s. Schling, Die Kirchengesetzgebung unter Moritz
v. Sachsen und Georg v. Anhalt, Leipzig 1899).
Zu S. 310, Z. 3 V. u. vgl. Chyträi Epp., p. 1197, wo
unsere Aussage über Luther (p. 311) bestätigt und noch
liinzua;efügt wird, daß die oberdeutschen Kirchen den Exor-
cismus fast nicht gebrauchten.
Zu S. 346 Z. 10: Mir ist jetzt wahrscheinlicher, daß
in der Sitzung der Verordneten, bei welcher diese allein
anwesend waren, Khuns Meinung mißverstanden ward, was
sich auch schon aus dem Nachgeben Khuns ergiebt.
S. 370, Z. 3. Nach erneuerter Prüfung des Aktenstücks
Eccles. I, 42c l ist statt der Worte „in den Orden" „in die
Schule" zu lesen; ferner Z. 11 ist zu lesen: „janitorem"
nicht „leviticum". Der Bewahrer der Kleider war ein
Pförtner.
- 4H8
S. 444, Note 1. Statt Leopold lies Ferdinand IV., der
seit 1653 römischer König war und 1654 starb. Über dem
Bilde der beiden Herrscher ist Maria mit dem Jesuskindlein
abgebildet, nebst einer Inschrift: Cunctas Haereses 8ola In-
teremisti ; d. h. Alle Irrlehren hast Du fMaria) allein ver-
nichtet.
Zu S. 456, Note, Z. 9 gehört folgender Zusatz: Eine
einschneidende Kritik übt der reformierte Herausgeber der
Harmonia Confessionum 8. 8i (vergl. daselbst die observatio
im Anhang) an j en e r Erweiterung, welche Melanchthon in
der Variata der Augsburgischen Confession, Art. 18, dem
Text der Invariata zuteil werden ließ. Sie ist in der That
ganz synergistisch.
Den im Kapitel vom „Erbsündestreit" genannten M. Josua
Opitz, den Landschaftsprediger in Wien (von 1574 — 1578),
hat in dankenswerter Weise Pfarrer D. Witz in Wien den
Zeitgenossen ins Gedächtnis gerufen (siehe Jahrbuch der
Ges. f. d. Gesch. des Protestantismus in Österreich, 1902,
I, II). Er hat einen Auszug aus dem von Opitz in Wien
1577 verfaßten „Menschenspiegel" gegeben, in welchem
die Lehrpunkte von dem Fall und Wiedergeburt des Men-
schen katechetisch erörtert werden. Dies Schriftchen giebt
ein zutreffendes Bild von der Lehre jenes Mannes , mit
welcher damals die Wiener Gemeinde so reich gesegnet
wurde. Auch in Schladming wurde dieses Büchlein, wie oben
bemerkt wurde, vom dortigen Ortspfarrer Hasler verbreitet.
Nach Opitz' Abgang von Wien (21. Juni 1578) gingen
die Evangelischen, wie Georg Khun in einem Brief an
Rosinus in Regensburg (d. d. Linz 24 Nov. 1578) berichtet,
nach Hernais, wo an Festtagen meist 6000 Zuhörer zu den
Predigten sich drängten , — „in pago Vienna ad unum
milliare distante". Khun selbst wurde damals in Wien
nicht einmal das Taufen im Hause eines adeligen Herrn
gestattet (R. A, Eccles. No XXX, Z. 22 c).
31
— 484 —
Werke desselben Verfassers.
De Aramaismis Libri Koheleth, Dissertatio
historica et philologica. Erlangen (Blaesing) 1860.
Vaticinium Jesaiae Cap. 24 — 27, conamentario
illustr. Lipsiae (Hinrichs) 1861.
Zwölf Messianische Psalmen, nebst einer grund-
legenden christologischen Einleitung. Basel (Detloff) 1862.
Die zweite Helvetische Confession, Antritts-
rede. Wien (Braumüller) 1864.
Confessio Helvetica Posterior. Vindobonae
(Braumüller) 1866 (Jubiläumsausgabe).
AllgemeinePädagogik. Wien (Braumüller) 1 872.
In holländischer Sprache erschienen in Doetinchem (Misset)
1881.
Forschungen nach einer Volksbibel zur Zeit
Jesu und deren Zusammenhang mit der Septuaginta-Über-
setzung. Wien (Braumüller) 1875.
Die Alttestamentlichen Citate im Neuen
Testament. Wien (Braumüller) 1878.
Zum Gesetz und zum Zeugnis. Wien (Brau-
müller) 1881. In holländischer Sprache erschienen, Amster-
dam (Scheffer und Comp.) 1884.
Christologie des Alten Testamentes oder
Auslegung der wichtigsten Messianischen Weissagungen.
Wien (Braumüller) 1882. In holländischer Sprache er-
schienen: Amsterdam (Scheffer und Comp.) 1885.
Von derincarnation des Göttlichen Wortes.
Wien (Faesy) 1883.
D 0 g m a t i k. Leipzig (Rud. Giegler) , Amsterdam
(Scheffer und Comp.) 1887.
Zur Abwehr. Gegen Prof. Dr. A. Kuyper, betreffend
die Incarnation des göttlichen Wortes. Amsterdam (Scheffer
und Comp.) 1888. Auch daselbst in holländischer Sprache
erschienen.
Von der Rechtfertigung durch den Glauben.
Leipzig (K. Gustorff) 1890; ins Englische übersetzt von
Pastor C. H. Riedesel in Amerika.
Kommentar über das EvangeHumMarci (nur
holländisch). Amsterdam (Scheffer und Comp.) 1892.
Dr. Martin Luthers Fünfundzwanzig Psalmen,
ausgelegt auf der Feste Koburg. Gütersloh (Bertelsmann)
1899.
Frommannsehe Buchdruckerei (Hermann Fohle) in Jena — 2214
BR
360
Bohl, Eduard
Beitrage z\jr ge schichte
der ref ormation in Csterreict
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